NEOS, IV, WKÖ und Regierung wieder mal voll daneben: Arbeitszeiten – Wunsch und Wirklichkeit

Die zuletzt Dank Kollektivvertragsverhandlungen im Sozialbereich und  Frauen*volksbegehren wieder losgetretene Arbeitszeitdebatte – im Volksbegehren wird ja eine Arbeitszeitverkürzung auf wöchentlich 30 Stunden gefordert – und die Reaktion von WKÖ, ÖVP, FPÖ und NEOS darauf macht’s wieder mal nötig: Nämlich einen Blick auf die tatsächlichen Arbeitszeitwünsche der ArbeitnehmerInnen zu werfen und sich die Polemiken der GegnerInnen der Arbeitszeitverkürzung anzuschauen.
Während uns ÖVP, NEOS, IV und WKÖ ständig und immer, immer wieder einreden wollen, dass die ArbeitnehmerInnen in Österreich ganz wild darauf wären, endlich 12-Stunden-Arbeitstage in Büros, Fabriken und sonstigen Unternehmen ableisten zu dürfen, Arbeitszeitverkürzung dagegen wahlweise entweder total „retro“ und „gescheitert“ ist (WKÖ) oder „ökonomisch fetzendeppert“ (‚Sozial’sprecher der NEOS, Loacker), belegen Studien ganz anderes. Bei der verorteten Sehnsucht der ArbeitnehmerInnen rund um die Uhr für die ArbeitgeberInnen verfügbar sein dürfen, scheint es sich tatsächlich eher um ein ausgesprochenes Minderheitenprogramm zu handeln.

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Europa Vergleich: Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten in Österreich besonders stark ausgeprägt

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Da wollen in Österreich etwa tatsächlich 21,1 % der Vollzeitbeschäftigten in Österreich  kürzer arbeiten, länger arbeiten wollen dagegen weniger als  5 %. Der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten ist nur noch bei Vollzeitbeschäftigten in der Schweiz (45,6 %) und in Luxemburg (23,4 %) stärker ausgeprägt. Wünsche nach kürzeren Arbeitszeiten gibt es vor allem in Ländern mit einer starken Wirtschaft (z.B. Schweden, Dänemark, Luxemburg), in Ländern mit besonders langen Arbeitszeiten (wie z.B. Griechenland) oder wirtschaftlich starken Ländern MIT gleichzeitig langen Wochenarbeitszeiten – eben der Schweiz und auch Österreich (siehe FORBA-Trendreport 2/2016, S 9 – 11).
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AK-Untersuchungen: eindeutige Arbeitszeitpräferenzen

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Eine Untersuchung der AK aus 2016 ergab, dass vollzeitbeschäftigte ArbeitnehmerInnen durchschnittlich 1 Stunde und 48 Minuten weniger je Woche arbeiten wollen, Teilzeitbeschäftigte dagegen um 2 Stunden und 42 Minuten mehr (siehe Beitrag auf ORF online und im Arbeit und Wirtschaftsblog). Eine aktuelle Studie der AK-OÖ ergab bei vielen Teilzeitbeschäftigten – 80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind übrigens Frauen – eine Wunscharbeitszeit von 30 Stunden je Woche. Interessanterweise entspricht diese Wunscharbeitszeit genau dem vom Frauen*volksbegehren – und auch der AUGE/UG – geforderten verkürzten Vollzeitarbeitsstandard …

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Ideologisch „unverdächtig“: Auch ING-Diba Umfrage ergibt Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung

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Auch eine Umfrage der ideologisch in Sachen Arbeitszeitverkürzung wohl eher „unverdächtig“ geltenden ING-Diba Austria Privatbank vom April 2017 ergab einen starken Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung bei Vollzeitbeschäftigten (49 %) bei gleichzeitigem Wunsch nach längeren Arbeitszeiten bei Teilzeit (47 %). Nur 21 % der befragten Vollzeitbeschäftigten gaben an, Arbeit und Freizeit bzw. Familie problemlos miteinander vereinbaren zu können und sahen in einer Arbeitszeitverkürzung eine Möglichkeit, diesen Missstand zu beheben (siehe Presseaussendung der ING-Diba Austria vom 11. April 2017)
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Auch „STANDARD“-LeserInnen wollen kürzer arbeiten

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Interessant dazu eine LeserInnenumfrage der Tageszeitung DER STANDARD , in der die tatsächliche und die gewünschte Arbeitszeit der LeserInnen abgefragt wurde. Das – nicht repräsentative – allerdings dennoch interessante Ergebnis: Rund 2/3 der TeilnehmerInnen – zum Zeitpunkt des screenshots fast 3.200 LeserInnen – an der Umfrage arbeiten 35 Stunden und mehr, 41 % gaben an, mehr als 40 Wochenstunden zu arbeiten. Die Wunscharbeitszeit liegt bei über 70 % der teilnehmenden LeserInnen allerdings zwischen 25 und 35 Wochenstunden.

Zuletzt …

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… noch zwei Anmerkungen zu den besonders intelligenten Wortspenden von WKÖ („gescheiterte Retroidee“) und Loacker („ökonomisch fetzendeppert“):
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  • Die Jahresarbeitszeit hat sich von 1870 bis 2000 von ca. 2,950 Stunden auf rund 1.700 Arbeitsstunden fast halbiert. Arbeitszeitverkürzung hat also über die Jahrzehnte und Jahrhunderte immer stattgefunden und findet nach wie vor statt (z.B. durch steigende Teilzeit). Mit der Verkürzung der Arbeitszeiten ging in den industrialisierten Ländern allerdings weder Massenverelendung noch wirtschaftlicher Absturz einher sondern – man staune! – ein unglaublicher Anstieg an Produktivität und Wohlstand. Nicht einmal in den Reihen glühendster NEOSliberaler und konservativster Wirtschaftsbündler wird sich wohl jemand finden, der ernsthaft behaupten würde, 1870 wäre der gesamtgesellschaftliche Wohlstand deutlicher höher gewesen als heute, ebenso die Lebensqualität. Zu so einer „fetzendepperten“ Behauptung wird sich wohl kaum wer hinreißen lassen. Es ist nun mal schlichtweg so, dass mit steigender Produktivität und technischem Fortschritt sich einerseits die Arbeitszeit verkürzte, andererseits Arbeitszeitverkürzung auch als „Produktivitätspeitsche“ gilt. Arbeitszeitverkürzung ist gleichzeitig eine Frage gesellschaftlicher Wertehaltung und Machtverhältnisse. Je stärker die Verhandlungsmacht, desto eher werden Gewerkschaften in der Lage sein, kürzere Arbeitszeiten durchzusetzen.

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  • Gleichzeitig – und das sollte insbesondere auch VertreterInnen der WKÖ zum Nachdenken geben: Tourismus und Freizeitindustrie sind zwei wichtige Branchen in Österreich. Tourismus und Freizeitwirtschaft erwirtschafteten 2015 alleine 13,5 Prozent des Österreichischen BIP, das sind 45,7 Mrd. Euro. Tourismus und Freizeitwirtschaft sind allerdings insbesondere auch Branchen, die tatsächlich unmittelbar von Arbeitszeitverkürzung – also „mehr Freizeit“ profitieren. Massentourismus wurde abseits von steigenden Einkommen erst mit länger zusammenhängenden Urlaubsblöcken – also der Verkürzung der“Jahresarbeitszeit –  möglich. Überhaupt nicht Retro. Sondern schlichtweg Voraussetzung für das Entstehen und Wachstum einer ganzen Branche! Freie Wochenenden, kurze Tages- und Wochenarbeitszeiten, Feiertage, Pensionsantrittsalter, Urlaubsausmaß etc. sind wesentliche Einflussfaktoren auf das Freizeitverhalten. Wer 12 Stunden im Betrieb steht, hat logischerweise weniger Zeit auf eine „freie“ Abendgestaltung mit Kino, Theater, Restaurant etc. Hat also weniger Tagesfreizeit als jemand mit 8, 7 oder gar 6 Arbeitsstunden. Wer Wochenenden durcharbeitet wird es deutlich schwerer haben, mit den Kindern Freizeitparks zu besuchen, Kurzurlaube oder Ausflüge zu machen etc. Dass dieser Aspekt der Arbeitszeit und die Bedeutung von Arbeitszeiten für Freizeit und Tourismus seitens der WKÖ vollkommen ausgeblendet, ja geradezu ignoriert wird, und Arbeitszeiten stets nur unter dem „Angebots-“ und nie unter dem „Nachfrageaspekt“ betrachtet werden, ist erstaunlich kurzsichtig, weil tatsächlich …. für den Tourismus und die Freizeitindustrie geradezu „standortgefährdend“.

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Wie auch immer. Die dringende Sehnsucht der ArbeitnehmerInnen, 12 Stunden täglich und mehr in den Betrieben und am Arbeitsplatz verbringen zu dürfen scheint jedenfalls enden wollend zu sein. Und auch wirtschaftspolitisch unvernünftig … da mögen NEOS, IV, WKÖ und die schwarz-blaue Regierung behaupten, was sie wollen ….

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