Löhne und Wettbewerbsfähigkeit: die „dirty tricks“ der Konservativen

Oder: Wie Europäische Zentralbank, Konservative PolitikerInnen und Medien versuchen, mit irreführenden Grafiken Druck auf Löhne zu machen.
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EU-weit soll Druck auf Löhne gemacht werden. Es geht wieder einmal darum, die „Wettbewerbsfähigkeit“ der EU-Staaten zu erhöhen. Einigermaßen anständige Löhne, Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnisse stehen diesem Ansinnen im Weg. Wie lautet nicht das konservative, neoliberale Mantra? „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“, es brauche „harte Einschnitte“, es müsse „Verzicht“ geübt, der „Gürtel enger geschnallt“ werden, es brauche „Strukturreformen“ – also Abbau von ArbeitnehmerInnenrechte, Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Liberalisierung der Arbeitsmärkte, niedrigere Löhne. Im Juni soll auf Europäischer Ebene der „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ beschlossen werden – der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen quasi „institutionalisiert“ werden. Wie allerdings eine Maßnahme durchsetzen, die ausgesprochen unpopulär ist und wohl nicht ohne Widerstand durchzusetzen sein wird? Wie also das „Feld“ aufbereiten, um mögliche Proteste möglichst klein zu halten?

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Herrn Draghis Grafiken …
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Im Rahmen des Europäischen Rates referierte EZB-Chef Mario Draghi über die ökonomische Lage in der EU. Draghi sollte die tatsächlichen Krisenursachen und notwendige Maßnahmen zur Bewältigung derselben vorstellen. Er präsentierte zwei Grafiken, die seine Kernthese bekräftigen sollte: Jene Länder, welche Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen  – also etwa Österreich, Belgien, Luxemburg, die Niederlande und vor allem Deutschland – würden eine höhere Produktivität aufweisen als jene, welche Defizite „produzieren“ – also etwa Frankreich, Griechenland, Portugal, Italien und Spanien. In diesen Ländern würden die Löhne deutlich stärker steigen als die Produktivitätszuwächse, was diese schlichtweg weniger „wettbewerbsfähig“ mache. Lohnzurückhaltung sei daher ein Gebot der Stunde und würde zu Erfolg führen, „maßlose“ Gewerkschaften sowie starre Arbeitsmärkte (z.B. ein Kündigungsschutz) seien dagegen verantwortlich für den Niedergang. Die beiden Grafiken sowie einzelne Länderbeispiele würden das veranschaulichen:

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Prompt übernahm die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Beitrag diese Darstellung, sprach von einer „gespaltenen Währungsunion“

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… und Herrn Schüssels ORF-Auftritt
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In Österreich tauchten dieselben EZB-Grafiken ebenfalls auf: es war der ehemalige Bundeskanzler Schüssel der im Rahmen der ORF-Sendung „Im Zentrum“ am 23. März 2013 diese zur Untermauerung seiner Argumente, wonach es „harte“ Maßnahmen zur Bewältigung der Krise brauche, darunter eben auch eine restriktive Lohnpolitik, dieselben hervor zauberte und seinen MitdiskutantInnen vorlegte. Es brauche „schmerzhafte Kuren“, eine Deregulierung der Arbeitsmärkte um Jungen eine „Chance“ zu bieten etc.

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Aufmerksame BeobachterInnen, fragten sich allerdings, ob diese Grafiken denn tatsächlich die Realitäten widerspiegeln würden. Interessanterweise wiesen dieselben nämlich selbst für Österreich und Deutschland eine Lohnentwicklung über der Produktivitätsentwicklung auf. Tatsächlich setzte es allerdings in Österreich seit 1997 bestenfalls stagnierende Reallöhne. Und: War bzw. ist Deutschland für seine Politik der Lohnzurückhaltung und seinen expandierenden Niedriglohnsektor nicht geradezu berühmt-berüchtigt? Konnten diese Grafiken also stimmen?
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Bewusste Täuschung?
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Diese Frage stellte sich auch Andrew Watt, Ökonom des IMK, des deutschen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung und längjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter des europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI). Und siehe da: was er herausfand ist geradezu ungeheuerlich.
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Während die Grafiken nämlich tatsächlich das reale – also inflationsbereinigte – Produktivitätswachstum abbilden,  stellt die Lohnkurve die „nominalen“ – also nich inflationsbereinigten – Lohnzuwächse dar! Während also bei der Produktivität die Inflation berücksichtigt wird, ist das bei den Löhnen nicht der Fall. Daraus muss sich logischerweise ein enormer Abstand ergeben! Es wird schlichtweg verglichen, was nicht verglichen werden kann!
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Wird von einer durchschnittlichen jährlichen Inflationsrate von 1,9 % ausgegangen und diese über 12 Jahre hinweg, ergibt sich so eine Lücke zur „realen“ Lohnentwicklung von rund 28 %. Wird diese Lücke bereinigt, so zeigt sich für die angeblich hinsichtlich ihrer Lohnentwicklung so überbordernden „Defizitstaaten“ eine ganz andere Entwicklung: tatsächlich entwickeln sich die „Reallöhne“ ziemlich gleichen mit der „realen“ Produktivität. Von einem geradezu dramatischen Überschießen kann jedenfalls nicht die Rede sein! Für Frankreich würde das etwa bedeuten, dass sich die Lohn-Produktivitäts-Lücke von „nominal“ betrachteten dramatischen 32 % auf  beinahe vernachlässigbare  „reale“ 4 %  minimiert!
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Allerdings zeigt der Vergleich „realer“ Werte  die  massiv hinter der Produktivität zurückbleibende Lohnentwicklung in „Überschuss“-Staaten wie Österreich oder Deutschland auf! Was für Österreich etwa der Einkommensbericht des Rechnungshofs abbildet (Reallohnverluste bei den ArbeiterInnen, stagnierende Reallöhne bei den Angestellten), für Deutschland einen Niedriglohnsektor darstellt, der über 20 % aller unselbständig Beschäftigten umfasst! Diese „Niedriglohnpolitik“ und Politik der Lohnzurückhaltung war es allerdings, welche die Nachbarländer mit ihren Wirtschaften geradezu in Grund und Boden „konkurrierte“, ihnen also die „Wettbewerbsfähigkeit“ nahm. Gerade diese rücksichtslose Wettbewerbspolitik, die hier enorme Überschüsse, dort massive Defizite produzierte war entscheidend für Entstehen der Wirtschaftskrise mitverantwortlich! Ein Medaille hat eben immer zwei Seiten …
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Irrtum, ökonomische Schlampigkeit oder bewusste Irreführung  seitens der EZB- bzw. EU-ÖkonomInnen? Es ist Letzteres anzunehmen. Es geht  Konservativen und Neoliberalen darum, das Feld für massive Lohnkürzungen und Arbeitsrechtsabbau aufzubereiten. Dabei scheint so ziemlich jedes Mittel recht zu sein, selbst die schmutzigsten Tricks, für „NormalbürgerInnen“ kaum durchschaubar. Auch die hemmungslose Instrumentalisierung von „Wissenschaft“, die sich zu derartigem ganz offensichtlich auch missbrauchen lässt.  Wie gut, dass es noch Leute wie Andrew Watt und Institute wie das IMK gibt …
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Zum Beitrag von Andrew Watt auf „Social Europe“: Mario Draghi’s Economic Ideology Revealed?

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