Sozialversicherung: Alle Macht dem Wirtschaftsbund?


Mit der Konstituierung der sogenannten Überleitungsausschüsse der zukünftigen Sozialversicherungsträger und der Bestellung der „leitenden Angestellten“ nimmt die schwarz-blaue Neugestaltung der Sozialversicherung langsam Gestalt an.

Damit sind zwei Ziele der ÖVP zumindest vorläufig erreicht: Sie hat einen Großteil der zu vergebenden Posten an eigene Parteigänger vergeben und VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen faktisch in die Bedeutungslosigkeit gedrängt.

So entstehen skurrile Situationen: In der zukünftigen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) sind ausschließlich ArbeitnehmerInnen versichert. Trotz des Fehlens selbständiger Versicherter in diesen Versicherungen besetzen aber VertreterInnen der Wirtschaftskammer 50% der Sitze in den „Selbstverwaltungsgremien“. Ohne Zustimmung der Wirtschaftskammer (oder genauer: des ÖVP-Wirtschaftsbundes) kann in den Trägern keine Entscheidung mehr fallen.

Und tatsächlich sind in den zuständigen Gremien für den Umbau – den Überleitungsausschüssen – bisher so gut wie alle Entscheidungen mit einer ÖVP-FPÖ-Mehrheit gegen die ArbeitnehmerInnenvertreterInnen gefallen.

Ausgeschaltete „Selbstverwaltung“

Die neue Macht der ÖVP und ihres Wirtschaftsbundes ist sehr wahrscheinlich verfassungswidrig: „Die Organe der Selbstverwaltungskörper sind aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden“, heißt es in Art. 120c der Bundesverfassung. Es ist somit schwer zu begründen, warum die Hälfte der Mandate in den Gremien von Menschen zu besetzen sind, die gar keine „Mitglieder“ der ÖGK (oder der PVA) sein können, weil sie eben als Selbständige in der Sozialversicherung der Selbstständigen versichert sind. Schwarz-Blau versucht, diesen unzulässigen Griff in die Kassen der ArbeitnehmerInnen mit den Arbeitgeberbeiträgen zu begründen. Das Argument geht schon allein rechtlich ins Leere: Wenn nur „Mitglieder“ (in diesem Fall also Versicherte) in die Selbstverwaltung können, dann scheiden Nichtmitglieder eben aus. Aber auch ökonomisch ist das Argument purer Nonsense: Die DienstgeberInnenbeiträge zur Krankenversicherung der Unselbständigen machen nämlich weniger als 30% der Einnahmen der Krankenversicherung aus und rechtfertigen somit in keiner Weise eine „paritätische“ Verteilung der Macht. Dazu kommt noch, dass diese DienstgeberInnenbeiträge auch nicht aus den Privatbörserln der DienstgeberInnen stammen, sondern von den ArbeitnehmerInnen mit ihrer Wertschöpfung erarbeitet werden und nur der Behübschung halber „DienstgeberInnenbeiträge“ heißen. Erarbeitet werden sie von den ArbeitnehmerInnen.

Ein Fall für den Verfassungsgerichtshof

Zumindest vier Beschwerden gegen die putschartige Machtaneignung der Wirtschaftskammer in der Sozialversicherung der ArbeitnehmerInnen sind beim Verfassungsgerichtshof gerade in Behandlung. Mit einer Entscheidung ist für Jahresende oder die ersten Monate des Jahres 2020 zu rechnen. Bis dahin geht der Umbau munter weiter. Und das führt nicht nur zu einer Abschaffung der Demokratie in der Sozialversicherung, sondern in der Folge auch zu deutlichen Verschlechterungen für die Versicherten: Der ÖGK werden bis 2023 etwa 500 Millionen Euro entzogen, die sie dringend für Gesundheitsleistungen benötigt. Dazu muss sie die gesamte Neugestaltung der Krankenverversicherung finanzieren und ÄrztInnen über einen österreichweiten Gesamtvertrag zusätzliche Honorare zukommen lassen. Nicht ohne Grund wird ab 2020 daher jährlich eine Verordnung über die Höhe von Selbstbehalten bei Arztbesuchen festzulegen sein. Irgendwoher muss das Geld ja kommen.

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