ÖGB und Fiskalpakt: Deutscher als die Deutschen?

Was in Österreich fehlt: Ein klares NEIN der Gewerkschaften zum Fiskalpakt. Was in Deutschland geht: genau das. Frage: Warum geht in Deutschland, was in Österreich nicht geht?

Der ÖGB wird gegen den Fiskalpaktbeschluss im Österreichischen Parlament, der mit Anfang Juli droht, nichts unternehmen. Das ist nach dem ÖGB Vorstand vom 21. Juni 2012 klar. Und das, obwohl es eine Beschlusslage in der AK gibt, wonach der „… Fiskalpakt nicht als taugliches Instrument, mit dem die richtigen Konsequenzen aus der Krise gezogen würde …“ gesehen wird  und „anstelle einer übereilten Ratifikation“ eine „breit geführte Auseinandersetzung im Rahmen der parlamentarischen Behandlung“ mit dem Ziel, „die möglichen Auswirkungen des Fiskalpakts auf die ArbeitnehmerInnen umfassend zu bewerten“ gefordert wird. Eine Position bzw. Sichtweise, der sich einige Vorstandssitzungen zuvor auch der ÖGB angeschlossen hat. Nicht nur, dass diese Beschlusslage weitgehend ignoriert wird. Nein, vielmehr gibt es auch ein gewisses Verständnis für das deutsche Beharren auf einen rigiden Sparkurs, würde doch Deutschland auch den Großteil der Kosten für die Eurorettung zahlen.

Schon in einer gemeinsamen Pressekonferenz von ÖGB und AK wurde seitens des ÖGB-Präsidenten jede Aufforderung an Nationalratsabgeordnete – auch an solche, die aus den Gewerkschaften kommen – ein bestimmtes Abstimmungsverhalten an den Tag zu legen, abgelehnt. Das habe keine Tradition in Österreich hieß es. Was natürlich dahingehend absurd ist, stellt doch jeder zweite beschlossene AK Antrag eine Aufforderung gegenüber „der Politik“ dar, bestimmte Maßnahmen bzw. Handlungen zu setzen. Es ist ja  schließlich eine zentrale Aufgabe der AK und der entsprechenden AK-RätInnen, Forderungen an die Politik zu formulieren. Und wer ist die Politik? Richtig, Abgeordnete und Regierende auf Bundes, Länder, Gemeindeebene.

Blick nach Deutschland. Wie halten es dort die Gewerkschften mit dem Fiskalpakt, und der Rolle der Abgeordneten in dieser Causa? Interessant: Das Verständnis der deutschen GewerkschaftskollegInnen mit dem rigiden Merkelschen Sparvorgaben, die ihren Ausdruck im Fiskalpakt finden, ist doch tatsächlich deutlich schwächer ausgeprägt als in Österreich. Um nicht zu sagen: überhaupt nicht gegeben. Und  hinsichtlich der Einflussnahme auf den parlamentarischen Entscheidungsprozess zeigen sich die deutschen Gewerkschaften deutlich weniger zurückhaltend als die österreichischen. Gerade auch gegenüber den Abgeordneten.

Verdi: „Wir fordern Sie auf, dem Fiskalpakt nicht zuzustimmen …“

In einem Schreiben vom 11. Juni 2012 wendet sich die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft Verdi – die größte Einzelgewerkschaft Europas – an die Abgeordneten zum deutschen Bundestag. Thema: die kommende Abstimmung zum Fiskalpakt. Die eindeutige Botschaft an die VolksvertreterInnen: „Wir fordern Sie auf, dem Fiskalpakt nicht zuzustimmen“, weil dieser ein Instrument sei, „… das die Demokratie schwächt, ökonomisch schädlich und sozial unverträglich ist.“ Unterzeichnet vom Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske.

Verdi-Vorsitzender Bsirke hat sich übrigens – wie Verdi als Ganzes – schon zuvor kritisch und ablehnend gegenüber dem Fiskalpakt geäußert. Im Anhang an den Brief findet sich eine gut durchargumentierte, kurzgefasste Stellungnahmen von Verdi zum Fiskalpakt (eine des ÖGB in diesem Umfang wird frau/mann übrigens vergeblich suchen). In dieser heißt es unter anderem:

„Der Fiskalpakt sieht keine Kündigungsklausel vor. Einzelnen Mitgliedsstaaten ist nicht möglich, den Vertrag einseitig zu kündigen … Somit erhält der Fiskalpakt eine Ewigkeitsgarantie, die die Souveränität der Staaten unterhöhlt.“

„Der Fiskalpakt schränkt das ‚Königsrecht‘ der Parlamente – das Recht, den eigenen Haushalt zu gestalten – massiv ein und überträgt staatliche Rechte auf die nicht gewählte EU-Kommission.“

Unter dem Kapitel „Der Fiskalpakt ist ökonomisch schädlich“ führt Verdi unter vielen andern Punkten an:

„Der Fiskalpakt zielt darauf ab, öffentliche Aufgaben ohne Neuverschuldung zu finanzieren … In einer robust wachsenden Volkswirtschaft mit sprudelnden Steuereinnahmen kann dieses Ziel erreicht werden. Ein solcher Zustand ist aber nicht die Regel. Wenn die Wirtschaft schrumpft und der Staat versucht, den sinkenden Steuereinnahmen hinterher zu sparen, dann beschleunigt sich die wirtschaftliche Talfahrt. Der Fiskalpakt ignoriert den engen Zusammenhang von Staatsausgaben und Konjunktur …“

Und:

„Darüber hinaus beschneidet der Fiskalpakt die öffentlichen Investitionen. Europas Finanzminister dürfen nicht mehr in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur oder Umwelt investieren, wenn dadurch Schuldengrenzen verletzt werden …“

Schließlich:

„Der Fiskalpakt wird das selbstgesetzte Ziel, die Staatsverschuldung nachhaltig abzubauen, nicht erreichen. Er führt am Ende sogar zu einer höheren Staatsverschuldung.“

DGB: Der Fiskalpakt kann „verhindert oder zumindest verzögert“ werden

Am 20. Juni 2016 hat der DGB, der Deutsche Gewerkschaftsbund, das Pendant des ÖGB in der BRD ein Positionspapier zum Fiskalpakt veröffentlicht, das an Klarheit auch nur wenig offen lässt. In der Einleitung zum Papier heißt es etwa, angesichts des Drucks, den die deutschen Bundesregierung für eine möglichst rasche Beschlussfassung macht:

„Eine Ablehnung des Fiskalpakts wird als ‚antieuropäisch‘ und als Gefahr für den Euro bezeichnet, Fiskalpakt-Kritiker werden als ‚Schuldenmacher‘ gebrandmarkt.

Mit dem vorliegenden Text wollen wir anhand von zehn Fragen und Antworten Klarheit in die Debatte bringen. Für uns steht fest: Der Fiskalpakt löst die Probleme Europas nicht, er verschlimmert sie.“

Und an die Abgeordneten im Deutschen Bundestag gerichtet:

„Der Fiskalpakt braucht in Bundestag und Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Sein europaweites Inkrafttreten kann also verhindert oder zumindest verzögert werden, wenn die Oppositionsparteien gegen den Kurs der Bundesregierung und den Fiskalvertrag stimmen.“

In dem 14-seitigen Positionspapier finden sich – neben bereits oben im Verdi-Schreiben erwähnten –  einige weitere Kritikpunkte, die besonders erwähnenswert sind.

Die Fragestellung, ob der Fiskalpakt nicht auch „sozial gerecht“ – ohne Kürzungen – umgesetzt werden könnte, etwa über höhere, faire Steuern, wird etwa so beantwortet:

„Es wäre zu begrüßen, wenn die Staatsverschuldung in Europa durch höhere Steuereinnahmen und ohne Kürzungen abgebaut würde. Der Fiskalvertrag, wie er jetzt zur Abstimmung steht, verhindert das aber!

In Artikel 3, Absatz 1, Buchstabe b des Fiskalvertrags ist explizit festgeschrieben, dass die Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung anhand einer ‚Analyse der Ausgaben‘ erfolgen soll, nicht der Einnahmen.

Insgesamt wird im Fiskalvertrag hinsichtlich der konkreten Verfahren auf die neuen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts verwiesen. Diese enthalten explizite Vorgaben zur Entwicklung der Staatsausgaben – nicht der Einnahmen.“

Auch der vielfach vorgebrachten Behauptung, wonach der Fiskalpakt ohnehin nichts Neues enthalte, sondern nur bereits auf EU-Ebene beschlossenes konkretisiere, wird widersprochen:

„Wenn der Fiskalpakt keine neuen Regeln enthalten würde, gäbe es ihn nicht … Insbesondere die Pflicht für alle Staaten, ein radikales Schuldenverbot (‚Schuldenbremse‘) in die Verfassung zu schreiben, existierte noch nie.

Auch dass bei Verstößen gegen diese Pflicht automatisch eine Ahndung durch den Europäischen Gerichtshof erfolgt, ist neu.

Die Verpflichtung, ein zu genehmigendes ‚Wirtschaftspartnerprogramm‘ aufzulegen, und einige andere Regelungen sind neu.

In keinem Fall sollten sie (diese und andere Regelungen, Anm.) durch die Verankerung im Völkerrechtlichen Fiskalvertrag zusätzlich und für alle Ewigkeit festgeschrieben werden.“

Besonders interessant die Positionierung des DGB hinsichtlich einer – wie etwa vom ÖGB präferierten und ständig geforderten – Ergänzung des Fiskalpakts um ein Wachstumsprogramm:

„Es braucht dringend Initiativen für mehr Investitionen in Europa … Wachstumsprogramm als ‚Ergänzung‘ des Sparkurses kann aber nicht funktionieren. Der herrschende Sparzwang würgt die Konjunktur europaweit ab und verhindert ein ‚Herauswachsen‘ aus den Schulden. Ein ähnliche Wirkung hätte der Fiskalpakt.

Keinesfalls darf der Fehler gemacht werden, angebotsorientierte ‚Strukturreformen‘ als Wachstumspolitik zu akzeptieren. Solche Maßnahmen laufen in der Regel darauf hinaus, Privatisierungen zu erzwingen und den Druck auf Löhne zu erhöhen. Damit würgen sie die Kaufkraft und Binnennachfrage ab und sind alles andere als wachstumsfördernd.“

Und abschließend zu diesem Thema:

„Wir brauchen Investitionsprogramme und eine wirksame und ertragreiche Finanztransaktionssteuer – aber nicht zusätzlich, sondern anstelle des Fiskalpakts. Der Fiskalpakt muss in seiner jetzigen Form schon aufgrund seines anti-demokratischen Charakters und der Beschränkung der Parlamentsrechte abgelehnt werden.“

Deutscher als die Deutschen?

Warum kann der DGB, was der ÖGB nicht kann? Warum findet der DGB eine Position, die an Eindeutigkeit nichts übrig lässt, während der ÖGB versucht, sich den Fiskalpakt schönzureden? Warum opponiert der ÖGB gegen das EU-Six-Pack, allerdings nicht gegen den Fiskalpakt? Es kann eigentlich nur eine Erklärung liegen: Bedingungslose Loyalität zur Regierung und Partei(en). Wenn Gewerkschaftsvorsitzende und andere SpitzengewerkschafterInnen für SPÖ und ÖVP im Parlament sitzen, sollen sich durch Beschlüsse nicht in „unnötige“ Gewissenskonflikte gebracht werden. Also werden diese erst gar nicht gefällt. Und wenn diese Parteien auch noch an der Regierung sind, dann noch viel weniger. Europa ist fern. Da kann agitiert werden. Die Regierung, der „eigene“ Bundeskanzler ist nahe. Das hüllt frau/mann sich besser in Schweigen. Wider besseren Wissens. Weil: warum jene richtige Kritik, die seitens des ÖGB am Six-Pack geübt wurde nun im Falle des noch verschärften Fiskalpakt plötzlich falsch sein sollte kann niemand erklären.

Dabei könnte auch hier von den deutschen Gewerkschaften gelernt werden: Grüne und SPD werden in Deutschland der Regierung ihre Zustimmung zum Fiskalpakt geben. Es war zu befürchten. Es ist nun Realität geworden. Ihnen ist nicht zu helfen. Das hindert dennoch Bsirske – er ist selber Grüner – nicht, gegen den Fiskalpakt aufzutreten. Weil er Gewerkschafter ist. Mag in der BRD die Opposition sich auch noch „deutscher“ als die deutscher Regierung geben. Die Deutschen Gewerkschaften tun es nicht. Sie geben sich deutlich europäischer, deutlich vernünftiger, deutlich weitblickender als die Parteien der rot-grünen Opposition. Die Deutschen Gewerkschaften geben sich tatsächlich deutlich weniger „deutsch“ als die Österreichischen. Ob das den österreichischen Gewerkschaften so bewusst ist?

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