Wiener Krankenanstalten: 14. September, Protest der Beschäftigten

„Zeit für Menschlichkeit“ – so lautet die Kampagne der Hauptgruppe II (Gesundheitsberufe) der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten die heute, am 14. September 2011 um 19.00 mit einer Demonstration hinter dem Wiener Rathaus startet. 700 Beschäftigte aus den Wiener Krankenhäusern werden zur Kundgebung erwartet. Zentrale inhaltliche Forderung der Gewerkschaftsinitiative: die deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen im städtischen Gesundheitsbereich.

30.000 Beschäftigte arbeiten im KAV, im Wiener Krankenanstaltenverbund. 1.200 Beschäftigungsverhältnisse sind derzeit „vakant“, so Bernhard Harreiter, Vorsitzender der Hauptgruppe II, im Standard. Drohen nicht nachbesetzt zu werden, weil es der Gemeinde Wien angeblich an Geld fehle. Die angekündigten Sparmaßnahmen im Wiener KAV drohen den Arbeitsdruck auf die Beschäftigten im Gesundheitsbereich noch weiter zu erhöhen. In einem Bereich wo die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ohnehin bereits die Grenze der Belasbarkeit erreicht haben.

AK-Studie zu Gesundheitsberufen: „Die Grenze ist erreicht“

Im März 2011 präsentierten die AK-Wien sowie die Gewerkschaften GdG-KMSfB, vida und GPA-djp eine Studie zu Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in den Gesundheitsberufen . Befragt wurden 85.000 Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen in Wien (Beschäftigte im KAV, in Pflegediensten, in Arztpraxen etc.) und Niederösterreich und ihre Betriebsratskörperschaften.

Das Ergebnis der Befragung: Die Arbeit im Gesundheitsbereich „erfüllt“ zwar in hohem Maße, ist aber außerordentlich belastend.

Aus der PK-Unterlage der AK Wien und der Gewerkschaften:

„Die Sinnhaftigkeit des Tuns wird zwar anerkannt und geschätzt, führt aber auch dazu,dass die Beschäftigten nur allzu oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen. Sie sind wesentlichen Arbeitsbelastungen durch Arbeitsorganisation, psychischen und körperlichen Belastungen und durch Probleme im Umgang mit PatientInnen ausgesetzt.“

Belastungsgrund 1: Arbeitsorganisation

Die Beschäftigten im Wiener Gesundheitsbereich klagen über Belastungen, die sich aus einer mangelhaften Arbeitsorganisation ergeben. Ganz oben steht als Belastungsursache „zu wenig Personal“ mit 46,7 % (Beschäftigte im KAV: 54,3 %), „Bürokratie“ 43,7 % (KAV: 53,4 %), „schlechter Führungsstil der Vorgesetzten“ 30,2 % (KAV: 32,8 %), „Großer Zeitdruck“ 34,4 % (35,3 %) und „spezielle Arbeitszeiten“ wie Nacht-, Schichtdienste etc. mit 24,7 % (KAV: 30,2 %). Die unterschiedlichen Belastungen bedingen dabei vielfach einander: herrscht Personalknappheit führt das regelmäßig zu längeren und unregelmäßigeren Arbeitszeiten. „Freie“ Zeit – für Familie, Freunde etc. – wir immer weniger planbar, Betreuung z.B. von Kindern immer weniger organisierbar. Interessant: die Arbeitsorganisation wird im KAV deutliche belastender Empfunden, als in anderen Betrieben des Gesundheitswesens.

Belastungsgrund 2: Psychische Erschöpfung

Ein Viertel der Beschäftigten im Wiener Gesundheitsbereich leidet unter emotionaler Erschöpfung. Die psychischen Belastungen machen dabei „nicht nur die Beschäftigten krank, sondern haben auch negative Auswirkungen auf die PatientInnen und belasten zusätzlich die anderen Beschäftigten, die die Arbeiten der von den Belastungen Betroffenen miterledigen müssen.“ Übrigens: im KAV ist die psychische Belastung mit 26,1 % aller Beschäftigten signifikant höher als im sonstigen Gesundheitsbereich (21,9 %).

Belastungsgrund 3: Tragen, Heben

Tätigkeiten, die unmittelbar mit Gesundheitsberufen zusammenhängen: Arbeit direkt am Menschen – vor allem Pflegearbeit – wird ohne Tragen, Heben etc. nie möglich sein. Diese Tätigkeiten sind allerdings auch entsprechend belastend: So ist für 49 % aller Gesundheitsberufe die Belastung durch die „Arbeitshaltung“ „sehr stark“ oder „eher stark“ (KAV: 51,9 %). „Heben/Tragen schwerer Lasten“ belastet 41,3 % sehr/eher stark (KAV: 52,7 %), „Bewegungsabläufe“ 47,7 % (KAV: 55,5 %), „Infektionen“ 35,6 % (KAV: 44,7 %). Auch hier: die Belastungen für die Beschäftigten im KAV sind höher als im sonstigen Gesundheitsbereich.

Belastungsgrund 4: der Umgang mit den PatientInnen

„Aus dem ständigen Umgang mit PatientInnen ergeben sich oft drückende Belastungen aus dem Gefühl heraus, die Ansprüche von PatientInnen und Angehörigen nicht erfüllen zu können,“ heißt es in der Presseunterlage. Hinzu kommen: Belastungen durch als „lästig“ empfundene PatientInnen, kulturelle Unterschiede, Angehörige, sexuelle Anzüglichkeiten, verbale Übergriffe, aber auch „anspruchsvolle“ PrivatpatientInnen. In den Krankenanstalten liegen Belastungsgründe, die sich aus dem Umgang mit PatientInnen ergeben dabei erwartungsgemäß deutlich höher als in z.B. Arztpraxen.

Der Beruf als „Berufung“ – aber hohe Unzufriedenheit mit Arbeitsbedingungen

Dabei „lieben“ die Beschäftigten des Gesundheitsbereichs ihren Job geradezu: 23,8 % sind mit ihrem Beruf „sehr“ zufrieden und 60,6 % „zufrieden“.

Sind die Betroffenen auch mit der Berufswahl zufrieden, mit den Arbeitsbedingungen sind sie es nicht:

„Die Befragten haben sich teilweise mit widrigen Bedingungen ‚arrangiert‘ – sie wissen, dass sie eine schwere Arbeit haben, aber sie haben sich in die Bedingungen hineingefunden – aber sie leiden unter den Belastungen; oft stärker als sie zugeben.“

Um die Belastungen im Beruf besser ertragen zu können, suchen die Beschäftigten Rückhalt und finden ihn bei Familie (zu 56,5 %), bei FreundInnen (41,8 %) sowie in der Freizeit (47,4 %). Allerdings wird genau dieser Rückhalt durch überlange, vielfach nicht planbare, Arbeitszeiten gefährdet. Dadurch steigt auch die Gefahr der „Überlastung“ mit allen Folgen wie etwa „Burn-Out“, hoher Fluktuation, Depression, berufsbedingte Erkrankungen etc.

Dabei

„… stehen nicht nur die Gesundheit und das Wohlbefinden der im Gesundheitsbereich Beschäftigten auf dem Spiel, sondern ebenso die Attraktivität des Berufes selbst. Und um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung auch in Zukunft zu gewährleisten, müssen, die Belastungen der Gesundheitsbeschäftigten gesenkt werden – letztlich geht es um das Wohl der PatientInnen.“

Deswegen gehen nun die Beschäftigten des Wiener KAV, ihre Gewerkschaft, ihrer PersonalvertreterInnen über Fraktionsgrenzen hinweg, auf die Straße.

KIV/UG: „Ehrliche Anstrengungen“ statt „fauler Kompromisse“

Obwohl das Personal der Wiener Spitäler bereits „hart am Limit“ (Walter Dorner, Präsident der Ärztekammer) arbeite sind im KAV Einsparungen im Sachaufwand um minus 2 %, im Personalbereich um minus 1 % geplant. „Wie soll dies möglich sein?“ fragt die KIV/UG – Konsequente Interessensvertretung / Unabhängige GewerkschafterInnen, zweitstärkste Fraktion bei den Wiener Gemeindebediensteten und stark in den Krankenanstalten – angesichts geplanter Maßnahmen der rot-grünen Stadtregierung zur „Verbesserung der PatientInnen“ – Und fordert entsprechend einen STOPP der Einsparungen im Gesundheitsbereich und stattdessen

  • eine Verringerung des Arbeitsdrucks
  • ausreichend qualifiziertes Personal
  • eine bessere Organisation der Arbeitsabläufe
  • verlässlich planbare Freizeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • ein professionelle Personalentwicklung
  • eine umfassende betriebliche Gesundheitsförderung
  • eine leistungsgerechte Entlohnung der Beschäftigten
  • alternsgerechte Arbeitsplätze
  • und den Abbau der „Dokumentationsflut“

Damit befinden sich die Unabhängigen GewerkschafterInnen der KIV hinsichtlich ihrer Forderung in trauter Einigkeit mit den Auftraggebern der Studie. Als Konsequenz aus der Befragung fordern Arbeiterkammern und Gewerkschaften vor allem Änderungen im Bereich der Arbeitsorganisation und der betrieblichen Gesundheitsförderung.

Die Wiener Stadtregierung zeigt sich bislang allerdings vom Protest eher ungerührt. „Er hat uns gesagt, dass er das Geld nicht hat, um die Dienstpostennn zu besetzen,“ berichtet GdG-Harreither im Standard vom Treffen mit Bürgermeister Häupl.

Wie es nach dem heutigen ersten (?) Protest weitergeht, wird noch zusehen sein. Traut sich die Gewerkschaft gegebenenfalls auch, zum Streik aufzurufen? Für die KIV/UG ist das jedenfalls vorstellbar. In Deutschland sind Streiks in Krankenhäusern durchaus bereits auf der Tagesordnung. Angesichts der Unzumutbaren Arbeitsbedingungen wären weitere Protest- und Kampfmaßnahmen jedenfalls gerechtfertigt – um die Situation für Beschäftigte wie für PatientInnen zu verbessern.

Weiterhin mit Arroganz und Achselzucken auf die berechtigten Forderungen der Beschäftigten im KAV zu reagieren wäre seitens der Stadtregierung jedenfalls purer Zynismus, sonst nichts.

Denn: gerade einer rot-grünen Stadtregierung, die sich gerne als „soziale“ Alternative zu „neoliberaler“ Politik geriert, stünde es jedenfalls gut, sich auch gegenüber ihren Beschäftigten entsprechend „sozial“ zu verhalten.

Dass angesichts der Krise die budgetäre Situation knapp ist, gesteht die KIV/UG auch der Gemeinde Wien durchaus zu. Allerdings:

„… die Stadtregierung kann ehrliche Anstrengungen unternehmen, um den Beschäftigten in den Spitälern und Geriatriezentren entgegen zu kommen und die von der Gewerkschaft angesprochenen Probleme zu verbessern.“

Es liegt an der Gemeinde Wien, ob der Kurs in Richtung Konfrontation oder Problemlösung geht.

Links:

KIV/UG – Konsequente Interessensvertretung/Unabhängige GewerkschafterInnen in der GdG
„Dem Gesundheitssystem droht der Kollaps“

Gesundheitskampagne der Hauptgruppe 2 der GdG

AK-Studie „Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in den Gesundheitsberufen“
Präsentation und PK-Unterlage auf der Homepage der Hauptgruppe II der GdG-KMSfB
Studie durchgeführt von der Sozialökonomischen Forschungsstelle – SFS im Auftrag der AK Wien, der AK NÖ und der Ärztekammer NÖ

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