TTIP/NAFTA: Wenn Unternehmen Staaten auf Profitentgang klagen …
1. April 2014 von adminalternative
… und die Demokratie auf der Strecke bleibt: Investitionsschutzklauseln (ISDS) im TTIP und die Erfahrungen Kanadas mit dem berüchtigten Kapitel 11 der NAFTA-Freihandelszone. Von Daniel Görgl
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Im Jänner 2014 jährte sich die Unterzeichnung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) zwischen den USA, Kanada und Mexiko zum 20. Mal. Ein großes Jubiläumsfest hätte es werden sollen, doch den meisten Beteiligten war nicht gerade zum Feiern zumute. Besonders die Reaktionen, Medienberichte und Kommentare aus Kanada fielen – außer von Seiten der Regierung und der mächtigen Exportindustrie – außerordentlich verhalten aus. Die Kritik an dem Freihandelsabkommen überwog eindeutig und überschneidet sich in vielen Bereichen mit den Befürchtungen und Kritikpunkten gegenüber der aktuell verhandelten „Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) zwischen den USA und der EU (siehe Alternative 1-2/2014).
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Folgen von NAFTA ….
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Folgende Auswirkungen der NAFTA-Freihandelszone wurden zu diesem Anlass in Kanada besonders beklagt: massive Steuerleichterungen für Auslandsinvestitionen und Großkonzerne, Ausverkauf von Öffentlichem Eigentum sowie privaten Klein- und Mittelbetrieben, gravierender Abbau des – im Gegensatz zu den USA – sehr „europäischen“ Sozialstaates, Deregulierung und Anpassung der gesetzlichen Sozial-, Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsstandards auf das niedrigere US-Niveau, Anstieg der Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigungsverhältnisse, Schwächung der Gewerkschaften, Reallohnverluste und steigende Einkommensungleichheit, Konzentration von Eigentum und Profiten in den Händen der reichsten 1 Prozent sowie drastische Zunahme sozialer Ungleichheit.
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Aufgrund der Ähnlichkeit der Freihandelskonzepte und der treibenden Kräfte (insbesondere der machtvollen Großkonzerne) ist es bei einer erfolgreichen Implementierung von TTIP nicht sonderlich spekulativ, mit ähnlichen Auswirkungen auf die europäischen Gesellschaften und ihre sozialstaatlichen Einrichtungen zu rechnen.
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… und der demokratiefeindliche Aspekt von Investitionsschutzklauseln
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Der Vergleich mit Kanada und NAFTA lässt sich im Kontext von TTIP jedoch nicht nur auf sozioökonomischer Ebene ziehen, sondern gibt auch aus demokratiepolitischer Perspektive Anlass zur Sorge. So wurden im mittlerweile berüchtigten Kapitel 11 des NAFTA-Vertrages erstmals sogenannte „Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren“ (Investor-State-Dispute-Settlement – ISDS) eingeführt, welche dazu dienen, die von Konzernen getätigten Investitionen vor „enteignungsähnlichen Maßnahmen“ im Zielland zu schützen. Dieser „Investitionsschutz“ ermöglicht Unternehmen im Falle einer Mehrkosten oder den erwartbaren Profit schmälernden gesetzlichen Maßnahme den jeweiligen Staat vor einem privat zusammengestellten Schiedsgericht auf Entschädigungszahlungen zu klagen. Dieses Klagerecht bezieht sich keineswegs nur auf „willkürliche Enteignungen“ (sofern dies in demokratischen Rechtsstaaten überhaupt vorkommen sollte), sondern im Gegenteil auf jegliche Änderung der Gesetzeslage nach der Tätigung einer bestimmten Investition – sei es nun im Gesundheits-, Umwelt- oder Sozialbereich. Die Entscheidungskriterien für das im Klagefall aktivierte Schiedsgericht sind kaum nachvollziehbar und völlig intransparent. Die Verfahrenskosten gehen in Millionenhöhe und Berufungen sind nicht vorgesehen.
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Faktisch bedeutet das, dass sich Staaten und Bürger_innen im Fall einer Gesetzesänderung, die gewisse Profite schmälern oder Mehrkosten verursachen würde (z.B.: höhere Umweltauflagen in bestimmten Produktionsbereichen; Verbot von Produkten oder Produktionsmethoden aufgrund von Gesundheitsbedenken; gesetzliche Mindestlöhne, etc.), entweder dafür „freikaufen“ oder außergerichtlich – um Klage, Verfahrenskosten und potentielle Entschädigungszahlungen zu vermeiden – bereits im Vorhinein auf die angestrebte Gesetzesänderung verzichten müssten! Der demokratische Entscheidungsprozess, ja die Demokratie an sich, scheint mit der Konstruktion dieser „Investitionsschutzklauseln“ zugunsten der Profitinteressen einiger Großkonzerne eklatant untergraben zu werden.
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Investitionsschutz-Klagen im Rahmen von NAFTA
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Innerhalb von NAFTA und vieler anderer multi- wie bilateraler Freihandelsabkommen ist das ISDS bereits seit längerer Zeit Realität – nun soll es auch ein fundamentaler Bestandteil des TTIP werden (aktuell hat die EU-Kommission das ISDS aufgrund des öffentlichen Protests für drei Monate aus den Verhandlungen ausgeklammert, um es genauer zu „begutachten“).
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Welche Klagen konkret auf Österreich und Europa zukommen könnten, zeigt wieder der Blick auf Kanada. Das ISDS kam innerhalb von NAFTA bisher um die 70 Mal zur Anwendung – die meisten Klagen (knapp 30 Fälle) mit mehr als 2,5 Mrd. Dollar an Entschädigungsforderungen richteten sich gegen gesetzliche Maßnahmen in Kanada. Die Mehrzahl der Verfahren ist noch anhängig, doch in einigen Fällen wurde bereits zugunsten der klagenden Unternehmen entschieden oder eine „außergerichtliche Einigung“ erzielt (in drei Fällen wurden die Forderungen explizit abgewiesen, also zugunsten des kanadischen Staates entschieden). Bisher musste Kanada durch das ISDS ca. 160 Millionen Dollar (exkl. Verfahrenskosten) an Entschädigung zahlen – die Anzahl der Fälle, bei denen die kanadische Regierung bereits im Vorhinein auf ein „heikles“ Gesetzesvorhaben verzichtet hat, bleibt jedoch eine Dunkelziffer. Ein kanadischer Beamter meinte dazu in einem Zeitungsinterview: „I’ve seen the letters from New York and Washington D.C. law firms coming up to the Canadian government on virtually every new environmental regulation. Almost all of these initiatives never saw the light of the day.”
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Um die ISDS-Klagen selbst zu verdeutlichen seien folgende vier Fälle exemplarisch genannt:
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- Ethyl Corporation: eine US-amerikanische Chemiefirma klagt Kanada 1997 wegen dem gesetzlichen Verbot von MMT, ein Zusatzstoff für Benzin, aufgrund gesundheitlicher Bedenken (Verdacht auf neurotoxische Wirkung). Nach Einbringung der Klage hebt Kanada das MMT-Verbot auf und einigt sich „außergerichtlich“ (also bevor das Schiedsgericht zur einer Entscheidung kam) mit der Ethyl Corporation.
- Centurion Health Corporation: das US-Unternehmen klagt Kanada 2008 wegen der „investitionsfeindlichen“ Gesetzgebung im Gesundheitsbereich, da der Betrieb von privaten Kliniken, die ihre Dienstleistungen den krankenversicherten Patienten und Patientinnen direkt in Rechnung stellen, nicht möglich ist (Krankenversicherten wird durch den Canada Health Act eine kostenlose Behandlung in allen Kliniken ermöglicht). Das Verfahren wurde 2010 aufgrund des zu geringen Prozesskostenbeitrages der klagenden Partei eingestellt.
- Abitibi Bowater Inc.: der US-Konzern, einer der weltgrößten Papier- und Zellstoffunternehmen, schließt nach mehr als hundert Jahren 2008 seine letzten Papierfabriken in Neufundland und klagt Kanada 2009 wegen ausstehender Zahlungen für „seine gewohnheitsrechtlich erworbenen Wald- und Wasserrechte“. Diese Benutzungsrechte wurden lt. Provinzialregierung und gemäß kanadischer Verfassung jedoch niemals an den Konzern veräußert, sondern lediglich zur Verarbeitung genannter natürlicher Ressourcen zur Verfügung gestellt und stehen im Prinzip im Eigentum der kanadischen Bürger_innen. Nach Einbringung der Klage einigt sich die kanadische Bundesregierung jedoch „außergerichtlich“ mit dem Unternehmen und zahlt eine „Entschädigung“ von 130 Millionen Dollar (die Wald- und Wasserrechte, also das Benutzungsrecht an diesen natürlichen Ressourcen, wurden damit von Kanada gewissermaßen „zurückgekauft“).
- Lone Pine Resources Inc.: das US-amerikanische Öl- und Gasförderunternehmen klagt 2013 Kanada wegen des vorläufigen Verbots von “Fracking” (eine hochgiftige hydraulische Methode zur Öl- und Gasförderung in tiefem Untergrund) in der Provinz Quebec. Da bereits unzählige Investitionen und Vorbereitungsarbeiten für die Fracking-Förderung getätigt worden seien, verlangt das Unternehmen eine Entschädigung in Millionenhöhe. Das Verfahren ist anhängig.
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Schlussfolgerung: TIPP stoppen!
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Als Conclusio kann nach der Betrachtung von ISDS und dem beispielgebenden NAFTA-Freihandelsabkommen einerseits sowie den sozioökonomischen und demokratiepolitischen Auswirkungen auf die kanadischen Bürger_innen andererseits eigentlich nur eines stehen: TTIP stoppen!
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Daniel Görgl, ist Politikwissenschafter, Betriebsrat für das allgemeinen Personal an der Universität Wien und Lektor am Institiut für Internationale Entwicklung. Er ist frisch gewählter Arbeiterkammerrat der AUGE/UG in Wien.
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Link: TTIP stoppen