Der Fall Shire – und was daraus für Schlüsse gezogen werden könnten
26. Juni 2017 von Markus Koza
Ein Unternehmen – in diesem Fall der Pharmakonzern Shire – macht einen Standort dicht. Rund 500 Beschäftigten droht der Jobverlust. Das Unternehmen ist profitabel, soll allerdings noch profitabler werden, weshalb der Standort nach Irland verlegt wird. It’s Capitalism. Ja, zeugt aber auch davon wie wenig sich Belegschaften und ihre VertreterInnen – die Betriebsräte – gegen Umstrukturierungen, Ausgliederungen, Verlagerungen, Schließungen profitabler Stätten wehren können.
Die Mitbestimmungsrechte der Belegschaften bei wirtschaftlichen Angelegenheiten sind zu schwach ausgeprägt. Über Angelegenheiten, welche die Beschäftigten betreffen ist der Betriebsrat zwar „rechtzeitig“ zu informieren – um gegebenenfalls intervenieren zu können – allerdings gibt es keine Sanktionen, falls das nicht geschieht. Die Betriebsräte stehen der Schließung ihres Standorts weitgehend hilflos gegenüber. Sie können noch Sozialpläne für die Beschäftigten verhandeln. Die Gewerkschaft unterstützt den BR bei der Forderung nach einer gut dotierten Arbeitsstiftung. Aber dann?
Shire ist nicht der erste Fall und wird nicht der letzte Fall gewesen sein, wo ein Konzern seinen Standort schließt – nicht weil er Verluste schreiben würden, sondern woanders höhere Gewinne. Die Interessen der Belegschaften, der ArbeitnehmerInnen bleiben vollkommen ausgeblendet und unberücksichtigt. Sie haben die Eigentümerentscheidungen zu akzeptieren. Schluss, Aus, Basta. It‘s Capitalism … ja, aber Kapitalismus war einmal auch 60 Stunden wöchentlich zu arbeiten, ohne Pensionsversicherung, ohne Krankenversicherung, ohne Arbeitslosenversicherung etc. Also …
… Wie könnten die Mitbestimmungsrechte der Belegschaften und deren Interessenslagen bei Ausgliederungen, Umstrukturierungen etc. berücksichtigt bzw. gestärkt werden? Einige erste Überlegungen bzw. Denkanstöße, die natürlich noch konkret ausformuliert werden müssen (z.B. auch hinsichtlich Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen, zeitlichen Fristen etc.):
1. Was „rechtzeitige“, „im vorhinein“, „ehestmögliche“ Information seitens des Betriebsinhabers gegenüber dem Betriebsrat bei Ausgliederungen, Betriebsübergängen und -änderungen etc. bedeutet muss konkretisiert werden. Betriebsräte brauchen ausreichend Zeit zu analysieren, zu beraten, über weitere Vorgangsweisen zu beraten. Diese Zeit ist einzuräumen und gesetzlich klarer zu definieren.
2. Betriebsräte müssen mit einem „Vetorecht“ mit aufschiebender/blockierender Wirkung ausgestattet werden. Das würde bedeuten: plant ein Unternehmen Umstrukturierungen, Ausgliederungen, Betriebsschließungen etc. müssen der Belegschaftsvertretung innerhalb des „aufschiebenden Vetos“ zuallererst sämtliche Informationen zu Gründen, geplanter Umsetzung, Zeitplan, Maßnahmen, Folgen für die ArbeitnehmerInnen etc. zur Verfügung gestellt, und dem Betriebsrat die entsprechende Zeit eingeräumt werden, darüber zu beraten. Der Betriebsrat muss in dieser Zeit auch die Möglichkeit externe ExpertInnen bzw. Expertise heranzuziehen – auf Kosten des Arbeitgebers – und allfällige Alternativen zu entwickeln.
Stimmt der Betriebsrat den Umstrukturierungen nach der internen Beratungsphase nicht zu, kann er Verhandlungen über Alternativlösungen – auch hier unter Einbeziehung externer Expertise und ExpertInnen – mit dem Betriebsinhaber erzwingen. Über das Instrument des „befristeten“ Vetos muss sich die Unternehmensleitung mit den Forderungen und Anliegen der Belegschaft auseinandersetzen und verhandeln, muss die Anliegen und Vorschläge des Betriebsrats anhören und dazu auch Position beziehen. Für die Dauer des „aufschiebenden“ Vetos sind sämtliche Umstrukturierungen zu stoppen. Das wäre schon ein entscheidender Fortschritt zur derzeit vorherrschenden Situation, insbesondere auch für Betriebe unter 200 Beschäftigten.
3. Wird der Produktionsstandort aufgelassen, Immobilien, Betriebsanlagen etc. verkauft, ist der Belegschaft eine privilegiertes Vorkaufsrecht einzuräumen, falls sich diese – bzw. Teile der Belegschaft – zu einer Genossenschaft oder einer ähnlich gelagerten Unternehmensform zusammenschließen und den Betrieb in Eigenregie („Selbstverwaltung“) ganz oder teilweise weiterführen wollen. Dazu sind entsprechende öffentliche Förderinstrumente einzurichten sowie gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, angelehnt an das z.B. „Marcora“-Gesetz in Italien oder die experimentelle Arbeitsmarktpolitik (Förderung von „auf Selbsthilfe gegründeter Betriebe“).
Bei der derzeitigen Situation – dass nämlich unternehmerische Entscheidungen über die Köpfe der unmittelbar Betroffenen hinweg getroffen werden und diese nicht einmal Anhörungs- und Beratungsrechte haben – darf es jedenfalls nicht länger bleiben. Natürlich sind Mitbestimmungsfragen immer Machtfragen, geht es doch um die Einschränkung von Verfügungsgewalt über Eigentum – in diesem Fall an Produktionsmitteln. Demokratie darf allerdings nicht vor den Betriebstoren halt machen. Es braucht mehr Demokratie. Gerade auch in der Arbeitswelt.
Link: GPA-djp: Stellenabbau bei Shire: GPA-djp fordert volle Transparenz und Einbeziehung des Betriebsrats