Warum Wachstum nicht dauerhaft funktionieren kann – und warum kein Wachstum auch nicht funktioniert
Wirtschaftswachstum gilt als das Schmiermittel der Gesellschaft. Wachstum sichert Arbeitsplätze, unser soziales System bleibt finanzierbar und es gibt keine Verteilungskonflikte. Das Zauberwort heißt: „Green New Deal“ – also die Vorstellung, man könne ökonomisches Wachstum unverändert weiterführen, solange man fossile Energieträger gegen erneuerbare austauscht. Spätestens die Naturgesetze werden diesem Irrglauben die Grenzen aufzeigen.
Kaya-Identität
Die Kaya-Identität spielt für die Klimaforschung eine zentrale Rolle bei der Entwicklung zukünftiger Klimaszenarien. Nach dieser Formel werden die globalen CO₂-Emissionen von vier Faktoren getrieben:
- Bevölkerung
- Wirtschaftsleistung pro Kopf
- Energieeffizienz unserer Technologie
- CO₂-Intensität (wie sauber unsere Energie ist)
Sämtliche politischen Hoffnungen richten sich auf die letzten beiden Faktoren, also auf Effizienz und saubere Energie. Doch die entscheidende Größe ist das Wirtschaftswachstum selbst. Die Wirtschaft wächst exponentiell, im Gegensatz dazu wächst technologischer Fortschritt niemals exponentiell.

Jevons-Paradoxon
„Aber wir sparen doch Energie!“, lautet der Einwand. Auch hier macht uns die ökonomische Logik einen Strich durch die Rechnung. Dieses Phänomen ist als Jevons-Paradoxon bekannt. Immer wenn eine Technologie effizienter wird, sinkt t der Gesamtverbrauch an Energie nicht, er steigt. Warum? Weil die Nutzung billiger wird. Seit wir effiziente LED-Leuchten haben, verbrauchen wir nicht weniger Strom für Licht, sondern wir beleuchten einfach noch mehr. Effizienzgewinne führen im Wachstumssystem zu mehr Gesamtverbrauch.
Vergiftetes Wachstum
Unsere Wirtschaft wächst, aber der reale Wohlstand wächst nicht im gleichen Ausmaß. Und hier zeigt sich die Absurdität unseres (BIP-)Wachstum: Die Wirtschaft wächst auch, weil wir Geld ausgeben, um Schäden zu reparieren, die durch das Wachstum erst entstanden sind. Wir verbrennen reale Ressourcen, um die Asche der vorherigen Ressourcenverbrennung wegzuräumen, und nennen das dann stolz Wirtschaftswachstum.
Hitzemauer
Um die Endgültigkeit unseres Problems zu verstehen, müssen wir die Ökonomie kurz verlassen und die Physik betrachten. Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik sagt: Jede Energie, mit der Arbeit verrichtet wird, verwandelt sich am Ende in Wärme. Ein Rechenzentrum, das rechnet, oder ein Auto, das fährt – sie alle wandeln ihre genutzte Energie (Strom aus Windrad, chemische Energie aus fossilen Brennstoffen) über kurz oder lang zu 100 Prozent in Wärme um.

Die momentane Wärmeproduktion durch unsere aktuelle Technologienutzung (zum Beispiel Rechenzentren, Industrieanlagen, Verbrennungsmotoren, Gebäudeheizung , Beleuchtung, Haushaltsgeräte, Verkehr, etc. und aber auch digitale Endgeräte wie Handy) beträgt etwa 1% der Wärmeproduktion durch Treibhausgase (also dem jetzigen Klimawandel). Das klingt nicht besonders gefährlich, nur vergessen wir auch hier den Charakter des exponentiellen Wachstums unseres Energiebedarfs. Es ist wie bei den Covid-Infektionszahlen: Anfangs machte sich niemand Sorgen und danach explodierten die Infektionszahlen – das ist exponentielles Wachstum.
Red-Queen-Dynamik: Kein Wachstum, ist auch keine Lösung
Hochtechnologisierte Gesellschaften benötigen Energie und Ressourcen nicht nur um Neues zu schaffen, sondern auch um das Bestehende zu erhalten: Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Stromnetze, Wassersysteme, Gesundheitsstrukturen, digitale Infrastruktur – alles zerfällt mit der Zeit und benötigt kontinuierliche Erneuerung. Gleichzeitig verändern sich die Umweltbedingungen: Das Klima wird instabiler, der Meeresspiegel steigt, Wetterextreme nehmen zu. All das erhöht die notwendige Erhaltungsarbeit. Um denselben gesellschaftlichen Zustand beizubehalten, muss immer mehr Energie aufgewendet werden. Genau das beschreibt die sogenannte „Red-Queen-Dynamik“: Eine Gesellschaft, die nicht wächst, verliert ihre Fähigkeit, Schäden auszugleichen und neue Probleme zu lösen. Sie wird instabil.
„Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“
die Rote Königin, Alice hinter den Spiegeln
… aber es gab doch Gesellschaften ohne Wachstum?
Es gab Gesellschaften, die sogar über Jahrtausende langfristig nicht wuchsen und (mehr oder weniger) stabil blieben. Doch handelte es sich dabei um alte Agrargesellschaften. Wir können diesen Weg gehen, verzichten dann aber auch auf Errungenschaften der industrialisierten Zivilisation – von moderner Medizin bis zur globalen Kommunikation, die untrennbar mit unserer komplexen, energieintensiven Gesellschaft verbunden sind.
Szenarien des Untergangs
Aus dem Zusammenspiel dieser physikalischen Grenze (steigender Energieverbrauch erzeugt Wärme) und der oben beschriebenen Red-Queen-Dynamik (fehlendes Wachstum erzeugt Instabilität) lassen sich drei mögliche Zukunftsszenarien ableiten.
- Szenario 1: Flucht nach vorn Wir versuchen, die Klimakrise durch massive technologische Aufrüstung zu lösen: gigantische Entsalzungsanlagen, globales Geoengineering. Dies erfordert eine hohe Wachstumsrate des Energiebedarfs von etwa fünf Prozent pro Jahr. Bei fünf Prozent Energiewachstum führt allein die anfallende Abwärme durch unsere Technologienutzung innerhalb von nur 80 Jahren zu einer Erwärmung um ein Grad – und 30 Jahre später zu drei Grad. Zusätzlich zu unserer Erwärmung durch Treibhausgase.
- Szenario 2: Grünes Wachstum Wir wachsen ökonomisch moderat weiter (zwei bis drei Prozent BIP-Wachstum, was historisch mit einem ähnlichen Wachstum unseres Energiebedarfs korreliert), tauschen aber Fossile gegen Erneuerbare. Auch bei „grünem“ Wachstum summiert sich die „Abwärme“ unserer technologischen Gesellschaft exponentiell und wir erreichen die Hitzemauer in etwa 150 Jahren. Wir gewinnen etwas Zeit, ändern aber am Ergebnis nichts. Das ist kein nachhaltiger Weg in die Zukunft.
- Szenario 3: Stagnation Wir entscheiden uns für ein Minimal-Wachstum der Wirtschaft von einem Prozent. Das klingt vernünftig (viele 100e Jahre bis sich durch unsere technologische Abwärme das Klima verändert). Aber in einer Welt mit exponentiell steigenden Klimaschäden (die realen Kosten für Wetterextreme steigen weit schneller als 1,5 Prozent) reicht dieses geringe Wirtschaftswachstum nicht aus, um die Schäden zu beseitigen. In diesem Szenario kollabiert die Gesellschaft nicht durch Hitze, sondern durch sozio-ökonomische Zusammenbrüche.

Prioritäten
Aktuell und in den nächsten Jahrzehnten ist der durch Treibhausgase (CO₂, Methan) verursachte Klimawandel die vorrangige Bedrohung. Um diese Gefahr abzuwenden, müssen wir unsere Infrastruktur radikal umbauen, das bedeutet einen gigantischen Kraftakt, der kurzfristig höheres Wirtschaftswachstum und enormen Energieeinsatz erfordert.
Wenn wir aber nach der Dekarbonisierung einfach weiterwachsen wie bisher, werden wir unsere Gesellschaft trotzdem zerstören. Wir benötigen jetzt kurzfristig eine dynamische Phase des Umbaus, um den Klimawandel durch Treibhausgase zu bewältigen – müssen aber gleichzeitig den Ausstieg aus der Wachstumslogik vorbereiten.
Wir haben keine Lösung
Weder im Kapitalismus noch im Sozialismus gibt es eine Lösung, wie eine hochtechnologische Zivilisation ohne Wachstum stabil bleiben kann. Wir haben leider keine Blaupausen dafür. Da wir mit den Naturgesetzen nicht verhandeln können, müssen wir unsere Gesellschaftsverträge neu verhandeln. Das ist kein Thema, das man allein Forscher:innen, Ingenieur:innen überlassen darf, es ist ein Thema für Alle. Es ist auch Thema für die Gewerkschaften, denn sie vertreten die, die schlussendlich Waren und Güter produzieren. Wir müssen herausfinden, wie wir soziale Sicherungssysteme vom ökonomischen Wachstumszwang entkoppeln können und müssen hoffen, dass das überhaupt möglich ist.
Das wird die größte Herausforderung der Menschheit.
