BEIGEWUM-Debatte (Teil 2): Staatsbankrott? Nein, setzen wir auf Eurobonds, meint Torsten Niechoj

In Teil 1 der BEIGEWUM-Debatte zum Thema Wege aus der „Staatsschuldenkrise“ fassten wir auszugsweise Argumente des Wiener Universitätsprofessors Raffer für eine Staatsinsolvenz überschuldeter Staaten zusammen. Einer Staatsinsolvenz ablehnend steht Torsten Niechoj vom gewerkschaftsnahen bundesdeutschen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) gegenüber. Es plädiert für Eurobonds als Möglichkeit um staatliche Schuldenpapiere „spekulationsfest“ zu machen und hochverschuldeten Staaten einen solidarischen Weg aus der Schuldenkrise zu ebnen.

Kurz zusammengefasst: Niechois Argumente für Eurobonds


Eurobonds sind so etwas wie „europäische“ Staatsanleihen, die von einer entsprechend zuständigen europäischen Stelle (z.B. einem noch zu schaffenden Europäischen Währungsfonds oder dem bereits eingerichteten „Euro-Rettungsschirm“ EFSF bzw. ESM) zu einem bestimmten, festgelegten Zinssatz ausgegeben werden. Tatsächlich würden – grob gesagt – alle z.B. Euro Staaten für die Staatsschuld anderer Staaten mithaften. Warum plädiert Niechoj für Eurobonds statt Insolvenzverfahren für Staaten zur Bewältigung der sogenannten „Eurokrise“?

 

  • Für Nichoi wirken Staatsinsolvenzen hinsichtlich ihrer Entlastung hochverschuldeter Staaten nur kurzfristig. Ein Schuldenschnitt würde zwar eine Verschnaufpause verschaffen, allerdings nur für kurze Zeit. Bliebe der verschuldete Staat im Euro-Währungsraum, würde sich hinsichtlich der schlechten Wettbewerbssituation nichts Wesentliches ändern. Die eigene Währung „abzuwerten“ um exportfähiger zu werden, also um Leistungsbilanzdefizite abzubauen, die entscheidend für den hohen Schuldenstand verantwortlich zeichnen, wäre nach wie vor nicht möglich. Mittel- bis langfristig wäre also nichts bis wenig gewonnen. Würde der Staat aus dem Euroraum ausscheiden, blieben die Rest- „Euro“-Schulden nach wie vor bestehen. Um Leistungsbilanzdefizite abzubauen bzw. um „wettbewerbsfähiger“ zu werden, könnte das Land zwar wohl abwerten – allerdings mit dem Ergebnis, dass die Bedienung der Schulden – die ja in „Euro“ sind – teurer würde. Ein Schuldenschnitt würde zusätzlich die griechischen Banken enorm belasten und wäre für viele Banken nicht verkraftbar. Die Folge wären teure Bankenrettungen, Bankenpleiten. Um Bankenrettungen finanzieren zu können, wären Kreditaufnahmen auf den Finanzmärkten notwendig. Was ziemlich teuer käme, wenn nicht überhaupt fast unmöglich – denn wer gibt schon „Pleitestaaten“ Kredite zu günstigen Konditionen?
  • Der Schuldenschnitt , bzw. der Bankrott eines Staates droht zusätzlich den gesamten Euroraum „anzustecken“. Geht ein Staat Pleite, ist auch das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit anderer, überdurchschnittlich hoch verschuldeter Staaten erschüttert – unabhängig davon, ob diese in tatsächlich liquide wären, oder nicht. Es droht damit ein Zinsanstieg für entsprechende Staaten der Eurozone, weil Kreditgeber entsprechende„Risikoaufschläge“ verlangen. Gleichzeitig droht Kapitalflucht. Kommt es dann zu Staatsbankrotten, zahlen auch die Nachbarländer die Zeche, weil diese „Kreditgeber“ ihrer Länder wie Banken, Versicherungen, Pensionsfonds aus öffentlichen Mitteln auffangen müssen, um deren Zusammenbruch abzuwenden. Eine derartige „Ansteckungsgefahr“ wäre in Ländern wie den USA dagegen nicht möglich: dort gibt es einen Währungsraum, gegen deren Staatsanleihen nicht spekuliert werden kann. Notfalls springt die US-Federal Reserve ein – wenn nicht gerade wieder einmal die „Tea Party“ blockiert, kann der US-Staat somit nicht pleite gehen.
  • Deshalb braucht es auch auf europäischer Ebene Eurobonds und eine „Vergemeinschaftlichung“ der Schuldenpolitik. Eurobonds können Krisenländern günstige Finanzierungsmöglichkeiten jenseits der Finanzmärkte bieten und würde die ökonomische Integration der EU vorantreiben – statt teure, mit „Risikoaufschlägen“ versehene eigene Staatsanleihen zu zeichnen, würden sich Euroländer über Euro-Bonds verschulden. Aufgrund der Größe des Euro-Währungsraums, der „Vergemeinschaftung“ der Schuldenpolitik und entprechend handlungsfähiger europäischer Institutionen wären auch spekulative Angriffe gegen hochverschuldete Staaten nicht mehr möglich. Mittelfristig würden alle vom insgesamt niedrigeren Zinsniveau im gesamten Euro-Raum profitieren
  • Natürlich würden Euro-Bonds auch ein stärkere Europäisierung der Wirtschaftspolitik mit sich bringen und bestimmte fiskalpolitische Kompetenzen an die europäische Ebene übertragen.Eine Koordinierte Wirtschaftspolitik – keynesianisch ausgerichtet – würde zusätzlich darauf abzielen, Leistungsbilanzdefizite abzubauen und Finanzmärkte entsprechend zu regulieren und ein mehr an Steuergerechtigkeit herzustellen.

Nichoj im Wortlaut (Auszug)

Warum ein Schuldenschnitt Staaten nur kurzfristig, aber nicht unbedingt langfristig nutzt und welche Folgen ein Austritt bzw. ein Verbleib in der Eurozone hätte:

„Auch wenn ein Schuldenschnitt für eine umfassende Entlastung sorgte, an den Leistungsbilanzdefiziten der Vergangenheit und den vorliegenden ökonomischen Ursachender Krise – kreditbasierter Konsum und überdurchschnittlich steigende Lohnstückkosten sowie eine chronische Unterfinanzierung des Staates durch ein löchriges Steuersystem – änderte dies aber erst einmal nichts. Bliebe Griechenland im Euroraum, wäre weiterhin keine nominale Abwertung über den Wechselkurs möglich und es existieren im Moment auch keine funktionalen Äquivalente zum Wechselkursmechanismus, also wirtschaftspolitische Institutionen, die zu einer Annäherung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit und einer Verringerung der Leistungsbilanzungleichgewichte führen. Würde Griechenland aus dem Euroraum austreten, könnte es zwar seine Währung abwerten und so den Export steigern. Es würde aber, wenn die Restschulden weiterhin zu einem nennenswerten Teil in Euro beglichen werden müssen, einen sofort wieder anwachsenden Schuldenstand aufweisen, da mit einer Abwertung der heimischen Währung zugleich die Verschuldung in ausländischer Währung aufwertet. Der Kreditmarkt dürfte Griechenland nach einem Schuldenschnitt außerdem erst einmal verschlossen sein … Eine Steigerung der Exporte aufgrund der Abwertung wird nur wenig auf das griechische Wachstum durchschlagen, da Griechenland den kleinsten Offenheitsgrad aller Euroländer aufweist. Entsprechend würden die Importpreise deutlich steigen, was einerseits zu einem Rückgang der Importe beitragen und die Leistungsbilanz verbessern würde, andererseits aber auch über Vorproduktverteuerungen dieExporte mindern und inflationstreibend wirken würde. Ein Schuldenschnitt und entsprechende Abschreibungen wären vom griechischen Bankensystem nicht verkraftbar. Bankeninsolvenzen wären die Folge, woran sich der Zusammenbruch der Unternehmensfinanzierung anschlösse, was wiederum zu einer Vertiefung der Wirtschaftskrise führen würde. Griffe der Staat hier ein und rettete die Banken, erhöhte dies wieder seine Verschuldung, wenn er denn überhaupt Kredite aufnehmen könnte. Langfristig muss sich ein Schuldenschnitt also nicht auszahlen.“

Warum ein Schuldenschnitt den gesamten Euroraum destabilisieren würde …

„Wenn nun Griechenland insolvent wird, werden mindestens Irland und Portugal, aber wahrscheinlich auch Spanien und Italien verdächtigt werden, illiquide zu sein, obwohl sie eigentlich liquide sind. In der Folge werden die Finanzmärkte höhere Zinsen für die Staatsschulden dieser Länder verlangen, gleichzeitig kommt es zu Kapitalflucht. Das kann diese Länder dann wirklich in Schwierigkeiten bringen, auch wenn sie vorher ihre Verschuldung bedienen konnten. Es käme also zu sich selbst verstärkenden Effekten bzw. einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung (drohender Insolvenz). Wenn dann die Insolvenz eintritt, sind nicht nur die Krisenstaaten betroffen. Denn wenn Insolvenzen um sich greifen, müssen Anleger hohe Summe abschreiben. Ende 2010 hatten die deutschen Banken noch Forderungen von etwa 8 % ihres Eigenkapitals gegenüber Griechenland in ihren Büchern. Gegenüber Spanien, Irland, Portugal und Griechenland zusammengenommen bestanden allerdings Forderungen von etwa 94 % des Eigenkapitals … Auch wenn bei einem Schuldenschnitt nur ein Teil davon ausfällt und da die Banken mittlerweile Teile dieser Forderungen abgeschrieben oder verkauft haben dürften, zeigt dies doch, wie sich das Problem potenziert, wenn in einem Dominoeffekt mehrere Länder nacheinander zahlungsunfähig werden.“

… und warum gerade die „Konstruktion“ des Euro-Raums die „Ansteckungsgefahr“ befördert:

„Dass solche Ansteckungseffekte überhaupt möglich sind, liegt an der Konstruktion des Euroraums mit einer zentralisierten Geldpolitik, deren Aufgabe die Herstellung von Preisniveaustabilität ist und die nicht an der staatlichen Finanzierung beteiligt werden soll. Zwar ist so der Euro die Währung aller Euroraummitglieder, anders als normalerweise haben die einzelnen Staaten aber keinen direkten Einfluss mehr auf die Geldpolitik. Damit ist im Euroraum die Währung ein Hybrid aus Eigen- und Fremdwährung … Dies liefert spekulativen Angriffen und sich selbst verstärkenden Überreaktionen eine Basis, die ansonsten gar nicht vorhanden wäre.“

Warum eine Währungsraumkonstruktion a la USA einige der aktuellen Probleme verhindert hätte:

„In den USA würde die US-amerikanische Zentralbank Federal Reserve im Zweifel immer Staatsanleihen aufkaufen und kann dies auch unbegrenzt tun. Entsprechend ist für die Finanzmärkte klar, dass der US-amerikanische Staat nicht Insolvenz anmelden wird … Ansteckungseffekten und der Frage, welches Land als nächstes nach Griechenland in eine prekäre Finanzlage geraten wird, wären jede Grundlage entzogen, wenn der Euroraum ähnlich institutionell strukturiert wäre wie das US-amerikanische System. Es stimmt, dass die Probleme der Krisenländer im Euroraum realökonomische Grundlagen haben, die angegangen werden müssen ; zu einer Schuldenkrise im Euroraum in der Form, wie wir sie seit Anfang 2010 sehen, wäre es aber nicht gekommen, wenn Staatsanleihen und Geldpolitik anders – und ähnlich wie in den USA – institutionalisiert gewesen wären.“

Warum Eurobonds und eine „Vertiefung“ der europäischen Integration eine bessere Alternative als Staatsinsolvenzen wären:

„Um die Solvenz der Staaten auf eine dauerhafte und solide Basis zu stellen, können Eurobonds eingeführt und über eine modifizierte Europäische Stabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility , EFSF) oder einen Europäischen Währungsfonds oder etwas funktional äquivalentes begeben und den Ländern zur Verfügung gestellt werden … Gleichzeitig sollte die EZB Staatsanleihen der Eurobonds-emittierenden Organisation am Sekundärmarkt aufkaufen, so wie sie es bislang schon bei nationalen Anleihen macht, um Einfluss auf das Zinsniveau der Anleihen nehmen zu können und um als lender of last resort agieren zu können. Spekulation und sich selbst erfüllenden Prophezeiungen wäre damit der Boden entzogen. Denn die gemeinsam garantierten Bonds und die Rückendeckung durch die EZB implizieren, dass es keine Insolvenz mehr geben wird, insofern lohnt es nicht, gegen die Anleihen zu spekulieren, und Prophezeiungen der oben beschriebenen Art fallen weg. Weitere positive Folgen wären, dass Eurobonds Krisenländern wieder eine Finanzierungsmöglichkeit außerhalb von Rettungspaketen zu akzeptablen Konditionen bieten würden und dass für den Euroraum als Ganzes die Zinskosten sinken dürften.“

Warum Eurobonds ein „mehr“ an europäischer Koordinierung in wirtschaftspolitischen Fragen bedingen würden …

„Eurobonds können aber nicht beliebig an die Mitgliedsländer verteilt werden, sonst bestünde die Gefahr, dass einzelne Länder sich einfach deswegen verschulden, weil dies so einfach ist und die Rückzahlung im Zweifel von anderen geleistet werden müsste. Daher ist eine Übertragung bestimmter fiskalpolitischer Kompetenzen an die supranationale Ebene unabdingbar und eine adäquatere Lösung als der bisherige Stabilitäts- und Wachstumspakt. Dies könnte dann so ausgestaltet werden : Wenn die Länder des Euroraums sich darauf verständigen, statt ihrer jeweiligen Staatsanleihen gemeinsam Eurobonds zu begeben, dann akzeptieren sie damit zugleich auch Pfade für die konjunkturunabhängigen Ausgaben ihrer Haushalte … Über die Struktur dieser Ausgaben entscheiden weiterhin die nationalen Parlamente, über die Pfade beschließt das Europaparlament, die Implementierung überwacht die Europäische Kommission. Ein Teil der fiskalischen Autonomie wäre dann also auf der europäischen Ebene angesiedelt, womit eine direkte, gesamteuropäische Einflussmöglichkeit auf die Haushalte etabliert wäre. Konjunkturunabhängige Ausgaben und nicht Einnahmen sind die richtige Bezugsgröße, da sie besser kontrollierbar sind und der Staat bei ihnen direkt in die Verantwortung genommen werden kann: Einnahmen sind von der wirtschaftlichen Lage abhängig und volatil. Ausgabenpfade erlauben es, eine bestimmte Höhe an Infrastruktur und öffentlicher Dienstleistung aufrecht zu erhalten. Falls die Einnahmen nicht ausreichen, um das Niveau an Ausgaben zu finanzieren, dann ist der Staat unterfinanziert und muss Steuern erhöhen oder die Steuerbasis verbreitern – wie etwa in Griechenland. Denkbar wäre auch,eine höhere Verschuldung dann zuzulassen, wenn dieses Geld in zusätzliche Investitionen fließt, die für spätere Generationen (materielle oder immaterielle) Renditen generieren. Wenn dann ein Land sich an den Pfad hält, können immer noch konjunkturabhängige Defizite entstehen, diese Defizite sind aber gerechtfertigt, weil sie in Abschwüngen die Wirtschaft stabilisieren, und sie werden durch Überschüsse in Aufschwüngen in langer Frist kompensiert.“

… und welche Form von europäischer Wirtschaftspolitik notwendig wäre:

„Entscheidend wird letztlich sein, ob die richtige Wirtschaftspolitik umgesetzt wird, und dies ist eine, die eher nicht liberal, sondern betont keynesianisch ausgerichtet ist und die sich nicht darauf beschränkt, makroökonomisch zu agieren, sondern besonderen Wert darauf legt, dass die institutionellen Strukturen geschaffen werden, die nötig sind, damit ein keynesianisch orientierter makroökonomischer Politik-Mix funktionieren kann. Dazu gehört neben dem bereits genannten auf jeden Fall auch eine funktionierende Finanzmarktregulierung, die eine weitere Krise des Ausmaßes von 2008f. verhindert oder wenigstens zukünftige Krisen begrenzt. Andernfalls würden private Schuldenstände wieder plötzlich steigen und der Staat müsste erneut – aus Gründen der Systemstabilisierung – private Verschuldung in öffentliche überführen.“

Bereits in diesem BLOG veröffentlicht, Teil 1: Staatsbankrott – ein Weg aus der Krise? Ja, meint Prof. Raffer

Links:

Kurswechsel: „Staatsinsolvenz in Europa -Konsequenzen für den Euroraum“, Thorsten Niechoj, aus Kurswechsel 3/11

 

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