Kommentar zum Abschluss der Kollektivverträge im Sozial- und Gesundheitsbereich am 4. Februar 2013

Am 4. Februar wurde in der dritten Verhandlungsrunde der Abschluss der Globalrunde für Caritas, Diakonie und den BAGS-Kollektivvertrag erzielt. Gleich vorweg, dass Ergebnis ist mit 2,75% und nur geringen Bewegungen im Rahmenrecht ungenügend! Ein Kommentar von Stefan Taibl, Betriebsratsvorsitzender der PSZ GmbH und einer der AUGE/UG-VertreterInnen im großen Verhandlungsgremium zu den Kollektivverträgen im Sozial- und Gesundheitsbereich

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Einer der schlechtesten KV-Abschlüsse der letzten Zeit

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Die mittleren Einkommen im  Sozial- und Gesundheitsbereich liegen um rund 20% unter jenen aller ArbeitnehmerInnen in Österreich. Es gab im vergleichbaren Zeitraum nur drei KV-Abschlüsse, die unter 3% liegen. Somit öffnet sich die Einkommensschere zwischen Sozial- und Gesundheitsbereich und den anderen Branchen noch weiter! Wir sprechen zusätzlich von einem Bereich, in dem Großteils nur Teilzeitjobs angeboten werden. Die meisten MitarbeiterInnen liegen in der Einkommensgruppe 4, diese fängt bei 1600 Euro Bruttoentlohnung  bei Vollzeit an.

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Armut? Armut!

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Die Folge: viele MitarbeiterInnen verdienen (in einer frauendominierten Branche) unter der Armutsgrenze. Bei den KV-Verhandlungen kam das klar zur Sprache, als BetriebsrätInnen von Delogierungen, Kleidersammelaktionen (!) für MitarbeiterInnen,  von Unterstützungen aus Betriebsratsfonds für Kolleginnen um Stromrechnungen zu bezahlen und ähnlichem berichteten. Und diese KV´s betreffen 120.000 Beschäftigte – und zusätzlich noch deren Angehörige.

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Die Arbeitgeberseite

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Die Arbeitgeberseite verhandelt mit dem größten Geldgeber in diesem Bereich, der öffentlichen Hand, die Vertragsbedingungen aus. Die Branche übernimmt auch die Aufgaben dieser öffentlichen Hand, was die meisten sozialen und gesundheitlichen Belange betrifft. Sie starteten die Verhandlungen mit einem Angebot von + 1,8% bei Löhnen und Gehältern – was ich persönlich als „sittenwidrig“ empfinde. Auch den Arbeitgebern müssen die Zustände unter ihren Mitarbeitern bekannt sein?! Klar, die öffentliche Hand hat kein Geld, aber eigentlich wäre die Aufgabe der Arbeitgeber, mit dieser öffentlichen Hand besser zu verhandeln, nicht den Druck auf die schwächsten Glieder der Kette weiterzugeben! Somit kommt die Arbeitgeberseite der Verantwortung im Sinne der Fürsorgepflicht gegenüber ihren MitarbeiterInnen nicht nach!

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Die Politik

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Die Politik will, das ist auch legitim, die Ausgaben in diesem Bereich so gering wie möglich halten. Andererseits braucht es auch eine entsprechende Qualität bei den Leistungen –  und da beginnt es zum ersten Mal zu spießen. Viele Einrichtungen klagen über Leistungsverdichtung, sind gezwungen, „wirtschaftlicher“ zu werden… Aber: was ist das für eine Betreuungsqualität, wenn  zu jedem/jeder Klienten/Klientin mit einer Stechuhr gegangen wird? Wenn keine Zeit mehr bleibt für „Beziehungsarbeit“, Gespräche, etc.? Das ist bereits jetzt schon vielfach traurige Realität „sozialer“ Arbeit …

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Die „privaten“ Anbieter liegen ja regelmäßig unter den Einkommen des öffentlichen Dienstes (in Niederösterreich beginnt ein  Sozialarbeiter im Landesdienst etwa mit einem um 50% höheren Anfangsgehalt), was ja u.a. einer der Hauptgründe für „Ausgliederungen“ bzw. „Privatisierungen“ sozialer Leistungen bzw. deren Erbringung im Auftrag der öffentlichen Hand ist. Viele „öffentliche Hände“, etwa etliche Bundesländer, fühlen sich  dabei allerdings “real“ – also hinsichtlich der finanziellen Abgeltung erbrachter „sozialer Leistungen“ etwa durch regelmäßige, entsprechend ausreichende Valorisierung entlang der im Rahmen von KV-Verhandlungen vereinbarten Lohnsteigerungen – nicht einmal den Kollektivverträgen verpflichtet: KV-Löhne, Löhne für die Leistungserbringer, die ArbeitnehmerInnen sind allerdings zu bezahlen, Lohnkosten machen bei „Dienstleistern“ die mit Abstand höchsten Ausgabeposten aus. Hier muss die Politik endlich entsprechend in die Pflicht genommen werden! Die jetzigen Strukturen der Erbringung sozialer Dienstleistungen sind von der Politik mitgeschaffen, sie gehen klar auf Kosten der ArbeitnehmerInnen: diese Verhältnisse erzeugen Armut – nicht nur als „working poor“ sonder auch in der Pension – woraus wieder Kosten für die öffentliche Hand  – Stichwort Armutsbekämpfung, gesteigertes Gesundheitsrisiko  wegen Armut etc. – entstehen. Das einfache Gegenmittel wäre: faire, höhere, dem „produzierten“ gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen  „Mehrwert“ tatsächlich entsprechende Löhne und Gehälter! Darauf haben gerade die MitarbeiterInnen dieser Branche Recht und Anspruch!

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Die Gewerkschaften

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Größtenteils fällt die „Sozialbranche“ in den Bereich der GPA-DJP und Vida (der immer kleiner werdende öffentliche Anteil der sozialen Dienste v.a. In die GdG-KMSfB). Die AUGE/UG rechnet  seit Jahren vor, wie schlecht die Lohn- und Gehaltssituation in der Sozialwirtschaft ist. Mit gewissen Erfolg: seit kurzem gehören die (inzwischen überholten)  „17% Unterbezahlung“ zum offiziellen Sprech der Gewerkschaften. Vollmundig und folgerichtig wurde auch ein Reallohnzuwachs und ein Abschluss nicht unter 3 % gefordert.  Es wurde dann aber einem anderen, deutlich darunter liegenden Verhandlungsergebnis zugestimmt. Ein – wie im offiziellen Gewerkschafts- Wortlaut bezeichnet –  „akzeptabler Kompromiss“? Tatsächlich  nicht (siehe oben). Und – nicht zu vergessen: die „politische“ Seite derartiger Verhandlungen. Etwa: Wie sieht das Verhältnis, die Verbindung der Gewerkschaften zu den Landesfinanzreferenten aus, zu den jeweiligen Machthabern und „Geldgebern“ in den Ländern? Stehen Wahlen vor der  Tür? Hat das Einfluss auf  das Ergebnis, auf den niedrigen Abschluss? Will man  „politischen Freunden“, deren knappen Budgets, nicht allzu weh tun, soll der Bereich „billig“, „leistbar“ gehalten werden?  Gemunkelt wird darüber, und wenn man es unter den BetriebsrätInnen  offen anredet, widerspricht keiner. Wenn dem tatsächlich so ist, dann zeigt sich allerdings  einmal  mehr, dass „parteigebundene“ Gewerkschaftsarbeit zulasten der ArbeiterInnen und Angestellten geht!

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Gewerkschaft – das sind wir!

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Nur spielen auch die Beschäftigten dieser Branche sowie die BetriebsrätInnen und Funktionäre aus diesen Bereichen in den Gewerkschaften für die Arbeitsbedingungen eine entscheidende Rolle.

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Wir alle, die in dieser Branche tätig sind, können/wollen unsere KlientInnen nicht im Stich lassen. Somit ist ein Streik schwer (ich sage bewusst „schwer“) möglich. Trotzdem tut sich was, die Demonstrationen der letzten Jahre sind ein deutliches Zeichen! Ebenso die Aufmerksamkeit der Presse, die heuer erstmalig da war, und unseren Kampf begleitet hat. Jeder der sich damit beschäftigt weiß:  die ArbeitnehmerInnen haben ohne Selbstorganisation noch nie etwas geschenkt bekommen. Sogar einfachste, “faire“ Bedingungen mussten und müssen ständig neu erkämpft werden. Und ein Arbeitskampf hat schließlich unterschiedliche Eskalationsniveaus – mit einem branchenweiten Generalstreik als wohl stärkstes Mittel. Wir BetriebsrätInnen, aber auch die Beschäftigten sind es gerade auch UNS gegenüber schuldig, dass wir unter fairen, akzeptablen Bedingungen arbeiten und leben –  nicht nur unseren KlientInnen!
Somit kann ein Streik nur eine GEMEINSAME  Aktion sein, der eine bewusste und  bewusstseinsbildende  Vorarbeit braucht.  Vor allem mit den KollegInnen: Wer versorgt unsere KlientInnen wenn wir nicht am Arbeitsplatz erscheinen? Gibt es noch ein zusätzliches soziales Netz, das kurzfristig in Anspruch genommen werden kann? Wie kann ein „Notdienst“ organisiert werden? Was können Angehörige übernehmen? Bis hin zum Thema „Gewerkschaftsmitglied werden“! Wenn wir diese Problemstellungen lösen können, in der Gewerkschaft besser und zahlreicher organisiert sind, können wir auch in diesem Bereich einen wirkungsvollen Arbeitskampf führen – wir werden ohnehin nicht herum kommen. Und mittelfristig stehen die Zeichen auf eine verschärfte Gangart: Immerhin waren bei diesen Verhandlungen schon 19 Mitglieder des gemeinsamen Verhandlungsgremiums nicht bereit, das Verhandlungsergebnis zu akzeptieren: 19 BetriebsrätInnen des Gremiums haben gegen diesen Abschluss gestimmt! 21 stimmten für den Abschluss.

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Eine Stimme mehr und wir wären eine Eskalationsstufe weitergeklettert – und dringenden und – möglicherweise – unumgänglichen Verbesserungen in den KV´s  des privaten Sozial- und Gesundheitsbereichs einen Schritt näher gekommen! Für mich bedeuten die Erfahrungen der letzten Woche jedenfalls, weiter aktiv zu bleiben. Angesichts der drastischen Schilderungen der KollegInnen über die steigende Armut in den eigenen Reihen sehe ich das als Verpflichtung …
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Link: Presseaussendung der AUGE/UG zu KV-Abschluss im Sozialbereich: Armut trotz Arbeit!

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