Kollektivvertragsabschluss Sozialwirtschaft Österreich +2,08% – sind die Leistungen der Branche damit wirklich „honoriert“?
25. November 2020 von auge/ug
Stefan Taibl, Betriebsrat im Sozialbereich, AUGE/UG Arbeiterkammerrat
Der Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ KV) zählt mit ca. 125 000 Beschäftigten zu den Leit-KV´s im Gesundheits- und Sozialwesen. Dieses Jahr (2020) wurde ein 3-Jahres-Abschluss erzielt, der, anders als die anderen KV-Abschlüsse der letzten Monate, höher als die Inflationsrate ausfällt. Und zwar 0,6% zusätzlich zur Inflationsrate. Die Arbeitgeber sprechen in ihrer gemeinsamen (sic!) Presseaussendung mit den Gewerkschaften Vida und GPA von einer Honorierung, die über den Abschlüssen der anderen Branchen liegt (Erich Fenninger). Sie wollen damit gar die Attraktivität des Berufsfeldes stärken, so Geschäftsführer des SWÖ, Walter Marschitz. Nachzulesen bei der APA vom 23.11. zur Presseaussendung
Und was sagt die Gewerkschaft dazu? Der 3-Jahres-Abschluss ist ein Vorteil für die Beschäftigten.
Stimmt das?
Vielleicht ja, im Februar nächsten Jahres (2021) wäre wohl nicht zu mobilisieren gewesen. Ohne den Abschluss in diesem Jahr wäre in dieser Branche vielleicht auch nur die Inflationsrate als Erhöhung zur Anwendung gekommen. Gerade weil es sich beim Gesundheits- und Sozialbereich nicht um einen Bereich handelt, bei dem es durch Corona zu großen Einkommensverlusten bei den Betrieben gekommen ist, befremdet es, dass von gewerkschaftlicher Seite gar nicht versucht wird, Differenzierungen zwischen einzelnen Branchen vorzunehmen. Aber, nichtsdestotrotz, für den Abschluss im nächsten Jahr, wird der Vorteil wohl gegeben sein.
Eigentlich müsste den anderen Aussagen von gewerkschaftlicher Seite widersprochen werden.
Wie sieht es in der Lebensrealität und der Einkommensrealität der Beschäftigten aus? Reicht dieser Abschluss? Bringen die 0,6 % wirklich so viel, das damit die Leistung der Systemerhalter*innen honoriert werden, und die Attraktivität des Berufsfeldes steigt?
Ein einfacher Vergleich zeigt, die Mitarbeiter*innen dieses KV´s brauchen zum Überleben wirklich jeden Cent, den sie kriegen können. Spielraum nach unten, nur Inflationsrate, oder weniger, ist nicht gegeben.
Das haben wir bei der letzten AK-Vollversammlung in Wien (11. November 2020) anhand des SWÖ klar vorgerechnet. Siehe: Antrag 07 / Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit
Nimmt man das Durchschnittseinkommen eines in Österreich unselbstständig beschäftigten Mannes als Vergleich, wie es die Statistik Austria 2018 berechnet hat, so kommen im SWÖ von den 9 Verwendungsgruppen nur drei, und das nur teilweise, in die Höhe eines durchschnittlichen unselbstständigen Männereinkommens. Ganze 19 % des Kollektivvertrages erreichen dieses durchschnittliche Einkommen. 81% des Kollektivvertrages kommen dort nie hin.
Eine Frauenbranche also. Die in den meisten Gehältern noch dazu weit unter dem durchschnittlichen Männerverdienst liegt. Dieser KV gesteht den, zumeist Frauen (aber auch Männern) dieser Branche zu, das ein Anteil von 52% des durchschnittlichen Männereinkommens für sie genug ist.
Eine Honorierung der beklatschten wertvollen Beschäftigten, wenn sich das um 0,6% gegenüber andere Branchen verbessert? Eine Attraktivierung? Wohl eher der Tropfen auf dem heißen Stein.
Von Stefan Taibl, Betriebsrat im Sozialbereich, AUGE/UG Arbeiterkammerrat