Arbeitszeitverkürzung … in Zeiten der Krise?

Am Wochenende war ich bei unseren FreundInnen von GEMEINSAM in Vorarlberg. Dort stehen ja die Arbeiterkammerwahlen vor der Tür. Und Vorarlberg ist ein industriell geprägtes Bundesland. Und die Weltwirtschaftskrise hat auch Vorarlberg voll erreicht. Vor allem die metallverarbeitende Industrie. Überstunden werden deutlich zurückgefahren, ebenso Schichten.

Damit geht Einkommen verloren. Einkommen, das notwendig ist um Schulden, die aus dem Hausbau entstanden sind, zurückzuzahlen. Auch in Vorarlberg werden zunehmend ArbeiterInnen auf Urlaub geschickt. Weil die Aufträge ausbleiben. Die Arbeitslosigkeit wird auch in Vorarlberg steigen. Ist es da tatsächlich sinnvoll eine umfassende Arbeitszeitverkürzung zu fordern, wie es die AUGE/UG tut?
Ich meine klar: JA!

War da nicht mal was mit 35 Std./Woche?
Die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung – in der Regel die Forderung nach der „35-Stunden-Woche“ findet sich in allen Programmen der Gewerkschaften. Allerdings in der Regel gut versteckt. Und bloß nicht zu laut geäußert. So richtig will keiner dran glauben. Engagement dafür gibt es wenig. Im Gegenteil:
noch letztes Jahr haben die Sozialpartner sogar ein Arbeitszeitflexibilisierungspaket verabschiedet, das noch mehr Überstunden, noch längere Arbeitszeiten zu lässt.

Immer wieder heißt es, dass eine Arbeitszeitverkürzung gar nicht gewünscht sei. Überstunden bringen Cash, bringen Zuschläge, eine willkommene Einkommenssteigerung. Schließlich gilt es einiges abzuzahlen: das Haus, die Eigentumswohnung, das Auto …
Für viele ArbeitnehmerInnen werden Überstunden tatsächlich bereits als fixer Einkommensbestandteil eingeplant. Gehen Überstunden verloren, dann wird’s finanziell eng. Darum: bloß keine Schritte in Richtung kürzerer Arbeitszeiten. Das ist unpopulär.

Nun, so ganz kann und will ich das nicht glauben. Und, liegt das Problem nicht vielmehr auch darin begründet, dass Normale 40-Stunden-Einkommen einfach zu niedrig entlohnt sind? Ich kann irgendwie nicht so recht glauben, dass ArbeitnehmerInnen gerne 50, ja 60 Stunden in der Woche hackeln, wenn das Einkommen bei einem 40-Stunden-Job passen würde.

Jedenfalls bestätigen die aktuellen Entwicklungen, dass kein Verlass auf höheres Einkommen durch Überstunden ist. Und dass Arbeitszeitverkürzung ständig stattfindet. Allerdings nicht gesellschaftlich gesteuert, sondern höchst individuell, und oft unfreiwillig. Und die dümmste und brutalste Form der „Arbeitszeitverkürzung“ ist immer noch jene auf 0 Stunden – nämlich Arbeitslosigkeit.

Arbeitszeitverkürzung findet statt: in Form von Kurzarbeit, in Form von verordnetem Zwangsurlaub, in Form von weniger Schichten, in Form von Kündigungen von ArbeitnehmerInnen.
Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind es die ArbeitnehmerInnen, die wieder einmal dran glauben müssen. Das alles natürlich ohne Lohn- oder Einkommensausgleich.

Arbeitszeitverkürzung findet statt: Seit Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten. Die steigende Gesamtbeschäftigung ist überwiegend die Folge von wachsender Teilzeitbeschäftigung, sogar von wachsender geringfügigen Beschäftigung. Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse sind dagegen prozentuell zurückgegangen:

  • seit 2005 ist die Zahl der Erwerbstätigen von rund 3,8 Millionen im Jahr 2005 auf 4,1 Millionen im 2. Quartal 2008 gestiegen (Die Presse, Daten Statistik Austria)
  • die Zahl der Teilzeitbeschäftigten ist im gleichen Zeitraum von über 807.000 auf knapp über 968.000 gestiegen. Die Teilzeitquote (der Anteil von Teilzeitbeschäftigten an der Gesamtbeschäftigtenzahl) ist von 21,1 auf 23,6 % gestiegen.
    Die Zahl der Vollzeitjobs ist also im Vergleich leicht gesunken (Die Presse, Daten Statistik Austria).
  • Dramatisch die Zuwächse an geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen: waren 2004 noch 227.536 ArbeitnehmerInnen nur geringfügig Beschäftigt, ist diese Zahl im Oktober 2008 auf 285.459 Geringfügige gestiegen (Hauptverband der Sozialversicherungsträger)

Teilzeitbeschäftigung ist dabei ebenso überwiegend weiblich (782.000 Frauen, 186.000 Männer) wie geringfügige Beschäftigung (96.000 Männer, über 189.000 Frauen).

Gleichzeitig findet Arbeitszeitverlängerung statt: Österreichs vollzeitbeschäftigte ArbeitnehmerInnen arbeiteten 2007 – so EUROSTAT, das europäische Statistische Amt – durchschnittlich 44,3 Stunden in der Woche. Im EU-Schnitt wurden von Vollzeitbeschäftigten 41,8 Wochenstunden gearbeitet.
Österreich wieder einmalig Spitze. Die durchschnittlich geleistete Teilzeit lag 2006 – ebenfalls eine Zahl von EUROSTAT – bei 20,7 Stunden. Aktuelle Zahlen legt die Statistik Austria vor:
Vollzeitbeschäftigte Männer arbeiten derzeit 43,1 Stunden wöchentlich, Frauen 41,3 Stunden.

Jetzt schauen wir uns einmal an, wie sich denn die durchschnittlich geleistete Arbeitszeit der ArbeitnehmerInnen gestaltet, also die Arbeitszeit von Vollzeit- wie Teilzeitbeschäftigten zusammen:

  • Männer arbeiten da durchschnittlich 36,9 Stunden,
  • Frauen arbeiten durchschnittlich 28,4 Stunden.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten:

  1. Erwerbsarbeit und damit Einkommen ist höchst ungleich verteilt. Damit ist auch unbezahlte (Haus-)Arbeit ungleich verteilt. Für unbezahlte Arbeit werden nach wie vor überwiegend Frauen „zuständig“ gemacht.
  2. Vollzeitarbeit, die meist ein existenzsicherndes Einkommen sicherstellt ist rückläufig. Teilzeitarbeit, die nicht zwingend ein existenzsicherndes Einkommen sicherstellt wächst.
  3. Besonders drastisch ist der Anstieg an geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen.
  4. Unter Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten ist der Frauenanteil besonders hoch.
  5. Arbeitszeitverkürzung findet statt – wenn auch gesellschaftlich nicht gestaltet oder koordiniert, sondern individuell – freiwillig und unfreiwillig, ohne Lohnausgleich, geschweige denn vollen Lohnausgleich. Unfreiwillige Arbeitszeitverkürzung findet auch in Krisenzeiten statt – allerdings mit dramatischen Auswirkungen auf die Beschäftigten.
  6. Und: die durchschnittliche Arbeitszeit von voll- und teilzeitbeschäftigten ArbeitnehmerInnen zusammengerechnet bewegt sich zwischen rund 29 und 37 Stunden (Statistisches Taschenbuch der AK Wien, 2008).

Die durchschnittliche Arbeitszeit liegt also schon so rund zwischen 30 und 37 Stunden. Was spräche also tatsächlich gegen eine umfassende allgemeine, radikale Arbeitszeitverkürzung mit einem Einkommensausgleich – sagen wir mal bis zur Höchstbeitragsgrundlage € 3.900/Monat?
Etwa dass sie nicht leistbar ist, Betriebe und Jobs den Bach runtergehen würden, wie uns ja immer so gerne von Industrie, ÖVP bis Wirtschaftskammer vorgejammert wird?

Also bleibt nur der Weg der individuellen Arbeitszeitverkürzung mit Einkommensverlusten und nicht immer ganz freiwillig? Markus Marterbauer, WIFO-Ökonom schreibt in seinem Buch „Wem gehört der Wohlstand“:

Eine schrittweise Reduktion der Arbeitszeit über ein paar Jahre erlaubt es, die Verkürzung der Arbeitszeit mit den Lohnerhöhungen zu verknüpfen, sodass auch die Monatslöhne weiter steigen können. Modellrechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts zeigen, dass unter der Annahme kostenneutralen Lohnausgleichs die Reduktion der Wochenarbeitszeit … auf 35 Stunden, also um zehn Prozent, zu einem Anstieg der Beschäftigten um etwa 120.000 führt. Dadurch geht die Zahl der Arbeitslosen um bis zu 70.000 zurück.

Weil Tatsache ist: gewaltige Produktivitätsfortschritte in der Wirtschaft und beständiges Wachstum der österreichischen Volkswirtschaft haben nicht dazu geführt, dass die Lohneinkommen gestiegen werden.

Lohnquote sinkt, Vermögen werfen immer mehr ab
Ganz im Gegenteil: trotz ständig steigender Beschäftigtenzahl, trotz Wirtschaftswachstums ist die Lohnquote – also der Anteil von Löhnen und Gehältern der unselbständig Beschäftigten am gesamten Volkseinkommen – seit 1978 von 78 % auf 64 % gefallen!
Gewinne und Einkommen aus Vermögen sind dagegen von 22% auf 36 % gestiegen. Es hat also eine Umverteilung gegeben – von ArbeitnehmerInneneinkommen hin zu Gewinnen und Vermögenseinkommen.

Das belegt auch eine Untersuchung der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung. Die hat sich die wichtigsten börsenotierten Unternehmen in Österreich angeschaut. Die Beschäftigten haben im Jahr 2007 durchschnittlich einen Gewinn von Euro 23.000 nach Steuern erarbeitet. 2003 waren das noch 10.000 Euro! Der Personalaufwand je MitarbeiterIn ist allerdings im vergleichbaren Zeitraum um 10 % zurückgegangen.

Kluft zwischen Managern und MitarbeiterInnen ist explodiert
Gewonnen haben die Aktionäre und Manager: während die Beschäftigung in diesen Betrieben um 74 % gestiegen ist, haben Gewinne und Dividenden um 300 % zugenommen. Die Einkommen der Vorstandsmitglieder sind im gleichen Zeitraum in diesen Betrieben von 480.000 auf 890.000 gestiegen. Verdienten die Vorstände 2003 noch das 11,7fache ihrer MitarbeiterInnen, war es 2007 das 24,3fache. Und das sind gerade mal 4 Jahre.

Die Untersuchung kommt zum Schluss:

… den an der Wiener Börse notierten Unternehmen ging es auch 2007 ausgezeichnet, Umsätze und Gewinne stiegen weiter an, die Vorstände und AktionärInnen durften sich über deutliche Einkommenssteigerungen freuen. Die Mitarbeiter dieser Unternehmen haben allerdings am Unternehmenserfolg nicht entsprechend teilhaben können.

So gut wird’s den Unternehmen jetzt nicht mehr gehen. Den ArbeitnehmerInnen droht umso härteres Ungemach. Der Spielraum für eine Arbeitszeitverkürzung wäre jedenfalls da gewesen. Er ist auch jetzt da. Und wird erst recht künftig da sein.

Und so wie bei der Verteilung von Einkommen, ist die Verteilung von Arbeit und Zeit ein Kampf. Da muss frau/mann sich nichts vormachen. Dieser Kampf ist allerdings zu führen. Weil genug bezahlte Arbeit da ist. Und unbezahlte Arbeit sowieso. Sie ist nur falsch verteilt.
Und mit dieser falschen Verteilung werden Zukunftsperspektiven, soziale Sicherheit, finanzielle Eigenständigkeit und Chancengerechtigkeit geraubt. Zwischen Männern und Frauen. Zwischen jenen die bezahlte Arbeit haben und jenen die zu wenig oder keine bezahlte Arbeit haben. Das führt zu sozialen Ausschluss.

Diese falsche Verteilung kann sich eine demokratische Gesellschaft in Wirklichkeit nicht leisten. Darüber sollte frau/mann reden. Auch in Zeiten der Krise.

Kommentar zu „Arbeitszeitverkürzung … in Zeiten der Krise?“

  1. Danke für diese klaren Worte und die gut aufbereiteten Fakten! Es ist wirklich traurig, dass so gar nichts mehr vom Thema Arbeitszeitverkürzung zu hören ist. Das wäre doch eine gute Strategie gegen die steigende Arbeitslosigkeit und zur Ankurblung der Nachfrage, die wir in Zeiten der Wirtschaftskrise brauchen würden. Leider träumen die meisten Linken nur (!) noch vom bedingungslosen Grundeinkommen und haben reale Verteilungsfragen dabei völlig aus dem Blick verloren.

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