Wien-Wahlen, NEOS: Von pinken Schuldenbremsern und der Sache mit der Demografie

faschingsbrille_pinkDie NEOS kandidieren erstmals zur Wiener Wahl. Und weil knallharter Neoliberalismus, feuchte Privatisierungsträume und Brutalo-Marktwirtschaft halt beim Wähler_innenvolk nicht wirklich gut ankommen, geben sich die NEOS bei dieser Wahl eher unideologisch, dafür aber populistisch. Was aber auch ganz ordentlich in die Hose gehen kann.
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Die NEOS machen auf Populismus. „Teure Politik? Nicht mit uns!“ heißt es im Wahlprogramm der NEOS. Vom „fetten“ politischen System ist da die Rede, das „faul“ und „korrupt“ sei, von „gieriger Politik“.
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Schlanker Staat, schlanke Politik, alle Macht den Privatfinanciers?
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Die Rathausparteien seien „Weltmeister im Abkassieren“. Da helfe nur, die „Politik auf Diät“ zu setzen. Und da bei Liberalen der Weg vom „schlanken Staat“ zur „schlanken Politik“ kein weiter ist haben die Neoliberalen auch einen entsprechenden „Abspeckplan für gierige Politik“: Parteienförderung kürzen, Gemeinderat und Bezirksvertretungen halbieren, politische Funktionen abschaffen. Schließlich geht’s auch in der Privatwirtschaft schlank und rank zu, da bestimmen auch nur ein paar wenige wo’s langgeht …

Nun, natürlich kann man der Meinung sein, es gäbe zu viel Politiker_innen. Natürlich kann man auch der Meinung sein, die Parteiförderung sei zu hoch. Interessanterweise kommen derartige Forderungen nach Kürzungen allerdings vornehmlich von Parteien, die großzügige Geldgeber aus der Wirtschaft haben und deren Programmatik – pardauz nochmal! – ganz besonders unternehmens-, bzw. unternehmer- und wirtschaftsfreundlich und tendenziell arbeitnehmer_innen- und gewerkschaftsfeindlich ist. Man könnte tatsächlich auf die Idee kommen, dass derartige Ideen seitens des – zumindest im Geiste – parteipolitischen Ablegers der Industriellenvereinigung nicht zuletzt gewälzt werden, um jenen Parteien, die jetzt nicht ganz so auf Linie von Marktreligiösen, Industriellenvereinigung, Agenda-Austria und NEOS-Liberalen liegen, die Finanzierungsbasis für ihre politische Arbeit zu entziehen … aber nein, nein, das kann natürlich nicht sein. Niemals nicht.
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Wiener „Schuldenberg“? Ein Vergleich mach sicher
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Nun, was bei Neoliberalen und Marktfundis aller Schattierungen – seien sie nun schwarz, blau oder eben auch pink – nicht fehlen darf, und darum auch bei NEOS nicht fehlt: der Schuldenberg den Wien angeblich angehäuft hat, der „rote Schuldenberg“, Folge „gieriger Politik“, dem die NEOS „enkelfitte Stadtfinanzen“ gegenüberstellen wollen. Der rote Schuldenberg umfasst nicht nur jene 4,9 Mrd. Euro, die der Finanzschuldenbericht der Gemeinde Wien ausweist, sondern insgesamt mehr als 11 Mrd.,  werden die „gut versteckten“ – die NEOS haben sie dennoch gefunden – Schulden ausgelagerter Betriebe hinzugezählt. Bereits im Beitrag zur FPÖ im Wiener Wahlkampf wurde bereits darauf hingewiesen, dass Wien hinsichtlich der Pro-Kopf-Verschuldung seiner Bürger_innen im Vergleich relativ gut dasteht. Und auch hier sei noch einmal ein Vergleich zu vergleichbaren deutschen Städten mit Länderstatus (Schulden ohne ausgegliederte Betriebe) gezogen:

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  • Die Pro-Kopf-Verschuldung Wiens lag 2013 bei 2.639 Euro/Kopf bzw. bei rund 4,9 Mrd. Euro insgesamt. Im Vergleich mit den anderen Österreichischen Bundesländern liegt Wien bie der Pro-Kopf-Verschuldung im hinteren Mittelfeld (siehe Beitrag von Markus Marterbauer auf dem A & W BLOG).
  • Berlin – bekanntlich „arm aber sexy“ – hält bei rund 3,42 Mio. Einwohner_innen dagegen bei einem Schuldenstand (2013) von 60,5 Mrd. Euro. Die Pro-Kopf-Verschuldung lag hier – konkrete Zahlen liegen für 2011 vor –  bei 17.651 Euro.
  • Hamburg mit rund 1,74 Mio. Einwohner_innen – hinsichtlich der Größe in etwa mit Wien vergleichbar – kam auf einen Schuldenstand von rund 25,5 Mrd. Euro. 2011 lag die Verschuldung je Einwohner_in bei 13.900 Euro.
  • Bremen hatte 2013 eine Verschuldung von knapp über 20 Mrd. Euro. Bei  rund 550.000 Einwohner_innen. Die Pro-Kopf-Verschuldung 2011: 28.638 Euro.
  • Die durchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung deutscher Städte insgesamt lag mit 2.511 Euro nicht wirklich weit entfernt von Wien – das ja, wie bereits erwähnt, Hauptstadt, Stadt und Bundesland ist. In Frankfurt am Main etwa liegt die Pro-Kopf-Verschuldung etwa bei knapp über 2.300 Euro, in der Millionenstadt Köln ziemlich exakt in der Wiener Größenordnung, München dagegen stellt mit einer Pro-Kopf-Verschuldung – in einem ökonomisch ausgesprochen günstigen Umfeld – von knapp über 1.800 Euro einen Ausreißer „nach unten“ dar.

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Dass der Schuldenstand in Wien – zu einem guten Teil krisenbedingt – seit 2008 gestiegen ist, ist  kein Geheimnis. Das in Wien – wie überall – Einsparungspotentiale schlummern wird wohl auch so sein. Dass sich allerdings gerade in Wien ungeheure „Schuldenberge“ anhäufen würden ist schlichtweg unzutreffend. Zusätzlich läßt die Fokussierung auf den Schuldstand alleine noch keine Schlüsse auf die wirtschaftliche Situation einer Gebietskörperschaft zu. Gerade Wien besitzt beträchtliche Vermögenswerte – ob als Immobilien (z.B. Gemeindebauten), als Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen oder Infrastruktur. Den Schulden müssen jeweils die entsprechenden Vermögensbestände gegenübergestellt werden, soll eine seriöse Bewertung der ökonomischen Lage abgegeben werden. Auch diese Gegenüberstellung findet bei den NEOS nicht statt.  Den Schuldenstand Wien in jener Art und Weise zu dramatisieren und skandalisieren wie es seitens der politischen Rechten von NEOS bis FPÖ passiert, erscheint daher vornehmlich ideologisch und/oder wahltaktisch motiviert. Nicht zuletzt wenn der Vergleich mit Vergleichbarem angestellt wird.
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NEOS: Voll auf Sparkurs
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Zurück zum NEOS-Programm: Um der Politikgier ein Ende zu bereiten soll nicht nur die Parteienfinanzierung – mehr Privat weniger Staat – auf neue Lobbyisten- und großzügige Gönner-Beine gestellt werden, sondern in Wien eine Schuldenbremse in Verfassungsrang beschlossen werden. Weil die NEOS gleichzeitig ganz dynamisch, jugendlich und enkelfitt  natürlich auch Gebühren („Schluss mit dem Gebührenwahnsinn!“) und Lohnnebenkosten senken  wollen – von U-Bahnsteuer über Vergnügungssteuer bis zur Kammerumlage – und für „den ersten Angestellten“ ein (dann ehemaliges) Ein-Personen-Unternehmens  überhaupt keine Lohnnebenkosten anfallen sollen, stellt sich die Frage, wie das denn finanziert werden soll. Wie das denn funktionieren soll mit weniger Einnahmen und Schuldenbremse? Da wirkt das NEOS-Allheilmittel „Pensionsreformen“. Einfach Pensionen der Gemeindebediensteten kürzen, dann wird das schon. Dass das vermutlich nicht reichen wird stört eine/n NEOS-Liberale/n nicht wirklich. Sollte es mit Ausgabenkürzungen – ohnehin im Repertoire jede/s NEOS – alleine nicht gehen, hat er/sie  – dann ganz stramme/r Marktideologe/in – immer noch den Privatisierungspfeil im Köcher. Und da wissen wir ja, dass von Gesundheit bis Wasserversorgung alles einmal als grundsätzlich privatisierungsfähig gilt. Die Privatisierungsgewinner_innen wird’s freuen und in den Parteikassen wird sich diese Freude auch bemerkbar machen. Ganz sicher. Dass eine Schuldenbremse – insbesondere in Verfassungsrang! – jeglichen finanziellen Spielraum für Gegensteuern in der Krise nimmt, scheint die NEOS in ihrer Wirtschaftskompetenz nicht besonders zu beeindrucken. Schulden sind böse, vor allem wenn sie von der öffentlichen Hand gemacht werden. Dass nicht zuletzt ausgerechnet gesetzlich verankerte Schuldenbremsen – ein zentrales Instrument europäischer Austeritätspolitik –  entscheidend mit dafür verantwortlich waren und sind, dass öffentliche Ausgaben drastisch zurückgefahren wurden und sich die Krise in Folge nur noch verschärfte – scheint den NEOS bislang verborgen geblieben zu sein. Ideologie macht vielfach blind. Wie überhaupt – ähnlich wie schon bei der FPÖ – das Wort „Krise“ im Programm nicht vorkommt.
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Jugendarbeitslosigkeit: die halbe Wahrheit
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Wie etwa auch beim Thema Jugendarbeitslosigkeit. Auch hier machen die NEOS die Wiener Stadtregierung verantwortlich für die gestiegene Jugendarbeitslosigkeit. Krise – welche Krise? Und nicht nur das. Sie vergleichen etwa – was sie beim Schuldenstand wohlweislich nicht tun –  die Entwicklung in Wien, Hamburg und Berlin. Und während in Wien die Jugendarbeitslosigkeit seit 2007 – das Jahr vor der Krise – um 6 Prozent gestiegen ist, ist sie in Berlin um 27 %, in Hamburg gar um 33 % gestiegen. Natürlich: Welche Oppositionspartei würde angesichts dieser beeindruckenden Zahlen das Versagen für diese Politik nicht der Stadtregierung anlasten? Das ist das gute Recht einer Opposition. Allerdings bestenfalls die halbe Wahrheit. Die NEOS blenden nämlich ganz entscheidende Faktoren für die unterschiedlichen Entwicklungen aus. Einer ist der demografische: Im Gegensatz zu Hamburg und Berlin ist wächst Wien nämlich deutlich stärker.

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  • Die Einwohner_innenzahl Hamburgs wuchs etwa von 1987 bis 2011 um knapp 114.000 Personen. Die Bevölkerung Wiens im selben Zeitraum um beinahe das doppelte – nämlich um 217.000 Personen.
  • Zählte Hamburg 2008 noch 1,735 Mio. Einwohner_innen, ergab die Volksbefragung von 2011 für Hamburg einen Bevölkerungsstand von 1,706 Mio. Menschen. Mit 31. Dezember 2013 wurden für Hamburg 1,746 Mio. Einwohner_innen prognostiziert. Seit 2008 hätte sich die Bevölkerung damit um knapp 11.000 Personen zugenommen.
  • Berlin ist überhaupt eine „schrumpfende“ Stadt. Zählte sie 2008 noch 3,431 Mio. Einwohner_innen wurden im Rahmen der Volkszählung 2011 schon „nur“ noch 3,325 Mio. Einwohner_innen erhoben. Ende 2013 betrug der Bevölkerungsstand Berlins 3,421 Mio. Einwohner_innen, also ziemlich genau 10.000 Menschen weniger als noch 2008.
  • Überhaupt verliert Deutschland an Bevölkerung. Und das deutlich. Seit 2005 ist die Bevölkerungszahl von 82,438 Mio. auf 80,767 Mio. im Jahr 2013 gesunken – um 1,67 Mio. Menschen. Dieser Bevölkerungsrückgang ist mit ein wesentlicher Grund für die günstige Arbeitsmarktsituation in der Bundesrepublik.
  • Im Gegensatz dazu ist Österreich im selben Zeitraum  deutlich gewachsen: nämlich um 252.000 Personen von 8,225 auf 8,477 Mio.
  • Vergleicht man nun die Bevölkerungsentwicklung Wiens mit jenem Hamburgs und Berlins in der Periode 2008 bis 2013 so ergibt sich für Wien ein Einwohner_innenzuwachs von 70.000 Personen. Mit Anfang 2014 betrug das Bevölkerungsplus schon 100.000 Personen (von 1,671 Mio. 2008 auf 1,774 Mio 2014). Bis 1. Mai 2015 belief sich das Einkommensplus schon auf 126.000 Menschen.
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Angesichts dieser Zahlen – stagnierende bis schrumpfende Bevölkerung hier, stark wachsende Einwohner_innenzahlen da – ist es nur wenig verwunderlich, dass in Puncto Entwicklung der Jugendbeschäftigung bzw. Jugendarbeitslosigkeit Hamburg und Berlin besser abschneiden. Die günstigere Arbeitsmarktsituation für Jugendliche in Deutschlands Großstädten ist also zu einem hohen Maße dem demografischen Faktor geschuldet! Diesen Zusammenhang sollten eigentlich auch die NEOS kennen. Und noch einen weiteren: Die NEOS sind ja bekanntlich auch für tiefgreifende Reformen im Pensionssystem weil dieses eine schwere Hypothek für die Jugend darstellen sollte. Neben Kürzungen verlangen die NEOS regelmäßig auch eine Anhebung des Pensionsantrittsalters, dass also ältere Arbeitnehmer_innen länger im Erwerbsprozess bleiben müssen. Nun, die Pensionsreformen der letzten Jahre haben auch tatsächlich dafür gesorgt, dass mehr und mehr  Menschen im Alten zwischen 55 und 64 im Erwerbsleben stehen. Zwischen 2010 und 2014 stieg die Zahl der über 55jährigen in Beschäftigung um insgesamt 95.000 Personen an, davon alleine 77.000 unselbständig Beschäftigte. Nur weniger als die Hälfte der zusätzlichen Beschäftigung in dieser Altersgruppe ist auf die wachsenden Bevölkerungsanteil der 55 bis 64jährigen zurückzuführen. Knapp 53.000 zusätzlich Beschäftigte sind unmittelbar auf die in Folge der Pensionsreformen gestiegene Erwerbsquote zurückzuführen. Wenn nun allerdings 53.000 „Ältere“ länger im Arbeitsprozess verbleiben, wird es natürlich für „Jüngere“ am Arbeitsmarkt enger. Das ist wohl eine logische Schlussfolgerung. Insbesondere dann, wenn krisenbedingt ein Beschäftigungswachstum ausbleibt.

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NEOS fressen Zukunft auf
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Auch diesen Faktor blenden die NEOS natürlich aus, würde dieser doch so gar nicht ins Konzept passen – wäre dann doch offensichtlich, dass Pensions“reformen“ a la NEOS entscheidend mitverantwortlich für die steigende Jugendarbeitslosigkeit wären!
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Nun, Gründe für unterschiedliche Entwicklungen an den Arbeitsmärkten sind vielfältig. Demografie und Pensionsreformen sind nur zwei davon. Wer diese allerdings – gerade wenn es um Jugendarbeitslosigkeit – vollkommen ausblendet, sagt nur die halbe Wahrheit. Damit schauen die NEOS allerdings, die ja alles „neu“, „anders“, „transparent“ und „modern“ machen wollen auch gleich schon wieder recht alt aus. Insbesondere auch, wenn sich die NEOS als treibende Kraft für Pensionsreformen sehen, die eigentlich vor allem eine Gruppe treffen: die Jungen. Gepaart mit einem Liberalisierungs-, Privatisierungs-, Flexibilisierungs- und Austeritätswahn (Schuldenbremse in Wiener Verfassung) stellt sich dann tatsächlich die Frage, wer denn da die Zukunft der Jungen „frisst“. Mir scheint es ja, die selbst ernannte „neue Generation“ in pink zu sein …

4 Kommentare

  1. Josef Dengler sagt:

    Ich bin NEOS-Aktivist und derzeit aktiv auf der Straße, um mit Menschen zu reden und sie zu überzeugen.
    Ich akzeptiere, dass man mit uns nicht einer Meinung ist, aber was da oben steht, ist sowas von 20. Jahrhundert-Politsprech, es erinnert mich an selige Studentenzeiten im trotzkistischen oder marxistisch-leninistischen Umfeld.
    Wer ernsthaft diskutieren möchte (oder vielleicht sogar herausfinden möchte, was wirklich Sache ist), ist hiermit eingeladen zu einem Abend bei Wein und ein paar Schmankerln. Einfach ein E-Mail an mich. Ich lade ein.
    joseph.dengler@netventure.at

  2. Ich erlaube mir, einige kurze ungeordnete Anmerkungen zu Euren Thesen hinsichtlich des Verhältnis von Jugend und Alter in der Arbeitswelt zu machen.

    1) Es ist auffallend daß Ihr zweimal von einem statischen Arbeitsplatz-Angebot ausgeht:
    ~ Ihr begründet die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in ausgewählten deutschen Städten im Vergleich zu Wien damit, daß bspw. in Hamburg eine abnehmende bzw. geringere Zahl Jugendliche dem Arbeitsmarkt potentiell zur Verfügung stehen, weil Wien überproportional wächst und damit mehr Jugendliche einen Arbeitsplatz nachfragen.
    ~ Und Ihr begründet ein niedriges Pensionsantrittsalter damit, daß ältere Arbeitnehmer jüngeren potentiellen Arbeitnehmern die Arbeitsplätze freimachen, weil sie ja keinen Arbeitsplatz mehr einnehmen.

    2) Das Modell ignoriert völlig, daß einerseits ein Arbeitsmarkt beispielsweise durch Maßnahmen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gesteuert werden kann, d.h. die Zahl der offenen Arbeitsstellen ist weder zufälliges noch notwendiges Schicksal. Zudem spricht man i.d.R. von „Jugendarbeitslosigkeit“ vor allem bei Jugendlichen in der Phase zwischen Ausbildungsabschluß und erster (existenzsichernden) Arbeitsstelle. Warum finden Jugendliche, die dem Arbeitsmarkt eigentlich zur Verfügung stehen, keine Arbeitsstelle? Einer der ursächlichen Faktoren ist die Diskrepanz zwischen nachgefragter Qualifikation und angebotener Qualifikation. Je geringer die Qualifikation, im Extremfall also Schulabbrecher, Absolventen mit mangelhaften Kenntnissen in den grundlegenden Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechen, mangelhafte Computer- und Internet-Kenntnisse etc. können dafür mitverantwortlich sein, daß es zwar freie Arbeitsplätze und junge Menschen, die Arbeit suchen, gibt, aber beide nicht zusammenkommen. Um Jugendarbeitslosigkeit – die übrigens in den letzten 20 Jahren in Europa bei konstant <15% lag – zu minimieren, sind also die Schaffung von Ausbildungsplätzen und die Verbesserung der Bildung zwei nachhaltige Maßnahmen, die die Politik einleiten muß.

    3) Gänzlich falsch ist übrigens die – rein populistische – Annahme, daß ältere Arbeitnehmer den jüngeren Arbeitnehmern die Arbeitsplätze "wegnehmen", also ein höheres Pensionsantrittsalter eine höhere Jugendarbeitslosigkeit verursacht: Denn die Qualifikation und die Erfahrung von Jungen und Alten ist unterschiedlich und Junge und Alte haben aufgrund ihrer somit unterschiedlichen Fähigkeiten auch unterschiedliche Aufgaben und Arbeitsplätze, außer man heißt Sebastian Kurz und wird mit unter 30 Außenminister.

    Aus klassischer Unternehmer- und wirtschaftsliberaler Sicht ist übrigens ein höheres Pensionsantrittsalter, wie es NEOS fordern, unerwünscht: ältere Arbeitnehmer kosten mehr (höheres Gehalt, höhere Lohnnebenkosten), genießen höheren Kündigungsschutz, stellen mehr Ansprüche als Jugendliche, die bereit sind, auch Zeitverträge, niedriges Einstiegsgehalt zugunsten von nebulösen Zukunftsversprechungen in Kauf zu nehmen, sie stehen mehr unter Druck und sind darum "pflegeleichter" für Unternehmen. Wäre ich ein klassischer kapitalistischer Unternehmer alten Schlags, würde ich liebend gerne meine "Alten" ab 50 in Pension schicken (die der Staat finanzieren muß) und sie gegen junge und Karriere-hungrige Leute austauschen. Wenn überhaupt, denn wenn Stellen von älteren Mitarbeitern verlassen werden, werden sie in der Regel nicht mit jüngeren, d.h. weniger erfahrenen Mitarbeitern besetzt, sondern schlichtweg gestrichen.

    4) Ist mir aufgefallen, daß Ihr schreibt, daß Menschen " …. im Erwerbsprozess bleiben müssen". Müssen? Jeder Mensch, der körperlich und psychisch gesund und fit ist, muß nicht arbeiten, sondern will arbeiten, will sich sinnvoll und erfüllend beschäftigen. Das muß natürlich nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis sein, aber tätig sein zu wollen, das zeichnet den Menschen allgemein aus. Wenn Menschen nicht mehr arbeiten wollen, dann hat sie entweder ihr Beruf psychisch und/oder körperlich kaputt gemacht, sie empfinden ihre Arbeit als sinnlos, oder eine nicht mit dem Beruf in Zusammenhang stehende Krankheit macht sie arbeitsunfähig.
    Und – asuch das sagt der einfache Blick in die demographischen Tabellen – wir werden immer älter und bleiben dabei immer gesünder – körperlich wie geistig. Schon mein Großvater hat 1/3 seines Lebens als Pensionist verbracht, er ging mit etwa 65 in Pension und starb mit 94. In den rund dreißig Jahren hat er weitergearbeitet für soziale Einrichtungen, dort seine Fach- und Berufskenntnisse eingebracht. Wir alle unter 50 haben die realistische Chance, 90 Jahre zu werden, alle 2015 Geborenen werden statistisch sicher das 22. Jahrhundert erleben. Und die wenigsten von uns werden dabei ihr Leben lang dasselbe Beschäftigungsverhältnis, dieselbe Arbeit oder gar Arbeitsstelle innehaben. Ich bin 46 Jahre und die Vorstellung, in 20 Jahren in Pension zu gehen – gehen zu "müssen", finde ich sehr befremdend. Wieso soll ich eine Pension erhalten, wenn ich eigentlich noch körperlich und geistig fit genug bin, um selbst ins Pensionssystem einzuzahlen?

    Junge Menschen ersetzen nicht alte Menschen, sondern ergänzen sie. Wollen wir eine sozial gerechte und sichere Gesellschaft, müssen wir als Gesellschaft durch Bildungs- und (!) Wirtschaftspolitik Anreize und Angebote machen, alle Altersgruppen ein erfüllendes und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Wir müssen Junge gut und für die künftigen Herausforderungen ausbilden und die Älteren weiterbilden und die Talente von allen wecken und zur Entfaltung bringen. (Coda & Schluß.)

    Viele Grüße,
    Joachim.

    Disclaimer: Ich kandidiere für NEOS in Wien-Mariahilf zur Bezirksvertretung.

  3. Markus Koza sagt:

    Sehr geehrter Herr Losehard!

    In aller gebotenen Kürze ein paar Anmerkungen (etwaige Tipp-, Grammatik- und Rechtschreibfehler mögen verziehen werden):

    Zu 1 bzw. 2) der Vorwurf des statischen Arbeitsplatz-Angebots ist nicht nachvollziehbar. Woher kommt dieser? Niemand behauptet das, das zu behaupten wäre geradezu absurd (insbesondere in Krisenzeiten, wo nachgewiesenermaßen Vollzeitarbeitsplätze verloren gehen und Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse zunehmen, wie die Beschäftigung insgesamt nach wie vor zunimmt – allerdings eben schwach und in überwiegende atypischer, vielfach prekärer Form). Das die Demografie einen entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsmarktsituation hat, gilt unter Expert_innenkreise, bzw. Personen, die sich mit Arbeitsmarktfragen auseinandersetzen eigentlich als unumstritten. Dass Zuzug – sprich mehr Bevölkerung im Erwerbsalter– bei einer gleichzeitig sich krisenbedingt verschärfenden Arbeitsmarktsituation mit sinkendem Arbeitsvolumen insgesamt – zu höherer Arbeitslosigkeit führt ebenso.

    Die Zahlen sprechen da eigentlich eine recht klare und eindeutige Sprache: seit 2008 ist das Arbeitsvolumen in Österreich – bei steigender Bevölkerung – von 7.118 Mio. Stunden auf 2014 6.814,7 Mio. Stunden gesunken. Gleichzeitig ist das Arbeitskräftpotential um rund 5 Prozent gestiegen. Wie zuletzt in einem Beitrag im Ö 1 Mittagsjournal zur Wiener Arbeitsmarktsituation zu entnehmen war ist hinsichtlich des Wiener Arbeitskräftepotentials insbesondere der Anteil Jugendlicher gestiegen – wie die Bevölkerung in Wien insgesamt gestiegen ist.

    Sie unterstellen uns, dass wir in unserem „Modell“ ignorieren würden, dass der Arbeitsmarkt durch wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gesteuert werden könnte. Glauben Sie mir, als Ökonom weiß ich wie „Modelle“ aussehen. Es handelt sich keineswegs um ein ökonomisches Modell. Auch wurde nie behauptet, die Demografie wäre die einzige Erklärung für (Jugend-) Arbeitslosigkeit, das wäre ja absurd. Geht auch klar aus dem Text hervor („Nun, Gründe für unterschiedliche Entwicklungen an den Arbeitsmärkten sind vielfältig. Demografie und Pensionsreformen sind nur zwei davon.“), allerdings ist die Demografie ein wichtiger.

    Mindestens ebenso wichtig sind wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen – selbstverständlich, wobei wirtschaftspolitischen im Sinne einer Beschäftigungspolitik besondere Bedeutung zu kommen, da arbeitsmarktpolitische Maßnahmen – von Qualifikation bis Integration – nur dann nachhaltig wirken können, wenn diese sich auch in Beschäftigung niederschlagen. Hinsichtlich wirtschaftspolitischer Maßnahmen tun sich halt zwischen NEOS-Liberalen und uns tatsächlich tiefe bis tiefste Gräben auf. Wenn die NEOS in Wien etwa eine „Schuldenbremse“ in Verfassungsrang – in Wiener Verfassungsrang (!) – fordern, ist ihnen entweder entgangen, dass es diese in Form des innerösterreichischen Stabilitätspakt in dem sich Gemeinden und Länder zu einem Spar- und Konsolidierungskurs vertraglich verpflichten – längst gibt, bzw dass genau diese Instrumente wesentliche Ursache für die rückläufige Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand – egal ob als Bund, Länder oder Gemeinden sind, die letztlich zu mehr Arbeitslosigkeit führen und krisenhafte Entwicklungen verfestigen. Es ist auch schlichtweg empirisch beobachtbar dass in Österreich erst mit dem Abkehr von der antizyklischen Konjunkturpolitik und der Hinwendung bzw. der – noch dazu europaweit gleichzeitig stattfindenden – ordnungspolitischen Implementierung der prozyklisch wirkenden Austeritätsmechanismen im Rahmen des Fiskalpakts es zu einer Verschärfung der Arbeitslosigkeit und der Krise gekommen ist. (Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf entsprechende Studien der OECD und des IMF die inzwischen den Austeritätskurs sehr kritisch sehen). Es gibt nun mal grundlegende inhaltliche Unterschiede zwischen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen und Forderungen der NEOS-Liberalen und uns alternativen Gewerkschafter_innen. Und ich gebe es ganz offen zu – von den wirtschaftspolitischen Vorhaben der NEOS von Steuerreform bis hin zu Lohnnebenkostensenkungen und Verfestigung der Austeritätspolitik halte ich überhaupt nichts, im Gegenteil ich halte sich für vollkommen verfehlt und in die komplett falsche Richtung gehend, weil sie weder sozial wie ökologisch nachhaltig sind, noch zu einem mehr an qualitativ hochwertiger Beschäftigung führen. Insbesondere auch dann, wenn man sich vergewissert, dass die NEOS-Liberalen zusätzlich den Kollektivverträgen reinen „Richtlinien-“ und nicht mehr „Normierungs-“Charakter zugestehen wollen.

    Zu 3.) Auch hierbei handelt es sich keineswegs um eine „populistische“ Annahme sondern um ein Faktum. Ältere Arbeitnehmer_innen nehmen jungen Arbeitnehmer_innen keine Jobs weg. Sondern: wenn es schlichtweg einen Rückgang des Arbeitsvolumens gibt, gleichzeitig allerdings ein steigendes Arbeitskräftepotential – durch Zuwanderung, durch die erfreulicherweise steigende Erwerbsquote von Frauen und eben auch durch das längere Verbleiben im Arbeitsprozess – kommt es nun mal zwangsläufig zu einer Verknappung des Arbeitsplatzangebots, das entweder über den Weg der Prekarisierung und Atypisierung „gelöst“ wird, oder eben mehr und mehr Menschen aus dem Erwerbsprozess ausschließt. „Nachrückende“ haben es einfach dann nicht mehr so leicht. Ich bewerte ja nicht ob es gut oder schlecht ist, dass ältere länger im Arbeitsprozess sind.

    Das aus klassischer Unternehmer – und wirtschaftsliberaler Sicht ein höheres Pensionsantrittsalter unerwünscht wäre – dem widerspreche ich allerdings entschieden und es widerspricht auch sämtlichen Politiken der letzten Jahre unter wirtschaftsliberalen Vorzeichen (darauf einzugehen erspare ich mir jetzt tatsächlich, das würde sämtliche Rahmen sprengen, erwähnt sei hier nur die immer wieder stattfindenden Unterscheidung zwischen „Zukunfts-“ und „Vergangenheitsausgaben“ mit klarer Gewichtung für Zukunftsausgaben, die automatisierte Verknüpfung von Pensionsantrittsalter und Pensionshöhe mit der Lebenserwartung und die real stattfindende de facto wie auch gesetzliche Anhebung des Pensionsantrittsalters in praktischen allen europäischen Ländern). Die NEOS-Liberalen fordern entsprechend auch die Heranführung des realen an das gesetzliche Pensionsantrittsalter (darüber kann man unter Rahmenbedingungen die das auch real ermöglichen – etwa Rechtsansprüche auf längere Auszeiten, Arbeitszeitverkürzung, Eindämmen von Überstunden etc.) durchaus auch sprechen, über den von den NEOS-Liberalen ebenfalls geforderten Pensionsautomatismus allerdings schon deutlich weniger. Auch über eine Neuverteilung der Lebensverdienstsumme sollte geredet werden (allerdings von den dafür zuständigen KV_Verhandlungsparteien nicht von Parteien und sicher nicht von den NEOS-Liberalen) allerdings nicht über das was den NEOS tatsächlich in Sachen Kollektivverträge, Arbeitszeiten etc. vorschwebt, was bei ihnen – wie so oft wenn es um soziale Errungenschaften für Arbeitnehmer_innen geht – unter dem Titel „Privilegien“ läuft (etwa 6. Urlaubswoche nach 25 Dienstjahren bei einem AG, Gehaltsvorrückungen in den KV, Erleichterung der Kündigung), sowie die NEOS-Liberalen Forderungen nach Ausbau von Kombilohnmodelle und flexibleren AZ-Modellen für die Betriebe. Wie tatsächlich in Sachen AZ, Senkung der Lohnnebenkosten die NEOS eine strikt unternehmensfreundliche Linie fahren, die letztlich dem Ziel, tatsächlich gesund mit dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter in die Rente zu gehen eklatant widerspricht und auf Kosten sozialstaatlicher Absicherung geht. Damit ist ganz offensichtlich die – klassisch neoliberale bzw. neokonservative – Hoffnung verbunden, dass mit einer Senkung der Kosten des Faktors „Arbeit“ ein mehr an Beschäftigung einhergeht und Arbeitslosigkeit vor allem aus Überregulierung, zu hohen Kosten, zu hohen Löhnen, starren Arbeitszeitregelungen und unzulässigen „Privilegien“ entsteht. Dass diese Position nicht die unsere ist und wir auch diese Analyse für völlig daneben und unzutreffend ansehen versteht sich hoffentlich von selbst, zeigt sich zuletzt auch empirisch die Entwicklung in den Krisenstaaten in Folge der Austeritätspolitik, dass steigende Arbeitslosigkeit in der Regel Folge fehlender Binnennachfrage aufgrund zu niedriger Löhne und steigender Prekarität sowie mangelnder öffentlicher Investitionen sind. Da werden wir allerdings nicht auf einen grünen Zweig kommen.

    4) Dass Menschen „… im Erwerbsprozess bleiben müssen“ ist nicht wertend gemeint sondern schlichtweg eine Tatsachenfeststellung, die sich in Folge diverser Pensionsreformen ergeben haben. Durchaus mit dieser Zielsetzung. Ich kann diese Zielsetzung durchaus auch teilen – unter gewissen Rahmenbedingungen wie Arbeitszeitverkürzung, Rechtsansprüche auf berufliche Auszeiten im Erwerbsverlauf, mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz, deutlich verbesserten Arbeitsbedingungen etc. Es mag durchaus sein, dass sie es befremdlich finden, schon in 20 Jahren in Pension gehen zu müssen. Es ist nun mal abhängig davon, wie wohl und glücklich man bzw. frau sich in einer Arbeit fühlt, wie wert geschätzt, wie eingebunden in Arbeitsprozesse, wie gesund Arbeitsplätze auch sind. Und: genauso wie Frühpensionierungen durchaus auch als arbeitsmarktpolitische Maßnahme im Sinne einer Lebensarbeitszeitverkürzung gesehen werden konnte – bzw. auch immer wieder gesehen wurde – um „jüngeren“ AN am Arbeitsmarkt Platz zu machen, kann das „Recht auf länger“ arbeiten auch nicht ohne Blick auf die Arbeitsmarktlage betrachtet werden. Und daraus ergeben sich bereits oben erwähnte Problemfelder, die allerdings etwa durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung wieder behoben werden könnte. Die allerdings bei NEOS-Liberalen kein Thema ist.

    Gerne unterschreibe ich ihren Satz: „Wollen wir eine sozial gerechte und sichere Gesellschaft, müssen wir als Gesellschaft durch Bildungs- und (!) Wirtschaftspolitik Anreize und Angebote machen, alle Altersgruppen ein erfüllendes und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.“ In der Frage des „Wie“ werden sich NEOS-Liberale und wir uns allerdings mit Sicherheit nicht einig werden ;-).

    So weit, mit alternativ-gewerkschaftlichen Grüßen

    Markus Koza

    PS: auf das Posting, in dem mir marxistisch-leninistisches Wording in trotzkistischem Stile unterstellte wird, gehe ich – wohl verständlicherweise – nicht ein, möchte aber nicht verhehlen, dass ich sehr, sehr gelacht hab!

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