Als Griechenland den Deutschen die Schulden erließ
18. Juni 2011 von adminalternative
Viel wird derzeit darüber diskutiert, wie denn Griechenland wieder wirtschaftliche wie sozial überlebensfähig gemacht werden könnte. Immer lauter werden die Stimmen, die eine Umschuldung, einen (Teil-)Schuldenerlass unter beteiligung privater Gläubiger fordern. Selbst der deutsche Finanzminister will inzwischen Banken, Versicherung und Fonds mit in die Pflicht nehmen. Es gibt allerdings auch andere Stimmen, die einen entpsrechenden Haircut kategorisch ablehnen und vor unkalkulierbaren Risken und dem totalen „Vertrauensverlust“ der Kapitalmärkte warnen. Heftig wehrt sich die EZB gegen eine Umschuldung. Ratingagenturen drohen mit einer „Totalabwertung“ griechischer Staatsanleihen – was eigentlich schon fast nicht mehr möglich ist – sollten private Gläubiger zur Umschuldung herangezogen werden.
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Tatsächlich spricht vieles für Um- und Enschuldungsmaßnahmen. Einerseits, weil diese ohnehin unumgänglich sind, andererseits, weil nur durche eine geordnete Insolvenz Griechenlands (und anderer hochverschuldeter Staaten) unter einbeziehung aller, auch der privaten Gläubiger, und anschließender Finanzspritzen für Investitionen, den krisengebeutelten Staaten wieder auf die Beine geholfen werden kann.
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Und: es ist auch keinesfalls so, dass es – selbst in der jüngsten Wirtschaftsgeschichte – nicht Entschuldungen von Staaten gegeben hätte. Eine derartige Entschuldung ist zum Beispiel nicht einmal 60 Jahr her und hat mitten in Europa stattgefunden. Und diese Entschuldung betraf ausgerechnet Deutschland. Und: einer der Gläubigerstaaten war tatsächlich Griechenland.
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22 Länder – unter ihnen Griechenland – entschulden Nachkriegsdeutschland
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Es handelt sich dabei um das „Londoner Schuldenabkommen“ von 1953. Und: nichts und niemand ist infolge des Schuldenerlasses zusammengebrochen. Im Gegenteil: die umfassende Entlastung der (west-)deutschen Volkswirtwschaft machte erst das spätere „Wirtschaftswunder“ möglich.
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Im Blog der Entschuldungskampagne „Erlassjahr“ werden die 1953 für Deutschland getroffenen Entschuldungsmaßnahmen „… die für Griechenland und andere hoch verschuldete Länder heute ebenso segensreich wären, wie sie es damals für Deutschland, keine zehn Jahre nach dem Ende des von ihm begonnenen Weltkriegs, waren“ wie folgt beschrieben:
• Der Erlass deutscher Schulden durch Griechenland wurde nicht von der Umsetzung eines Spar oder Strukturanpassungsprogramms abhängig gemacht. Im Gegenteil: Deutschland wurden verschiedene explizit wachstumsförderne Vergünstigungen und Möglichkeiten zu einer expansiven Geldpolitik eingeräumt.
• Das Abkommen schloss eine Schiedsklausel für künftige deutsche Zahlungsschwierigkeiten ein. Über eventuelle weiter gehende Lösungen für Griechenland und andere hoch verschuldete Länder behalten sich die Gläubiger die letzte Entscheidung in Institutionen wie dem Pariser Club, dem IWF oder durch die Gemeinschaft der Anleihegläubiger vor.
• Deutschlands Schuldenindikatoren lagen deutlich unter denen von Griechenland heute. Der Schuldenstand der Hellenen beträgt rund 100% des BIP; er wird absehbar ohne Schuldenschnitt bis 2014 auf rund 140% ansteigen. Deutschland hatte vor dem Abkommen 1952 eine Quote von 21% des BIP; nach der vollen Umsetzung der Entlastung 1958 waren es noch 6%.
• Deutschland erhielt die Option, künftig seinen Schuldendienst bei einem Handelsbilanzdefizit auszusetzen. Implizit verpflichteten sich die Gläubiger, deutsche Handelsbilanzüberschüsse zuzulassen, also in Deutschland mehr einzukaufen als man dorthin ausführte, damit Deutschland seinen Schuldendienst aus laufenden Einnahmen und nicht etwa aus seinen Devisenreserven bzw. aus der Aufnahme neuer Kredite bestreiten konnte. Letzteres ist genau der Mechanismus, der Griechenland durch den Europäischen Rettungsmechanismus nahe gelegt wird, und der mit katastrophalen Folgen auch zwei Jahrzehnte gegenüber den hoch verschuldeten ärmsten Ländern praktiziert wurde.
• London war ein umfassendes Abkommen über öffentliche und private deutsche Auslandsverbindlichkeiten. Dagegen werden die Griechen – wenn überhaupt verhandelt wird – mit jeder Gläubigergruppe einzeln verhandeln müssen; da die wichtigsten Gläubiger die Inhaber von Staatsanleihen sind, müssen sie sogar mit den Zeichnern jeder Einzelanleihe gesondert verhandeln. Das ist nicht nur aufwändig, sondern schafft für jeden Gläubiger auch einen Anreiz, keine Zugeständnisse zu machen – in der Hoffnung, dass die jeweils anderen es tun, und man selbst ungeschoren davon kommt.
Und schließlich:
Wenn die Bundesregierung sich schon nicht dazu durchringen kann, mit einem heutigen Schulden ebenso großzügig umzugehen, wie dieser es seinerzeit mit Deutschland tat, sollte sie es wenigstens aus dem eigenen Interesse an einer effizienten Regelung tun. Solange nicht mal das geschieht, kann man sich als Kind des Wirtschaftswunders für den hierzulande gepflegten Diskurs vom faulen und verschwenderischen Griechen nur schämen.
Linktipp: Erlassjahr-BLOG