Pflegenotstand durch jahrzehntelange Versäumnisse


Stefan Taibl, Betriebsrat im Sozialbereich, AUGE/UG Arbeiterkammerrat

Der Gesundheits- und Pflegebereich braucht dringend Unterstützung

In der Krise zeigen systemrelevante Berufe, wie wichtig und unverzichtbar sie sind. Das Gesundheits- und Krankenpflegepersonal arbeitet dabei an vorderster Front und wurde dafür „beklatscht“. „Was es aber dringend braucht, sind Veränderungen und kein Applaus“, so fasst Stefan Taibl, Betriebsratsvorsitzender der psychosozialen Zentren GmbH die zentrale Forderung der Arbeitsgruppe für Soziales, Gesundheit und Pflege der unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB zusammen.

Seit Jahrzehnten arbeitet das Pflegepersonal unter schwierigsten Bedingungen, wodurch viele gut ausgebildete Fachkräfte der Branche den Rücken kehren.

Es geht um Bezahlung, Personal und Zeit.

Das durchschnittliche Einkommen der meisten Beschäftigten liegt 17 Prozent unter dem sonst üblichen Einkommen. Eine deutlich wahrnehmbare Steigerung der Netto-Gehälter ist mehr als Überfällig und würde der Arbeit der Menschen in der Branche Tribut zollen.

Aufgrund von Personalmangel betreut eine MitarbeiterIn überdurchschnittlich viele PatientInnen. Aus wirtschaftlichen Gründen werden vermehrt Hilfskräfte eingesetzt, die mitunter keine ausreichende Qualifikation besitzen. Besonders drastisch ist es in Pflegeheimen: Eine diplomierte Fachkraft ist für mehrere Stationen zuständig, auf denen Hilfsdienste ihre Arbeit verrichten. Dies führt unweigerlich zur Überforderung der Fach- als auch der Hilfsdienste, was in weiterer Folge zu Frustration, Aufgabe und hoher Drop out-Rate führt. Die Frage des Personals im Gesundheits- und Sozialsystem muss daher weitgehend von wirtschaftlichen Überlegungen abgekoppelt werden. Der Personalschlüssel gehört an die jeweiligen Bedürfnisse und dem Pflegeaufwand angepasst und dringend angehoben!

Es geht um Zeit für die Arbeit und Zeit für die Menschen. Der Zeitaufwand wird von TheoretikerInnen berechnet und soll zu einer hohen Wirtschaftlichkeit führen. Nicht mit eingerechnet werden aber zwischenmenschliche Handlungen und Gespräche. Das Ziel in der Theorie ist: warm, satt, sauber. Der Rest wird als unnötiger Ballast verbucht. Pflege ist Beziehungs- und Vertrauensarbeit. Um eine Beziehung und das nötige Vertrauen aufzubauen, sind Zeit und Geduld gefragt, die sich nicht durch straffe Zeitvorgaben erfüllen lassen. Das strenge Zeitmanagement führt zu Unzufriedenheit und Frustration auf beiden Seiten. Die zu betreuenden Personen ziehen sich zurück, das Personal resigniert und kehrt dem Beruf den Rücken. Eine realistische und auf die Bedürfnisse rücksichtnehmende Bewertung von Zeit und Leistung ist unbedingt notwendig!

„Um Angehörige der Pflegeberufe halten zu können und neue Mitarbeiter zu gewinnen, muss rasch ein Umdenken und Handeln erfolgen, und zwar jetzt!“, so Stefan Taibl abschließend.

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