Banken-KV Verhandlungen 2012: Licht und Schatten

Eine Analyse von Fritz Schiller


Am 29. März einigten sich die Verhandlungsteams der ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnenseite nach sieben Verhandlungsrunden auf eine Erhöhung der Entgelte im sog. Financesektor. Vorangegangen waren diesem Abschluss eine Urabstimmung, Demonstrationen und Betriebsversammlungen innerhalb der Arbeitszeit, auf denen vermutlich zum ersten Mal seit Jahrzehnten (wenn nicht sogar seit dem 2. Weltkrieg) Streikbeschlüsse der Angestellten im Financebereich herbeigeführt wurden.

Im Einzelnen sieht die Vereinbarung nun vor:

  • eine Erhöhung der KV-Gehälter um 3,1% plus 9,50 Euro, aber maximal 150 Euro (d.i. bezogen auf die Schemagehälter eine durchschnittliche Erhöhung um 3,47%),
  • eine Erhöhung der Lehrlingsentschädigungen um 3,7%,
  • eine Erhöhung der KV-vertraglichen Kinderzulagen um 3,47%,
  • eine Anrechnung der Karenzzeiten für die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vom maximal 12 Monaten pro Kind das nach dem 1.4.2012 geboren wurde sowie
  • die Behandlung einer „Charta für den verantwortungsvollen Vertrieb von Finanzprodukten“ in diesem Sommer vor.

Der KV ist gültig ab 1.4.2012 und hat eine Laufzeit von zwölf Monaten. Die KV Erhöhung gilt für knapp 80.000 Beschäftigte bei Aktienb anken, Sparkassen, Raiffeisen-, Landeshypotheken- und Volksbanken, Bausparkassen sowie Kreditkartengesellschaften. Die Dienstrechtsverhandlungen für die einzelnen Sektoren werden in den nächsten Wochen aufgenommen.

Ertragslage der österreichischen Banken


Die Ertragslage der österreichischen Banken im letzten Jahr kann als „durchwachsen“ bezeichnet werden. Betrachtet über alle Sektoren reduzierte sich das erwartete Betriebsergebnis um 9,0% auf 7,4 Mrd Euro1. Das erwartete EGT (d.i. das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit) verringerte sich um fast zwei Drittel auf 1,7 Mrd Euro. Zurückzuführen war das v.a. auf eine Verfünffachung der Wertberichtigungen auf Wertpapiere und Beteiligungen auf knapp 3,8 Mrd Euro. Den Löwenanteil daran hatten die Aktienbanken und der Volksbankensektor mit zusammen mehr als 2,6 Mrd Euro zu tragen. Bei allen anderen Sektoren, mit Ausnahme der Landeshypothekenanstalten, erhöhte sich ebenfalls diese Position.


Die Wertberichtigungen aus Eventualverbindlichkeiten und Kreditrisiken, dem Kerngeschäft von Kommerzbanken, reduzierte sich hingegen um mehr als 13% auf gut 2,4 Mrd Euro. Die Bilanzsumme aller Kreditinstitute ging um 2,4% auf 1.006,2 Mrd Euro zurück. Der erwartete Jahresüberschuss wird im abgelaufenen Jahr 1,21 Mrd Euro betragen, nach 4,21 Mrd in 2010 ist das eine deutliche Reduktion um mehr als 70%. In 2009, dem Jahr der internationalen Finanzmarktkrise betrug der Jahresüberschuss gar nur 43 Mio Euro.


Die Cost-Income Ratio (d.i. das Verhältnis von Betriebsaufwendungen zu Betriebserträgen) verschlechterte sich geringfügig auf 60,9% nach 58,3% im Vorjahr, jedoch noch immer unter einem zehnjährigen Durchschnitt von 63,3%. Insgesamt können diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als schwierig für die ArbeitnehmerInnen-Verhandler bezeichnet werden.


Die Verhandlungen


Die gewerkschaftlichen Forderungen wurden am 5. 12. 2011 an die Arbeitgeberverbände übersandt. Konkret wurde gefordert:

  • Eine reale, nachhaltig wirksame Anhebung aller Schemaansätze, Lehrlingsentschädigungen und aller KV-Zulagen (Inflationsrate 2011 plus einem Anteil am realen Wirtschaftswachstum sowie am produktiven Ergebnis der Financebranche),
  • eine Laufzeit von 12 Monate ab dem 1.4.2012 sowie
  • die Anrechnung aller Karenzzeiten für alle dienstzeitabhängigen Ansprüche.


Was bedeuten diese Forderungen? Nachhaltig wirksame Anhebung bedeuten, dass es keine Einmalzahlung gibt. Dabei werden die Schemaansätze nicht erhöht, was sich für alle darauffolgenden Jahre mit einer dann niedrigeren Ausgangsbasis negativ auf die Gehälter der Beschäftigten auswirkt. Von den GewerkschaftsverhandlerInnen wurde weder definiert, was sie unter einem Anteil am realen Wirtschaftswachstum noch am produktivem Ergebnis der Financebranche verstehen. Es wird wohl jener Anteil sein, der nachträglich als über der Reallohnsteigerung hinausgehende Teil interpretiert werden wird. Eine explizite Quantifizierung dieser beiden Parameter wurde weder intern noch extern kommuniziert. Von der seit Jahrzehnten in der österreichischen Gewerkschaftsbewegung geltenden solidarischen, produktivitätsorientierten Lohn- und Gehaltspolitik (= Benya Formel) ist hier nicht die Rede.


Zunächst eröffneten die ArbeitnehmerInnenverhandler die erste Verhandlungsrunde am 17. Jänner entgegen ihrer bisherigen Übung mit der Forderung nach einer Entgelterhöhung von 4,9% über alle Finanzsektoren. Diese Forderung wurde von der Arbeitgeberseite zurückgewiesen und kein Gegenangebot gestellt. Nach einer ergebnislosen zweiten Verhandlungsrunde am 31. Jänner legten die Arbeitgeber in der dritten Verhandlungsrunde (9.2.) ein Angebot von einem Fixbetrag von 30 Euro vor. Im Durchschnitt hätte das eine Erhöhung um rund 1,2% bedeutet. Dieses Angebot wurde von den GewerkschaftsverhandlerInnen abgelehnt und gleichzeitig die Abhaltung einer Urabstimmung in den Betrieben angekündigt.

Das Ergebnis der Urabstimmung war äußerst erfreulich. Es nahmen über 42.600 Personen (von ca 80.000 Bankangestellten) daran teil, im Vorjahr hatten sich nur etwas mehr als 15.000 Personen beteiligt. 98,95% lehnten das vorliegende Arbeitgeberangebot ab, 98% unterstützten die Forderung nach einem Abschluss deutlich über der Inflationsrate von 3,3%. Schließlich, und das ist besonders bemerkenswert, unterstützten 93% weitere gewerkschaftliche Maßnahmen bis hin zum Streik (!). Die gewerkschaftlichen Positionen wurden dadurch massiv unterstützt.

In der vierten Verhandlungsrunde (28.2.) erhöhten die Arbeitgeber ihr Angebot auf 1,5% + 26 Euro (das entsprach einer durchschnittlichen Erhöhung um 2,52%), während die Gewerkschaftsseite ihr Forderung auf 3,7% + 6 Euro (durchschnittlich 3,93%) verringerte. Es kam zu keiner Einigung. Daraufhin wurden am 6. März beeindruckende Protestdemonstrationen der Angestellten aus dem Financebereich organisiert, zu der in Wien und einigen Landeshauptstädten an die 6.000 TeilnehmerInnen gezählt wurden. Allein in Wien kamen zur Abschlusskundgebung auf dem Graben an die 3.000 DemonstrantInnen.

Der am 6.3. stattfindende fünfte Verhandlungstermin wurde ergebnislos auf den 13.3. vertagt. In dieser sechsten Verhandlungsrunde legten die Arbeitgeber ein sog. Letztangebot mit 3,3% und einer Deckelung von 133 Euro vor, während die Gewerkschaftsseite ihre Forderung auf 3,4% + 11 Euro (durchschnittlich 3,83%) reduzierte. Es wurde kein Abschluss erzielt, mit der Folge, dass für den 16. und 19.3. in allen Betrieben Betriebsversammlung während der Arbeitszeit anberaumt wurden. Ziel war es, Streikbeschlüsse auf Vorrat herbeizuführen für den Fall, dass die ArbeitgeberInnenverhandler auf ihrem Letztangebot bestehen würden. Und was viele nicht für möglich gehalten hatten, in den meisten Betrieben wurden mit überwiegender Mehrheit Streikbeschlüsse gefasst, viele davon sogar einstimmig. Nur eine Handvoll von Betrieben verweigerte die vorgeschlagenen Streikbeschlüsse.

Meines Erachtens war es ein taktischer Fehler der Gewerkschaftsseite in der sechsten Verhandlungsrunde nochmals die Forderung zu reduzieren. Durch die überwältigende Unterstützung der Bankangestellten bei der Urabstimmung, der Demonstrationen am 6. März sowie der zahlreichen Streikbeschlüsse hätte es die GewerkschaftsverhandlerInnen auf die ultima ratio ankommen lassen sollen. Dem Argument, die Bankangestellten hätten durch die vergangenen Ereignisse auf den internationalen Finanzmärkten ein schlechtes Image hätte mit einer Informationskampagne über die tatsächlichen Gehaltsstrukturen bei den österreichischen Banken entkräftet werden können. Von den immensen Gehältern und Boni der angelsächsischen Banker ist man in Österreich meilenweit entfernt. Freilich, das muss zugestanden werden, wäre eine Informationskampagne kein leichtes Unterfangen gewesen. Am 28. März schließlich wurde der Kollektivvertragsabschluss für den Financebereich abgeschlossen.

Das Ergebnis

Der Verbraucherpreisindex (nationale Berechnung), die sog. Inflation, erhöhte sich 2011 um 3,3%, der Harmonisierte Verbraucherpreisindex um 3,6% und der von der Statistik Austria berechnete Minwarenkorb, stieg gar um 6,7%. Für 2012 rechnet das WIFO mit einem Anstieg um 2,4%2, die EU-Kommission mit 2,2% (HVPI)3.


Die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität, eine Maßzahl auf die immer vergessen wird, schätzte die EU-Kommission für 2011 auf 1,5%, das Wifo auf 1,4%. Für 2012 wird sie eine geringere Steigerung gegenüber dem Vorjahr aufweisen, und zwar 0,7% (EU-Kommission) bzw -0,5% (Wifo). Somit ergibt sich, wenn man der gewerkschaftlichen Logik folgt, immer die Werte des Vorjahres heranzuziehen, folgender verteilungsneutrale Spielraum:

  • EU-Kommission: 3,3% (Inflation 2011) + 1,5% (Produktivitätsschätzung 2011) = 4,8% oder
  • Wifo: 3,3% (Inflation 2011) + 1,4% (Produktivitätsschätzung 2011) = 4,7%.

Also liegt der Verteilungsneutrale Spielraum zwischen 4,7 und 4,8%. In Abbildung 1 werden die Inflation sowie das Produktivitätswachstum basierend auf Daten der EU-Kommission angezeigt.

Wie auch schon in den vergangenen Jahren wird es für die Beschäftigten im Financebereich eine reale Gehaltserhöhung geben. Folgt man der Gewerkschaftslogik wird es jedoch nur eine geringfügige Erhöhung von knapp 0,12% geben (siehe Abbildung 2). Dürften die Prognosen der EU-Kommission und des Wifo für 2012 eintreffen, so wird die reale Erhöhung doch etwas höher ausfallen, zwischen 1,1 und 1,3%.

Relevanter ist aber die Überprüfung des Verhandlungserfolges anhand der solidarischen, produktivitätsorientierten Lohnpolitik, wie sie oben definiert wurde. Die Verteilungsbilanz, die das Verhandlungsergebnis abbildet (siehe Abbildung 3), zeigt für 2012 ein negatives Ergebnis. Sie wird, ähnlich wie im Vorjahr, bei -1,3% liegen.

Resumee


Das Ergebnis der KV-Verhandlungen ist wieder einmal unbefriedigend ausgefallen. Zum einen wurde ein strategischer Fehler bei der Gehaltsforderung gemacht. Es wurde (wieder) auf die gesamtwirtschaftliche Produktivität vergessen. Ein taktischer Fehler passierte den ArbeitnehmerInnenverhandlern in der sechsten Verhandlungsrunde mit einer nochmaligen Reduzierung der Gehaltsforderung. Sie wäre nicht notwendig gewesen, angesichts der überwältigenden Unterstützung der Bankangestellten. Im Vergleich zu anderen KV-Abschlüssen dürfte sich der des Financebereiches, gewertet seit dem überragenden Abschluss in der Metallindustrie im November letzten Jahres, im unteren Drittel bewegen.


Anstatt 4,7% wurden nur 3,47% erzielt. Es war zwar richtig die niedrigen Gehälter überproportional zu erhöhen, jedoch werden die höheren Gehälter Reallohnverluste hinnehmen müssen. Zudem wird die falsche Vorstellung, dass eine Reallohnerhöhung schon ein Erfolg ist, immer mehr im Bewußtsein der ArbeitnehmerInnen verankert, was volkswirtschaftlich falsch ist.


Die positive Erkenntnis aus diesen Kollektivvertragsverhandlungen ist jedoch, dass die als „biedere und brave“ titulierte Bankangestellte durchaus in der Lage sind, ihre Gewerkschaft zu unterstützen und sogar Streikbeschlüsse fassen kann, obwohl deren gewerkschaftlicher Organisationsgrad zu den schwächsten zählt. Von dieser Kampfbereitschaft hätte die Gewerkschaft Gebrauch machen sollen.

Fritz Schiller ist Ökonom, Betriebsratsvorsitzender bei RCM und stellvertretender Bundessprecher und Arbeiterkammerrat der AUGE/UG in Wien. Er ist Mitglied des  Bundesausschusses des Wirtschaftsbereichs 21 „Banken und Bankiers“ der GPA-djp

2 Kommentare

  1. Ron Berger sagt:

    Eine schöne Reißbrett-Analyse, die leider auf einer völligen Fehleinschätzung der betrieblichen Machtverhältnisse basiert. Zwischen der Bekundung von Streikbereitschaft mittels anonymer Stimmabgabe und tatsächlicher aktiver Streikbeteiligung ist ein Riesenunterschied. Bei uns im Betrieb haben auch über 90% für den Streik angekreuzt, aber aus dem Wissen heraus, dass eine persönliche Beteiligung höchst unwahrscheinlich ist. Wie denn auch, wenn´s hoch hergeht, sind bei uns vielleicht 10% der Mitarbeiter Gewerkschaftsmitglied. Wenn es ernst geworden wäre, hätt außer dem Betriebsrat wohl niemand gestreikt. Und ich nehme an, dass die KV-VerhandlerInnen dem Abschluss nicht deshalb zugestimmt haben, weil sie Weicheier sind, sondern weil sie die Stimmung in den Betrieben einfach realistisch eingeschätzt haben. Dass der Abschluss nicht der Ertragslage entspricht, wissen sie wohl selber. Trotzdem war er gemessen an den Rahmenbedingungen – Stimmungslage in der Bevölkerung, Erstangebot der AG, wenig Gewerkschaftsmitglieder – nicht so schlecht. Die Betriebsversammlungen und die Demo waren wichtig, es war ein erster Schritt, auf dem man aufbauen muss. Bis zum Punkt, wo sich die Beschäftigten an einem Streik beteiligen, ist es noch ein Stück Weg. Ob das Schlechtreden des Abschlusses auf diesem Weg hifreich ist, wage ich zu bezweifeln.

  2. Fritz Schiller sagt:

    sehr geehrter herr „berger“, vielen dank für ihren kommentar.
    ich glaube nicht, dass es sich hier um eine reissbrett-analyse handelt, war ich doch, zumindest zeitweilig, sehr intensiv in meinem betrieb an den unterstützungsaktionen für die kv-verhandlerInnen beteiligt. mich wundert, dass sie für ihren betrieb eine separate auswertung der urabstimmung zitieren. unser betriebsrat übermittelte die stimmzettel direkt, ohne einen blick darauf geworfen zu haben, zur gpa-djp, so wie es ausgemacht war.
    die gewerkschaftsmitgliedschaft ist für die unterstützung der aktivitäten zu den kv verhandlungen kein kriterium. auch in meinem betrieb ist der organisationsgrad verbesserungswürdig. jedoch ist die sensibilität der kollegInnen, ob gewerkschaftsmitglied oder nicht, gerade während der kv verhandlungen sehr gross. auch die beteiligung bei den betriebsversammlungen bewegt sich um ein drittel der gesamten belegschaft, was im schnitt liegt.
    das entscheidende und sehr erfreuliche, ich habe es auch im artikel geschrieben, war, dass auch in banken, die bislang keine betriebsversammlungen (ausser alle vier jahr zur wahl des wahlvorstandes) zustandegebracht haben, auf einmal „die bude voll hatten“. das ist das entscheidende erlebnis dieser kv-runde. die kollegInnen unterstützten ihre betriebsrätInnen bzw. die kv-verhandlerInnen.
    das ist die eine seite. die andere seite bzw. kritik ist nach wie vor, das völlige ignorieren der eigenen lohnleitlinien bzw. das unkritische bewertung der abschlüsse im finance-sektor seit jahren. eine offene diskussion darüber gibt es leider nicht einmal im internen rahmen. das ist schade.
    bg
    f. schiller

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