Budgetkonsolidierung in rot-weiß-rot (I): Grundsätzliches …

Von Schulden als Krisenfolgen, Krisenursachen, Krisenbewältigung und warum das präsentierte Konsolidierungspaket schlichtweg eine Themenverfehlung ist


Also: Beginnen wir nochmals ganz von vorne. Bei der Finanz- und Wirtschaftskrise, die ab 2008 die ganze Welt – mehr oder weniger – heimsuchte. Betroffen waren jedenfalls die US-amerikanische wie auch die europäischen Volkswirtschaften. Milliardenschwere Bankenrettungs- und Konjunkturpakete sowie krisenbedingte Steuerausfälle und Mehrausgaben für Arbeitslosigkeit ließen Budgetdefizite und Staatsschulden wieder deutlich wachsen, nachdem über die Jahre zuvor im Zeichen von Maastricht und Stabilitäts- und Wachstumspakt sich zumindest die Budgetdefizite in (Vertrags-)Grenzen hielten.

Unmittelbarer Zusammenhang zwischen Krise und Staatsschuldenentwicklung

Um einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Krise und wachsender Staatsschuld herzustellen braucht es weder besonders ausgeprägte ökonomische Kenntnisse bzw. Analysefähigkeit, sondern eigentlich nur einen einigermaßen gesunden Hausverstand, es genügt ein Blick auf die volkswirtschaftlichen Kerndaten:

  • 2007, also im letzten Vorkrisenjahr lag das Budgetdefizit in Österreich (EU 27) bei – 0,9 % des BIP (EU 27: – 0,9 % des EU 27 -BIP), die Staatsschulden bei 60,2 % des BIP (59 %).
  • Seit 2008 , also mit Ausbruch der Krise, insbesondere allerdings in den Folgejahren 2009 und 2010 stiegen Defizite und Staatsschulden deutlich. 2009 am Höhepunkt der Krise belief sich das Budgetdefizit in Österreich auf – 4,1 % (EU 27: – 6,9 %), 2010 auf 4,4 % (EU 27: 6,6 %), die Staatsschulden stiegen auf 69,5 % 2009 (74,7 %) und 71,8 % 2010 (80,2 %). 2011 erreichte die Staatsschuldenquote in Österreich schließlich 72,2 %, das Budgetdefizit lag bei – 4,39 %.

(Quelle: Statistik Austria , Eurostat)

Wachsende Staatsschulden und steigende Defizite sind somit ganz offensichtlich nicht Ursache, sondern Folge der Krise!

Die Krisenursachen …

Die Ursachen der Krise wurden und werden von jenen ÖkonomInnen, die nicht einem religiösen Marktfundamentalismus anhängen, ganz woanders als bei der Staatsschuld verortet. Demnach ist die Krise Folge

  • einer über Jahrzehnte hinweg immer ungleicher werdenden Verteilung von Einkommen und insbesondere Vermögen und einer daraus resultierenden schwächelnden Binnennachfrage bei gleichzeitig immer riskanter und spekulativer werdenden Veranlagungsstrategien
  • immer größer werdender makroökonomischer Ungleichgewichte, mit massiven Leistungsbilanzüberschüssen hier (z.B. BRD, Österreich) und entsprechend hohen Leistungsbilanzdefiziten da (z.B. Spanien, Griechenland)
  • liberalisierter und unterregulierter Finanzmärkte mit immer unverständlicheren und spekulativeren Finanzprodukten.

Es sind dies die „drei U“ der Krise: Ungleichheit, internationale Ungleichgewichte und Unterregulierte Märkte.

… wie Krisenbewältigung aussehen könnte ….

Wenn nun diese „drei U“ – und so ziemlich alles deutet darauf hin – also verantwortlich für die Krise sind, sollte eine seriöse Krisenbewältigung – unter die dann auch die Bewältigung der fiskalen Krisenkosten, also der gestiegenen Staatsschulden – also auch an den Ursachen ansetzen und versuchen, diese zumindest ansatzweise zu beheben. Wie könnte eine derartige Wirtschaftspolitik, die an Ursachen und nicht Symptomen ansetzt aussehen?

  • Es könnten beispielsweise steuerpolitische Maßnahmen gesetzt werden, um die ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen einzudämmen. Naheliegende Maßnahmen: vermögensbezogene Steuern inklusive Erb- und Schenkungssteuern, progressivere Einkommenssteuersätze, ein höhere Besteuerung von Gewinnen bei gleichzeitiger Attraktivierung von realen Investitionstätigkeit gegenüber Ausschüttungen und Veranlagungen an den Finanzmärkten. Gleichzeitig gilt es „untere“ und „mittlere“ Einkommen zu stärken, etwa über höhere Transferleistungen, steuerliche Entlastungen oder eine offensive (Mindest-)Lohnpolitik.
  • Die Stärkung „unterer“ und „mittlerer“ Einkommen wäre auch eine wesentliche Maßnahme, um makroökonomische Ungleichgewichte abzubauen: würde etwa die Binnennachfrage in Österreich bzw. in der BRD erhöht würden auch Importe steigen, z.B. aus Ländern mit bislang hohen Leistungsbilanzdefiziten. Auch wenn staatliche Handlungsmöglichkeiten bei der (Mindest-)Lohnpolitik eingeschränkt sind, weil diese Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden obliegt – durch höhere Transferleistungen (z.B. Anhebung von Mindestpensionen oder Niedriglohngruppen im öffentlichen Dienst, Erhöhung des Arbeitslosengeldes etc.), durch Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, durch eine Bekämpfung atypischer und prekärer Beschäftigungsformen oder eine auf (sozial und ökologisch verträgliches) Wachstum und Beschäftigung ausgerichtete Konjunkturpolitik können Masseneinkommen, Nachfrage und Konsum gestärkt werden und auch seitens „des Staats“ Einfluss auf die Einkommenspolitik genommen und einen Beitrag zum Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte geleistet werden.
  • Wenn „unterregulierte“ Finanzmärkte als Mitursache für die Krise ausgemacht werden, liegt die Lösung ohnehin auf der Hand: Regulierung. Etwa durch ein Verbot eines außerbörsischen Derivatehandels, das Verbot riskanter Finanzmarktprodukte, einem Verzicht auf die steuerliche Förderung privater Pensionsvorsorgeprodukte und schärferen Veranlagungsregeln, über eine Finanztransaktions- bzw. Börsenumsatzsteuer, Bankenregulierungen, Einschränkung bis hin zum Verbot von Hedgefondaktivitäten und, und, und. Auch wenn der unmittelbare staatliche Handlungsspielraum begrenzt erscheint und etliche Maßnahmen wohl nur auf europäischer bzw. internationaler Ebene Sinn machen, bleiben doch genug Spielräume auf nationaler Ebene übrig. Auch ein genereller Privatisierungsstopp öffentlicher Leistungen bzw. Unternehmen wäre ein entsprechender Beitrag „Finanzmarktmasse“ einzugrenzen. Dringend geboten erscheint in Österreich auch ein „Schrumpfen“ des Bankensektors: die Bilanzsumme der österreichischen Banken beträgt schließlich das 3,6-fache des Österreichischen BIP! (Werte für 2008, aus Markus Marterbauer: „Zahlen bitte!“)

… und wie die österreichische Realität aussieht

Nun, das Problem bei alledem: es müsste eine gewisse Bereitschaft bzw. Analysefähigkeit geben, die drei U als zentrale Krisenursachen anzuerkennen. Die fehlt allerdings weitgehend, nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa. Bzw.: durchaus werden makroökonomische Ungleichgewichte zwar als Krisenursache anerkannt, allerdings aus dieser Analyse verheerende Schlüsse gezogen. So sehen die im Rahmen des EU-Six-Packs beschlossenen Regelungen Sanktionen nur für jene Länder vor, welche Leistungsbilanzdefizite produzieren – weil sie mehr importieren, als sie exportieren. Und es wird auf diese Länder Druck gemacht, Löhne, Sozialausgaben, Steuern etc. zu senken, um wettbewerbsfähiger zu werden, während Leistungsbilanzüberschussländern keine Sanktionen drohen. Als ob Defizite nicht die eine, Überschüsse die andere Seite der Medaille wären, es das eine ohne das andere geben könnte! Alle Länder als „Exportweltmeister“ kann nicht funktionieren, sondern erzeugt nur eine Lohn- und Sozialstaatsspirale nach unten, welche die wirtschaftliche wie auch sie soziale Krise nur noch weiter zu verschärfen droht.

Nun, bei der Ursachenanalyse happert’s also schon, ist es offensichtlich zu viel einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang zwischen Krise und Staatsschuld herzustellen. Während die SozialdemokratInnen das zumindest noch versuchen und durchaus diesen Zusammenhang noch erkennen, wird dieser von Konservativen geflissentlich ignoriert, passt er doch nicht in ihr Konzept einer an sich bestens funktionierenden Marktwirtschaft und eines „überbordernden“ Sozialstaates der ihnen als unfinanzierbar gilt. Bzw. den sie schlichtweg nicht weiter finanzieren wollen.

Angesichts der Dominanz konservativer Parteien in Europa und ihrer „Interpretationshoheit“ der Krise ist es daher auch nicht weiter verwunderlich, wie Krisenbewältigung in Rechts ausschaut: die Finanz- und Wirtschaftskrise – eine Krise, welche den Glauben an den Markt schwer erschüttert hat, und eine zumindest geringe Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Kurswechsel zuließ – wird zunehmend aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt und in eine Staatsschuldenkrise umgedeutet, die wirtschaftspolitische Agenda entsprechend ausgerichtet: die Staatsschulden seien das Problem, die gelte es abzubauen und jene Bereiche anzugehen, welche als „Kostentreiber“ für „explodierende“ Staatsschulden verantwortlich gemacht werden. Und das sind für Konservative seit jeher die Kernbereiche des modernen Sozialstaates: das umlagefinanzierte Pensionssystem, das öffentliche Gesundheitssystem, die öffentlichen Dienste. Auch wenn die Zahlen eine gänzlich andere Sprache sprechen (Marterbauer im Rahmen seiner Buchpräsentation bei den Unabhängigen GewerkschafterInnen bzw. in den Unterlagen zur ÖGB-AK Konferenz vom 20. Jänner):

  • So ist zwar die Sozialquote – also die Sozialausgaben in % des BIP – von 1970 bis 2008 von 20 auf 28 % gestiegen, wurde der Sozialstaat, sozialstaatliche Leistungen also ausgebaut. Allerdings ist im selben Zeitraum ebenso die Steuer- und Abgabenquote von 34 auf 42 % – also ebenfalls um rund 8 % – gestiegen. Die Ausweitung des Sozialstaates wurde also von den SteuerzahlerInnen selbst finanziert.
  • Auch die öffentlichen Dienste taugen nur wenig als Sündenbock für „explodierende“ Staatsschulden:  während der gesamte Personalaufwand für öffentlich Bedienstete – er ist im Gesundheits- und Bildungsbereich besonders hoch –  sich in Summe auf rund  28 Mrd. Euro beläuft (11 % des BIP) , sind die Staatsschulden seit der Krise um rund 30 Mrd. Euro gestiegen. Die gesamten Personalausgaben im öffentlichen Dienst fallen also geringer aus, als die seit Krisenausbruch angesammelten Staatsschulden!

Nur: was nützen Zahlen, Daten, Fakten gegen ideologischer Borniertheit? Entsprechend sieht auch das „Reform-“, „Struktur-“, „Konsolidierungspaket“ – also jenes 27 Mrd. Euro schwere Was-auch-immer-Sparpaket aus. Sozialdemokratischer Kanzler hin, sozialdemokratischer Kanzler her. Wer sich derartig einer Schuldenbremse in Verfassungsrang verschrieben hat wie er, und Vermögenssteuern offensichtlich mehr als Wahlkampfgag denn als ultimative Forderung gegenüber einem schwächelnden Koalitionspartner sieht, darf sich nicht weiter wundern wenn er ein derartiges „Packerl“ erntet.

Konklusio: glatte Themenverfehlung

In diesem Sinne stellt das vorliegende Konsolidierungspaket über weite Strecken schlichtweg eine glatte „Themenverfehlung“ dar. Es geht nicht die Ursachen der Krise an, sondern lediglich die Symptome. Es verortet Gründe für die steigende Staatsschuld dort, wo sie nicht liegen. Behebt daher nicht die verteilungspolitische Schieflage sondern spart – im Gegenteil – bei sozialstaatlichen Sicherungssystemen, öffentlichen Diensten und bei Einkommen öffentlicher Bediensteter und folgt damit ideologisch beharrlich dem marktdogmatischen und neoliberalen Irrweg der letzten Jahrzehnte, der uns in diese Krise manövriert hat.

Entsprechend setzt dieses Paket keine Impulse für einen sozialen und ökologischen Strukturwandel bzw. für entsprechendes Wachstum und Beschäftigung.

In Umfang und Härte ist es zwar nicht annähernd mit Konsolidierungspaketen vergleichbar, wie sie etwa in Irland, Großbritannien, Italien, Portugal, geschweige denn Griechenland geschnürt wurden. Das Konsolidierungspaket enthält auch durchaus einige begrüßenswerte Punkte – etwa im Bereich der vermögensbezogenen Steuern. Diese sind allerdings vom Aufkommensumfang unzureichend, dienen ausschließlich Konsolidierungszwecken und wirken nicht immer nachhaltig.

Die Auseinandersetzung um eine Wirtschafts- und Budgetpolitik welche an Krisenursachen ansetzt geht daher einmal mehr weiter. Denn dieses Paket wird keinen wesentlichen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten. Die Krise ist damit fortgesetzt. In Österreich. In Europa.

Weitere Beiträge zum Thema:

Budgetkonsolidierung II: (Un)Konkretes

Budgetkonsolidierung III: Alternativen

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