Opferschutz in Österreich: Erfahrungen von ExpertInnen werden ignoriert und Gewaltschutz wird kaputtgespart


Lange Zeit hatte Österreich in Europa eine Vorreiterrolle im Gewalt-und Opferschutz. Das hebt auch der kürzlich veröffentlichte GREVIO-Bericht (1) des Expertinnengremiums des Europarates hervor und begrüßt eine Reihe von positiver Maßnahmen, vor allem das langjährige politische Engagement zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen. GREVIO preist insbesondere die starke Führungsrolle, die Österreich in den letzten 20 Jahren bei der Einführung und Weiterentwicklung der Wegweisungen und Betretungsverbote für Täter im Fall von häuslicher Gewalt eingenommen hat.

Foto-Credit: Ferdinand Germadnik

 

Zahlreiche Gesetzesänderungen haben zu einem umfassenden Katalog von Straftatbeständen geführt und weitreichende juristische und psychosoziale Prozessbegleitung für Opfer von Gewalt- und Sexualstraftaten möglich gemacht. Politisches Engagement ist derzeit jedoch nicht spürbar, obwohl es noch viele Lücken und Defizite im Gewaltschutz gibt.

Die Istanbul-Konvention – neuer Handlungsauftrag, aber Ignoranz und kein Geld
Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention (2) 2014 hat Österreich einen neuen Handlungsauftrag im Bereich Gewaltschutz und ist verpflichtet, alles zu tun um Gewalt an Frauen zu verhindern und gewaltbetroffene Frauen zu schützen und umfassend zu unterstützen. Um die Umsetzung der Istanbul-Konvention zu koordinieren, muss das dafür zuständige Frauenministerium mit ausreichenden personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden. Aber im türkis-blauen Regierungsprogramm wird die Istanbul-Konvention mit keinem Wort erwähnt und auch das am 21. März 2018 vorgestellte Regierungsbudget sieht keine Aufstockung des Frauenbudgets für Gleichstellung und Gewaltprävention vor. Ganz im Gegenteil: Das Budget im Frauenressort wird sogar um 500.000 Euro wieder auf 10 Millionen Euro zurückgekürzt. Auch für den von der Frauenministerin angekündigten Ausbau von 100 Notunterkünften für Gewaltopfer bis 2020 ist interessanterweise kein zusätzliches Budget vorgesehen.

Dabei sind wir noch sehr weit entfernt von echter Gleichberechtigung der Geschlechter und das Ausmaß der Gewalt an Frauen in Österreich ist erschreckend hoch: Jede fünfte Frau ist mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt. Monatlich werden zwei Frauen durch ihre eigenen (Ex-)Partner oder durch männliche Familienmitglieder ermordet.
Diese familiäre Gewalt kostet Österreich jährlich 3,7 Milliarden Euro – eine beträchtliche Geldsumme, die durch verstärkte Investitionen in Präventionsarbeit langfristig einspart werden könnte.
Diese dringend notwendige Aufstockung des Budgets ist eine der zentralen Forderungen der Allianz „Gewaltfrei leben“ (siehe Infokasten) und eine ausdrückliche Empfehlung des GREVIO-Expertinnenkomitees. Gleichstellungs- und Gewaltprävention benötigt jährlich mindestens 210 Millionen Euro, um das enorme Ausmaß der Gewalt an Frauen zu reduzieren und zu beenden. Präventionsarbeit macht nicht nur menschenrechtlich, frauenrechtlich und ökonomisch Sinn, sondern schützt auch Kinder vor Gewalt und Armut.

„Law and Order“-Politik statt Gewaltprävention
Stattdessen fordert die aktuelle Regierung eine Verschärfung der Strafen für (Sexual-)Straftäter, in der fälschlichen Annahme, dass ein erhöhtes Strafausmaß Täter abschreckt und Gewalttaten hauptsächlich von Migranten und Asylwerbern verübt werden. Gewalt an Frauen kommt jedoch in allen gesellschaftlichen Kreisen und Kulturen vor und wird auch in Ländern ausgeübt, wo es die Todesstrafe gibt. Die mittlerweile eingerichtete Taskforce  im Innenministerium lehnt eine Mitwirkung – und damit Wissen und die Kompetenz – der 30 Mitgliedsorganisationen der Allianz „Gewaltfrei leben“ ab. Während in der Vergangenheit die Expertise und Erfahrungen von Frauen- und Opferschutzeinrichtungen von Regierungsmitgliedern immer ernst genommen und einbezogen wurden, so werden diese heute ignoriert. Eine Verschärfung des Strafrahmens ist derzeit nicht notwendig, da bereits 2016 eine umfassende Reform des Strafrechts in Kraft getreten ist. Dabei sind die Strafrahmen vor allem für Sexualstrafdelikte empfindlich ausgeweitet worden. Dringend notwendig hingegen ist es, dass die Justiz die gesetzlich vorgesehenen Strafrahmen auch anwendet. Denn Tatsache ist, dass Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt von der Strafjustiz nach wie vor nicht ernst genommen wird. Es bedarf konkreter Maßnahmen, um das Risiko einer bevorstehenden Gewalttat besser einzuschätzen und durch die Verhängung von Untersuchungshaften zu verringern.

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Oft ist der Mord der schreckliche Höhepunkt einer langen Gewaltgeschichte. Tötungsdelikte und schwere Körperverletzungen durch eigenen Partner passieren aber nicht aus heiterem Himmel und meistens gibt es zahlreiche Vorwarnzeichen. Diese müssen von Polizei und Justiz erkannt und ernst genommen werden – was jedoch viel zu selten passiert. Vor allem gefährliche und behördenbekannte Gewalttäter werden von der Justiz, anstatt in U-Haft genommen zu werden, auf freiem Fuß angezeigt oder freigesprochen. Viele Frauen bringen zwar den Mut auf, Anzeige gegen ihre Misshandler zu erstatten, jedoch bleibt das oft  ohne Konsequenzen für die Gewaltausübenden. Der Staat ist daher aufgefordert, Gewalt an Frauen ernst zu nehmen, mehr in die Sicherheit von Frauen und Kindern zu investieren und verstärkt Gewalttäter zur Verantwortung zu ziehen.
Es muss sichergestellt werden, dass Täter bei geschlechtsspezifischen Gewalttaten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Die dringende Empfehlung lautet, daher verpflichtende Curricula zum Thema Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in die Ausbildungen der angehenden RichterInnen und StaatsanwältInnen zu integrieren und gesetzlich zu verankern.

Täterschutz statt Opferschutz
Ebenso werden Betroffene sexueller Gewalt von der Justiz nicht ernst genommen. Es gibt zwar Anzeigen, aber wenige Verurteilungen. Tatsache ist auch, dass der Anteil der Anzeigen zurückgeht, weil Betroffene immer weniger Vertrauen in das Justizsystem haben und vor allem Angst haben, dass ihre Misshandler und Vergewaltiger nicht zur Verantwortung gezogen werden. Stattdessen erleben viele Frauen im Strafverfahren laufend victim blaming (Täter-Opfer-Umkehr). Nicht selten geben RichterInnen und StaatsanwältInnen Frauen die Schuld für ihr Verhalten mit Argumenten wie „Hätte sie sich besser gewehrt, wäre es nicht passiert“, „Wenn sie sich nicht so „sexy“ angezogen hätte, wäre das nicht passiert“, „Wäre sie nicht in der Nacht alleine unterwegs gewesen“, usw… Es kommt auch immer häufiger vor, dass Frauen mit Verleumdungsstrafen rechnen müssen, wenn der Täter sie der Unwahrheit bezichtigt. All das schreckt die Gewaltopfer vor einer Anzeige zurück. Täterschutz geht leider immer noch vor Opferschutz.

Der GREVIO-Bericht kommt ebenfalls zu dieser Einschätzung und kritisiert die Verharmlosung von Gewalt durch die Justiz: „Verurteilungsraten sind für alle Formen von Gewalt gegen Frauen niedrig (…). In Fällen häuslicher Gewalt und Stalking nutzen österreichische Strafverfolgungsbehörden häufig das Instrument der diversionellen Maßnahmen4. Dies bedeutet, dass Maßnahmen wie Tatausgleich (wenn das Opfer zustimmt) oder Anti-Gewalt-Training angeordnet werden, und zwar anstelle einer strafrechtlichen Verurteilung, nicht zusätzlich zu einer solchen. Der vorliegende Bericht erörtert weitere Gründe dafür, dass Täter häuslicher Gewalt oder anderer Formen von Gewalt gegen Frauen nur selten strafrechtlich Verantwortung übernehmen müssen. Hierzu gehören Probleme bei polizeilichen Ermittlungen sowie der Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren. Obwohl das hochentwickelte System von polizeilichen Betretungsverboten und gerichtlichen einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt stark dazu beiträgt, Frauen vor Gewalt zu schützen, verstellt es den Blick auf eine mangelnde Strafverfolgung von Fällen häuslicher Gewalt“.

(1) 2016 wurde Österreich vom Europarat-Expertinnengremium (Group of Experts on Action against Violence against Women – GREVIO) auf seine Umsetzung der Konvention geprüft. Der Bericht des GREVIO-Komitees wurde 27. September 2017 veröffentlicht.

(2) Die Europarats-Konvention zur Bekämpfung und Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist 2011 in Istanbul unterzeichnet worden, daher kommt der Name „Istanbul-Konvention“. Sie ist ein beeindruckender Meilenstein der für Frauenrechte: Als erstes verbindliches internationales Rechtsdokument erkennt sie Gewalt an Frauen ausdrücklich als Menschenrechtsverletzung an.

Mag.a Maria Rösslhumer ist Politikwissenschafterin, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser – AÖF, Leiterin der Frauenhelpline gegen Gewalt 0800/222 555, Vorstandmitglied des österreichischen Frauenrings (ÖFR). Von 1997 bis 2017 Geschäftsführerin des europäischen Netzwerks WAVE (Women Against Violence Europe).
Kontakt: maria.roesslhumer@aoef.at


Der Verein AÖF feiert dieses Jahr gemeinsam mit den autonomen Frauenhäusern 20 Jahre Frauenhelpline gegen Gewalt 0800/222 555, 30 Jahre Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser – AÖF und 40 Jahre Frauenhäuser in Österreich.

Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser – AÖF
Der Verein AÖF wurde 1998 als Zusammenschluss der Mitarbeiterinnen der autonomen Frauenhäuser in Österreich gegründet. Ziel war und ist es, eine Plattform für einen professionellen Austausch zu schaffen und gemeinsam über das Thema Gewalt an Frauen und Kindern zu informieren und zu sensibilisieren. Die Service-, Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit für die autonomen Frauenhäuser in Österreich ist nach wie vor die Kernarbeit des Vereins AÖF. Das Tätigkeitsspektrum des Vereins hat sich jedoch kontinuierlich erweitert. Heute umfassen die Vereinstätigkeiten folgende 2 Bereiche:

  1. Informationsstelle gegen Gewalt:
    Die Mitarbeiterinnen der Informationsstelle gegen Gewalt sind einerseits für die Netzwerk- und Unterstützung für die autonomen Frauenhäuser zuständig, aber auch für Öffentlichkeits-und Medienarbeit, wie z.B. Presseaussendungen oder das Aufbereiten von Informationen für JournalistInnen. Sie leisten umfangreiche Grundlagen- und Informationsarbeit durch das Herausgeben von Informationsmaterialien (Online und Print) und die Betreuung der Website www.aoef.at sowie der Social-Media-Kanäle (Facebook, Twitter, YouTube). Die Informationsstelle gegen Gewalt bietet Gewaltpräventionsmaßnahmen und zahlreiche Aktivitäten und (EU-)Projekte für verschiedene Zielgruppen an und steht für maßgeschneiderte Workshops, Seminare, Schulungen, Trainings und Informationsgespräche zur Verfügung.
  2. Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800/222 555
    Die Frauenhelpline gegen Gewalt wurde 1998 gegründet und bietet an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr anonym und kostenlos Hilfe und Beratung für alle Frauen und Mädchen, die Gewalt in irgendeiner Art und Weise erleben (müssen), aber auch für Personen im Umfeld der Betroffenen. Weitere Informationen unter: www.frauenhelpline.at

Allianz „Gewaltfrei leben“
Im Zusammenhang mit der Evaluierung der österreichischen Umsetzung der Istanbul-Konvention, hat sich im Herbst 2017 die Allianz „Gewaltfrei leben“ gegründet. Sie ist ein Zusammenschluss von österreichischen Opferschutzeinrichtungen und Zivilgesellschaftsorganisationen, welche sich der Verbesserung des Gewaltschutzes in Österreich widmet. Die Allianz hat es sich zur Aufgabe gemacht, die die Empfehlungen des GREVIO-Komitees zu unterstützen und die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Österreich voranzutreiben.

 

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