Niedriglohnbeschäftigung in Österreich 2010

mindestlohn_swDer Anteil der Niedriglohnbeschäftigten ist seit 2006 von 14,1 % auf 15,1 % gestiegen. Hauptsächlich betroffen: Frauen, gering qualifizierte und „atypisch“ Beschäftigte.
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„Ausmaß und Struktur der Niedriglohnbeschäftigung in Österreich 2010“ – so lautet der vielleicht etwas sperrig klingende Titel  eines Beitrag von Tamara Geisberger in den Statistischen Nachrichten 7/2013. Gleich viel weniger sperrig geht’s dann allerdings im Artikel gleich zur Sache: Denn die aktuellen Zahlen zur Entwicklung der Niedriglohnbeschäftigung sind alles andere als beruhigend. Es besteht dringender politischer Handlungsbedarf.

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Mit einem Anteil von 15,1 % Niedriglohnbeschäfigte im Jahr 2010 liegt Österreich zwar unter dem EU-Schnitt (17 %). Gestiegen ist er in den Krisenzeiten allemal. Niedriglohnbeschäftigung hat dabei auch ein Geschlecht: während „nur“ 8,7 % der Männer Niedriglohnbeschäftigte sind, liegt der Frauenanteil bei 24,2 %. Wenig überraschend: „atypisch“ Beschäftigte arbeiten öfter zu Niedriglöhnen (27,4 %) als Beschäftigte in einem „Normalarbeitsverhältnis“ (9,4 %). Während im Falle „atypischer“ Beschäftigung sich der Frauen- (29,4 %) und Männeranteil (23 %) an Niedriglohnbeschäftigten annähert, arbeiten im Falle eines Normalarbeitsverhältnisses zwar nur 5,9 % der Männer zu Niedriglöhnen, allerdings gleich 18,3 % der Frauen!
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Definition „Niedriglohn“

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Wie definieren sich eigentlich „Niedriglöhne“? Die international gängige Definition legt die Niedriglohngrenze bei zwei Drittel des Medianlohns fest. Bezogen auf den Bruttostundenverdienst (ohne Über- bzw. Mehrstunden) lag der mittlere Stundenlohn 2010 bei € 12,79, die Niedriglohnschwelle damit bei € 8,52. Die Niedriglohnschwelle läge damit – bei Vollzeit – bei monatlich € 1.476 (14 x jährlich). Der durchschnittlich bezahlte Niedriglohn in Österreich lag dabei 2010 bei 7,59 € – also noch einmal deutlich unter der Niedriglohnschwelle.
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Der Anteil an Niedriglohnbeschäftigten ist in jenen Ländern am niedrigsten, wo im EU-Vergleich überdurchschnittlich hohe Löhne und Gehälter bezahlt werden – in Belgien, Finnland, Frankreich, aber auch Schweden und Dänemark. Österreich lag hinsichtlich der Stundenverdienste in etwa im EU-Mittelfeld. „Ausreißer“ sind allerdings Länder wie Deutschland, Irland , die Niederlande und Großbritannien: liegen in diesen Ländern die Stundenlöhne auch über EU-Schnitt, ist auch der Anteil an Niedriglohnbeschäftigten überdurchschnittlich. In Deutschland lag dieser 2010 etwa bei 22,2 %. Unten den 15 „alten“ EU-Mitgliedsstaaten weist Deutschland damit den größten Niedriglohnanteil aus.
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Bildungsabschluss und Niedriglöhne

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Ein enger Zusammenhang besteht zwischen Bildungsabschluss und Niedriglohnbeschäftigung: während EU-weit 29 % der Beschäftigten mit höchstens Pflichtschulabschluss unterhalb der Niedriglohnschwelle arbeiteten, reduzierte sich dieser Anteil bei Matura/Kollegabschluss auf 19,3 %, bei einem Universitätsabschluss auf 5,8 %. Geisberger:

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„Gering Qualifizierte waren damit fünfmal so oft von Niedriglohnbeschäftigung betroffen wie Beschäftigte mit einem Tertiärabschluss.“

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Noch dramatischer stellt sich die Situation in Österreich dar: hier arbeiteten gleich 35,2 % der PflichtschulabsolventInnen zu Niedriglöhnen, allerdings schon nur noch 12,4 % der ArbeitnehmerInnen mit Sekundar- und 3,2 % der Beschäftigten mit Uni-Abschluss. In Deutschland lag der Anteil der beschäftigten PflichtschulabsolventInnen die unter der Niedriglohnschwelle lagen sogar bei 54,6 %.
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Niedriglöhne und Geschlecht

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EU-weit arbeiten 21,2 % der Frauen und 13,3 % der Männer zu Niedriglöhnen. In allen EU-Ländern – mit Ausnahme Bulgariens – lag der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten bei den Frauen über jenem der Männer. Während in Schweden nur 3,1 % der Frauen und 1,9 % der Männer Niedriglohnbeschäftigte sind waren es im „Spitzen-Niedriglohnland“ Lettland 28,7 % der Frauen und 26,7 % der Männer. In Österreich arbeiten – wie bereits erwähnt – nicht wesentlich weniger 24,8 % der Frauen, aber nur 8,2 % der Männer zu Niedriglöhnen. Der Anteil der Frauen unter den NiedriglohnbezieherInnen ist damit dreimal so hoch wie jener der Männer. Die Autorin:
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„Im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten ist das der größte Abstand zwischen den Geschlechtern in der gesamten EU. Der im europäischen Vergleich insgesamt leicht unterdurchschnittliche Niedriglohnanteil beruht somit auf den relativ guten Verdiensten der Männer, die weitgehend über der Niedriglohnschwelle liegen, während die Frauen in Österreich von Nideriglohnbeschäftigung überdurchschnittlich betroffen sind.“

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Auch trauriger Rekord in Österreich: Auch hinsichtlich des „Gender Pay Gap“ – des geschlechtsspezifischen Lohnunterschieds, ohne Anpassungen – zählt Österreich zur europäischen Spitze – nur geschlagen von Estland. Hier arbeiten übrigens 30,1 % der weiblichen Beschäftigten zu Löhnen unter der Niedriglohnschwelle …
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„Atypische“ und Junge stärker betroffen

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Wenig überraschend: atypisch Beschäftigte arbeiten häufiger zu Niedriglöhnen als Vollzeitbeschäftigte (siehe oben). Lag 2010 das Medianeinkommen 2010 eines/r ArbeitnehemerIn in einem „Normalarbeitsverhältnis“ bei 13,77 Euro, verdienten „atypisch“ Beschäftigte mit 10,53 Euro schon deutlich weniger. Der mittlere Niedriglohn lag bei „normal“ arbeitenden bei 7,65 Euro, bei „atypischen“ bei annähernd gleichen 7,57 Euro.
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Grundsätzlich sind „atypisch“ Beschäftigte öfter in unteren Lohngruppen zu finden: Während 90,6 % der „normal“ Beschäftigten  über 8,52 Euro/Stunde verdienten, lag der Anteil der „Atypischen“ in dieser Einkommensgruppe nur noch bei 72,6 %. Dafür lag das Stundeneinkommen von 13 % der Atypischen unter 7,52 Euro, allerdings nur bei 4 % der „Normalbeschäftigten“.
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Ebenfalls in der Gruppe der Niedriglohnbeschäftigten stark vertreten: Die Unter-30-Jährigen. 24 % der Jugendlichen arbeiteten zu Niedriglöhnen. Bei den Älteren sank der Niedriglohnanteil dagegen deutlich unter den Durchschnitt von 15,1 %.

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Niedriglohnbranchen

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Die höchsten Anteile an Niedriglohnbeschäftigten finden sich in den Wirtschaftsbereichen „Gastronomie und Beherbergung“ (61,9 %, wobei Trinkgelder nicht erfasst sind), bei den „Sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“ (32,9 %, darunter Wach- und Sicherheitsdienste, Gebäudebetreuung, Arbeitskraftvermittlung …) und den „Sonstigen Dienstleistungen“ (24,2 %, u.a. Frisör- und Kosmetiksalons, Wäschereien, Saunas, Solarien). Im Beitrag in den Statistischen Nachrichten heißt es dabei:

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„Der hohe Niedriglohnanteil in diesen drei Wirtschaftsabschnitten beruht darauf, dass nicht nur atypisch Beschäftigte, sondern auch Beschäftigte mit einem Normalarbeitsverhältnis stark von Niedriglohnbeschäftigung betroffen sind.“

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So liegt zwar auch in Wirtschaftsbereichen wie „Kunst, Unterhaltung und Erholung“ (22,3 %), im „Handel“ (20,8 %) oder im „Verkehr“ (17,3 %) der Niedriglohnanteil über Durchschnitt, „bei Personen mit einer auf Dauer angelegten Vollzeitbeschäftigung war der Anteil jedoch deutlich niedriger als bei atypisch Beschäftigten.“

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Dienstleistungssektor mit hohem Niedriglohnanteil

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Grundsätzlich  ist der Dienstleistungsbereich stärker von Niedriglohnbeschäftigung betroffen als der Produktionssektor. In der Produktion weisen wiederum insbesondere jene Sparten eine hohe Niedriglohnbeschäftigung auf, in denen besonders viele Frauen arbeiten. Während im Wirtschaftsbereich „Herstellung von Waren“ insgesamt der Niedriglohnanteil mit 5,5 % gering ist, liegt er in den – hinsichtlich der Beschäftigten – stark weiblich dominierten Sektoren „Herstellung von Leder, Lederwaren und Schuhen“ mit 47,4 %, „Herstellung von Bekleidung“ mit 38,7 % und „Herstellung und Nahrungs- und Genussmitteln“ mit 22,8 % überdurchschnittlich hoch.

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Wenig überraschend: mit zunehmender Dauer der Beschäftigung sinkt die Niedriglohnbeschäftigung. Liegt der Anteil jener Personen, die weniger als 8,52 Euro/Stunde verdienen bei einer Unternehmenszugehörigkeit von einem Jahr noch bei 31,5 % der Beschäftigten, sinkt er bei 20jähriger oder noch längerer Betriebszugehörigkeit auf nur noch 1,4 %.

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NichtösterreicherInnen überdurchschnittlich von Niedriglohnbeschäftigung betroffen

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Mit 28,6 % arbeiten  Beschäftigte nicht österreichischer StaatsbürgerInnenschaft mehr als doppelt so häufig zu Niedriglöhnen als ihre österreichischen KollegInnen (13 %). StaatsbürgerInnen der „alten“ EU-Staaten finden sich  dabei nur zu 16,7 % , aus den „neuen“, mittel-osteuropäischen EU-Mitgliedsländern dagegen schon zu 29,3 % im Niedriglohnbereich. Beschäftigte aus dem ehemaligen Jugoslawien arbeiten zu 32,1 % unter 8,52 Euro, aus der Türkei rund 33,6 %. MigrantInnen aus anderen Staaten arbeiteten beinahe zur Hälfte – nämlich zu 47,7 % zu Niedriglöhnen.

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Fazit

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„Insgesamt ist festzuhalten,“ schließt Autorin Geisberger, „dass Frauen, atypisch Beschäftigte, Jüngere, gering Qualifizierte oder Beschäftigte in Dienstleistungsberufen deutlich häufiger von Niedriglohnbeschäftigung betroffen sind.“ Stellt sich die Situation in Österreich auch – noch – nicht  so dramatisch wie in anderen vergleichbaren EU-Staaten – etwas Deutschland – dar: sie ist bedrohlich genug. Der ÖGB hat sich zum Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren Mindestlöhne von 1.500 Euro in allen Kollektivverträgen zu verankern. Das ist gut, richtig und wichtig so. Allerdings gibt es nach wie vor auch Berufs- und Beschäftigtengruppen, die nicht kollektivvertraglich erfasst sind (z.B. freie DienstnehmerInnen) bzw. wo KV-Verhandlungen sich als ausgesprochen schwierig erweisen. Für diese Gruppen braucht es zusätzlich eine „Absicherung“ nach unten – in diesem Falle eben über den Gesetzesweg:

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  • Wir wollen daher zusätzlich zu kollektivvertraglichen Mindestlöhnen einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens Euro 8,70 je Stunde. Auf Vollzeit umgerechnet bedeutet das einen Mindestlohn von Euro 1.508, 14 x jährlich.
  • Wir wollen einen Einkommensschutz bei Teilzeit. Kein Einkommen aus Teilzeit soll unter 680 Euro pro Monat (14 x) fallen. Das entspräche bei einem Mindestlohn von Euro 8,70/Stunde einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit von 18 Wochenstunden.
  • Ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis soll nur bei Vorliegen eines zusätzlichen „regulierten“ Haupteinkommens oder Sozialtransfers (Mindestteilzeit, Stipendium, Arbeitslose etc.) zulässig sein und unter vollen Sozialversicherungsschutz fallen – inklusive Leistungen. Mittel- bis Langfristig braucht es überhaupt eine gesellschaftliche Diskussion, ob derartige „Minijobs“ beibehalten werden sollen.

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Mit diesen Maßnahmen wäre zumindest eine Schranke „nach unten“ eingezogen. Weil wir uns nämlich einen Niedriglohnsektor nicht leisten sollten und auch nicht leisten können. Aus sozialen wie ökonomischen Gründen.

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