AK Studie „Von der Verteilungs- zur Wirtschaftskrise“ (I): Ungleichverteilung als Krisenursache

Was war(en) die Ursache(n) für die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit? Waren es die deregulierten Finanzmärkte? Waren es falsche Anreizsysteme bei der Managerentlohnung? War es die expansive, „lockere“ Geldpolitik der US-Notenbank FED? Waren es zunehmend undurchschaubare, hochriskante und hochspekulative Finanzprodukte? Oder vielleicht die immer ungleicher werdende Verteilung von Einkommen und Vermögen? Eine aktuelle Studie („Von der Verteilungs- zur Wirtschaftskrise. Die Rolle der zunehmenden Polarisierung als strukturelle Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise“, Autor: a.o. Prof. Dr. Engelbert Stockhammer von der Kingston University) der AK-Wien geht diesen Fragen nach. Die Kernaussage: Sind die Krisenursachen auch vielfältig – die Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverteilung über die letzten Jahrzehnte hinweg ist jedenfalls entscheidend mitverantwortlich für Ausbruch und Entwicklung der Krise.

Entwicklung der Einkommensverteilung

Dass sich die Einkommen über die letzten Jahrzehnte hinweg zulasten der ArbeitnehmerInnen hin zu Einkommen aus Kapital und Vermögen entwickelt hat, ist nicht neu. Zusätzlich hat sich auch die personelle Einkommensverteilung – also die Ungleichverteilung zwischen z.B. LohnbezieherInnen – verschärft, wobei die Entwicklungen in den einzelnen Staaten durchaus unterschiedlich verlief:

  • In den kontinentaleuropäischen Ländern und Japan sind etwa die (bereinigten) Lohnquoten (die bereinigte Lohnquote ist die um den Wandel der Beschäftigtenstruktur korrigierte Lohnquote) seit 1980 um fast 10 %-Punkte gefallen . es hat also eine deutliche Umverteilung hin zu Gewinn- und Kapitaleinkommen gegeben.
  • Der Rückgang der Lohnquoten in den USA und in GB fiel dagegen zwar moderater aus, allerdings hat die Ungleichverteilung innerhalb der Lohnahängigen (personelle Einkommensverteilung) deutlicher als in anderen Staaten zugenommen: so ist der Einkommensanteil des reichsten 1 % der Bevölkerung in den USA von 8 % (1980) auf über 18 % (2005, zum Vergleich: in Österreich 2008 erzielte das oberste 1 % rund 6,8 % der Brutto-Lohneinkommen) gestiegen. Eine ähnlich Entwicklung war auch in den anderen englischsprachigen Ländern beobachtbar.
  • Ein wesentlicher Teil dieser Spitzeneinkommen in den angelsächsichen Ländern ist dabei auf die exorbitant hohen Managergehälter zurückzuführen. Würden diese aus der Lohnquote herausgerechnet und als Gewinneinkommen (tatsächlich sind diese ja vielfach von der Gewinnentwicklung abhängig) gerechnet, wäre die Entwicklung der bereinigten Lohnquote in den USA allerdings ähnlich jener in Europa.
  • Deutlich auseinanderentwickelt hat sich die Lohnentwicklung der einzelnen Einkommensgruppen: Während in der USA die (inflationsbereinigten) Medianlöhne von 1980 bis 2005 lediglich um 2,8 % gewachsen sind, sind die Einkommen des untersten Einkommensfünftels sogar um 3,1 % gesunken, jene des reichsten Einkommensfünftels dagegen um 21 % massiv gestiegen.

Die Hauptursachen für den Rückgang der Lohnquote – also für den sinkenden Anteil der Löhne und Gehälter am gesamten Volkseinkommen – für Stockhammer: Globalisierung der Finanz-, Güter- und Dienstleistungsmärkte und Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrads und damit gewerkschaftlicher Macht.

Wachsende Einkommensungleichheit und Krisenursachen

Stockhammer macht dabei eine auffällige Parallele zwischen der aktuellen Wirtschaftskrise und jene der 30er Jahre fest: in beiden Fällen war es vor der Krise zu einer Polarisierung der Einkommensverteilung gekommen. Lässt sich nun also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und Krise ableiten? Ja, lässt sich. Und die Studie belegt diese Annahme auch mit Daten und Fakten. Dabei werden andere Krisenursachen nicht nur nicht ausgeblendet, sondern im Gegenteil: Krisenursachen seien in einer unmittelbaren Wechselwirkung zu sehen, sie bedingen bzw. verstärken sich gegenseitig. Stockhammer spricht – bezugnehmend auf die beiden Keynesianer Horn und van Treeck – von „drei Us“, drei eng zusammenhängenden zentralen Krisenursachen: Ungleichheit, internationale Ungleichgewichte und Unterregulierte Märkte.

These 1: Die Polarisierung der Einkommensverteilung führt zu stagnierender Nachfrage, v.a. zu stagnierender Konsumnachfrage

Warum? Einerseits ist aus einer sinkenden Lohnquote ein dämpfender Effekt auf die Konsumnachfrage zu erwarten, weil BezieherInnen von Lohneinkommen üblicherweise eine höhere marginale Konsumneigung aufweisen, als BezieherInnen von Kapitaleinkommen. Empirische Untersuchungen ergaben für den Euro-Raum ein Spardifferential zwischen Lohn- und Profiteinkommen von ca. 0,4. Das bedeutet nichts anderes, als dass bei einem Rückgang der Lohnquote von 10 %-Punkten (seit 1980) ein entsprechender Rückgang der Konsumquote um 4 %-Prozentpunkte (des BIP) angenommen wird. Allein aufgrund der veränderten Einkommensverteilung von Arbeit hin zu Kapital.

Andererseits: weil natürlich nicht nur die „funktionale“ Einkommensverteilung – also jene zwischen Arbeit und Kapital – sondern selbstverständlich auch die „personelle“ Einkommensverteilung – also jene zwischen Arm, „Mitte“ und Reich – einen Effekt auf die Sparquote hat: Verdienen „die Oben“ mehr, wird nicht zwingend mehr konsumiert, sondern mehr gespart. Bleiben die Einkommen von „denen Unten“ oder in der „Mitte“ dagegen zurück, oder sinken sie sogar, bleibt nicht nur weniger Geld für Konsum, geschweige den Sparen ügrig, sondern müssen die privaten Haushalte „Konsumverzicht“ üben – was sich natürlich aufgrund der Masser der Haushalte negativ auf die gesamtgesellschaftliche Nachfrage und damit auf die Wirtschaft als ganzes auswirkt, oder „verschulden“, um den Lebensstandard halten zu können – oder einfach auch das Überleben zu sichern.

Wie sehr die personelle Ungleichverteilung der Einkommen inzwischen vorangeschritten ist, zeigt nicht zuletzt gerade die Entwicklung der Differenz der Sparquoten zwischen „oben“ und „unten“ in Deutschland, einem Land, in dem die Einkommenspolarisierung über die letzten Jahrzehnte nicht einmal so extrem ausfällt wie etwa in den USA oder anderen angelsächsischen Ländern: lag dieser Unterschied zwischen dem untersten und dem obersten Einkommensviertel in der BRD 1995 noch bei 6,5 %-Punkten (das „reichste“ Einkommensviertel sparte also um 6,5 %-Punkte mehr als das „ärmste“), stieg dieser bis 2007 auf 11,7 %-Punkte an!

Die ungleiche Entwicklung der Einkommensverteilung mit der entsprechenden Polarisierung hat also also zur schwachen Entwicklung des (Inlands-)Konsums, zur stagnierender Nachfrage, zu geringeren Wachstumsraten wesentlich beigetragen.

These 2: die Deregulierung internationaler Kapitalflüsse hat den Aussenhandel gelockert und die Entwicklung zweier Wachstumsmodelle ermöglicht

Was sich recht kompliziert anhört, ist es nicht. Zwei Wachsumsmodelle haben sich – so Stockhammers These – als Reaktion – oder Kompensation – auf die steigende Ungleichheit bei Einkommen (als Folge liberalisierter und globalisierter Märkte) und daraus resultierender stagnierender Binnennachfrage – herausgebildet:

  • Ein Modell, das auf kreditfinanzierten Konsum als Wachstumsmotor (vor allem im angelsächsischen Raum, aber auch in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien verortet) basiert.
  • Und eines, das sich auf Export, bei gleichzeitig gedämpfter heimischer Nachfrage stützt (was insbesondere auf Deutschland, Japan und China aber auch Österreich zutrifft).

Was ergibt sich aus der Herausbildung dieser zweier Wachstumsregime? Einerseits massive ökonomische Ungleichgewichte: „Exportorientierte“ Länder – das ergibt sich aus dem Modell – erwirtschaften Leistungsbilanzüberschüsse, also ein „Plus“ in ihrer Leistungsbilanz, sie exportieren also mehr an Gütern und Dienstleistungen, als sie importieren. Auch logisch: wo irgendwo „Plus“, dort irgendwo auch „Minus“: Es muss entsprechend auch Länder geben, die das importieren, was wo anders exportiert wird. Und weil „exportorientierte“ Länder halt mehr exportieren als importieren, gibt es Länder, die entsprechend mehr importieren als sie exportieren, also Leistungsbilanzdefizite, eben ein „Minus“ in ihrer Leistungsbilanz aufweisen. Das sind – wenig überraschend – jene Länder, deren Wachstum auf „kreditfinanzierten Konsum“ beruht.

Tatsächlich waren diese ökonomischen Ungleichgewichte bereits vor der Krise beträchtlich:

  • so hatte Deutschland im Jahr 2007 einen Leistungsbilanzüberschuss von 7,9 % des BIP (Österreich: 3,6 %) erwirtschaftet,
  • die USA dagegen ein Leistungsbilanzdefizit von 5,2 % (Griechenland: 14,5 %, Portugal: 9,4 %, Spanien: 10 %) produziert.

Wie wurde in „kreditgetriebenen“ Ökonomien der „Wachstumsmotor“ Konsum finanziert? Wie schon der Name sagt eben über Kredite, über Verschuldung privater und/oder öffentlicher Haushalte. Dank liberalisierter und globalisierter Kapitalmärkte waren dabei auch über längere Perioden hinweg entsprechende Kapitalzuflüsse – sprich Auslandsverschuldung – gesichert. Trotz Leistungsbilanzdefizite.

In den englischsprachigen Ländern ging mit der steigenden Konsumqoute etwa eine steigende Verschuldung privater Haushalte einher, während in exportorientierten Ländern wie Deutschland oder Österreich mit stagnierenden bzw. sinkenden Konsumquoten ein sinkende bzw. nur leicht steigende Verschuldung feststellbar ist:

  • Während im „exportorientierten“ Deutschland die Verschuldung der privaten Haushalte von 2000 bis 2008 sogar um minus 11 %-Punkte des BIP zurückging, ist jene der USA um plus 26 %-Prozentpunkte gestiegen.
  • Zwar stieg auch im „exportorientierten“ Österreich die Haushaltsverschuldung leicht an – nämlich um 7 %-Punkte, in Grossbritannien allerdings gleich um 28 %-Punkte.
  • Ähnliche Entwicklungen lassen auch in den „kreditgetriebenen“ Krisenvolkswirtschaften Europas verfolgen: In Spanien stieg die Haushaltsverschuldung von 2000 bis 2008 um 33 %-Punkte des BIP, in Irland gar um 61 %-Punkte. In Portugal legte die Haushaltsverschuldung um 21,31 %-Punkte zu, in Griechenland von 2000 bis 2004 (bis 2008 liegen keine Daten vor) um 18,26 %-Punkte (EU-12, 2000 bis 2004: plus 8,96 %-Punkte)

In Griechenland und Portugal stieg zusätzlich die öffentliche Verschuldung stark an.

Während in den „kredit“-getriebenen Volkswirtschaften die stagnierenden bzw. sinkenden Einkommen und der damit verbundene Verlust an Konsumkraft durch Kreditaufnahme kompensiert wurde, wurde in den „exportorientierten“ Ökonomien die mangelnde Nachfrage durch die forcierte Ausfuhr von Gütern und Dienstleistungen wettgemacht. Zum Preis massiver wirtschaftlicher Ungleichgewichte und spekulativer Entwicklungen auf Finanz- und Immobilienmärkten aufgrund massiver Kapitalzuflüsse – bis zum Platzen der Blase.

Weiter zum Teil II der Zusammenfassung der AK-Studie „Von der Verteilungs- zur Wirtschaftskrise“: Warum Ungleichverteilung Spekulation fördert

Links:

Eine umfassende Darstellung der Studie erscheint im Herbst in der von der AK-Wien herausgegebenen Zeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“ Nr. 3/2011

Studie „Von der Verteilungs- zur Wirtschaftskrise“ auf der Homepage der AK-Wien

Presseaussendung der AK Wien zur Studie: „Kluft zwischen Arm und Reich machte Krise erst möglich“

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