13. EGB-Kongress in Paris, zweiter Tag: Refugees welcome!

IMG_0856Markus Koza, „beobachtender“ Delegierter des ÖGB zum 13. EGB-Kongress in Paris schildert die Eindrücke vom zweiten Tag.

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EGB Kongress, zweiter Tag, Vormittag: Ohne Quote geht es nicht – auch im EGB

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Eine Resolution des EGB-Frauenausschusses lag vor. In dieser wurde die stärkere Verankerung von Frauen – über eine verpflichtende Quote – in den Leitungsgremien des EGB gefordert. Bis zum nächsten EGB-Kongress sollten entpsrechende Änderungsvorschläge für die EGB-Statuten erarbeitet werden. Die Fakten: die Frauenerwerbsquote in Europa liegt bei ca. 63 %, allerdings arbeiten nur knapp über 50 % Vollzeit. Frauen leisten 26 h/Woche unbezahlte Hausarbeit, Männer dagegen nur 9 h wöchentlich. 45 % der EGB-Mitglieder sind weiblich – dennoch sind weibliche Gewerkschaftsvorsitzende bzw Generalsekretäre eine Seltenheit (nach diesem EGB-Kongress wird übrigens auch der Generalsekretär wieder männlich besetzt).

Zwar sind inzwischen 42 % der Delegierten weiblich – im Exekutiv- und Lenkungsausschuss sind allerdings nur 20 % der Mitglieder Frauen. Die höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, die gestiegenen weiblichen Mitgliedszahlen müssten sich auch in den Gewerkschaftsstrukturen widerspiegeln. Frauen müssten sich in den Gewerkschaften repräsentiert sehen, Frauen müssten in den Gewerkschaften – an der Spitze – sichtbarer werden, insbesondere auch, um frauenpolitische Themen stärker zu gewerkschaftlichen Anliegen zu machen, wie die Vorsitzende – eine der wenigen – der schwedischen Gewerkschafte TOC anmerkte: „Gleichstellung ist nicht nur eine Frage der Repräsentation sondern auch der Politik.“ Die Resolution wurde mit 5 Gegenstimmen und 9 Enthaltungen angenommen.

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Anm.: Wie wichtig und dringlich diese Initiative des Frauenausschusses ist, belegt nicht zuletzt die Zusammensetzung der Diskussionspanels – etwa zu den Themen sozialer Dialog und Lohnfindungs- und Tarifvertragssysteme in Europa. Diese Runden waren ausschließlich männlich besetzt, eine Geschlechterperspektive blieb aus der Debatte rund um Lohnpolitik, Löhne, Angriff auf Tarifsysteme, Zerschlagung öffentlicher Dienste etc. weitgehend ausgeblendet – was auch auf heftige Kritik in zahlreichen Wortmeldungen führte. Jedenfalls gibt es in Sachen Geschlechtergerechtigkeit auch in den Gewerkschaften noch viel zu tun.

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Starkes EGB-Signal: Refugees welcome – keine neuen Mauern!

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Der größte Teil des Vormittags war dem Umgang der EU mit Flüchtlingen gewidmet. Bereits am ersten Tag hatte der EGB-Präsident Toxo die Flüchtlingspolitik der EU und einzelner EU-Staaten klar und unmissverständlich kritisiert. Erstredner war der schwedische Gewerkschafter Karl Petter Thorwaldson von der LO. Nie wieder, so Thorwaldson, wolle er erleben, dass 71 tote Flüchtlinge in einem LKW gefunden werden. Es dürften keine neuen Mauern aufgebaut werden. Auch die Gewerkschaften hätten eine Verantwortung – es müsste möglichst rasch einen Zugang für Flüchtlinge zum Arbeitsmarkt geben. Der schwedische Gewerkschafter berichtete von einer Vereinbarung zwischen schwedischer Hotelerie-Gewerkschaft und den Arbeitgebern, die Ausbildungsplätze für 5.000 Flüchtlinge vorsieht. Und Thorwaldson leitete auch den bislang wohl beeindruckendsten und bewegendsten Redebeitrag zum EGB- Kongress. In der neuen Schwedischen Linksregierung waren nicht weniger als drei Ministerinnen selbst Flüchtlinge. Eine dieser Ministerinnen war Gastrednerin beim EGB-Kongress.

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IMG_0846Aida Hadzialic ist nicht nur Ministerin für Bildung in Schweden sondern war auch jüngste Bürgermeisterin in Schweden. Hadzialic flüchtete mit ihren Eltern aus Bosnien-Herzegowina, als im ehemaligen Jugoslawien der Bürgerkrieg ausbrach. Nur sieben Jahre zuvor, 1984, wurden in Sarajevo noch die Olympischen Winterspiele veranstaltet. Dann herrschte Krieg. Hadzialic hatte Glück. „Mein Leben hat mit Krieg, Toten, Flüchtlingslagern begonnen. Ich habe ein Zuhause verloren, Familienmitglieder und fast auch mein Leben. Ich habe überlebt, viele andere nicht und das war dem Zufall zu verdanken. Das Gefühl überlebt zu haben und andere nicht – dieses Gefühl teilen 60 Mio. Flüchtlinge weltweit.“ In Schweden fühlte sie sich das erste mal in Sicherheit, konnte nach langer Zeit wieder gut schlafen. Sie bekam die Chance auf ein neues Leben, wofür sie unendlich dankbar sei. Und sie begann sich politisch zu engagieren. Denn sie wollte – und will – um jeden Preis verhindern, dass die zerstörerischen Kräfte in einer Gesellschaft Oberhand gewinnen. „Ich stand dem absolut Bösen Auge in Auge, Gesicht zu Gesicht gegenüber: dem Nationalismus,“ so die Ministerin. Viele in Europa würden sich Fragen, wie der Kontinent denn die Flüchtlingsbewegung bewältigen könnte. Sie zeigte sich überzeugt, dass die Integration gelingen würde. Bildung war ihr Schlüssel für ein besseres Leben. Wirtschaftlicher uns sozialer Fortschritt, „starke und blühende Gesellschaften“, wie sie es nannte seien nur gemeinsam zu schaffen. Schweden nahm 1992 rund 250.000 Flüchtlinge auf – der wirtschaftliche Erfolg des Landes bestätigt die erfolgreiche Integration. Die Bildungsministerin abschließend: „Wenn Schweden als kleines Land in der Lage war, so viele Flüchtlinge aufzunehmen sollte das doch wohl für Europa kein Problem sein.“

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Zweitredner war Oumar Diakhaby ehemaliger Sans Papier-Aktivist, heute öffentlich Bediensteter und Gewerkschafter der belgischen CSC. 1999 floh Diakhaby aus Guinea, wo er politischer Verfolgung ausgesetzt war. Als Aktivist der Student_innenbewegung, die gegen Korruption und für mehr Demokratie demonstrierte, musste er vor Folter und Gefängnis die im seitens des Regime drohte fliehen. Es verließ seine Heimat ohne Papiere, fand allerdings in Belgien Asyl. Er konnte sein Studieum fortsetzen. Wurde sein Studienabschluss aus Guinea auch nicht anerkannt, wurde zumindest die Matura akzeptiert. Dann 2001 der Schock: sein Asylstatuts wurde nicht verlängert. Es drohte die Abschiebung. Diakhaby lebte von nun an in der Illegalität, konnte allerdings Dank Freunder und Bekannte sein Studium abschließen. Er arbeitete als Erntehelfer und engagierte sich seit 2008 in der gerade enstehenden Sans Papier-Bewegung. Über ein halbes Jahr hinweg – von November 2008 bis Juni 2009 – demonstrierten die Sans Papier wöchentlich für eine Legalisierung ihres Auftenthalts. Unterstützung erhielten sie von der Gewerkschaft CSC. Für Diakhaby waren die Proteste erfolgreich: er bekam einen legalen Aufenthaltsstatus und schließlich einen Job in der Gemeindeverwaltung von Brüssel. Auch heute ist der engagierte Gewerkschafter in Sachen Sans Papier aktiv. Das klassische „Die-Katze-beißt-sich-in-den-Schwanz“ Problem hinsichtlich des Aufenthaltsstatus: ein legaler Aufenthaltsstatus ist nur zu erlangen, wenn man einen regulären Job hat. Ein regulärer Job ist aber nur zu bekommen, wenn man einen legalen Aufenthalt hat. Belgien steht so heute vor zwei Herausforderungen: nach wie vor sind zahlreichen Sans Papier im Land, die auf eine Legalisierung warten. Gleichzeitig steigen die Flüchtlingszahlen im Land.  Es brauche eine möglichst rasche Integration am Arbeitsmarkt und der vollkommen rechtlichen Gleichstellung um Lohn- und Sozialdrückerei zu verhindern – das sei die besondere Herausforderung für Gewerkschaften. Diakhabys abschließender Appell an das Auditorium: „Verhindern wir, dass die Flüchtlinge von heute die Sans Papier von morgen sind.“

Standing Ovations für beide Redner_innen.

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Zwei der folgenden Redebeiträge von Gewerkschaftsdelegierten seien hier besonders hervorgehoben weil sie gut die – ausgesprochen erfreuliche – Richtung der Debatte beschreiben, die von Solidarität und einer klaren Absage an geschlossene Grenzbalken geprägt war. Christine Blower vom britschen Gewerkschaftsdachverband TUC erklärt stolz, Teil einer Bewegung zu sein die schon vor Jahren zu Tausenden in London für die Rechte von Migrant_innen auf die Straße ging. Bildung sei der Schlüssel für Integration. Solidarität war und ist seit jeher der zentrale Pfeiler der Gewerkschaftsbewegung gewesen. Blower daher nur konsequent: „Wir haben gar keine andere Wahl, als uns für die Flüchtlinge zu engagieren. Freiheit muss vor Hass stehen.“ Rainer Hoffmann vom DGB bekräftigte, dass „Zäune definitiv keine Antwort“ auf Fluchtbewegungen seien: „Recht auf Asyl ist Menschenrecht. Und ein Menschenrecht verträgt keine neuen Mauern und keine neuen Grenzen.“ Es gebe derzeit eine große Welle der Sympathie für Flüchtlinge, es gelte sicher zu stellen, dass das auch so bleibe. Daher brauche es Integration – und Integration erfolge in erster Linie über den Arbeitsmakrt. Flüchtlinge dürften nicht gegen Arbeitslose, gering Qualifizierte und Prekarisierte ausgespielt werden. Und Hoffmann stellte auch klar: das Prinzip gleiches Geld für gleiche Arbeit müsse auch für Flüchtlinge gelten – in Deutschland sei bereits sichergestellt, dass Flüchtlinge nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn beschäftigt werden dürften.

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Der Dringlichkeitsantrag des EGB in dem unter anderem der Zugang, zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung, Bildung und Wohnen für Asylwerber_innen gefordert wird, die Überarbeitung des Dublin-Abkommens entlang der Bedürfnislagen der Flüchtenden, die Forderung nach Intensivierung und Ausbauder Rettungsmaßnahmen im Mittelmeer sowie ein klares Bekenntnis zum Asylrecht und gegen neue Grenzen beinhaltet, wurde mit lediglich zwei Stimmenthaltungen angenommen.

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IMG_0851Tag Zwei, der Nachmittag:

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Der Nachmittag des zweiten Tages war geprägt von inhaltlichen Debatten – insbesondere um das Aktionsprogramm des EGB für die nächsten vier Jahre sowie rund um das Kongressthema „gute Arbeit“. Zuallererst gab es allerdings Grußworte von. Guy Ryder, dem Generaldirektor der ILO – der Internationalen Arbeitsorganisation. Er betonte noch einmal die Wichtigkeit der transnationalen Kooperation der Gewerkschaften zur Lösung globaler Probleme und die Bedeutung des EGB in diesem Zusammenhang. Und er vergaß nicht zu erwähnen, dass bereits 2003 – lange vor der Krise – der EGB-Kongress in Prag vor krisenhaften Entwicklungen in Europa warnte und dringende Maßnahmen zur Stärkung der Masseneinkommen, die Regulierung der Finanzmärkte und eine Budgetpolitik, die sich insbesondere an Beschäftigungs- und Wohlstandszielen orientierte forderte. Vieles von dem, was der EGB befürchtete habe sich 2008 erfüllt, so Ryder.

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Dass „gute Arbeit“ – im Sinne fairer Löhne, die ein sorgenfreies Leben erlauben, ausreichender Arbeits- und Gesundheitsschutz, Gleichstellung, Zugang zu Weiterbildung, Mitbestimmung und lebensfreundliche Arbeitszeiten – in einem Europa im Zeichen von Krise und Austerität immer mehr zur Mangelware wird belegten auch die einzelnen Diskussionsteilnehmer_innen des Panels. In Griechenland kann angesichts massiver Lohnkürzungen, hoher Arbeitslosigkeit, der Zerschlagung von Kollektivvertragssystemen und massiver Atypisierung der Beschäftigungsverhältnisse von „guter Arbeit“ ohnehin keine Rede mehr sein. Die Schattenwirtschaft sächst und ungeschützte Arbeitsbedingungen nehmen zu. Auch Spanien – von der Krise schwer getroffen – leidet unter Arbeitslosenzahlen jenseits der 20 Prozent und Prekarisierung. Inzwischen stehen aber selbst Arbeitnehmer_innen in Ländern wie Finnland unter enormen Druck: die neue Rechtsregierung startet derzeit massive Angriffe auf soziale und Gewerkschaftsrechte, insbesondere auch auf die Tarifverträge. Auch hier sollen Lohnverhandlungen verstärkt auf die betriebliche Ebene verlagert werden. Letzte Woche kamm es zu entsprechenden Massenprotesten der Gewerkschaften, denen sich 300.000 Menschen anschlossen.

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Breit diskutiert wurde auch die erste Säule des EGB-Aktionsprogramms „Eine starke Wirtschaft, die dem Menschen dient“. In diesem fordert der EGB eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik – etwa einen europäischen „Marshallplan“ mit Investitionen in Beschäftigung und eine Abkehr von der Austeritätspolitik. In diesem Programm findet sich auch die – dem ÖGB wichtige Forderung – nach einer Herausnahme von Investitionen in öffentliche und soziale Infrastruktur – aus der Defizitberechnung. Große Würfe in Sachen Umverteilungsforderungen finden sich nicht, Vermögenssteuern finden zwar eine Erwähnung, ebenso die Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit, insbesondere dem Kampf gegen Steuerbetrug, Steueroasen und Steuerhinterziehung. Im Zentrum europäischer Gewerkschaftspolitik stehen derartige Forderungen allerdings nicht. Das liegt vermutlich einerseits daran, dass Steuerpolitik nach wie vor nationale Angelegenheit ist. Das liegt allerdings schlichtweg auch daran, dass die Zugänge der Gewerkschaftsverbände zu einzelnen Politikfeldern höchst unterschiedlich sind. Besonders bemerkbar machten sich diese Unterschiede etwa bei der Mindestlohnpolitik. Wie etwa Diskussionen am dritten Tag zeigten …

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