Schwarz-Blaues Regierungsprogramm (II): Autoritärer Neoliberalismus

Rechtskonservative Regierungen machen rechtskonservative Politik. Die ist in der Regel so autoritär wie neoliberal – was übrigens ganz wunderbar zusammenpasst. Einen autoritären Zugang hat auch unsere neue Bundesregierung. Vor allem wenn es um die Ärmsten in unserer Gesellschaft geht. Und wenn sie sich in der Durchsetzung ihrer neoliberalen Agenda von Institutionen wie Betriebsräten, Gewerkschaften und Arbeiterkammern gestört fühlen.

Krisenbewältigung in der EU: Der Fiskalpakt mit Schuldenbremse engt die budgetären Spielräume der Euro-Staaten massiv ein. Staatsverschuldung  und Budgetdefizite sind zu reduzieren, koste es, was es wolle. Neben der Budgetkonsolidierung gilt es, auch die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten zu erhöhen – insbesondere der Krisenstaaten, die hohe Leistungsbilanzdefizite aufweisen, weil sie mehr importieren als sie exportieren.

Wie kann angesichts einer gemeinsamen Währung, die keine Auf- und Abwertungen der eigenen Währung mehr zulässt, die Wettbewerbssituation verbessert werden? Über eine entsprechend zurückhaltende Lohnpolitik bis hin zu Lohnsenkungen, weil dann Produktionskosten sinken und die eigenen Produkte/Dienstleistungen billiger, also konkurrenzfähiger werden. Sagt die neoliberale Ideologie, meinen auch weite Teile der EU-Kommission, der EZB und des Rats. Wer steht dem dagegen? Gewerkschaften, Kollektivverträge, gesetzliche Mindestlöhne. Die gilt es daher –  wenn sie sich schon nicht ganz ausschalten bzw. abschaffen lassen – in ihrer Gestaltungs- und Verhandlungsmacht so zu schwächen, dass sie dem Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr im Weg stehen.
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Wie das geht?

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  • Z.B. über die Stärkung der betrieblichen Ebene bei Arbeitszeiten und Löhnen – spricht länger arbeiten für weniger Geld. Dann wird nicht mehr mit starken Gewerkschaften für die ganze Branche, sondern nur noch im Betrieb, vor Ort, mit den ArbeitnehmerInnen und ihren VertreterInnen verhandelt. Und die lassen sich leichter unter Druck setzen.
  • Oder über die Abschaffung von „Allgemeinverbindlichkeitserklärungen“, also das Kollektivverträge nicht mehr für die ganze Branche gelten. Oder dass Betriebe von KV-Regelungen abweichen können. Verschlechternd für die ArbeitnehmerInnen, versteht sich.
  • Oder in dem Hürden für Gewerkschaften und branchenweite Lohnverhandlungen aufgebaut werden, die kaum erreichbar sind und ein starkes Verhandlungsmandat nicht mehr zulassen.

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Derartige Entwicklungen sind quer über Europa zu beobachten und haben in vielen Staaten bereits zu einer Erosion des Kollektivvertragssystems und einer empfindlichen Schwächung der Gewerkschaften geführt. Österreich war da bislang tatsächlich fast so was wie eine „Insel der Seligen“ – zumindest aus Gewerkschaftssicht. Die institutionelle Verankerung der Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen – AK, Gewerkschaften, ÖGB und Betriebsräte – ist nach wie vor stark und sichert in vielen Bereichen die demokratische Mitbestimmung und Mitgestaltung der ArbeitnehmerInnen in Wirtschaft, Politik und Arbeitswelt ab.  Das will die rechtskonservative ÖVP-FPÖ Regierung grundlegend ändern.

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Angriffe auf die Säulen der Mitbestimmung

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Die Pläne der Bundesregierung zielen dabei auf alle drei Säulen der Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen – Arbeiterkammern, Gewerkschaften und Betriebsräte – ab. Teilweise harmlos klingende Punkte im Regierungsprogramm haben es tatsächlich in sich. Der Arbeiterkammer wird ganz unverhohlen gedroht.

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Betriebsräte – verkleinern und schwächen?

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Hier findet sich im Regierungsprogramm unter der Überschrift „Modernisierung des Arbeitsrechts“ der Punkt „Angleichung der Belegschaftsorgane (Betriebsräte)“. Die Bundesregierung will den ArbeitnehmerInnenbegriff vereinheitlichen und unterschiedliche Regelungen für Angestellte und ArbeiterInnen anpassen. Dagegen wäre grundsätzlich einmal nichts einzuwenden – findet keine Angleichung der Rechte „nach unten“ statt. Wachsam gilt es allerdings bei der „Angleichung der Belegschaftsorgane“ zu sein. Diese zielt auf eine Abschaffung der bislang getrennten ArbeiterInnen- und Angestelltenbetriebsräte ab. Bereits heute ist es möglich, einen gemeinsamen Betriebsrat zu wählen. Der neuen Bundesregierung schwebt allerdings anderes vor. Bereits im Wahlkampf erwähnt Kurz die Zusammenlegung der Betriebsräte im Zusammenhang mit „Entbürokratisierung“ und dass die  Zusammenführung bei Vereinheitlichung des ArbeitnehmerInnenbegriffs nur logisch wäre.
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Diese Position kann man durchaus vertreten. Aus ArbeitnehmerInnensicht müsste allerdings die betriebliche Mitbestimmung zumindest in bisher vorhandenem Umfang gewährleistet bleiben – die Zahl der Betriebsratsmitglieder also auch im Falle einer allfälligen Zusammenlegung gleich bleiben, ebenso die Anzahl der Freistellungen von Betriebsräten bei entsprechenden Beschäftigtenzahlen.  Wäre das nicht der Fall, gingen bei einer Zusammenlegung der Betriebsratskörperschaften nämlich rund ein Drittel aller Betriebsratsmandate verloren! – was natürlich die Betriebsarbeit erschwert und die betriebliche Mitbestimmung schwer beeinträchtigt. Insbesondere im Zusammenhang mit der regierungsseitig geplanten Stärkung der betrieblichen Ebene bei der Verhandlung flexibler Arbeitszeiten (12-Stunden tägliche Höchstarbeitszeit) braucht es starke Betriebsräte. Eine Reduktion der Betriebsratsmitglieder schwächt natürlich die betriebliche Vertretung und wäre fatal.
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Und das wird wohl auch der zentrale Beweggrund von FPÖ und ÖVP für die Zusammenlegung sein. Nämlich die Schwächung der Mitbestimmung in den Betrieben. Wir erinnern uns nur allzu gut an Wortspenden freiheitlicher Wirtschaftstreibender, die in der Krise eine Notstandsverordnung für die Betriebe forderten inklusive Aussetzen betriebsrätlicher und gewerkschaftlicher Mitbestimmung. Und es waren die großzügigen Spender aus Industrie und Wirtschaft, wie die Tiroler Adlerrunde, die forderte, dass in den nächsten Jahren „das Wohl der Wirtschaft“ statt „Klassenkampf“ im Mittelpunkt der Politik stehen müsse. Da ist für engagierte BetriebsrätInnen die ihre Rechte auf Mitbestimmung und Mitgestaltung der Arbeitswelt im Sinne der ArbeitnehmerInnen wahrnehmen, nur wenig Platz. Und nicht zuletzt zeugt auch die von der Regierung angestrebte Abschaffung des Jugendvertrauensrates, was schwarz-blau von betrieblicher Mitbestimmung hält.

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Das „Aus“ für Jugendvertrauensräte

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Denn: der Jugendvertrauensrat – die demokratisch gewählte, betriebliche Interessenvertretung der Jugendlichen und Lehrlinge in einem Betrieb – soll überhaupt ganz abgeschafft werden. Argumentiert wird das mit der Senkung des aktiven Wahlalters zur Betriebsratswahl auf 16 Jahre – was natürlich keinerlei wirkliche Erklärung ist, vertreten BetriebsrätInnen und JugendvertrauensrätInnen doch ganz unterschiedliche Beschäftigtengruppen mit ihren ganz eigenen Interessens- und Problemlagen. Vor allem aber ist der Jugendvertrauensrat eine relativ niederschwellige Beratungs- und Anlaufstelle für junge ArbeitnehmerInnen im Vergleich zum „alten“ Betriebsrat.
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Nicht zu unterschätzen ist auch, dass so manche Betriebsrats-“Karriere“ im Jugendvertrauensrat begonnen hat, wo erste Erfahrungen im Umgang mit Vorgesetzten, Arbeitsrecht und Interessenvertretung gesammelt wurde. Mit der Abschaffung des Jugendvertrauensrates wird eine wichtige demokratische Institution im Betrieb– noch dazu für Jugendliche! – abgeschafft. Ein Beitrag zu „politischer Bildung“ im Sinne eines Erlernens und Erlebens von Demokratie und des Eintretens für eigene Rechte und die Rechte anderer ist das mit Sicherheit keiner – vielmehr das genaue Gegenteil. Dass gleichzeitig Gewerkschaften und Betriebsräten der „Nachwuchs“ verloren geht, ist ein zusätzlicher, von der rechten Regierung wohl durchaus erwünschter Nebeneffekt.

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Stärkung der betrieblichen Ebene bedeutet Schwächung der Gewerkschaften

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Mit der von blau-schwarz geforderten Stärkung der betrieblichen Ebene geht logischerweise eine Schwächung der überbetrieblichen – der gesetzlichen wie auch der kollektivvertraglichen Ebene – einher. Die Regierung will damit Verhandlungen – insbesondere zu flexibleren Arbeitszeiten – dorthin verlagern, wo die Verhandlungsmacht der ArbeitnehmerInnen schwächer ist: in die Betriebe und wo kein Betriebsrat sogar in individuellen Arbeitsverträge! Wie die Stärkung der „Gestaltungsmöglichkeiten auf betrieblicher Ebene“ konkret aussehen und welche Kompetenzen – etwa bei der Frage von Durchrechnungszeiträumen, Zuschlagsregelungen zu Überstunden, längere Freizeitblöcke bei Überstundenarbeit etc. – in die Betriebe verlagert werden sollen, ist noch unklar. Es darf allerdings angenommen werden, dass den Betrieben weitreichende Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung eingeräumt werden sollen, sonst würde die Verbetrieblichung wenig Sinn machen.
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Eine Aushöhlung der Kollektivverträge und der Gestaltungs- und Verhandlungsmacht der Gewerkschaften in Arbeitszeitfragen ist natürlich ein Frontalangriff auf den ÖGB und seine Einzelgewerkschaften und wäre eine eklatante Schwächung derselben. Es darf auch vermutet werden, dass es längst nicht bei den Arbeitszeiten allein bleiben soll, sondern auch – ganz im Sinne europäischer Krisenbewältigung – weitere Verhandlungskompetenzen auf die betriebliche Ebene verlagert werden.

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Erpressungsversuche gegenüber den Arbeiterkammern

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Dass die Freude darüber, dass die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft zu den Kammern vom Tisch war, nur kurz währen würde, war klar, wurden doch schon in den Verhandlungen Umlagekürzungen angekündigt. Wir erinnern uns: unter schwarz-blau I und II wollte die FPÖ die AK-Umlage um 40 Prozent – von 0,5 auf 0,3 Prozent des Bruttoeinkommens kürzen. Diese Kürzung um einen dreistelligen Millionenbetrag, hätte massive Auswirkungen auf das Leistungsangebot der AK, aber natürlich auch auf die politische Interessenvertretung.
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Konkret – hinsichtlich Umfang und Höhe der Kürzungen – wurden die VerhandlerInnen nicht, dafür ist im Regierungsprogramm ein Ultimatum gesetzt: bis 30. Juni 2018 – also nach den Landtagswahlen im Frühjahr 2018, wo schwarz-blau kein Störfeuer aus den Kammer braucht – sollen die Kammern „Reformprogramme“ mit „konkreten Effizienzsteigerungen“ und „finanziellen Entlastungsmaßnahmen für die jeweiligen Mitglieder“ vorlegen. Sollte diese Maßnahmen den Regierungsparteien zu wenig weitreichend sein, behält sich die Regierung vor, dem Nationalrat mit einer statten rechten Zwei-Drittel-Mehrheit (ÖVP, FPÖ, NEOS) „gesetzliche Maßnahmen“  vorzulegen.

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Autoritärer Eingriff in Selbstverwaltung

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Ein derartiger Akt stellt natürlich einen massiven Eingriff von außen in die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung der Kammern dar. Kammern sind gesetzliche Interessenvertretungen, die auf Basis eines gesetzlichen Auftrags handeln und nur ihren Mitgliedern rechenschaftspflichtig sind. Ihre Organe werden im Rahmen demokratischer Wahlen durch die Mitglieder bestellt, um ihre gesetzlichen Aufgaben erfüllen zu können leisten die Mitglieder Umlagen. Das sichert auch die Autonomie der Kammern gegenüber Staat, Regierung und (interessen-)politischem Gegenüber. Ein Eingriff in die finanzielle Selbstverwaltung, in die Interessenvertretung mit dem klaren Ziel, diese politisch zu schwächen und zu einer reinen Serviceeinrichtung zusammen zu stutzen, kann daher nur als autoritärer politischer Akt bezeichnet werden. Gerade die AK Mit ihrer inhaltlichen Expertise in sozial-, wirtschafts- und arbeitnehmerInnenpolitischen Fragen war unter schwarz-blau I und II eine starke und fundierte Opposition gegen Sozialabbau, Verschlechterungen im Pensionssystem und Privatisierungen. Die AK ist allerdings auch für BetriebsrätInnen und Gewerkschaften selbst eine wichtige Einrichtung, liefert sie doch z.B. Branchenanalysen als Basis für Kollektivvertragsverhandlungen. Das AK-Büro in Brüssel ist wiederum dank ihrer starken, institutionellen Stellung Informations- und Anlaufstelle für Gewerkschaften europaweit und starke Stimme der ArbeitnehmerInnen in der EU. Eine Schwächung der AK hätte daher massive Folgen auf die ArbeitnehmerInnen und Interessenvertretungen insgesamt.

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Kampfansagen in schwarz-blau liegen auf dem Tisch

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So harmlos daher so manche Formulierungen im schwarz-blauen Regierungsprogramm auch wirken mögen: Sie bergen – in aller Konsequenz weiter gedacht – ein Potential in sich, das die ArbeitnehmerInnen in ihren Rechten – aber insbesondere auch in der Durchsetzung derselben – massiv treffen könnte.
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Die Regierungspläne sind dabei – von der Neugestaltung der Arbeitsmarktpolitik über die Reform der Mindestsicherung bis hin zur „Entpolitisierung“ der ÖH und eben den offenen und versteckten Angriffen auf Gewerkschaften, Kollektivverträge, Arbeiterkammern und Betriebsräte – von einem zutiefst autoritären Geist  geprägt, mit dem Ziel die Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten der ArbeitnehmerInnen und ihrer Organisationen in Wirtschaft, Gesellschaft, Arbeitswelt und Politik zu beschneiden und nachhaltige zurückzudrängen.
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Wirtschaftliche und soziale Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen sind allerdings wesentliche Pfeiler einer modernen, sozialen Demokratie. Ein Beschneidung derselben ein antidemokratischer Akt und gesellschaftlicher Rückschritt – wie wir ihn schon in so vielen Staaten Europas beobachten mussten. Mit schwerwiegenden Folgen für die Rechte, die Einkommen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ArbeitnehmerInnen.
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Eine rechtskonservative Regierung macht rechtskonservative Politik. Von einer Regierung, deren Programm sich wie ein Forderungskatalog der Industriellenvereinigung gemischt mit Stammtischrülpsern liest, haben wir nichts Positives zu erwarten. Die Kampfansagen liegen auf den Tisch. Für noble Zurückhaltung seitens der Gewerkschaftsbewegung besteht kein Grund.

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Links zu ausführlichen Analysen des schwarz-blauen Regierungsprogramms:

Schwarz-Blaues Regierungsprogramm (I): Industriellenvereinigung trifft Stammtisch, Analyse des Regierungsprogramms zu Arbeitszeit- und Arbeitsmarktpolitik auf unserem Verteilungs-Blog

Schwarz-Blaues Regierungsprogramm (III): Wer hat, dem wird gegeben, Analyse des Regierungsprogramms zu Wirtschafts- und Steuerpolitik auf unserem Verteilungsblog

reflektive.at – Blog ehemaliger grüner ParlamentsmitarbeiterInnen mit umfassenden Analysen des Regierungsprogramms zu Mindestsicherung, Frauenpolitik, Arbeitslosenversicherung …

ÖGB – Ersteinschätzung des Regierungsprogramms

 

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