Arbeit um jeden Preis?

Helle Aufregung bei ÖVP, bei Leitartiklern, Kolumnisten, bei ExpertInnen für Alles, Konservativen und Neoliberalen aller Coleurs. Der Grund: drohende kollektive Arbeitsverweigerung des unwilligen Pöbels. Die Ursache: die Mindestsicherung. In dieser „sozialen Hängematte“ droht es sich der faule Plebs so richtig gemütlich machen zu wollen. Denn: wer geht denn schon freiwillig lohnarbeiten, wenn sich über ihn das soziale Füllhorn ergießt?, tönt es im Chor aus konservativen und neoliberalen Kehlen. Welch Glück, dass die ÖVP zumindest verhindern konnte – wenn denn diese Mindestsicherung schon kommt – dass diese gar 14 x jährlich ausbezahlt wird.

ÖVP, Konservative, Neoliberale – sie entdecken nun plötzlich „Gerechtigkeitsfrage“: Ist es denn nicht in hohem Maße ungerecht, wenn es sich da manche in der „sozialen Hängematte“Mindestsicherung bequem machen, während gleichzeitig andere um das selbe Geld arbeiten gehen müssen? Ja, muss denn da nicht geradezu die Arbeitswilligkeit zurückgehen, ist das denn nicht geradezu eine Einladung zu Arbeitsverweigerung? Das kann doch wohl bitte nicht gerecht sein! Da werden dann auch schnell – und natürlich auch ganz bewußt – Begrifflichkeiten durcheinandergebracht, wird aus der Mindestsicherung ein „arbeitsloses Grundeinkommen“ – was natürlich kompletter Quatsch ist – dem schüren einer Neiddebatte allerdings ausgesprochen nützlich. Ein Verteilungskampf Unten gegen Unten läßt sich so schließlich einfacher inszenieren und lenkt natürlich auch wunderbar von tatsächlichen Schieflage in der Verteilung ab – und die Unten sind auch gar nicht selten gerne bereit, diese Neiddebatte aufzugreifen und sich so für die Interessen derjenigen, die es gar nicht gut mit ihnen meinen, instrumentalisieren zu lassen.

Das alles in einer „Gerechtigkeitsdebatte“ eingebettet gibt auch noch einen fast seriösen Touch. Verblüffend, allerdings nicht unerwartet: es ist wohl kein Zufall, dass die Gerechtigkeitsfrage im Zusammenhang mit der Mindestsicherung genau von jenen geführt wird, die sonst am liebsten – vor allem wenn es um Managergehälter, Steuergerechtigkeit, etc. – eine Gerechtigkeitsdiskussion, ja sogar ein Nachdenken über Gerechtigkeitsfragen verbieten wollen. Auffallen auch, dass die Frage, ob denn eine Mindestsicherung gerecht ist gerade von jenen gestellt wird, deren Einkommenssitutation hoch bis jenseitig ist – von PolitikerInnen, ManagerInnen, KolumnistInnen, JournalistInnen, ChefredakteurInnen, ExpertInnen aller Art und Professionen – und die dieses Einkommen natürlich vollkommen gerechterweise beziehen. Das sind auch diejenigen, die sich nie die Frage stellten, ob denn milliardenschwere Haftungen, Kapitalzuschüsse für Banken und Unternehmen ohne wesentliche Bedingungen denn irgendwie in der Sache gerecht gewesen wären. Nein, denn diese Gerechtigkeitsdebatte wäre ja eine „Neiddebatte“ unwissender. Ebenso wie eine Forderung nach einer höheren Besteuerung von Vermögen, Spitzeneinkommen etc.

Sozialschmarotzerdebatte, Neuauflage

Aber kehren wir zurück zum Ausgangspunkt: Also, sinkt nicht die Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft mit Höhe sozialer Transferleistungen und ist das nicht gegenüber den arbeitenden Menschen in höchstem Maße ungerecht? Und muss nicht genau darum der Zugang zu entsprechenden sozialen Transfers möglichst restriktiv gehandhabt werden?

Wir kennen diese scheinheilige und vorgeschoben Debatte bereits aus der Vergangenheit zur genüge. Schuld an steigender Arbeitslosigkeit sind nicht fehlende Arbeitsplätze bzw. fehlende Arbeitsplätze zu zumutbaren Bedingungen, sondern ein zu hohes Arbeitslosengeld, das wenig Anreize zur Annahme eines Arbeitsplatzes setzt, heißt es da immer wieder. Nur so zur Erinnerung: das durchschnittliche Arbeitslosengeld lag 2008 bei rund 760 Euro monatlich, die durchschnittliche Notstandshilfe bei knapp unter 590 Euro. Die Armutsgefährdungsschwelle liegt bei 900 Euro/Monat. Österreich hat EU-weit mit 55 % eine der niedrigsten Nettoersatzraten. Vom Arbeitslosengeld läßt sich also wahrlich fürstlich leben, ebenso von der Mindestsicherung von 733 Euro monatlich. Dass bei derartig „großzügigen“ Beträgen, verbunden mit dem Druck am AMS ein besonderer Anreiz gesetzt wird, seinen Job aufzugeben um es sich in der „sozialen Hängematte“ so richtig bequem machen zu können, darf wohl ruhig bezweifelt werden. Dass konservative Chefredakteure, Politiker, Manager, Kolumnisten, Experten für alles und jedes, die gegen vermeintlich hohe Sozialtransfers in geradezu missionarischem Eifer zu Felde ziehen auch nur eine Woche von diesem Geld leben könnten, ebenso …

Wer vorgibt, voller Sorge vor der „Flucht in die Mindestsicherung“ zu sein …

Das Pferd, bzw. die Gerechtigkeitsfrage wird schlichtweg – und ganz bewußt – von hinten aufgezäumt. Die Frage müsste doch vielmehr lauten: Wenn nun tatsächlich unterstellt wird, dass die Mindestsicherung Menschen veranlassen würde, ihre Arbeit aufzugeben um Mindestsicherung zu beziehen – ja, was herrschen denn dann tatsächlich für Zustände in der real existierenden Lohnarbeitswelt? Ganz offensichtlich ist das Arbeitsleid in diesem Falle derartig hoch, Einkommen aus Lohnarbeit derartig niedrig, dass ein Einkommen zum Auskommen kaum mehr gewährleistet ist. Liegt die Mindestsicherung schon unter der Armutsgefährdungsschwelle, dann müssen entsprechend auch die Einkommen aus Lohnarbeit unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen. Kann es denn irgendjemandem verübelt werden, sein/ihr Arbeitsleid, sein/ihr Elend zu beenden (wobei er/sie ohnehin trotzdem dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muss)? Der Sozialrechtler Pfeil brachte es im heutigen Mittagsjournal auch entsprechend auf den Punkt: Es sei nicht auszuschließen, dass so manche(r) tatsächlich lieber Mindestsicherung bezieht, anstatt arbeit zu gehen. Er stellte aber infrage, ob derart schlecht bezahlte Arbeitsplätze wirklich geschützt werden müssten.

… muss die Arbeitswelt humanisieren …

Wer also vorgibt, voller Sorge vor einer Flucht arbeitender Menschen in die Mindestsicherung zu sein, würde daher wohl alles tun, die Arbeitsbedingungen zu humanisieren und für entsprechende Einkommensverhältnisse zu sorgen. Also Arbeit so attraktiv wie möglich zu gestalten, entsprechende Mindestlöhne, die ein Leben in Würde zulassen, sicherzustellen. Der/die wird sich dafür einsetzen, dass Arbeitsplätze menschenfreundlich gestaltet werden, sich die Arbeitswelt an den Bedarfs- und Lebenslagen der ArbeitnehmerInnen orientiert. Der/die wird Mitbestimmung und Mitsprache am Arbeitsplatz fördern und die Verfügungsgewalt des Arbeit“Gebers“über die Ware Arbeit, hinter der ein menschliches Schicksal steckt weitestgehend einschränken. Der/die wird Arbeit und die Arbeitswelt demokratisieren und entsprechend keine Probleme damit haben, Freiheits- und BürgerInnenrechte auch auf betrieblicher Ebene zu verankern. Der/die würde alles tun, um Prekarisierung, Flexibilisierung und Entrechtung in der Arbeitswelt wirkungsvoll zu begegnen.

Nun, das wollen unsere lieben konservativen und neoliberalen „FreundInnen“ natürlich nicht, Göttin behüte. Sie, die seit Jahrzehnten tagaus tagein einer Flexibilisierung, Deregulierung und Liberalisierung von Arbeitsmärkten und Arbeitszeiten das Wort reden, die Lohnverzicht und Lohnzurückhaltung einmahnen wann immer und wo immer es geht, sie, die Betriebsräte, Arbeitsrecht und Gewerkschaften lieber heute als morgen entsorgt wissen wollen, sie, für die Sozialstaat schlichtweg ein Werk des sozialistischen Teufels ist – sie stehen natürlich für derartiges nicht zur Verfügung. Ihnen ist eine Mindestsicherung – und sei sie auf einem noch so niedrigen Level – natürlich ein Dorn im Auge. Sie stehen für das Konzept „Arbeit um jeden Preis“. Sie, die so gerne von Freiheit und Gerechtigkeit sprechen, wollen so gar nicht frei und gerecht so ziemlich jedem so ziemlich alles an Arbeit zumuten, was es gibt. Zu (fast) allen Bedingungen. Seien die Arbeitsverhältnisse noch so prekär und ungerecht. Wer nicht bereit ist, seinen/ihren letzten Rest an Menschenwürde für den miesesten Job zu opfern, der darf sich dann als „Arbeitsunwillige/r“, faul in der „sozialen Hängematte“ liegend dennunzieren lassen.

Gehen wir ihnen nicht auf den Leim. Andere in ihrem Elend zu belassen hat noch niemanden aus dem eigenen Elend befreit. Diese Erkenntnis sollten wir alle schon langsam gewonnen haben.

2 Kommentare

  1. nicht „die journalisten“ – ich sehe es so wie du:

    https://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=1328

    allerdings kriege ich auch keine arbeit, und das frauenministerium lässt sich mit der behandlung des förderansuchens für ceiberweiber ewig zeit… mir nützen auch journalistenpreise nix, ich gehör nicht zur elitenklüngelei….ich glaube zb auch, dass die sozialdemokratie sozialdemokratisch sein soll….

  2. Vinzenz sagt:

    finde deine beiträge zur mindestsicherung gut und richtig. nur frag ich mich schon auch wieso von den grünen dieses thema so wenig öffentlich und vor allem offensiv aufgegriffen wird. ebenso die diversen ngos. da gibts zwar kritische stellungnahmen, aber keinerlei strategie, wie man gegen diese „maßnahme“gemeinsam und vor allem wirkungsvoll auftritt. diese verhalten kann man nur als tölpelhaft bezeichnen. pech gehabt, es sind jetzt halt grad alle im urlaub. und das hat die vp samt ministerchen hundsdorfer ausgenützt, die bösen. wenn man sich von den konservativen so vorführen lässt, ist es kein wunder, daß man vom wähler nicht ernst genommen wird.

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