Das war der ÖGB-Bundeskongress: Business as usual?
6. Juli 2009 von adminalternative
Wir erinnern uns noch an den 16. ÖGB-Bundeskongress anno 2007: die BAWAG-Krise hat den ÖGB schwer erschüttert. Vertrauen, Mitglieder, Glaubwürdigkeit – dahin. Offen traten die eklatanten – von kritischen GewerkschafterInnen schon über Jahrzehnte hinweg diagnostizierten und eigentlich auch offensichtlichen – Demokratie-, Transparenz- und Organisationsdefizite zutage.
Am Höhepunkt der Krise wurde so auch vor zweieinhalb Jahren der Reformkongress einberufen. Vieles sollte anders werden: der ÖGB versprach transparenter, demokratischer, unabhängiger und offensiver zu werden. Sich zu öffnen. Er versprach jünger, weiblicher, moderner zu werden, sämtliche Strukturen einer kritischen Analyse zu unterziehen. Kurz: er sollte attraktiver werden, vor allem für jene Beschäftigtengruppen, die bislang vernachlässigt worden waren: Frauen, atypisch Beschäftigte, Junge, höher Qualifizierte, kritische etc. Außerdem sollte kein Vorsitzender einer „überparteilichen“ Gewerkschaft, kein ÖGB-Präsident mehr für eine Partei im Nationalrat sitzen. Man wolle unabhängiger von der Parteien werden und damit auch klarstellen, dass das gewerkschaftspolitische Mandat über dem parteipolitischen stehe. Das versprach zumindest die FSG, die FCG war da weniger begeistert davon und schickte ihren GöD-Vorsitzenden nach wir vor für die ÖVP in den Nationalrat.
ÖGB-Reform? Bitte WAS?
Zweieinhalb Jahre und einen erfolgreichen BAWAG/PSK-Verkauf später, der den ÖGB vor der totalen finanziellen Pleite gerettet hat, ist vom Reformeifer nicht mehr allzuviel übrig geblieben. Tritt die Reform des ÖGB, das Ziel, den ÖGB zur „modernsten“ Gewerkschaft der Welt zu machen, ziemlich auf der Stelle. Mit Wolfgang Katzian sitzt nun auch wieder ein sozialdemokratischer Gewerkschaftsvorsitzender für die SPÖ im Nationalrat, will sich also auch die FSG an ihre selbst auferlegte Distanz zu politischen Parteien nicht mehr erinnern. Die ÖGB-Reform hat ein paar wenige strukturelle Veränderungen gebracht – demokratiepolitisch hat sich nichts getan. Gewerkschafsmitglieder wählen nach wie vor nicht ihre Vorsitzenden, die politische Zusammensetzung der Gremien, werden nicht über Urabstimmungen, Mitgliederbefragungen etc. in die politische Positionierung der Gewerkschaften eingebunden. „Es ist peinlich, wie wenig Reformen wir umgesetzt haben,“ brachte es Klaudia Paiha, Bundessekretärin der UG – Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB auf den Punkt [gesamte Wortmeldung]. Lisa Langbein, Vertreterin der UG im ÖGB Vorstand schlug in dieselbe Kerbe. Sie sollten so ziemlich die einzigen bleiben.
Wirtschaftskrise überdeckt ÖGB-Krise
Die nach wie vor schwelende Krise des ÖGB ist von der schweren Wirtschaftskrise überdeckt. Mit Rudolf Hundstorfer ist der ehemalige ÖGB-Präsident neuerdings Sozial- und Arbeitsminister. Der ÖGB ist staatstragend wie eh und jeh. Zur Eröffnung des ÖGB-Kongresses sprechen der Bundeskanzler, der Bundespräsident – und auch der – zu diesem Zeitpunkt noch geschäftsführende – ÖGB-Präsident. Die Tage darauf gibt es Eröffnungsstatements des Wirtschaftsministers, der Frauenministerin (auch zuständig für den öffentlichen Dienst) und des Sozial- und Arbeitsministers. Die Sozialpartnerschaft funktioniert wieder auf allen Ebenen, soll suggeriert werden. Der ÖGB verhandelt Kurzarbeit, ist voll in den Gesetzgebungs- und -werdungsprozess eingebunden. Verhandelt Arbeitsstiftungen. Der ÖGB verliert kein kritisches Wort zum Bankenrettungspaket, kein kritisches Wort zur staatlichen Kreditgarantie für Unternehmen. Lobt brav die Steuerreform und die Konjunkturkpakte der Bundesregierung.
Der ÖGB vermeint das beste für die ArbeitnehmerInnen in dieser schwierigen Situation zu tun. Ganz staatstragend. Ganz verantwortungsvoll im Blick aufs Ganze. Der ÖGB ist wieder voll da, so wie früher. Für die Mitglieder. Für die ArbeitnehmerInnen. Fragen, was die wollen – die Gewerkschaftsmitglieder, muss frau/mann in Zeiten wie diesen, doch nicht, oder? Die FSG verliert eine AK-Wahl nach der nächsten. Verliert vor allem bei denjenigen, die Kurzarbeiten, die Einkommensverluste hinnehmen müssen. Die ÖGB-Reform ist einmal ausgesetzt. Die Demokratisierung verschoben. Wir haben wichtigeres zu tun in Zeiten der Krise, verlautet es. Sozialpartnerschaftliches Business as usual. Offensichtlich sind allerdings viele ArbeitnehmerInnen nicht mehr bereit diesem Retrokurs zurück in angeblich gute alte Zeiten zu folgen. Jedenfalls wird’s dem FSG-dominierten Gewerkschaftsbund nicht so gedankt, wie er es sich erhoffen würde. Es läßt sich halt nicht auf immer und ewig verdrängen. Das sollte vor allem im Land eines Freud und einer Psychoanalyse inzwischen bekannt sein.
Hin und wieder aufflackernde Kampfeslust
Ja, hin und wieder gab es doch die aufflackernden Momente von Kampfesgeist. Die ArbeitnehmerInnen dürfen nicht die Zeche für die Krise zahlen, das wird der ÖGB zu verhindern wissen, polterte ÖGB- Präsident Foglar. Das System sei gescheitert! Wer nun allerdings erhoffte, dass damit die Marktwirtschaft oder gar der Kapitalismus gemeint sei, wurde – wie eh erwartet – enttäuscht. Nein, das System der Gier und des Finanzkapitalismus sei gescheitert, keineswegs die Marktwirtschaft, der Kapitalismus, als ob diesen nicht die selbstzerstörerische Kraft systembedingt inhärent wäre. Es gänge nun vor allem darum, die Realwirtschaft zu stärken. Als ob sich Finanz- und Realwirtschaft so locker trenne ließe. Als ob weite Zweiger der Realwirtschaft nicht schon längs „finanzkapitalistisch“ aktiv wären, in Wirklichkeit (Investment)Banken mit angehängter Produktion. Als ob nicht – in gutem alten Marxschem Sinne, Ausbeutung im Sinne von Mehrwertproduktion, im Realsektor Tag für Tag stattfinden würde. Diese Kritik an dieser verkürzten und falschen Systemanalyse fand auch in zahlreichen unserer Wortmeldungen (überhaupt kam die überwiegende Anzahl an Wortmeldungen bei diesem Bundeskongress wieder einmal von den wenigen Delegierten der UG im ÖGB) ihren Niederschlag. Zumindest spricht sich der ÖGB für eine umfassende und grundlegende Reform des Steuersystems in Richtung Vermögensbesteuerung aus. Was auch im Rahmen des Grundsatzprogramms des ÖGB beschlossen wurden.
Eines braven keynesianischen Papiers ohne all zu viele Ecken und Kanten, ohne grundlegende Kritik an Bankenpaketen, an verfehlten Konjunkturpaketen etc. das den Bereichen Demokratisierung der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik zugunsten der ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen – also einem tatsächlichen Kurs- und Systemwechsel – sowie einer Ökologisierung des Wirtschaftssystems allerdings kaum Aufmerksamkeit widmet.
Auch hier: Business as usual, nur keine Wellen, nur keine inhaltlichen Höhepunkte, nur nicht zu weit gehen.
Erfreuliches zum Thema Antifaschismus und Antirassismus
Jede der zahlreichen Wortmeldungen der UG endetet mit der Forderung an den ÖGB gegen rassistische und rechte Hetze aktiv zu werden – weil Solidarität unteilbar wäre. Der Wahlkampf der FPÖ im Rahmen der EU-Wahlen, die Zugewinne der Freiheitlichen bei den AK-Wahlen, der Zulauf zur extremen Rechten in Zeiten der Wirtschaftskrise verlange ein aktives Auftreten und entsprechende Kampagnen des ÖGB. „Wo wart ihr?“ fragte etwa Linda Sepulveda, stv. Betriebsratsvorsitzende bei Siemens SIS und Gastdelegierte der (AUGE)UG anlässlich des Schweigens des ÖGB im Rahmen des EU-Wahlkampfes.
Thomas Kerschbaum, Delegierter der (KIV)UG in der GdG fuhr die Freiheitlichen Arbeitnehmer scharf an und forderte den ÖGB auch auf, angesichts der gewerschafts- und migrantInnenfeindlichen Positionen der FA diese nicht länger als Fraktion im ÖGB zu dulden.
Ein Antrag der UG, in das Leitbild des ÖGB klar und unmißverständlich eine antifaschistische und antirassistische Positionierung aufzunehmen [zur Wortmeldung], fand eine überwältigende Mehrheit – Enthaltungen und Gegestimmen waren an einer Hand abzählbar.
Am letzten Tag brachte schließlich die GPA-DJP noch einen Initiativantrag „Gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus“ ein. Im Zuge der Vorstellung des Antrags übten sowohl die Bundesgeschäftsführerin der GPA-DJP Dwora Stein, als auch Willi Mernyi, Kampagnenleiter des ÖGB und Vorsitzender des Mauthausen-Komitees scharfe Kritik an jenen ÖVP und SPÖ-Abgeordneten, welche einen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf erst ermöglichten.
Der Initiativantrag wurde einstimmig angenommen. Anträge alleine werden allerdings nicht reichen – der ÖGB muss offensiv gegen Rassismus, Antisemititsmus und Rechtsextremismus – in der Gesellschaft, aber auch in den eigenen Reihen eingehen. Von den Freiheitlichen Arbeitnehmern war übrigens beim ÖGB-Bundeskongress nur wenig zu sehen und schon gar nicht zu hören. Obwohl auch sie Delegierte und TeilnehmerInnen stellten. Etwas wurde uns allerdings zugetragen: gerüchteweise forderten FA-Delegierte FSGler aus der Bau-Holz-Gewerkschaft auf, sie gegen die ständigen Angriffe der UG in Schutz zu nehmen. Die waren dann allerdings doch nicht bereit dazu …
Apropos DoppelfunktionärInnen: Verzcihtet gpa-djp Chef WOlfgang Katzian auf eines seiiner Gehälter, denn mit beiden kommt der locker über 12.000 Euro brutto, also netto gerechnet sicher mehr als 10 x so viel wie ein NotstandshilfebezieherIn im Durchschnitt erhält. Dwora Stein ist Vizepräsidentin der AK-Wien, und da frag ich mich auch, was die dafür bekommt. Gewerkschaftliche Solidarität hat ursprünglich etwas anders ausgeschaut: In der Gründungsphase der Gewerkschaften (Ende 19 Jhdt.) wurde gut die Hälfte der Mitgliedsbeiträge wieder an die Mitglieder in Form von Kranken- und Arbeitslosengeldern ausgeschüttet. Jetzt frisst das meiste der Gewerkschaftsapparat.
Dafür verhindern beide fleissig, dass die gpa-djp sich endlich für die Recht der Arbeit suchenden arbeitnhemerInnen einsetzt und eine eigene Interessensgemeinschaft – Konzept liegt seit über 4 Jahren in der Schublade – gegründet wird.
In Sachen Reformresistenz braucht dieser ÖGB wahrlich keinen Vergelich mit der Katholischen Kirche zu scheuen, beides sind – in Hinblick auf Demokratieverständnis – im Grunde genommen erzkonservative Organisationen.
Mit solidarischen Grüssen
Martin Mair (am Rande der Armutsgrenze lebend)
Wenn die AUGE eine derart kritische Bilanz ziehen muss, warum gründen die fortschrittlicheren Fraktionen/Gruppe nicht gemeinsam eine neue, unabhängige Gewerkschaft? AUGE und GLB entgehen sicherlich viele Stimmen, weil mensch erst gar nicht bei DIESEM ÖGB mehr Mitglied sein will, der de facto wie das Privateigentum der Sozialdemoktraen geführt wird.
Die paar Brösel, die für GLB und AUGE abfallen machen wohl kaum gut, was sie in wirklich unabhängigen Gewerkschaften an Mitgliedsbeiträgen einnehmen könnten. Der ÖGB ist ja de facto schon fast wie eine gelbe Gewerkschaft: Systemtreu und staatstragend, dem Kapitalismus treu ergeben.
Die meisten Länder der Erde haben keine Einheitsgewerkschaften. Dass die postfaschistischen Staaten Deutschland und Österreich solche haben, wird wohl kein Zufall sein.
AUGE und GLB sollten nicht so viel Energie verschwenden, in überkommenen Strukturen etwas zu erreichen sonder zumindest parallell etwas zeitgemösseres und vor allem demokratischeres und kämpferischeres aufbauen.