Der Agrarsektor und die Verteilungsfragen

Aha, da will also der Herr Vizekanzler nicht über Kürzungen der Agrarförderung reden, denn damit „treffe man auch den Bereich Bio-Lebensmittel oder Förderungen der ländlichen Kleinstruktur“ (Standard, 18.8.2010).  „Reine Polemik und Ideologie“ sei es laut Landwirtschaftsminister Berlakovich, wenn man dort ein Sparpotential sehe (Ö1-Mittagsjournal, 17.8.2010). Salzburgs Landwirtschaftskammerpräsident und ÖVP-Nationalratsabgeordneter Eßl meint dem ORF gegenüber: Wer „etwas leiste“, müsse dafür auch etwas bekommen. Und ÖVP-Generalsekretär Kaltenegger weiss schon – ganz ohne Ideologie -, wo man stattdessen einsparen könnte: bei den ÖBB, konkreter: bei den – auch pensionierten – Beschäftigten der ÖBB und den BetriebsrätInnen, deren Zahl er gleich einmal halbieren will (Ö1-Mittagsjounal, 18.8.2010) – mann/frau merke: Bauern leisten etwas, ÖBB-Beschäftigte nicht.

Werfen wir doch einmal einen Blick auf die Förderungen im Agrarbereich und deren Verteilung:

Im Jahr 2008 stiegen die Direktzahlungen (Betriebs- und Tierprämien, ÖPUL, AZ, sonstige Ländliche Entwicklungsgelder) um 120 Mill. € auf 1,7 Milliarden € an. Diese Fördermittel sind sehr ungleich verteilt. Knapp die Hälfte der Betriebe erhielt zusammen nur 12% der Gelder. Während 37% der Betriebe im unteren Förderbereich (bis 5.000 €) im Durchschnitt nur 2.091 € je Betrieb erhielten und einen Förderanteil von zusammen nur 6% hatten, lukrierten 2,5% der Betriebe am oberen Ende (über 50.000 €) 16% aller Fördermittel und im Durchschnitt 77.871 € je Betrieb. In den Genuss von jeweils über 100.000 € Direktzahlungen kamen 477 Betriebe (das entspricht einer Verdoppelung der Anzahl innerhalb eines Jahres), die zusammen 75 Mill. € erhielten.
Diese ungleiche Verteilung ist vor allem auf die österreichische Ausgestaltung der Betriebsprämie und darauf zurückzuführen, dass die Bezugsgröße der Förderungen die landwirtschaftliche Fläche und nicht die notwendige Arbeitskraft ist,

schreibt Gerhard Hovorka, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaftliche und umweltpolitische Analysen an der Bundesanstalt für Bergbauernfragen in seiner Analyse des Grünen Berichts 2009 in ‚Wege für eine Bäuerliche Zukunft‚, Heft. Nr. 310, Nr. 5/2009 der Österreichischen Bergbauern und Bergbäuerinnen Vereinigung.

Oder, wie es die AK in ihrem aktuellen Wettbewerbsbericht ausdrückt:

8% der größten Betriebe erhalten mehr als ein Drittel der Gesamtfördersumme, während fast 60% der Betriebe in Summe weniger als ein Fünftel der Agrarförderungen erhalten. (…) Je mehr Agrarflächen ein Betrieb besitzt, desto höher sind die Agrarförderungen.

Ach, und weil sich Vizekanzler Pröll ja solche Sorgen um die Bio-Lebensmittel und ländliche Kleinstruktur macht:

Die [nicht sehr ökologisch wirtschaftenden; Anm.] Marktfruchtbetriebe hatten im Durchschnitt je Betrieb auch im Jahr 2008 nicht nur wesentlich höhere Förderungen, als Bio- und Bergbauernbetriebe, sondern auch höhere Förderungen aus dem [AgrarUMWELTprogramm; Anm.] ÖPUL. (Hovorka,  ‚Wege für eine Bäuerliche Zukunft‚)

Nicht enthalten sind in all diesen Zahlen Förderungen, die aus den nationalen Budgets (Bund und/oder Länder ohne EU-Anteil) an den Agrarsektor gehen, ebenso nicht die Sozialleistungen (zB Pensionsversicherung, Pflegegeld, etc) und indirekten Steuererleichterungen, wie z.B. die Rückvergütung der Mineralölsteuer für LandwirtInnen von fast 50 Mio Euro im Jahr, die 110 Mio Euro an Steuererleichterungen für die Zugmaschinen aus der Land- und Forstwirtschaft oder der Entgang an Steuern für den Bund aufgrund der Pauschalierung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben. Insgesamt bekommt der Agrarsektor in Österreich 3,5 Mrd Euro an öffentlichen Geldern, während nur rund 100 Mio Euro an Steuerleistungen in’s Budget eingebracht werden. Im Durchschnitt heisst das pro Jahr und LandwirtIn 658 € an abgeführten Abgaben und Steuern (neben Sozialversicherungsbeiträgen) gegenüber 24.773 € Einnahmen aus Förderungen und Sozialleistungen. (Quelle: AK)

Dass von diesem Ungleichverhältnis wenige sehr stark profitieren, wurde bereits oben ausgeführt und kann vielleicht noch durch folgende Zahlen verdeutlicht werden: 26 Betriebe in Österreich bekamen 2009 laut Transparenzdatenbank für EU-Agrarzahlungen je mehr als 1 Mio Euro an Förderungen, allen voran Rauch Fruchtsäfte mit 7,2 Millionen Euro. Von diesen 26 sind nur zwei Landwirtschaften (Stiftung Fürst Liechtenstein mit 1,5 Mill., Hardegg Maximilian mit knapp über 1 Million Euro).

Dass hingegen der öffentliche Verkehr, also allen voran die ÖBB, verstärkt von einkommensschwächeren Personen genutzt wird, beweisen unzählige PendlerInnenstudien. Kürzungen bei Förderungen des öffentlichen Verkehrs heissen daher in aller Regel: Sparen bei den Ärmeren.

Die ÖVP bleibt also ihrem Kurs treu: sie will nach wie vor umverteilen – und zwar von unten nach oben …

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