6. Dezember 2010: Protest „Gegen den Kahlschlag bei Wissenschaft und Forschung!“

Zwischen 100 und 200 Beschäftigte aus außeruniversitären Forschungsinstituten, sowie sich solidarisierende GewerkschafterInnen, StudentInnen, und Uni-WissenschafterInnen demonstrierten am 6. Dezember ab 10.00 Uhr vor dem Wissenschaftsministerium gegen die im Budgetentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Kürzungen der Basissubventionen (siehe BLOG-Beitrag „Forschung in Zeiten der Budgetkonsolidierung“). Zum Protest hatten GPA-djp, die Wissenschaftskonferenz Österreich, das Netzwerk der außeruniversitären geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen (GSK-NET), die Interessensgemeinschaft externer LektorInnen und freier WissenschafterInnen sowie die Österreichische HochschülerInnenschaft – ÖH aufgerufen. Über 70 Institute aus dem sozial-, geistes- und kulturwissenschaftlichen Bereich wären betroffen, hunderte Beschäftigungsverhältnisse von WissenschafterInnen drohen verloren zu gehen.

(Jung-)WissenschafterInnen bleibt angesichts der chronischen Unterfinanzierung der Universitäten und damit zusammenhängend unattraktiven, universitären Karriereverläufen, von Prekarität geprägten Beschäftigungsverhältnissen in Forschung und Lehre mit dem drohenden Kahlschlag im außeruniversitären Forschungsbereich vielfach nur noch die Auswanderung übrig.

In den Redebeiträgen wurden die angekündigten Kürzungen und die „Empfehlung“ der Ministerin Karl, sich doch Universitätsinstituten zum andocken zu suchen, heftig kritisiert.

httpv://www.youtube.com/watch?v=KdeRiwfGxKU

Ronald J Pohoryles (Interdisziplinäres Forschungszentrum Sozialwissenschaften, IFS/ICCR) fand gerade diese Empfehlung besonders absurd, Doris Kappeller (PERIPHERIE, Institut für angewandte Genderforschung) aus Graz schlug in eine ähnliche Kerbe: außeruniversitäre Einrichtungen, ohnehin schlecht dotiert und nun auch noch ihrer Basissubventionen beraubt, sollten nun an nicht minder chronisch unterfinanzierte Universitätsinstitute andocken. Tatsächlich sei der herrschenden Politik Wissenschaft vollkommen egal, so Dr. Pohoryles. Die Sozialdemokratie habe sich aus der Wissenschaftspolitik geistig bereits verabschiedet: sie würde sich nicht einmal mehr um das Wissenschaftsministerium bemühen. Die Konservativen wollten sich dagegen ganz offensichtlich kritischer Sozialwissenschaft und der entsprechenden Institutionen entledigen, und witterten nun die entsprechende Chance.

Dwora Stein, Bundesgeschäftsführerin der GPA-djp wies darauf hin (siehe GPA-djp Presseaussendung), dass bereits heute Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der außeruniversitären Forschung – deutlich stärker weiblich geprägt als in der universitären – vielfach von Prekarität geprägt sein. Mit der Streichung von Basissubventionen würde der Prekarisierungsprozess von Wissensarbeit noch beschleunigt und forciert, was gerade GewerkschafterInnen nicht egal sein könne und dürfe. Stein wies auch darauf hin, dass gerade auch Interessensvertretungen der ArbeinehmerInnen auf Forschungsergebnisse und Expertise sozialwissenschaftlicher Institute angewiesen seien. Es sei schlichtweg „dumm“ wenn in Sonntagsreden zwar ständig davon die Rede sei, wie wichtig Investitionen in Forschung und Wissenschaft in einer „wissensbasierten“ Gesellschaft sei, gleichzeitig allerdings gerade bei Wissenschaft und Forschung – universitärer wie außeruniversitärer gespart würde. Es brauch nicht nur gleich viel Geld – es brauche mehr Geld für Wissenschaft und Forschung!

Mario Becksteiner von der IG LektorInnen und freie WissenschafterInnen sowie Betriebsrat des wissenschaftlichen Personals an der Uni Wien plädierte in seinem Redebeitrag für eine breit Vernetzung von WissensarbeiterInnen unabhängig von der beschäftigenden Institution. Scharfe Kritik übte er daran, dass Forschung zunehmend zur Ware werde, Forschungsinstitute sich auf einem Markt bewähren müssten, WissenschafterInnen vor allem als Humanressourcen angesehen würden: „Wir sind keine Humanressourcen, wir sind Menschen mit Bedürfnissen“, so Becksteiner, der wie Stein vor allem die prekäre Situation von Wissensarbeit inner- und außeruniversitärer Forschung ansprach. Auch Manfred Krenn, Betriebsrat bei FORBA, der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt stellte in seinem Redebeitrag die Beschäftigten und die Verhältnisse, unter denen Beschäftigte im Forschungsbereich arbeiten müssen ins Zentrum.

Siegrid Maurer, ÖH-Vorsitzende schlug einen Bogen von den Kürzungen bei den StudentInnen im Bereich der Familienbeihilfe über die unterdotierten Universitäten hin zu den Arbeitsplatzperspektiven für junge WissenschafterInnen, die mit dem Aushungern der außeruniversitären Forschungseinrichtungen noch schlechter würden. Maurer plädierte einmal mehr für einen breiten Zusammenschluss aller Betroffenengruppen um gegen dieses Budget, das Zukunft und Chancen raube, vorzugehen. Ähnlich wie Becksteiner kritisierte auch sie die zunehmende Ökonomisierung von Wissenschaft und Forschung.

Günther Ogris, SORA, leitete zum Abschluss schließlich für die Wissenschaftskonferenz Österreich die Aktion, die den Kahlschlag in der außeruniversitären Forschung veranschaulichte, ein: Bäume – stellvertretende für die jahrzehntelange Aufbauarbeit, beschriftet u.a. mit „Forschung und Beratung“, „Weiterbildung und Nachwuchsförderung“, „Grundlagenarbeit“, „Innovative Wissenschaft“ etc. wurden umgesägt, Euro-Scheine – natürlich keine Originale – verbrannt: Symbolisch dafür, dass künftig EU-Forschungsmittel für Projekte nicht mehr „abgeholt“ bzw. „beantragt“ werden können und damit für Wissenschaft und Forschung in Österreich verloren gehen.

Der Protest wird weitergehen, er muss weitergehen. Im Anschluss noch einmal die Forderungen und Positionen aus dem Aufruf zur Kundgebung „Gegen den Kahlschlag in Wissenschaft und Forschung“:

Die außeruniversitäre Forschung ist ein wichtiger Teil der österreichischen Wissenschaft. Sie hat trotz bescheidener öffentlicher Förderung große Erfolge in der Grundlagen- und angewandten Forschung, in Wissenstransfer und Erwachsenenbildung, in Politikberatung und internationaler Einbettung vorzuweisen.

Mit dem Budgetentwurf der Bundesregierung entzieht das BMWF den unabhängigen wissenschaftlichen Einrichtungen alle Mittel: Basisförderungen, EU-Anbahnungsfinanzierung, Projektförderungen, Publikationsförderungen u.v.m.

Durch diesen unüberlegten Kahlschlag werden langjährige Aufbauarbeiten überfallsartig zunichte gemacht. Hunderte Arbeitsplätze gehen unmittelbar verloren. Ein ganzer Arbeitsmarkt für WissenschafterInnen wird mittelfristig ausgetrocknet.

Die Einbindung Österreichs in die europäische Wissenschaft wird entschieden geschwächt. Chancen auf internationale Karrieren der WissenschafterInnen gehen verloren.

Wir fordern

ein Ende der Politik, die das Bankwesen auf Kosten von sozialer Sicherheit, Bildung und Forschung zu sanieren versucht
– ein Ende der Politik, die Forschungsmittel von einer Vielzahl von Instituten abzieht und einigen wenigen Großunternehmen zuschiebt
– ein Ende der Politik, die den Instituten keine längerfristige Personalpolitik erlaubt
– ein Ende der Politik, die der Mehrheit der WissenschafterInnen in Forschung und Lehre nur prekäre Beschäftigung bietet

Wir fordern

– eine ausreichende Ausstattung der unabhängigen wissenschaftlichen Einrichtungen, die ihrer wichtigen Funktion für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik entspricht
– eine Absicherung der Beteiligung österreichischer Institute an der europäischen Forschung und eine Anhebung der Forschungsinfrastruktur auf internationales Niveau
– mehrjährige Leistungsvereinbarungen auf der Basis von unabhängigen Evaluierungen, die den vielfältigen Funktionen der Institute gerecht wird
– den steigenden Anforderungen entsprechende Verbesserung der Voraussetzungen für eine hohe Qualität der Arbeit und nachhaltige Arbeitsbedingungen

Der gesamte Aufruf ist hier abrufbar.

Photos von der Kundgebung:
GPA-djp Fotostream
AUGE/UG Fotostream

Kommentar zu „6. Dezember 2010: Protest „Gegen den Kahlschlag bei Wissenschaft und Forschung!““

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