Chefs wählen …
24. April 2009 von Klaudia Paiha
… über Gewinnverwendung entscheiden, Produkte und ihre Herstellung bestimmen – ja, wo gibt’s denn das? Es gibt’s – und es funktioniert!
Es ist selbstverständlich – glücklicherweise -, dass wir wählen können, wer unsere Gesetze macht, die Spielregeln formuliert, nach welchen unser Gemeinschaftsleben funktioniert; dass wir jene, die das tun, auch laut kritisieren dürfen; dass wir uns zusammenrotten und protestieren können, wenn uns etwas nicht passt. Demokratie heisst eben, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen (Max Frisch).
Und ebenso selbstverständlich ist es, dass wir all das nicht mehr machen können, sobald wir den Arbeitsplatz betreten: wir sind weisungsgebunden, fremdbestimmt, sind persönlich und wirtschaftliche abhängig vom Eigentümer bzw. seinen VertreterInnen.
I have a dream …
Dabei bleibt das nicht ohne Folgen für unser aller Zusammenleben: Ein Forschungsprojekt der Uni Innsbruck zeigt, dass die Menschen im Alltag umso solidarischer, sozialer und ethischer handeln und sich umso stärker demokratisch und gesellschaftlich engagieren, je demokratischer die Organisationsstruktur des Betriebes ist, in welchem sie arbeiten. Und umgekehrt.
Grund genug, sich für eine Demokratisierung der Arbeitswelt stark zu machen.
Die Vision ist eine Umkehrung der herrschenden Verhältnisse: wenn derzeit in einem herkömmlichen Unternehmen die Geschäftsführung Anweisungen und Zielvorgaben an die Beschäftigten erteilt und von diesen lediglich Informationen über das betriebliche Geschehen entgegen nimmt, um umso genauere Anweisungen und Zielvorgaben formulieren zu können, so sieht das in einem demokratischen Unternehmen anders aus: die Beschäftigten formulieren auf Grundlage der Informationen, die sie vom (gewählten) Management bekommen, nach welchen Anweisungen und mit welchen Zielvorgaben die Geschäfte zu führen sind.
Die Arbeitenden könnten an Entscheidungen auf drei Ebenen beteiligt sein:
- Strategisch: über Unternehmenshaushalt und Unternehmenspolitik (z.B. Leitbild, Statuten, etc.); Aufnahme von Kapital und Kapitalinvestitionen; Produkte; Unternehmensstruktur, Standort, allfällige Fusionen, …; Besetzung von Leitungs- und Kontrollorganen
- Taktisch: über Personalauswahl; Lohnsysteme; Betriebsmittel; Abteilungsleiter oder andere Vorgesetzte; …
- Operativ: über die unmittelbaren Arbeitsbedingungen; Urlaubsplanung; Personaleinsatz-Planung; Feinsteuerung der Arbeitsaufträge; Arbeitsprozesse; …
Alles Illusion?
Klingt verrückt. Unvorstellbar. In einem anderen Leben vielleicht!
Aber nein: Es gibt sie, die Beweise, dass es auch anders geht. Und die sind gar nicht so bescheiden:
Das Kooperativennetzwerk Mondagon im spanischen Baskenland besteht seit mehr als 50 Jahren, ist als multinationales Unternehmen in der Produktion von Industrieller Automatisierung, Haushaltsgeräten, Werkzeugen und Automobilkomponenten tätig und hat mittlerweile mehr als 100.000 Beschäftigte. Und die wählen ihre Vorgesetzten. Und bestimmen darüber, was produziert wird, wie produziert wird, was mit dem Gewinn gemacht wird, wer wieviel verdienen soll. Bildung wird als das zentralste Element angesehen, daher geht auch ein Teil des erwirtschafteten Gewinnes in Bildung und in die Forschung – so finanziert Mondragon Schulen, eine eigene Universität und ein Forschungszentrum. Daneben herrschen die Grundprinzipien: Einkommenssolidarität, die Teilnahme am Unternehmensmanagement, demokratische Organisationsstrukturen und ein untergeordneter Charakter des Kapitals. Ein anderer wird für die Soziale Vorsorge verwendet.
Genossenschaftsbanken und Supermärkte runden das Kooperativennetzwerk ab. Gerät eine der Genossenschaften des Netzwerkes in eine finanzielle Krise, wird sie durch die anderen aufgefangen.
In der Region herrscht Vollbeschäftigung. Sie weist das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Spanien auf und die Verteilung des Reichtums am gleichmäßigsten.
Etwas bescheidener nimmt sich dagegen das Beispiel der Wagner Solartechnik bei Marburg in Deutschland aus. Seit 1979 werden dort in Selbstverwaltung Photovoltaik und Solaranlagen hergestellt. Von 7 GründerInnen ist der Betrieb mittlerweile auf über 100 Beschäftigte angewachsen und zu einem der führenden Solarunternehmen in Deutschland geworden. Nach wie vor werden Entscheidungen im Rahmen demokratischer Unternehmensstrukturen in MitarbeiterInnenversammlungen getroffen. Erwirtschaftete Erträge kommen ausschließlich den MitarbeiterInnen zugute.
Neben Genossenschaften oder selbstverwalteten Betrieben, gibt es auch konventionell geführte, die partizipative Elemente – in unterschiedlich stark augeprägtem Ausmass – zulassen. z.B. die Firma STASTO Automation in Innsbruck: dort hat zwar die Letztentscheidung immer noch die Eigentümerfamilie, doch gibt es auch direkte Mitwirkung der Beschäftigten in mittelfristigen bzw. taktischen Entscheidungen. In den jährlich 10 Vollversammlungen haben die MitarbeiterInnen ein Vorschlagsrecht z.B über Produktionsprogramme, Arbeitszeitsysteme, Marketing, Beschaffung, etc.
Zarte Pflänzchen
Zarte Pflänzchen der Demokratie und Solidarität gibt es ja in manchen Betrieben.
So wurde beispielsweise beim Mobilfunkbetreiber orange auf Initative des Betriebsrats hin ein EDV-Programm entwickelt, in welchem die Beschäftigten ihre individuellen Wunsch-Arbeitszeiten eingeben können. Zu 80 Prozent können diese nun verwirklicht werden.
Einen grossen Schritt Richtung BürgerInnenrechten im Betrieb hat die Arbeitsgemeinschaft für Nichtsesshaftenhilfe Wien mit ihrer Betriebsvereinbarung über die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen und den Umgang mit MitarbeiterInnen gemacht. In dieser ist dezidiert das Recht und die Möglichkeit der freien Meinungsäusserung gegenüber Vorgesetzten, die Berücksichtigung von Wünschen, Bedürfnissen und privaten Interessen der MitarbeiterInnen und die Mitgestaltungsmöglichkeit der Beschäftigten bei ihren Arbeitsaufgaben festgehalten. Weisungen, Anordnungen oder Entscheidungen von Vorgesetzten müssen nachvollziehbar begründet werden und ein selbständiges Arbeiten erleichtern. Grundsätzlich ist die Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfe und Respekt vor der Person festgeschrieben. Bei Fehlern stehe nicht die Schuldfrage, sondern die Suche nach einer Lösung im Vordergrund. Bei Änderungen der Arbeitsorganisation muss nicht nur der Betriebsrat, sondern auch die betroffenen Beschäftigten mitwirken. Selbst bei der Aufnahme neuer MitarbeiterInnen ist die Meinung der betroffenen KollegInnen zu berücksichtigen. Und zur Draufgabe – damit’s leichter lesbar ist – ist diese Betriebsvereinbarung in Comix-Form abgefasst.
Ansatzpunkte zu zumindest kleinen Schritten zur Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen gibt es: Sei es über entsprechende Betriebsvereinbarungen, Verhaltenskodices, welche neben Werten und der wertschätzenden Kultur auch Regeln für Entscheidungsfindungen festschreiben, oder Zielvereinbarungen.
Die Ergebnisse des zitierten Innsbrucker Forschungsprojektes zeigen es ebenso, wie eine Studie über den Zusammenhang von erlebter Arbeitswelt und dem Erstarken des Rechtspopulismus: Demokratie, Mitsprache und Mitwirkung muss erlebt werden, um sie selbst leben zu wollen. Dazu braucht es Wissen, Zeit, Gelegenheit zur öffentlichen Debatte und Regeln. Diese Voraussetzungen müssen wir auch in den Arbeitsalltag implementieren, verbringen wir dort doch gut die Hälfte unseres wachen Lebens.
Und – keine Angst vor Fehlern: „Selbst wenn die Vielen Fehler begehen, ist dies immer noch besser, als wenn allein wenige Elitenangehörige Fehlentscheidungen treffen: die Folgen müssen ohnehin alle tragen …“ (Alex Demirovic)