Die Zechpreller

Eine kleine Geschichte: Eine muntere, große und feine Gesellschaft fragt bei einem Wirten an. Eine Feier steht an, groß angelegt. Sie hätten gerne ein mehrgängiges Menü, Büffet pikant, sauer und süß, Getränke – vor allem alkoholische- in größten Mengen, einen netten, bestens eingerichteten Raum, entsprechende und umfassende Bedienung bis tief in die Morgenstunden. Nur: der Preis, der verlangt wird – da hat man brav recherchiert – ist dann doch eindeutig zu hoch. Es gebe ja jede Menge anderer Wirte in der Gegend zu denen man gehen könnte, die es wohl billiger geben würden, aber das will der Wirt wohl ganz sicher nicht, gibt die feine Gesellschaft zu bedenken.

Nun das will der Wirt auch wirklich nicht. Der zeigt sich sofort verhandlungsbereit, geht mit dem Preis runter, erfüllt alle Wünsche der feinen Gesellschaft, verzichtet auf jegliche Anzahlung. Das Geschäft will er sich nicht entgehen lassen. Na, die anderen Wirte werden schön schauen, volles Haus bei ihm, leere Gaststätten bei ihnen. Preisnachlässe haben so ihren Preis: Seinem Personal teilt er mit, dass die zusätzlich geleisteten Stunden – Bedienung rund um die Uhr bis tief in die Morgenstunden – leider nicht bezahlen könnte, aber in Zeiten wie diesen müssten eben alle a bißerl eine Flexibilität zeigen, er müsse knapp kalkulieren, weil die Konkurrenz schläft nicht und ist überall. Schließlich würden allerdings auch sie – die Angestellten – davon profitieren, dass die liebe Gesellschaft käme, weil würde sie nicht kommen, würde er dieses Geschäft nicht machen, heißt weniger Geld, dafür mehr Geld für den Wirten daneben – und die lieben eigenen KellnerInnen, KöchInnen etc. wären nicht mehr eigen, sondern könnten sich gleich einmal nach einem neuen Job umschauen. Aber, stellt er ihnen in Aussicht, vielleicht fällt für sie ja a bißerl ein Trinkgeld an, auch nicht schlecht. Das Personal nimmt zähneknirschend an.

Die feine Gesellschaft kommt und stellt sich bald als keineswegs so fein heraus. Der Wein paßt nicht, also werden die besten Flaschen aus dem Keller geholt. Am Menü, an der Menüfolge wird auch dauernd rumgemäkelt, beim Nachbarswirten wärs ja viel besser und viel billiger. Das Personal rennt und rennt, wird dennoch angepflaumt und beschimpft, der Wirt wird langsam etwas nervös, stellt ein paar Gratisflaschen auf den Tisch und spendiert noch eine Runde Schnaps, gilt es doch, die Kunden bei Laune zu halten.

Da wird gefressen und gesoffen was geht, die Stimmung steigt mit jeder zusätzlich geleerten Flasche, so manchem feinen Gesellschafter bleibt das eben Gegessene und Getrunkene nicht im Magen. Lieber sich den Magen verrenken, statt dem Wirten schenken. Das Personal schrubbt und putzt, ist ja flexibel. Was tut frau/mann nicht alles für ein wenig Trinkgeld und der Kunde ist ja schließlich König.

Es wird immer später. Das Personal ist schon recht erschöpft. Und die feine Gesellschaft wird immer unfeiner. Gläser kaputtgeschlagen, ebenso Flaschen, ebenso Einrichtungsgegenstände. Ein ordentlicher Schaden ist entstanden. Der Wirt trägts mit Fassung. Beim geprüften Personal grummelts etwas. Jetzt geht’s ans Zahlen. Die Rechnung und der Schaden muss ja auch beglichen werden. Nun gibt’s allerdings ein kleines Problem. Die feine Gesellschaft will und will einfach nicht. Nicht, dass sie nicht könnte, die Brieftaschen sind prall gefüllt. Nicht, dass sie nicht müsste, sie hat ja konsumiert auf Teufel komm raus, und hat den Schaden ja auch angerichtet. Kein anderer. Sie will einfach nicht.

Nun, würde frau/mann denken, irgendwann sollt’s wohl auch einmal dem Wirten reichen. Jetzt ist er diesen Herrschaften so entgegengekommen, beim Preis, beim Service, bei den Zusatzleistungen – und was hat er davon? Nicht nur eine offene Rechnung sondern auch noch einen ordenlichen Sachschaden. Aber weit gefehlt, der Wirt ist freundlich, ja fast verständnisvoll. Selbst als die kecke, feine Gesellschaft sogar eine verbindliche Garantie vom Wirten haben will, dass er für Rechnung wie Schaden aufkommt. Das kann ja wohl nicht ihr Ernst sein! Aber – was macht der Wirt? Er gibt sein Okay dazu!

Er ruft sein Personal zu sich. Mit ernster Miene teilt er den erschöpften, übermüdeten KellnerInnen, KöchInnen, ReinemacherInnen etc. mit, was sie ohnehin schon wissen: der Schaden ist groß, die Rechnung erst recht. Dass es angesichts dieser triesten Lage leider nicht nur mit dem Trinkgeld nix wird, sondern dass – im Gegenteil – jetzt alle seine Beschäftigten einen Beitrag leisten müssen, damit Schaden und Rechnung beglichen werden können. Man dürfe der feinen Gesellschaft nicht zu nahe treten, denn die ist scheu wie ein Reh, ausgesprochen sensibel und schnell beleidigt.

Die feine Gesellschaft tritt nun ebenfalls an das Personal heran – das ist nach wie vor geschockt, verblüfft, fassungslos, wie gelähmt – und teilt ihm mit, dass nun mal irgendwer ja dem Wirten die Zeche zahlen müsse, der muss ja auch von irgendwas leben. Und sie das jedenfalls nicht seien, falls irgendwer doch auch die blöde Idee kommen sollte. Schließlich könnten sie ja immer noch zum Wirten nebenan gehen, und dann, eh schon wissen. Dafür verprechen sie – der feine Herr links in der Ecke übergibt sich gerade wieder einmal, während der noch feinere Herr rechts in der Ecke eine weitere Flasche feinsten Burgunder köpft – für das nächste mal etwas mehr Mäßigung. „In einer Solidargesellschaft ist es nun mal so, daß die anderen immer für die einen einstehen,“ lallen sie daher, „Jetzt muss die Zeche bezahlt werden,“ meinen die Zechpreller und murmeln irgendwas daher von „über den Verhältnissen gelebt“, „euch geht’s eh zu gut“ … und selber schuld, weil hätten sie – also die KellnerInnen – nicht so viel zum Fressen und Saufen gebracht, hätten sie selbst – also die feinen Gesellschafter – ja schließlich auch nicht …

Wirt und feine Gesellschaft sind sich überraschend schnell einig, durch Handschlag und eine weitere Schnapsrunde besiegelt. Er will sich’s ja mit seinen Kunden nicht verscherzen – nicht heute, nicht morgen. Der Wirt gibt bereitwillig eine umfassende Haftungserkärung für den Schaden und für die unbezahlte Rechnung ab, und läßt sie sich diese im Gegenzug von den KellnerInnen, von den KöchInnen, bezahlen. Schließlich ginge es ja um die Existenz des Wirtshauses als Ganzes, verkündet er seiner Belegschaft. Da müssten schon alle – pardon fast alle – bereit sein, ein Opfer zu leisten und zusammenzuhalten. Er ruft ganz euphorisiert das „Projekt Wirtshaus neu“ aus. Die feine Gesellschaft ist begeistert, applaudiert und torkelt nach Hause.

Die anderen dürfen aufräumen. Und die Spendenbox füllen, die der Wirt ihnen aufgestellt hat. Ja, und die Gratismahlzeit ist natürlich ebenso gestrichen, wie Gratisgetränke. Und der freie Tag. Die Sperrstund fällt. Alle – also die KellnerInnen, KöchInnen, eh schon wissen – dürfen am gemeinsamen Projekt Wirtshaus neu mitarbeiten. Unbezahlt natürlich, voll solidarisch. Warme Küche von nun an bis 24.00 Uhr statt bis 22.00, Trinkgelder sind solidarischerweise natürlich abzuliefern.

Eine irre Geschichte? Eine Unverfrorenheit der feinen Gesellschaft? Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit? Reinste Zechprellerei? Eine Geschichte fernab jeder Realität? Dann ersetze frau/mann doch einfach einmal „feine Gesellschaft“ durch „Industriellenvereinigung“, „Wirt“ durch „Vizekanzler“, „Personal“ durch „ArbeitnehmerInnen“ und „Projekt Wirtshaus neu“ durch „Projekt Österreich“. Dann könnte frau/mann sich nämlich ziemlich rasch in einem realitätsähnlichen Zustand befinden, der besser als Österreich bekannt ist.

2 Kommentare

  1. hc voigt sagt:

    lustig, da stoße ich heute, wegen deiner parabel, auf ein blogpost von mir, mit ähnlichem gehalt:

    es gilt das verursacherprinzip, stupid!

    (schon wieder so lang her. pfff.)

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