WIFO-Monatsberichte 3/2011 (Teil 2): Wie Sozialpolitik auf die Konjunktur wirkt(e)

Es blieb allerdings – um die Auswirkungen der Krise in ihrer vollen Härte abzuschwächen – bekanntlich nicht nur beim „Wirken lassen“ der automatischen Stabilisatoren, es wurden neben milliardenschweren, die Staatshaushalte besonders belastenden Bankenrettungspaketen auch Konjunkturpakete geschnürt. Die StudienautorInnen und Verfasser des Beitrags in den WIFO-Monatsberichten analysieren dabei die Konjunkturpakete hinsichtlich der Anteil an sozialpolitischen Maßnahmen.

Was wird als „sozialpolitische Maßnahmen“ gewertet?

Das Handlungsfeld der Sozialpolitik wird dabei recht breit definiert: als sozialpolitische Maßnahmen im weiteren Sinn gelten demnach alle Initiativen, die das Einkommen und die Beschäftigungssituation der Bevölkerung bzw. bestimmter Bevölkerungsgruppen verbessern. Das schließt Reformen im Bereich der Einkommenssteuern – z.B. die Absenkung von Steuersätzen, die Ausweitung von Steuefreibeträgen etc. ebenso ein, wie die Erhöhung von Transferleistungen – z.B. die Erhöhung von Pensionen, Erhöhung von Arbeitslosengeld, Erhöhung des Pflegegeldes etc.

Wie Konjunkturpakete – und in derartige Pakete eingebettete sozialpolitische Maßnahmen – wirken, hängt dabei von drei Faktoren ab:

  • von der Sparquote der durch die Maßnahmen begünstigten Haushalte: Haushalte mit niedrigem Einkommen weisen ein geringe Sparquote auf und müssen sich vielfach in Konsumverzicht üben. Jeder Euro zusätzlich würde – beinahe zwangsläufig – in mehr Nachfrage, mehr Konsum fliessen. Werden diese Einkommen – durch Steuerentlastungen oder Transfers – gestärkt, führt das höherem Konsum, von einer Erhöhung niedriger Einkommen ginge also ein „expansiver“, Nachfrage und damit Wachstum steigernder Effekt aus. Haushalte mit hohem Einkommen haben dagegen eine hohe Sparneigung. Steuerentlastungen werden nicht zu einer höheren Nachfrage führen, sondern eher dazu, dass noch mehr gespart wird, der Effekt verpufft. In Zeiten schwerer Krisen steigt die Sparneigung aufgrund Unsicherheit zusätzlich (Angst vor Arbeitslosigkeit, warten auf „bessere Zeiten“) was die expansive Wirkung von Steuersenkungen – zumindest bei BezieherInnen höherer Einkommen – zusätzlich verpuffen lässt.
  • von der internationalen Verflechtung der Volkswirtschaft: je mehr Güter oder Dienstleistungen importiert werden, umso mehr an zusätzlicher Konsum fließt in die Nachfrage nach Produkten aus dem „Ausland“, wirken also nicht im „Inland“ nachfrage- und beschäftigungswirksam.
  • vom Verhalten der Zentralbank: von einer Geldpolitik mit niedrigen Zinssätzen, welche fiskalpolitische Maßnahmen – also öffentliche Ausgaben zur Belebung der Konjunktur – sind expansivere Effekte zu erwarten, als von einer Hochzinspolitk, welche z.B. Kredite für Investitionen teuer macht.

Sozialpolitische Maßnahmen als Krisenbewältigung

Ende 2008, Anfang 2009 schnürten die meisten EU-Staaten Konjunkturpakete, die mit 2009 wirksam wurden. Im Euro-Raum wurden konjunkturbelebende Maßnahmen im Ausmass von rund 170 Mrd. Euro beschlossen, rund knapp 2 % des EU-BIP von 2008. Auf sozialpolitische Maßnahmen im weiteren Sinne entfielen dabei 59 %, nämlich rund 100 Mrd. Euro oder 1,1 % des BIP, wobei Steuersenkungen gegenüber höheren Sozialausgaben klar dominierten. So beliefen sich Steuer- und Abgabesenkungen auf 0,78 % des BIP, höhere Sozialausgaben dagegen nur auf 0,32 %. Nur Dänemark, Schweden, Belgien, Portugal und Spanien setzten ausgabenseitige Impulse von über 0,5 % des BIP. Und, interessant: Zwei Drittel der gesamten sozialpolitischen Impulse im Euro-Raum machten dabei alleine die Maßnahmen in Deutschland (39,07 Mrd. Euro, v.a. Erhöhung Steuerfreibetrag, Senkung Eingangssteuersatz und SV-Beiträge, Kurzarbeit) und Spanien (26,42 Mrd. Euro) aus.

Großes Gewicht hatten sozialpolitische Maßnahmen zur Konjunkturstützung auch in den skandinavischen Ländern, in Belgien, den Niederlanden, Österreich, der Slowakeit und Tschechien. In Österreich fallen in diese Kategorie die Steuertarifreform inklusive Familienpaket 2009, die Ausweitung von Sozialtranfsers (Einführung 13. Familienbeihilfe, Erhöhung Pflegegeld und Pensionen im Herbst 2008) und die Förderung von Kurzarbeit.

Gesamtwirtschaftliche Effekte sozialpolitischer Maßnahmen

Die im Rahmen der Krise betriebene expansive Sozialpolitik wirkte sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung aus: sie erhöhte das BIP im Euro-Raum 2009 um 0,9 %, alle EU-Länder profitierten nicht nur von ihren selbst gesetzten Maßnahmen, sondern auch von den Aktivitäten der Partnerländer.

In Deutschland etwa steigerten die eigenen sozialpolitischen Maßnahmen schon 2010 das BIP um 0,3 %, bis 2012 wird der Effekt – kumuliert gegenüber einem Szenario, wo keine sozialpolitischen Konjunkturpakete geschnürt worden wären – + 1,4 % betragen. Dabei profitiert die deutsche Wirtschaft zu drei Viertel von in der BRD gesetzten Maßnahmen, zu einem Viertel von Maßnahmen der EU-Partner.

Ähnliche Ergebnisse ergeben sich auch für andere Länder: in Finnland zum Beispiel, einer kleinen, offenen Volkswirtschaft (also eine Volkswirtschaft, in der aussenwirtschaftliche Handelsbeziehungen von besonders hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung sind), wird das BIP aufgrund der expansiven Sozialpolitik um 3 % höher liegen als ohne entsprechende Maßnahmen (wobei ein Drittel des Effekts auf Maßnahmen der Partnerländer zurückzuführen ist). Ähnliche Resultate gibt es für Dänemark und Schweden, in Österreich erhöhen sozialpolitische Konjunkturmaßnahmen das BIP im Jahr 2012 um 1,5 %, zu einem Drittel aufgrund ähnlicher Aktivitäten der europäischen Handelspartner. Die AutorInnen hinsichtlich der Auswirkungen sozialpolitischer Konjunkturpakete auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zusammenfassend:

„Sozialpolitische Maßnahmen erhöhen das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte. Sie wirken deshalb über einen Anstieg der Konsumnachfrage auf das BIP. In einigen Ländern unterstützen die Konjunkturpakete die Binnennachfrage in erheblichem Ausmaß … Im Durchschnitt des Euro-Raumes wird die Konsumnachfrage der privaten Haushalte im Jahr 2012 um 0,6 % höher sein als ohne die sozialpolitischen Maßnahmen. In den skandinavischen Ländern beträgt der Anstieg 2,5 % bis 3 %, in Österreich 1,7 %.“

Verhaltene Beschäftigungseffekte sozialpolitischer Konjunkturmaßnahmen

Nicht gänzlich vernachlässigt werden sollten die beschäftigungspolitischen Effekte aus sozialpolitischen Konjunkturpaketen, wobei die Wirkung besonders beschäftigungswirksamer Maßnahmen wie etwa die Ausweitung von Beschäftigung im öffentlichen Dienst oder Kurzarbeit im Modell nicht voll erfasst werden konnten: sozialpolitische Maßnahmen in der EU schufen im Jahr 2010 112.000 Arbeitsplätze, bis 2012 soll sich dieser Wert auf 330.000 Jobs erhöhen. 190.000 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse ergeben sich dabei aufgrund von den Staaten selbst gesetzter Maßnahmen, 140.000 Jobs aus Sozialpaketen der Partnerländer. Angesichts der Höhe der eingesetzten Mittel sind die erzielten Beschäftigungsverhältnisse allerdings vergleichsweise gering. Die AutorInnen:

„Dies hat mehrere Gründe: Erstens bestehen in einer Rezession in den Unternehmen hohe Produktivitätspolster, zusätzliche Beschäftigung entsteht also mit erheblicher Verzögerung. Zweitesn ist die Unsicherheit in einer tiefen Wirtschaftskrise besonders ausgeprägt, die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern oder Investitionsgütern besonders niedrig. Drittens war der Anteil von Abgabesenkungen an den gesamten Maßnahmen besonders hoch. Steuersenkungen weisen wegen der relativ hohen marginalen Sparleistung der Begünstigten (die in der Krise sogar noch gestiegen ist) geringe Nachfragewirksamkeit und verhaltene Beschäftigungswirkungen auf.“

Konklusio

Nicht zuletzt aufgrund dieser Ergebnisse verorten die AutorInnen auch einen „Reformbedarf“ bezüglich des Einsatzes diskretionärer Sozialpolitik – also einer Sozialpolitik zur Erreichung konjunktur- bzw. stabilitätspolitscher Ziele. Ein Möglichkeit wäre etwa, die „… Mittelvergabe in bestimmten Bereich an die Entwicklung von relevanten ökonomischen Indikatoren …“ zu binden. So werden z.B. in Dänemark mit steigender Arbeitslosigkeit die Mittel für Traninigs- und Qualifizierungsmaßnahmen automatisch aufgestockt, eine ähnliche Vorgangsweise wäre für die AutorInnen auch hinsichtlich einer krisenbedingten Anpassung von Höhe und Bezugsdauer von Arbeitslosengeld bzw. Mindestsicherung denkbar.

Sehr zurückhaltend wird in dem Beitrag auch die Wirkung von Steuersenkungen auf die Konjunktur beurteilt, da erhoffte Nachfrage- und Beschäftigungswirkungen – vor allem in Phasen der krisenbedingter Unsicherheit – sehr gering seien. Als besonders wirksam werden dagegen „zielgerichtete“ Maßnahmen, „… die direkt private Haushalte mit hoher Konsumneigung beünstigen oder mittels Förderungen die Beschäftigung in Krisenbranchen aufrechterhalten …“ bewertet.

Eines hat die Studie allerdings klar gezeigt: die automatischen Stabilisatoren des Sozialstaates sowie sozialpolitische Konjunkturmaßnahmen haben einen bedeutenden Beitrag zur Stabilisierung der kriseneschüttelten Volkswirtschaft geleistet, über Staatgrenzen hinweg. Es waren die sozialen Sicherungssysteme, welche die Schwere der Krise nicht voll durchschlagen ließen. Umso wichtiger ist es, diesen Sozialstaat zu verteidigen. Gerade auch aus ökonomischen Gründen. Dass sich das bis zu den MacherInnen der geplanten EU-Wirtschaftsregierung noch nicht herumgesprochen hat, ist dabei kein Zufall, sondern ideologisch wie interessenspolitisch begründet.

Zum erster Teil: WIFO-Monatsberichte 3/2011: Mit dem Sozialstaat gegen die Krise

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