Die „Zivilgesellschaft“ erstellt ein Zukunftsbudget

18. Oktober 2010: ein Bundesbudget für das Jahr 2011 wird präsentiert. Eine Budgetrede wird gehalten, in der davon die Rede ist, dass „ … die Ursachen der Krise bekämpft werden und die Mitverursacher und Mitverursacherinnen … dabei einen entsprechenden Beitrag leisten, und wir somit auch ein Stück mehr Steuergerechtigkeit erlangen.“ Und, dass „ … es jetzt Investitionen – und nicht Sparprogramme“ brauche. Schwerpunkte u.a: Verbesserung des Bildungssystems, Ausbau der Kinderbetreuung, Ausbau sozialer Dienste, Ausbau nachhaltiger öffentliche Mobilität, Förderung erneuerbarer Energien und der thermischen Sanierung, Erhalt und Ausbau kommunaler Dienste, mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit und für Klimaschutz auf globaler Ebene. Einnahmeseitig sind Vermögenssteuern, die Schließung von Steuerbegünstigungen für Unternehmen und Stiftungen vorgesehen, eine Ökologisierung des Steuersystems, eine Bankenabgabe sowie Spekulations- und Börsenumsatzsteuern.

Nun, dies Budgetrede wurde – wenig überraschend – so natürlich nicht im Parlament und schon gar nicht vom dafür verantwortlichen Finanzminister Pröll gehalten. Dessen Rede findet ja erst im Dezember statt. Auch das vorgelegte „Budget“ ist keine Regierungsvorlage, sondern wurde von AktivistInnen von NGO und Gewerkschaften im Rahmen der Kampagne „Wege aus der Krise“ geschrieben. Redebeiträge kamen dabei von Alexandra Strickner, ATTAC, von Mirijam Müller, ÖH Bundesvertretung, Niklas Schinerl, Greenpeace , Heinz Högelsberger, Gewerkschaft vida, Petra Navara-Unterluggauer, AG Globale Verantwortung und Judith Pühringer, Die Armutskonferenz.

Ein „zivilgesellschaftliches“ Budget

Das vorgelegte zivilgesellschaftliche Budget – getragen wird die Kampagne u.a. von attac, der Armutskonferenz, SOS Mitmensch, den Gewerkschaften PRO GE, vida, GdG-KMSfB, von Greenpeace, Global 2000, der KAB, der ÖH und von AG Globale Verantwortung – ist dabei ausgesprochen pragmatisch und umsetzungsorientiert. Es versucht sowohl dem Anspruch einer Budgetkonsolidierung unter vorgegebenen Rahmenbedingungen (Verpflichtung gegenüber der EU das Defizit im Ausmaß von 0,5 % des BIP jährlich zurückzuführen), als auch jenem, für zukunftsweisende sozial-ökologische Investitionen genügend finanziellen Spielraum zu haben, gerecht zu werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer große gesellschafts- und wirtschaftspolitische Gegenentwürfe zum Status quo sucht, wird diese nicht finden. Wer sich eine radikale Umverteilung oder Neustrukturierung des österreichischen Steuersystems erwartet, wird wahrscheinlich auch enttäuscht sein. Das ist allerdings auch nicht der Anspruch dieses zivilgesellschaftlichen Haushaltsentwurfs.

Er stellt tatsächlich – würde ein entsprechender politischer Wille bzw. würden entsprechende politische Kräfte- und Mehrheitsverhältnisse bestehen – durchaus realpolitische Handlungsmöglichkeiten dar, die weder besonders revolutionär, noch besonders visionär sind allerdings deutliche Akzente in die richtige Richtung setzen und auch nur erste Schritte darstellen sollen. Würden die Vorschläge umgesetzt, wäre tatsächlich ein nicht unbedeutender Schritt zu weniger sozialer Ungleichheit, zu mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem und zu mehr Klimaschutz getan. Das kann einem/einer nur recht sein, mag es auch manchen zu wenig sein. Angesichts der realpolitischen Agenda würde die Umsetzung des zivilgesellschatlichen Budgets allerdings einen deutlichen Kurswechsel zu herkömmlichen Wirtschaftspolitiken darstellen.

Eine rot-grüne, mitte-links Regierung etwa, würde wohl etliche, wenn nicht sogar die meisten Vorschläge ung’schaut übernehmen, gibt es doch vielfach entsprechende Beschlusslagen. Schließlich tragen die Vorschläge auch über weite Strecken hinweg die dem Autor dieses Beitrags durchaus bekannte Handschrift der Gewerkschaften, wenn auch mit deutlich ökologischen Akzenten.

Einnahmeseite – Vermögens- und Umweltsteuern

Insgesamt sollen rund 3,5 Mrd. Euro zusätzlich an Einnahmen ins Budget fließen. Was viel klingt, ist es tatsächlich nicht: Die Steuer- und Abgabenquote würde sich gerade einmal um 1,3 % des BIP (BIP 2009: 274,32 Mrd. Euro) und keinesfalls einen Spitzenwert erreichen (wobei das ohnehin irrelevant wäre).

Die Einnahmen gliedern sich wie folgt auf:

  • Vermögensbezogene Steuern (Vermögenssteuern, Stiftungssteuer): 1,1 Mrd. Euro
  • Spekulationssteuern („Vermögenzuwachssteuer“) und Börsenumsatzsteuer: 700 Mio. Euro
  • Unternehmensbesteuerung – Rücknahme Gruppenbesteuerung, Bankenabgabe: 650 Mio. Euro
  • Öko-Steuern (leichte Erhöhung MÖSt, Flugticketabgabe, Reform Energieabgabevergütung, LkW-Roadpricing auf alle Straßen, Streichung Steuerbegünstigungen Landwirtschaft): 1,1 Mrd Euro

Die Vorschläge erinnern doch frappant an jene der Gewerkschaften – insbesondere der GPA-djp und der vida – was allerdings nicht schlecht sein muss. Bemerkenswert ist auch, dass insbesondere bei der Frage der Erhöhung der Mineralölsteuer – bislang ein No Go für GewerkschafterInnen – sich zumindest im Rahmen von „Wege aus der Krise“ ein leichtes Umdenken breiPS: PS:t gemacht hat.

Es wird in der Presseunterlage auch darauf hingewiesen, dass diese Maßnahmen selbstverständlich nur erste Schritte darstellen würden und es eine umfassende Steuerreform nach dem Motto Arbeit und ArbeitnehmerInnen entlasten, Vermögen, Kapital und Umwelt- bzw. Ressourcenverbrauch stärker belasten braucht.

Was in ein zivilgesellschaftliches Budget hinsichtlich der Einnahmeseite noch eingebaut werden sollte, ja muss – vielleicht in der alternativen Budgetrede 2010:

  • Der Einstieg in den Ausstieg steuerlicher Förderung privater, kapitalgedeckter Pensionsvorsorge – sowohl der zweiten als auch der dritten Säule. Diese macht – nach einer Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage des Grün-Abgeordneten Rossmann durch den damaligen Finanzminister Molterer (September 2008) – rund 650 Millionen Euro aus. Jährlich! Stolze 650 Millionen Euro an Steuermittel werden Jahr für Jahr von den SteuerzahlerInnen in Richtung privater Pensionsvorsorge umverteilt. Wir erinnern: private Pensionsfonds legen veranlagte Gelder an den Finanzmärkten in Wertpapieren – auch hochspekulativen – an, müssen sie doch hohe Rendite einfahren. Das führt zwangsläufig zu Bubbles, zu Überbewertungen. Die Finanzkrise hat einmal mehr gezeigt, wie riskant diese Form der Pensionsvorsorge ist, dass alle Warnungen vor einer Privatisierung der Pensionssysteme vollkommen richtig waren. Pensionsfonds – und damit die PensionistInnen – mussten schwere Verluste hinnehmen. Die steuerliche Förderung muss daher so rasch wie möglich beendet werden und schafft Spielräume für sinnvolle sozialpolitische Maßnahmen.
  • Eine höhere Progression im Bereich der Einkommens- und Lohnsteuer. Über hohe Managergehälter zu jammern ist zu wenig. Neben dem Verbot von Stock options als Einkommensbestandteil für ManagerInnen sowie einer Grenze, bis zu der Managereinkommen steuerlich als Betriebsausgabe absetzbar sind, ist ein einfaches Mittel, Spitzeneinkommen zu beschneiden eine höhere Steuerprogression – also Steuersätze von 55 und 60 % für hohe Einkommen und/oder eine Streichung der steuerlichen Begünstigung von 13./14. Monatsgehalt ab z.B. 100.000 Euro/Jahreseinkommen (und eine entsprechende Rücknahme der steuerlichen Begünstigung für Selbständige).

Ausgabeseitig: Konjunkturpaket Bildung, Soziales und Klimaschutz

Ein Teil der Einnahmen soll für die Budgetkonsolidierung aufgewandt werden – immerhin 1,4 Mrd. Euro. Der überwiegende Teil allerdings für Zukunftsinvestitionen in Bildung, Soziale Dienste und Klimaschutz. Hinsichtlich der vorgeschlagenen Ausgaben erscheinen manche Bereiche vielleicht zu gering dotiert (z.B. öffentliche Mobilitätsoffensive), andere Bereiche wirken dagegen durchaus „realistisch“ veranschlagt. Vielfach wird im Erläuterungstext darauf hingewiesen, dass diese Anschubfinanzierungen ebenfalls nur erste Schritte sein können, denen weitere Folgen müssen „Wir Brauchen jetzt Zukunftsinvestitionen um erste, dringend notwendige Schritte in Richtung einer sozial gerechteren und ökologisch nachhaltigeren Gesellschaft sicherzustellen.“).

So werden etwa für den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen für 2011 45 Mio Euro veranschlagt, um die Öffnungszeiten ausbauen zu können. Tatsächlich sind allerdings – sollen etwa die EU-weiten Barcelona Ziele erreicht werden (33 % der Kinder unter 3 Jahren in Kinderbetreuung), würde das die Schaffung von zusätzlich 35.000 Kinderbetreuungsplätzen erforderlich machen – was 350 Mio. Euro jährliche Kosten bedeuten würde. Zusätzliche Finanzmittel müssen also in den Folgejahren freigemacht werden. Andererseits hat gerade die AK-Studie „Nachhaltige Budgetkonsolidierung durch Investitionen in den Sozialstaat“ auch ergeben, dass sich Investitionen in soziale Dienstleistungen innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit quasi selbst finanzieren und mittelfristig sogar positiv zu Buche schlagen.

In Summe beläuft sich das sozial-ökologische Konjunkturpaket auf rund 2,1 Mrd. Euro. Bei entsprechendem politischen Willen wäre das ohne weiteres finanzierbar. Das ist überhaupt „die Stärke“ des zivilgesellschaftlichen Zukunftsbudgets: das was da gefordert wird, kann nicht so einfach mir nix dir nix ins Reich der unerfüllbaren Visionen und Wünsche verwiesen werden. Das was da gefordert wird entspricht ziemlich genau den von Interessensvertretungen, betroffenen sozialen Vereinen und Dienstleistern bzw. Bildungsinstitutionen veranschlagten finanziellen bzw. personellen Erfordernissen.

  • Wenn das WIFO – ziemlich unumstritten – alleine für den mobilen Pflegebereich einen Bedarf von 6.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen prognostiziert, legt das Zukunftsbudget mit der Forderung nach 7.000 zusätzlichen Pflegekräften und einer entsprechenden Budgetierung von 200 Mio. Euro zusätzlich qasi eine Punktlandung hin.
  • Ähnlich verhält es sich bei der thermischen Sanierung des Althausbestandes, welche unumstritten als besonders wirksame Maßnahme zur CO 2- Reduktion und zur Förderung von Beschäftigung gilt
  • Auch der finanzielle Zusatzbedarf im Umfang von mindestens 500 Mio Euro/Jahr für die Hochschulen, um das EU-Ziel, bis 2015 2 % des BIP für die Universitäten zur Verfügung zu haben, bleibt weitestgehend unwidersprochen.
  • Und ein wesentlicher Punkt im Budget der Zivilgesellschaft: die Forderung nach einer Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit – denn hier droht, weitestgehend unbemerkt von einer ohnehin nicht besonders interessierten Öffentlichkeit, ein dramatischer budgetärer Kahlschlag.

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Idee, ein alternatives Budget zu präsentieren, schwirrt ja schon seit Jahren in den Köpfen so mancher AktivistInnen herum. Die „Premiere“ kann in Summe als durchaus gelungen bezeichnet werden. Dass sich unter den zivilgesellschaftlichen Trägerorganisationen drei große Gewerkschaftsblöcke – die GdG-KMSfB, die vida und die PRO-GE – befinden ist dabei durchaus erfreulich. Die Wirkung der alternativen Budgetrede auf die verantwortlichen Regierenden wird wohl ausgesprochen begrenzt sein. Um schlimmeres zu verhindern, oder gar besseres zu erreichen, wird es schon jede Menge Widerstand, Protest und Kampfmaßnahmen – gerade auch seitens der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft – brauchen.

Ein „anderes Budget“ ist möglich!

Eines wurde allerdings – vor allem für eine kritische Öffentlichkeit – doch erreicht: Ganz pragmatisch wurde vermittelt, dass „ein anderes Budget“ möglich sei. Seine Schwäche ist zugleich seine Stärke – der ausgesprochen pragmatische Ansatz: die zivilgesellschaftlichen Vorschläge für ein Budget 2011 erscheinen nicht visionär, schon gar nicht revolutionär, sondern „realistisch“, umsetzbar und grundvernünftig, auf die gesellschaftlichen Herausforderungen in den Bereichen Bildung, soziale Dienste und Klimaschutz reagierend.

Das zivilgesellschaftliche Budget versucht so der immer rabiater werdenden und alternativenlos daherkommenden Sparrethorik, die in Wirklichkeit eine weitere Umverteilung von unten nach oben darstellt, eine Alternative entgegenzusetzen und kann einer interessierten Öffentlichkeit und AktivistInnen Argumente gegen des Sparwahn liefern. Eben: „Überfluss besteuern, in die Zukunft investieren“!, wie die Losung der Kampagne „Wege aus der Krise“ so schön heißt.

PS: Mittwoch, 20. Oktober. Finanzminister Josef Pröll legt im Parlament einen Zwischenbericht zu den Budgetverhandlungen ab. Das Budget sollte unter dem Grundsatz einer „neuen Gerechtigkeit“ erstellt werden. Und die stellt er sich so vor, wie sie zu erwarten war: „Meine Überzeugung ist, das Maximum an Sparen und Reformen und das Minimum an neuen Steuern und Schulden zu erreichen“. Was zu erwarten war. Eine Budgetrede. Ein Zwischenbericht. Beides gehört. Kein Vergleich. Hier Zukunft, Antworten aus gesellschaftliche Herausforderungen und ein mehr an Steuergerechtigkeit. Da „more of the same“, keine „Lernen aus der Krise“, stattdessen der übliche substanzlose, konservative Sermon, wie wir ihn zum Überfluss von ÖVP, IV und Konsorten kennen. Alles andere hätte allerdings auch überrascht.

Links:

ORF Bericht zur Präsentation des zivilgesellschaftlichen Budgets

das Zivilgesellschaftliche Budget als Download
die Zivilgesellschaftliche Budgerede als Download

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