Aus dem ÖGB-Bundesvorstand: Hundstorfer geht, Foglar kommt

Montag, 1. Dezember 2008, 14.00
Außerordentlicher ÖGB-Bundesvorstand

Der ÖGB-Bundesvorstand ist das zweithöchste Gremium des ÖGB (das höchste Gremium ist der ÖGB-Bundeskongress). Im ÖGB Bundesvorstand sind über 100 GewerkschafterInnen vertreten: Delegierte aus den Teilgewerkschaften, die Mitglieder des ÖGB-Vorstandes (des alten ÖGB-Präsidiums), der ÖGB-Frauen, -PensionistInnen und der ÖGB-Jugend; sowie die VertreterInnen der im ÖGB anerkannten Fraktionen.

Die UG-Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB, die Dachorganisation überparteilicher, alternativer und unabhängig-linker Betriebsrats- und Personalvertretungslisten ist mit drei Personen vertreten:

  • Lisa Langbein (sie kommt aus der KIV/UG), die UG-Vertreterin im ÖGB-Vorstand ist (übrigens die einzige VertreterIn einer „kleinen“ Fraktion neben FSG und FCG),
  • Markus Koza, Bundessekretär der AUGE/UG und
  • Klaudia Paiha, UG-Sekretärin und Bundessprecherin der AUGE/UG (Klaudia allerdings ohne Stimmrecht).

Zentrales Thema des außerordentlichen Bundesvorstandes:

Der Wechsel an der Spitze des ÖGB
Wie ja schon allgemein bekannt ist, wechselt der bisherige ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer an die Spitze des Sozial- und Arbeitsministeriums. Als Nachfolger schlug die FSG Erich Foglar, bislang Vorsitzender der Gewerkschaft Metall, Textil, Nahrungsmittel vor.

Bereits im Vorfeld hatten wir UGlerInnen an den Umständen, wie denn die Nachfolge so abgewickelt wurde, einiges auszusetzen (siehe auch den Eintrag hier): Am Rande des SPÖ-Präsidiums wurde über die Medien der Nachfolger verlautbart, Mitglieder des ÖGB-Bundesvorstands und -Vorstandes wurden erst später informiert. *kopfschüttel*
Zugegeben: das war Hundstorfer, Foglar hat stark relativiert. Er sei nur der Vorschlag, der in den entsprechenden Gremien erst gewählt werden müsste. Und das ist nun mal – als Zwischenlösung – der ÖGB-Bundesvorstand.

Von der viel versprochenen Transparenz bei Entscheidungen, der sich der ÖGB „neu“ noch im Zuge des Reformkongresses verschrieben hatte, war jedenfalls wenig Spur. ÖGB „uralt“. Lisa Langbein hat das schon im Vorstand heftig kritisiert. 😡

Wieso hält Hundstorfer eine Antrittsrede?
Zurück zum ÖGB-Bundesvorstand: Hundstorfer hielt seine Antrittsrede. Ja, schon richtig gelesen. Es war überwiegend eine Antrittsrede als Sozial- und Arbeitsminister, wo hin und wieder seine alte Existenz als ÖGB-Präsident einen kurzen Durchbruch schaffte.
Dann, als er über die BAWAG-Krise resümiert, wie es war, als er die BAWAG verkaufen musste, über Canossagänge ins Bundeskanzleramt etc. Dass es eine schwierige aber für ihn ausgesprochen schöne Zeit war.
Dann ganz künftiger Sozialminister: Was „man“ denn alles erreicht habe im Regierungsübereinkommen. Steuersenkung, Konjunkturpakete und Bankenpaket. Gut, das war die alte Regierung.

Kommentar am Rande übrigens: lobte Hundstorfer das Bankenpaket beim letzten ÖGB-Bundesvorstand noch als vorbildlich und dem deutschen hinsichtlich Sanktionen praktisch gleich (was ich als UG-Vertreter heftig beeinspruchte – Stichwort „Kannbestimmungen“ ohne Verpflichtungen für Banken – was dennoch an Hundstorfers Lob nichts änderte), so stellte sich die Situation für ihn nun plötzlich anders dar. Er kritisierte jetzt tatsächlich die „Kannbestimmungen“, und dass es sicher nicht angehe, dass heute Gelder für das Bankensystem locker gemacht werden, die dann künftig im Sozialsystem eingespart werden sollen. Da werde er sich dagegen stemmen. 🙄

Oh, Insel der Seeligen
Schließlich folgte das übliche Lobpreisen der Sozialpartnerschaft. Wie klass die denn nicht sei und überhaupt jetzt. Dass alles im gütlich geregelt wird sei viel besser als der Druck von der Strasse. Nun, natürlich kann alles vereinfacht werden – nur hat Konfliktfreudigkeit einer Demokratie noch nie geschadet und trägt diese viel zu einem emanzipatorischen Selbstverständnis bei.
Und von den „Ausschlussprinzipien“ der Sozialpartnerschaft ganz zu schweigen – was allerdings schon Bücher füllt und hier daher nicht weiter aufgeführt werden soll. Und dass das Sozialpartnerpaket zu Arbeitszeitflexibilisierung der Weisheit letzter Schluss ist wagt kaum noch wer zu behaupten …

Wie dem auch sei. Hundstorfer wurde verabschiedet. Von der FSG. Von der FCG. Auch von uns: ja, er und auch Kollege Foglar hätten Nervenstärke bewiesen und den Tanker ÖGB „rübergerettet“.
Über alle ideologischen Differenzen hinweg ist das anzuerkennen.

Und: wir wünschten ihm viel Glück in seinem neuen Amt – vor allem jedoch einen unabhängigen, überparteilichen Gewerkschaftsbund ohne Beißhemmung. Weil das ein Sozialminister – gerade einer aus der Gewerkschaftsbewegung – dringend brauche. Vor allem wenn er vergisst, wo er herkommt und wem er verpflichtet ist.

Tagesordnungspunkt: Wahl von Koll. Foglar
Hundstorfer dankte es allen artig. Hundstorfer schlug vor Foglar als interimistischen Nachfolger zu wählen. Und abgestimmt wurde. Keine Gegenstimme. Eine Stimmenthaltung. Die einzige. Von mir.

Zugegeben: wir waren überrumpelt und überrascht. 😯 Das kann auch uns passieren. Wir hätten uns eine Diskussion erwartet. Die es schlichtweg nicht gab. Ja, die gab’s schon. In der FSG. Nicht vor dem ÖGB-Bundesvorstand.

Und nachdem sich Foglar bedankte, ließen wir uns doch noch zu Wortmeldungen hinreißen. Dass das mit ÖGB neu nichts zu tun habe, weder mit Transparenz, noch Diskussion als Basis von Entscheidungen, so Klaudia Paiha. Dass es wohl eigentlich das Selbstverständlichste wäre, wenn jener Kandidat, der sich um die – und sei es vorerst auch einmal nur die interimistische – Nachfolge bewirbt, wohl auch einer Diskussion stellt. Dass der einmal sagt, wie er seine Rolle als künftiger ÖGB-Präsident anlegt. Wo er die Zukunft, die Perspektive des ÖGB sieht.

Wer Visionen hat, braucht einen Arzt?
Freunde haben wir uns keine gemacht. Rumoren. Grummeln. Allgemeines Unverständnis. Foglar ließ sich schließlich doch noch zu einem Statement hinreißen: es gelte die Reform zu beschließen, er müsse zuerst einmal einen Überblick gewinnen.
Alles schön und recht. Perspektiven kann frau/mann auch ohne Überblick einmal haben. Der ÖGB ist schließlich eine politische Organisation. Perspektiven haben wir von Erich Foglar bislang allerdings noch wenige vernommen. Und das ist Schade.

Beschlossen wurde auch der außerordentliche ÖGB-Bundeskongress: der wird im späten Frühjahr oder im Frühsommer 2009 tagen. Weitere Reformschritte festlegen. Den Präsidenten wählen. Und viel Raum für Reformdiskussionen geben, wie uns versichert wurde.

ÖGB-Stellungnahme zum Regierungsprogramm
Das war er dann auch schon, in Wirklichkeit. Ach ja noch was: der Tagesordnungspunkt „ÖGB-Stellungnahme zum Regierungsprogramm“ wurde erst angeschnitten, nachdem wiederum Lisa Langbein rebellierte – frau/mann würde schon gerne darüber diskutieren.
Angeschnitten und dann auch gleich wieder vertagt: Wird auch noch gemacht, aber bitte nicht jetzt … das nächste mal. Schließlich fehle noch die endgültige Stellungnahme. Natürlich sei frau/mann allerdings froh über Anmerkungen.

Also das war’s dann wirklich. Um 15.30 Uhr war’s vorbei. Foglar meinte zu unserer Kritik an der Vorgangsweise, dass wir eh recht hätten … wir sind gespannt darauf, wie sich die Diskussion rund um gewerkschaftliche Perspektiven, welche die Bezeichnung „Reform“ tatsächlich verdienen, gestalten werden. Denn was der ÖGB braucht ist nicht nur eine/n neue/n Präsidenten/in (vielleicht auch endlich einmal – vollkommen unvorstellbar – eine Frau an der Spitze!!) sondern einen Demokratisierungs- und Öffnungsschub:

  • Strategien für bislang vernachlässigte gesellschaftliche Gruppen – von atypisch Beschäftigten über junge, gut qualifizierte Arbeitnehmerinnen hin zu MigrantInnen.
  • RepräsentantInnen, die aus diesen ArbeitnehmerInnengruppen kommen und auch entsprechend in der Öffentlichkeit stehen.
  • Und ein neues politisches Verständnis. Das sich vor allem auch jenseits der Sozialpartnerschaft bewegt. Und sich weniger staatstragend gibt.

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