Kollektivvertrag hui, gesetzlicher Mindestlohn pfui? Eine Entgegnung auf Christoph Klein

Wurz_150Von Lukas Wurz

Die Einigung der bundesdeutschen Regierungskoalition auf einen gesetzlichen Mindestlohn von € 8,50 in der Stunde hat AK und ÖGB in einen Argumentationsnotstand gebracht: „Warum (findet) sich kein Pendant im wenig später abgeschlossenen österreichischen Koalitionsübereinkommen“, fragt sich Christoph Klein am 18. Februar auf dem Blog der Gewerkschaftszeitung Arbeit & Wirtschaft. Die Frage ist eine rein rhetorische und dient dem Autor einzig dazu, gegen die Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohns in Österreich zu argumentieren. Wobei das Wort „argumentieren“ in diesem Fall ein Euphemismus ist: Christoph Klein arbeitet nicht nur mit falschen Zahlen und unbelegten Behauptungen, er stellt den gesetzlichen Mindestlohn gegen das österreichische Kollektivvertragswesen. Das ist in etwa so wie die Behauptung, wer im Sommer gerne baden geht, könne im Winter nicht schifahren gehen … .

Eine Entgegnung

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Es sind drei zentrale Behauptungen, die der Autor gegen einen gesetzlichen Mindestlohn anführt.

  1. In Österreich sei ein gesetzlicher Mindestlohn auf Grund der hohen Kollektivvertragsabdeckung und der (im Unterschied zu Deutschland) allgemeinen Gültigkeit der Kollektivverträge nicht notwendig.
  2. Der in Deutschland anvisierte Mindestlohn liegt unter den in Österreich kollektivvertraglich geregelten Löhnen.
  3. Ein gesetzlicher Mindestlohn untergräbt Kollektivverträge und schwächt die Gewerkschaft.

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Alle drei Behauptungen sind falsch. Und das scheint auch Christoph Klein zu wissen: Wahrscheinlich deshalb greift er daher auch noch auf ein – seit mehr als 20 Jahren hinreichend falsifiziertes – Konstrukt neoliberaler IdeologInnen zurück, wonach gesetzliche Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten.  Aber Mal von Vorne:

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Wie ist das eigentlich so ganz genau mit den Kollektivverträgen in Österreich?

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Tatsächlich ist die Rechtswirkung von Kollektivverträgen in Österreich weit stärker, als in Deutschland. Sie gelten für alle Menschen in einer Branche und regelmäßig bundesweit. Dennoch steigt die Zahl der Menschen, die von Kollektivverträgen nicht geschützt werden, stetig und stark an. Neu entstehende Wirtschaftsbereiche sind oftmals (noch) nicht oder in nicht ausreichendem Maße geschützt. So dauerte es etwa mehr als ein Jahrzehnt, WebjournalistInnen, Beschäftigte in Erwachsenenbildungseinrichtungen oder viele MitarbeiterInnen in der Sozialbranche mit Kollektivverträgen zu schützen.

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Kollektivvertragsfreier Willkür sind im Übrigen die stark ansteigende Zahl von Menschen, die in Vereinen arbeiten, betroffen (NGOs, aber durchaus auch zahlreiche Projekte in den Bereichen Kultur, Umwelt, Wissenschaft & Forschung,…). Dazu kommt, dass Unternehmen verstärkt dazu übergehen, Ausgliederungskonstruktionen (etwa für Projektarbeiten) zu entwickeln, um aus dem Kollektivvertragssystem zu kommen bzw. in für sie günstigere Kollektivverträge zu gelangen. Wenn Christoph Klein in seinem Beitrag behauptet, „dass fast 100% der österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereits einen geregelten Mindestlohnanspruch haben“, so argumentiert er an der Realität vorbei und eignet sich eine Definition von „Anspruch“ an, aus der sehr viele Menschen, ganz besonders Beschäftigte in Vereinen, geringfügig Beschäftigte oder ProjektarbeiterInnen, ausgegrenzt werden.

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Eine Studie zur Kollektivvertragsabdeckung aus dem Jahr 2010 kommt zu einer Kollektivvertragsabdeckung von knapp 87% (Stefan Bauer, Die kollektivvertragliche Deckungsrate in Österreich: Analyse, Darstellung  und Diskussion der kollektivvertraglichen Deckungsrate sowie der verbunden Problembereiche. Wien 2010). Oder anders gesagt: 440.000 Menschen in Österreich arbeiten ohne geregelten Mindestlohnanspruch. . Doch selbst wenn Christoph Klein nicht ein wenig geschummelt hätte und Österreich tatsächlich eine 100%ige Kollektivvertragsabdeckung hätte, so wäre für ihn mit seinem Argument nicht viel gewonnen. Immerhin kommt es auch darauf an, wie hoch der Mindestlohn ist. Und da gibt es zahlreiche Kollektivverträge, die erschreckend niedrige Löhne vorsehen.

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Wie hoch muss ein existenzsichernder Arbeitslohn zumindest sein?

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Es gibt eine international geführte wissenschaftliche Debatte über die Höhe eines existenzsichernden und „gerechten“ Mindestarbeitslohns. In dieser wurden mehrere Modelle vorgeschlagen und diskutiert. Die Statistik Austria etwa veröffentlichte 2011 einen Beitrag über Niedriglohnbeschäftigung, die 66 % (zwei Drittel) des Medians des Bruttostundenlohns von Vollzeitbeschäftigten als Wert vorschlug. Im Jahr 2014 wird dieser Wert in etwa bei ca. € 8,70  brutto3 liegen. Diese Höhe schlägt daher auch die AUGE/UG vor.

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Einige von der Europäischen Union in Auftrag gegebene Studien gingen hingegen von 60% des Medians des Bruttostundenlohns aller Beschäftigten aus, was zumindest in Österreich – wo Teilzeitbeschäftigte deutlich niedrigere Bruttostundenlöhne erhalten als Vollzeitbeschäftigte – für das Jahr 2013 zu einem niedrigeren Wert von etwa € 8,56 brutto pro Stunde führt. Diesen Wert als Ausgangspunkt akzeptierend (das entspricht bei Vollzeitbeschäftigung in etwa € 1500 brutto pro Monat) lohnt es sich, eine Suche nach niedrigeren Kollektivvertragslöhnen zu starten. Und es dauert nicht lange, bis Suchende fündig werden: ServiererInnen in Konditoreien verdienen laut Kollektivvertrag selbst „mit besonderer Berufserfahrung“ nur € 7,53 in der Stunde. Und ArbeiterInnen in diesen Betrieben können selbst nach mehr als vier Jahren Betriebszugehörigkeit nur mit € 8,18 brutto pro Stunde rechnen. FriseurInnen erreichen die Lohnhöhe von € 8,50 brutto erst nach sechs Jahren Betriebszugehörigkeit. Und im für Wien derzeit geltenden Kollektivvertrag für das Gastgewerbe gibt es Beschäftigtengruppen, die selbst nach 21 Vollzeit-Arbeitsjahren nicht in die Nähe von € 1.500,- brutto im Monat kommen.

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Einer Studie von Eurofound im Auftrag der Europäischen Union folgend (veröffentlicht im Oktober 2013) verdienen in Österreich knapp 15% aller Beschäftigten weniger als den geschilderten Ausgangswert (von etwa € 8,50 brutto in der Stunde). Das sind sage und schreibe 540.000 Menschen. Stellt sich die Frage, wie sehr sich diese 540.000 Menschen vom kollektivvertraglichen Mindestlohnanspruch geschützt fühlen…

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Da hilft es auch nicht, wenn Christoph Klein mit einer haarsträubenden Rechnung darzustellen versucht, dass die Menschen in Österreich ohnehin mehr verdienen als mit einem € 8,50 Stundenlohn in Deutschland, indem er fiktive deutsche Löhne mit 40 Stunden und 52 Wochen multipliziert, um sie dann durch 14 zu teilen. Auch in Deutschland gibt es Urlaubs- und Weihnachtsgeld (wenn auch in niedrigerem Ausmaß als in Österreich). Das Ergebnis (€ 1262,-) stellt er die Feststellung gegenüber, dass es „In Österreich (…) es schon jetzt in zwei Drittel aller Kollektivverträge keine Lohngruppe mehr mit einem unter 1.300,- Euro liegenden Kollektivvertragslohn“ mehr gäbe. Davon haben aber jene Beschäftigten in Lohngruppen unter € 1500 allerdings sehr wenig. Seriös argumentiert müsste Klein dem deutschen Mindestlohn von € 8,50 brutto in der Stunde (eben mal 13) österreichische Mindestlöhne – zB. jenen von ServiererInnen in Konditoreien – gegenüberstellen. Und siehe da: Während € 8,50 in Deutschland zu einem Jahreseinkommen von € 19.153 führt, kommt die Serviererin in Österreich trotz 13. Und 14. Monatsgehalt nur auf € 18.272.

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Untergräbt ein gesetzlicher Mindestlohn Kollektivverträge? Schwächt er die Gewerkschaft?

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Weil Christoph Klein nicht mit realen Fakten zu seinem gewünschten Ergebnis gelangt, gleitet er ins Esoterische ab: Mindestlöhne, will er nahelegen, treten an Stelle von Kollektivverträgen. Sie schließen sich gegenseitig aus. Das ist natürlich Humbug: In fast allen Ländern mit gesetzlichen Mindestlöhnen existieren diese und Kollektivverträge nebeneinander. Die gesetzliche Untergrenze ist ja nichts anderes als eine Untergrenze. Und da Kollektivverträge, wie Klein selbst einräumt, weit mehr regeln als Mindestlöhne, können, ja müssen sie sogar, neben einer Mindestlohnregelung weiter existieren.

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Und auch die von Klein behauptete Abhängigkeit der Gewerkschaften von der Politik in Zusammenhang mit einem Mindestlohngesetz geht völlig ins Leere. Es gibt – unter anderem von der AUGE – sehr elaborierte Vorschläge für ein Mindestlohngesetz, in denen das alles berücksichtigt ist. Ein Mindestlohn muss nicht jährlich neu festgesetzt werden. Die AUGE (und mit ihr auch die Grünen) schlagen etwa vor, den gesetzlichen Mindestlohn automatisch an die Entwicklung des Tariflohnindex zu koppeln (womit ja die Notwendigkeit der Kollektivverträge, aus denen der Tariflohnindex errechnet wird, sogar im Mindestlohngesetz festgeschrieben wäre).

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Ideologisches Voodoo: Mindestlöhne zerstören Arbeitsplätze

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Jeden Rahmen seriöser Argumentation verlässt Klein, wenn er behauptet, dass gesetzliche Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten. Als Ökonom weiß er selbstverständlich, dass diese Behauptung spätestens seit 1999 nachhaltig widerlegt ist und letztlich genau zur Festlegung auf den 60%-des-Medianwerts als Schwellenwert geführt hat. Zusammengefasst: Es gibt in den letzten 15 Jahren kein einziges Beispiel der Schaffung oder Erhöhung eines Mindestlohns, der die Zahl der Arbeitsplätze verringert hätte. Im Gegenteil: Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen die Erhöhung von Mindestlöhnen positive Effekte nach sich zog: Die Zahl der MindestlohnbezieherInnen wurde reduziert, der gesellschaftliche Reichtum stieg und die steigende Kaufkraft von Menschen mit niedrigen Einkommen schuf zusätzliche Nachfrage und neue Arbeitsplätze.

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Was bleibt

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Ein gesetzlicher Mindestlohn von zumindest € 8,50 brutto pro Stunde in Österreich würde selbstverständlich keine Arbeitsplätze gefährden. Skurril ist allein schon die Idee, dass Unternehmen auf (möglicherweise auf Grund höherer Niedrigstlöhne verringerte) Gewinne verzichten würden, weil sie z.B. einen € pro Arbeitstunde mehr zu bezahlen hätten. Haarsträubend wird es, wenn Christoph Klein – im Gleichklang mit den Voodoo-IdeologInnen der Wirtschaftskammer – vor Auslagerungen auf Grund von gesetzlichen Mindestlöhnen warnen: Schwer vorstellbar, dass die von Niedrigstlöhnen betroffenen Branchen ihre Dienstleistungsangebote auslagern: Wandern wirklich alle FriseurInnen, Konditoreien, gewerblichen Bäcker, RechtsanwältInnen, ÄrztInnen oder WirtschaftstreuhänderInnen ins Ausland ab, weil sie ihren MitarbeiterInnen höhere Löhne zahlen müssen?

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Natürlich nicht… Niedrigstlöhne in Österreich sind fast ausschließlich in nicht verlagbaren Branchen anzutreffen: Wer in Österreich Brot oder Kaffee und Kuchen verkaufen will, Gäste bewirten oder PatientInnen und KlientInnen betreuen möchte, muss dies zwangsläufig in Österreich selbst tun. Wer seine Büros reinigen lassen möchte, kann die nicht auf die Schnelle mal in ein Niedriglohnland schicken. Und in Österreich gefallener Schnee kann auch nicht in der Slowakei oder der Ukraine geräumt werden… . All das weiß Christoph Klein. All das erzählt er aber nicht, weil es nicht in seine Argumentation hineinpasst. Bleibt die Frage: warum um alles in der Welt ist er so versessen darauf, einen gesetzlichen Mindestlohn, der das Leben von 540.000 Menschen verbessern würde, schlechtzureden…?

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Lukas Wurz ist Sozialreferent im Grünen Parlamentsklub, AUGE/UG AK-Rat in Wien und Vertreter der AUGE/UG im Hauptverband der Sozialversicherungsträger

5 Kommentare

  1. Danke für den Artikel!

    Also 8,50 wie es die Grünen fordern und die AUGE/UG übernommen hat, finden wir für ein reiches Land wie Österreich schon beschämend wenig. Arbietsloseninitiativen in Deutschland und auch wir fordern schon seit 5 Jahren 10 Euro/Stunde, das heißt wir wären schon bei etwa 11 Euro/Stunde.

    Was wir noch vermissen: Österreich hat sich bereits in den 70er Jahren durch Unterzeichnung des Internationen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kultrurelle Rechte zur EInführung eines gesetzlichen Mindestlohns verpflichtet, denn er gehört nun einmal zu den sozialen Menschenrechte.

    Österreich wurde ja auch schon von der UNO wegen Nichteinführung des gesetzlichen Mindestlohns kritisiert!

    Schade, dass die Grünen als angebliche Menschenrechtspartei so oft auf die sozialen Menschenrechte vergessen …

  2. Fritz Zeilinger sagt:

    Lieber Lukas!

    Wenn du bei deinen Rechenbeispielen inklusive 13./14. Gehalt letztlich bei ServiererInnen landest, dann drängt sich die Frage nach dem Trinkgeld ja geradezu auf.

    Da ich Christoph Klein schon lange kenne, kann ich mir nicht vorstellen, dass er bei seiner Analyse von unlauteren Motiven getrieben war.

    Daher wäre ein wertschätzenderer Stil deiner Antwort angebracht gewesen, auch wenn ich dir zustimme, dass sich Mindestlohn und engagierte KV-Politik der Gewerkschaften gut vertragen würden.

  3. lukas sagt:

    ich schätze christoph klein sehr. trotzdem verlässt sein beitrag jede seriöse ebene. und gerade weil christoph klein hochkompetent ist, muss sein versuch der trivialisierung eines problems, das mehr als 500.000 menschen in österreich betrifft, klar benannt werden. alles andere bedeutete, ihn nicht ernst zu nehmen… ich nehme ihn aber ernst.
    und verzeih: das trinkgeld-argument ist auch ein wenig aus der luft gegriffen. serviererInnen in deutschland erhalten auch trinkgeld. ordinationsgehilfInnen von ärztInnen, kanzleikräfte von wirtschaftstreuhänderInnen, arbeiterInnen in bäckereien oder kinderbetreuerInnen in privaten betreuungseinrichtungen (alle mit weniger als € 8,50 brutto in der stunde) nicht.

  4. R.T.Z. Scheu sagt:

    Mindestlohn ruiniert die Wirtschaft sicher nicht, wenn man bedenkt, wieviel zB die zig Versager der Hypo Alpe Adria verdienen.

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