AK-Studie „Von der Verteilungs- zur Wirtschaftskrise“ (II): Warum Ungleichverteilung Spekulation fördert

… und was für Schlüsse daraus gezogen werden sollten


Die über die letzten Jahrzehnte hinweg immer stärker gewordene Ungleichverteilung von Einkommen (sinkende Lohnquote, Polarisierung bei der personellen Einkommensverteilung) schwächte über eine sinkende Lohnquote nicht nur empfindlich die Binnennachfrage, sie beförderte auch die Herausbildung zweier Wachstumsmodelle – eines „kreditfinanzierten“ und eines „exportorientierten“ – welche zu massiven makroökonomischen Ungleichgewichten führte. Im zweiten Teil der Zusammenfassung der AK-Studie von Engelbert Stockhammer setzen wir uns mit den Zusammenhängen zwischen steigender Haushaltsverschuldung und Spekulation auseinander, warum Ursachen derselben – auch – in der Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen zu suchen sind, und welche Schlussfolgerungen aus all diesen Erkenntnissen zu ziehen wären – auf nationaler, wie auch auf europäischer Ebene.

These 3: Die Ungleichverteilung der Einkommen leistete einen wesentlichen Beitrag zur steigenden Haushaltsverschuldung in den USA

Die Annahme, dass sich einkommensschwache Haushalte oder Haushalte mit mittleren Einkommen bei sinkenden Einkommen verschulden, um den bisherigen Lebensstandard halten – oder einfach um die nackte Existenz sichern – zu können, ist naheliegend (zumindest wenn die Erzielung eines höheren Haushaltseinkommens durch Ausweitung der Erwerbstätigkeit nicht möglich ist) . Nur: lässt sich diese Annahme auch belegen?

Da lediglich für die USA entsprechend verfügbare Daten betreffend die Verteilung der Haushaltsverschuldung vorliegen, beschränkt sich Stockhammer auf eine Analyse der Vereinigten Staaten. Interessant dabei: auch wenn die Verteilung der Schulden über die Jahre hinweg relativ stabil geblieben ist – die „unteren“ 90 % der Bevölkerung hielten 1989 74,9 % aller privaten Schulden, 2007 73,3 % – so hat sich die Verschuldung bezogen auf das laufende Einkommen, aus dem die Schulden ja zu bedienen sind, drastisch verändert. Relativ zum Einkommen sind die Schulden der einkommensschwächsten Gruppen deutlich gestiegen:

  • so stiegen die Schulden der „unteren“ Einkommenshälfte bezogen auf das laufende Einkommen von 61 % (1989) auf 137 % (2007)
  • für die nächsten 40 % der EinkommensbezieherInnen -also von den „gehobeneren“ mittleren Einkommen bis zu den reichsten 10 % aller EinkommensbezieherInnen – von 81 % auf 148 %!
  • Und: zwar stiegen auch die Schulden der obersten 10 %, allerdings ungleich geringer (bei den Top 1 % etwa von 25 auf 37 % des Einkommens)

Damit kann die These, dass der Anstieg der privaten Haushaltsverschuldung mit der Polarisierung der Einkommensverteilung zusammenhängt – „Unten“ Einkommensverluste, „Mitte“ Stagnation, „Oben“ deutliche Einkommenszuwächse – wohl als bewiesen angesehen werden.

These 4: Die Polarisierung der Einkommensverteilung war wesentlich für die Entwicklung spekulativer Finanzanlagen verantwortlich, weil die Superreichen eine höhere Neigung zur Spekulation haben

Wie läßt sich nun diese These belegen? Lässt sich diese These überhaupt belegen? Allerdings. Zugrunde liegt dieser These das Argument, dass mit zunehmenden Reichtum Konsummöglichkeiten ausgeschöpft sind und daher zunehmend spekulative Aktivitäten gesetzt werden. Durch die Polarisierung der Einkommensverteilung sei „Überschussliquidität“ entstanden. Auf gut deutsch: die Reichsten wussten schon nicht mehr, wohin mit dem vielen Geld. Was die Preise für Finanzanlagen wiederum in die Höhe getrieben hat. „Außerdem“, so Stockhammer

„… ist die Polarisierung der Einkommensverteilung in den letzten Jahrzehnten klar mit einem Strukturwandel im Finanzsektor verbunden, d.h. Reichtum ist heute stärker mit finanziellen Aktivitäten verbunden als dies z.B. In den 1960er Jahren der Fall war.“

Unumstritten ist jedenfalls, dass reiche Haushalte deutlich risikoreichere Assets halten als „ärmere“: So hielt 2007 das TOP 1 % der reichsten US-AmerikanerInnen 62,4 % aller Bonds (festverzinsliche Wertpapiere), 81,9 % der Aktien und 46,7 % der Mutual (offene Investmentfonds) und Hedgefonds.

Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Einkommenspolarisierung, Spekulation und Krise lässt sich am Beispiel von Veranlagungsstrategien „Superreicher“ und institutioneller Anleger über Hedgefonds herstellen (Stockhammer bezieht sich in diesem Kapitel auf eine Studie von Photis Lysandrou):

  • Die Krise brach bekanntlich im Markt für Derivate (CDOs) auf subprime Kredite aus. Dieser Markt ist allerdings ganz wesentlich aufgrund der Nachfrage nach derartigen, hochspekulativen Produkten durch Hedgfonds entstanden. Hedgefonds hielten rund die Hälfte aller CDOs.
  • Hedgefonds sind – aufgrund hoher Mindesteinlagen – im wesentlichen Finanzinstrumente der „Superreichen“ (der sog. HNWI-Hight Net Wealth Individuals, Nettovermögen von über einer Million US $) und institutioneller Anleger (z.B. Investment-, Pensionsfonds), die einen Teil ihres Portfolios riskant veranlagen, um gegebene hohe Renditeversprechen – die mit „konservativen“ Anlagestrategien alleine nicht einzuhalten wären wären – einlösen zu können.
  • Die HNWI halten rund ein Fünftel aller Finanztitel aber mehr als die Hälfte des Anteils an alternativen Investments – wie eben Hedgfonds – die besonders risikoreich veranlagen.

„Superreiche“ – also besonders Vermögende – können damit über ihre Veranlagungsstrategien bzw.  Investments als „Krisen(mit-)verursacher“ festgemacht und bezeichnet werden. Um künftige Krisen besser vermeiden zu können sieht Lysandrou daher auch in einer gerechteren und egalitäreren Verteilung der Vermögen eine zentrale wirtschaftspolitische Herausforderungen. Oder, vereinfacht ausgedrückt: die Krisenverursacher sollen für die von ihnen verursachten Krisenschäden und -kosten auch aufkommen.

Schlussfolgerungen

Womit wir bei den Schlussfolgerungen wären. Also einmal die Erkenntnis: Die Polarisierung der Einkommensverteilung – also die über Jahrzehnte hinweg immer ungleicher gewordene funktionale wie personelle Verteilung von Einkommen (und Vermögen) ist …

„ … in Wechselwirkung mit der Deregulierung des Finanzsektors als wichtige Ursache der Krise zu verstehen.“

Die wirtschaftspolitischen Folgerungen die sich daraus ergeben:

„Die in diesem Projekt untersuchten Hypothesen legen den Schluss nahe, dass zur Vermeidung künftiger Wirtschafts- und Finanzkrisen auch eine Änderung in der Einkommensverteilung notwendig ist. Eine sozial ausgewogene Einkommens- und Vermögensverteilung ist kein Luxus, der nach erfolgter wirtschaftlicher Stabilisierung in Angriff genommen werden kann, sondern ist integraler Bestandteil eines stabilen Wachstumsregimes. Lohnwachstum ist eine Voraussetzung für Konsumwachstum ohne Verschuldung und breit gestreute Vermögensbildung neigt weniger zu spekulativen Exzessen als Vermögensbildung in den Händen weniger Superreicher, wie dies in den letzten Jahrzehnten der Fall war.“

Vorgeschlagene Maßnahmen daher:

  • Vermögenssteuern,
  • Besteuerung des Finanzsektors (Finanztransaktionssteuer u.ä.),
  • Schließung von Steueroasen,
  • eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik,

und eine klare Absage an Lohnzurückhaltung und Aushebelung von Kollektivverträgen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit. Denn:

„Die europäische Wirtschaftspolitik muss realisieren, dass erstens eine einheitliche Währungsunion auch eine aktive Lohnpolitik benötigt und zweitens Löhne nicht nur einen Kostenfaktor sondern auch eine wichtige Quelle der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage darstellen. Dementsprechend ist eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik zu fördern und ein institutioneller Rahmen für flächendeckende Kollektivvertragsverhandlungen.“

Linktipps:

Eine umfassende Darstellung der Studie erscheint im Herbst in der von der AK-Wien herausgegebenen Zeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“ Nr. 3/2011

Studie „Von der Verteilungs- zur Wirtschaftskrise“ auf der Homepage der AK-Wien

Presseaussendung der AK Wien zur Studie: „Kluft zwischen Arm und Reich machte Krise erst möglich“

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