29. Juni 2010: Hunderte BetriebsrätInnen demonstrieren für Sozialmilliarde

Einige hundert BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen aus dem privaten und kommunalen Sozial- und Gesundheitsbereich demonstrierten am 29. Juni am Ballhausplatz – es tagte gerade der Ministerrat – für eine Sozialmilliarde. Aus allen Bundesländern waren sie dem Aufruf der GPA-djp sowie der Gewerkschaft Vida gefolgt. Auch einige Beschäftigte aus sozialen Vereinen, aus Frauenberatungsstellen, sowie solidarische UnterstützerInnen waren zur Demonstration gekommen. Unter den KundgebungsteilnehmerInnen waren auch zahlreiche BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und AktivistInnen der Unabhängigen GewerkschafterInnen aus GPA-djp (AUGE/UG), GdG-KMSfB (KIV/UG) und vida (UG vida).

Dass die TeilnehmerInnenzahl an der Demonstration nicht wesentlich höher lag, war wohl einerseits dem offiziellen Charakter der Kundgebung – von der GPA-djp und der Vida eben als BetriebsrätInnendemo konzipiert – geschuldet, andererseits aber wohl auch der ausgesprochen kurzfristigen Mobilisierung und der Tageszeit. Eine Mobilisierung der Beschäftigten war gar nicht vorgesehen.

Worum geht’s?

Noch einmal kurz, worum es geht: Mit Ausbruch der Wirtschaftskrise wurden von Beginn an – besonders stark von alternativgewerkschaftlicher Seite, also der AUGE/UG, etwa im Rahmen der AK-Wahlkämpfe, der KIV/UG und anderer UG-Gruppierungen – alternative Konjunkturpakete für die Bereiche Bildung, Soziales und Klimaschutz gefordert. Besonders Investitionen in Soziale Dienstleistungen – von Kinderbetreuung bis Pflege – würden nicht nur Beschäftigung bringen, sondern vor allem auch Lücken in unserem sozialen Netz schließen helfen. Im Februar 2009 starteten GPA-djp und Vida schließlich die Kampagne „Soziale Arbeit ist mehr Wert“, wo als zentrale Position eine Sozialmilliarde für den beschäftigungsintensiven Ausbau sozialer Dienste, für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der finanziellen Aufwertung sozialer Berufe gefordert wurde. Mit im Forderungspaket war jene Forderung nach einer parlamentarischen Enquete zur Sozialmilliarde. Über 22.000 Menschen unterschrieben diese BürgerInneninitiative, die parlamentarische Enquete hat allerdings bis heute noch nicht stattgefunden, und statt einer zusätzlichen Sozialmilliarde plant die Bundesregierung massive Budgetkürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich. Gründe genug, auf die Barrikaden zu steigen.

Her mit der Sozialmilliarde, Ja zu Vermögenssteuern!

Im Rahmen der Beiträge forderten die RednerInnen – BetriebsrätInnen aus dem Sozial- und Pflegebereich sowie GPA-djp Vorsitzender Katzian und der stv. Vida-Vorsitzende Willibald Steinkellner – eine Sozialmilliarde, finanziert aus Vermögenssteuern. Auf den Redebeitrag von Katzian wird noch näher einzugehen sein, ist er doch gleichzeitig als FSG-Chef auch SPÖ-Nationalratsabgeordneter.

BetriebsrätInnen …

In einer gemeinsamen Presseaussendung von GPA-djp und vida werden die Schwerpunkte der Redebeiträge der BetriebsrätInnen kurz zusammengefasst:

Klaus Zenz, Betriebsrat von Mosaik (Verein zur Betreuung, Förderung und Beratung von Menschen mit Behinderung) wies darauf hin, dass jeder in diesen Bereich investierte Euro in vielfacher Weise durch qualitative Leistungen wieder in die Gesellschaft zurückfließe.

Martha Fleeschurz, Betriebsrätin der Volkshilfe Oberösterreich, brachte ihren Unmut zum Ausdruck, dass es bis heute keinen Termin für die zugesagte parlamentarische Behandlung der Forderungen gebe. Sie nahm auch die Arbeitgeber des Sozialbereiches in die Pflicht, mehr Engagement zu zeigen. Nur mit der Parole von der Imageverbesserung könne man keine dauerhafte materielle Absicherung gewährleisten. Schon jetzt fielen viele Projekte dem Spardiktat zum Opfer, so Fleeschurz.

Selma Schacht, Betriebsrätin des Vereins Wiener Kinder- und Jugendbetreuung wies darauf hin, dass in dem von ihr betreuten Bereich die Anforderungen immer höher würden, während Ressourcen gekürzt werden. Während für die Banken alles Geld der Welt zur Verfügung gestellt wird, werde im Sozialbereich gespart. Dass Widerstand und „sich wehren“ erfolgreich sein kann, hätten etwa die KindergartenpädagogInnen gezeigt, so Schacht.

Kurt Weilguny, Betriebsrat im Institut Hartheim (Betreuung von Menschen mit Behinderung) berichtete über die chronische Geldknappheit im Betreuungssektor in Oberösterreich. Angesichts der fehlenden Gelder müssten sich die Arbeitgeber aussuchen, ob sie die im Kollektivvertrag vorgesehene Erschwerniszulage bezahlten oder die Supvervision, erzählte er über diese unzumutbaren Bedingungen.

Ferdinand Maschek, Betriebsrat der Diakonie Kärnten, forderte einen bundesweit einheitlichen Pflegepersonalschlüssel. Leopoldine Frühwirth, Betriebsrätin bei Sozial Global in Wien (mobile Pflege und Betreuung) berichtete, dass die Beschäftigten angesichts des Personalmangels laufend mit Dienstplanänderungen konfrontiert seien und eine Planbarkeit der Freizeit dadurch nicht mehr gegeben sei.“

Stellvertretender Vida-Vorsitzender Steinkellner …

Willibald Steinkellner, stv. Vorsitzender der Gewerkschaft vida forderte die Bundesregierung auf, mit den Steuerprivilegien der Superreichen Schluss zu machen, „dann ist eine Sozialmilliarde für die Finanzierung der Sozial- und Gesundheitsdienste locker drinnen“. Ein klares „Neine“ kam zu den geplanten Budgetkürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich. „Die Kosten der Krise den Schwächsten unserer Gesellschaft aufzubürden, das geht nicht.“

und GPA-djp Vorsitzender gegen SP-Nationalratsabgeordneter Wolfgang Katzian

Wie – immer wieder – ausgesprochen kämpferisch zeigte sich auch Wolfgang Katzian in seiner Rolle als GPA-djp Gewerkschaftsvorsitzender. Es ginge bei der Finanzierung des Sozial- und Gesundheitsbereichs nicht um Almosen, „sonder um die Sicherstellung von Leistungen, die für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft unerlässlich sind,“ so der GPA-Vorsitzende. Er beklagte, dass immer noch kein Termin für die parlamentarische Sozialmilliardeenquete festgelegt sei, dass immer wieder versucht werde, neue und zusätzliche Themen – z.B. die Freiwilligenarbeit – hinein zu reklamieren, um das zentrale Anliegen zu verwässern. Katzian warnte: sollte es seitens der Politik nicht klare Signale zur Sicherstellung der Finanzierung geben, dann würden nächstes Mal neben den BetriebsrätInnen auch die Beschäftigten des Sozialbereichs auf der Straße sein. Soweit der Gewerkschaftsvorsitzende Katzian. Jetzt zum SP-Abgeordneten: Als solcher dürfte nämlich auch er als Nationalrat der Regierungspartei SPÖ am 19. Mai das mittelfristiges Rahmenprogramm für die Budgetkonsolidierung mitbeschlossen haben, das massive Einsparungen im Sozial-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitsbereich und einen überambitionierten Rückbau des Budgetdefizits vorsieht. AUGE/UG, KIV/UG und UG Vida haben in ihrem gemeinsamen Flugblatt zur Kundgebung die Zahlen auch genannt:

„Fast 936 Mio. Euro will die Bundesregierung alleine 2011 im Bereich Soziales, Arbeit und Familie sparen, davon alleine 125 Mio. Euro im Bereich Arbeitsmarkt, knapp 86 Mio. Euro im Kapitel „Soziales und Konsumentenschutz“, wo etwa das Pflegegeld und das Bundessozialamt hinein fällt. Bis 2014 sollen so im Sozial- und davon ebenso betroffenen Gesundheitsbereich in Summe 1,5 Mrd. Euro eingespart werden. “

Von einer wortreichen, ausgeprochen kämpferischen Ablehnung dieses Sparpakets seitens des SP-Spitzengewerkschafters Katzian, sowie anderer SP-SpitzengewerkschafterInnen, die gleichzeitig NR-Abgeordnete sind, ist nichts bekannt. Als Gewerkschafter beinahe oppositionell polternd, als Abgeordneter brav loyal zu Partei und Regierung. Wir waren wieder einmal an das berühmte „I oder I“ erinnert. Einmal mehr zeigt sich, wie richtig die Grundskepsis der Unabhängigen GewerkschafterInnen, hinsichtlich einer Vereinbarkeit von (partei)politischem und gewerkschaftlichem (Spitzen)Mandat ist. Einmal widerlegt sich das immer wieder vorgebrachte Argument, wonach ArbeitnehmerInneninteressen am besten im Parlament, und dort am besten von SpitzengewerkschafterInnen wahrgenommen werden könnten. Nicht einmal die Veranstaltung einer – an sich harmlosen – parlamentarischen Enquete zur Sozialmilliarde, wie von über 22.000 UnterstützerInnen eingefordert, war bislang vom mächtigen SP-Gewerkschaftschef durchsetzbar (zur Erinnerung: AUGE/UG und KIV/UG haben zumindest einen Sozialgipfel rund ums Thema „Sozialmilliarde“ im Wiener Rathaus veranstaltet)! Dafür allerdings ein weitreichender Beschluss zur Budgetsanierung, der mehr konsolidiert, als erforderlich und der den Sozialbereich bis 2014 milliardenschwer trifft … Dafür braucht es nun wirklich ganz dringend SpitzengewerkschafterInnen, ja sogar Gewerkschaftsvorsitzende im Parlament.

Die Krot könnt’s selber fressen!“

Diese Losung stand auf dem Transparent der Unabhängigen GewerkschafterInnen, darunter „Her mit der Sozialmilliarde!“, daneben das Logo der UG zur Sozialmilliardekampagne: „Froschkönige, zur Kassa bitte!“ Auf allgemeinen Gefallen stießen auch unsere T-Shirts. Verteilt wurden neben zum Verzehr geeignete Gummifröschchen, als wenigstens „schluckbare“ Krot, Flugis mit unseren Positionen:

Wir sind nicht bereit diese Krot zu schlucken! Die könnt’s selber fressen!

Weil auch wieder einmal die Sozialen- und die Gesundheits-Dienste und ihre Beschäftigten von diesen Sparpaketen betroffen sein werden – und bereits sind. Immer weniger öffentliche Mittel, immer weniger Personal, immer prekärere Beschäftigungsverhältnisse und damit weniger Geld – aber immer mehr Aufgaben und Arbeit: davon ist soziale Arbeit – egal ob im Bereich Pflege, Betreuung, Beratung oder Integration – geprägt. Und nun stehen weitere Budgetkürzungen ins Haus. Weil bei Bund, Ländern und Gemeinden angeblich das „Diktat der leeren Kassen“ herrscht.

Froschkönige, zur Kassa bitte!

Die Budgetkrise ist allerdings hausgemacht. Das Problem sind weniger steigende Ausgaben, als sinkende Einnahmen. Weil Österreich seit Jahrzehnten auf Vermögenssteuern und ordentliche Steuern für Spitzenverdiener verzichtet und stattdessen Stifter, Großunternehmen, Vermögen, Börsenhandel und reiche Erben steuerlich schont. Wären Vermögenssteuern in Österreich auf EU-Niveau, brächten die alleine Mehreinnahmen von 4 Mrd. Euro – garantiert sozial treffsicher. Damit wäre eine Sozialmilliarde locker finanzierbar. Wir wollen daher nicht nur die „Krot“ nicht schlucken. Wir wollen die „Froschkönige“ in diesem Land zur Kassa bitten.

Soziale Arbeit ist nicht nur mehr wert – sie bringt gesellschaftlichen Mehrwert!

Einsparungen im kommunalen wie privaten Sozial- und Gesundheitsbereich sind nicht nur sozialpolitisch unzumutbar, sondern auch wirtschaftspolitisch kurzsichtig. Weil soziale Arbeit nicht nur mehr wert ist – sondern auch einen hohen gesellschaftlichen Mehrwert bringt! So haben etwa WissenschaftlerInnen für England errechnet, dass jedes Pfund, das in Kinderbetreuungskräfte investiert wird, den gesellschaftlichen Wohlstand um das fast 10-fache erhöht! Investitionen in soziale Dienstleistungen und Gesundheitsdienste rechnen sich – sozialpolitisch, gesellschaftspolitisch und wirtschaftspolitisch!

Daher fordern wir:

Her mit der Sozialmilliarde – Her mit einem Konjunkturpaket Pflege, Betreuung und soziale Dienste für eine Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen sowie für den Ausbau eines flächendeckenden Angebots an privaten und kommunalen Sozial- und Gesundheitsdiensten!

Her mit fairen und längerfristigen Finanzierungsverträgen zwischen sozialen Dienstleistern und der öffentlichen Hand, um Bestands- und Planungssicherheit zu gewährleisten!

Her mit einer deutlichen finanziellen Aufwertung der Sozial- und Gesundheitsberufe!

Her mit einem Pflegefonds aus Mitteln der Vermögensbesteuerung – um faire und gesetzeskonforme Anstellungsverhältnisse über professionelle Trägervereine sowie über die Kommunen sicherzustellen!

Raus mit gemeinnützigen Erbringern sozialer Dienstleistungen aus dem Vergaberecht!

Wie weiter?

Die Kundgebung war längst überfällig, richtig und notwendig. Sie wird allerdings nicht allzu viel bewegen. Es gibt bislang kein Abrücken von den Sparplänen, von einer zusätzlichen Sozialmilliarde ganz zu schweigen. Die Bundesregierung hofft, dass die aktuell leicht nach oben zeigenden Konjunkturprognosen die Konsolidierungspläne leicht verdaulicher machen. Die Beschäftigungskrise und vor allem die Krise der sozialen Dienste sind damit allerdings keinesfalls behoben, drohen sich im Gegenteil sogar zu verschärfen. Ohne Widerstand, umfassende Information darüber, was da alles droht, ohne breite und öffentlichkeitswirksame Mobilisierung der von der Budgetkonsolidierung Betroffenen werden diese Sparmaßnahmen nicht zu verhindern sein! In diesem Sinne muss es einen heißen Herbst geben. Weil diese Krot, tatsächlich nicht geschluckt werden kann!

Weitere Links:

GPA-djp Bericht von der gestrigen Kundgebung.

Vida-Bericht von der Kundgebung.

Photos von der gestrigen Kundgebung.

Unterstütze unsere Forderungen nach einer Sozialmilliarde: jetzt online unterzeichnen.

Kommentar zu „29. Juni 2010: Hunderte BetriebsrätInnen demonstrieren für Sozialmilliarde“

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