EU: Arbeitsrecht in der Krise
27. Juni 2012 von adminalternative
Ein Working Paper des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) vom April 2012 gibt erstmals einen umfassenden Überblick über Arbeitsrechtsreformen in Krisenzeiten. Wenig überraschend: es findet ein massiver Rückbau von ArbeitnehmerInnenrechten statt.
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Wer trägt die Kosten der Krise? Wenn trifft die Austeritätspolitik ganz besonders? Wer ist am stärksten von Sparpaketen betroffen? Was sind die wahren Ursachen der Krise? Welche Bewältigungsstrategien bieten sich an? Bislang konzentrierten sich die Diskussion rund um die Wirtschaftskrise, ihre Folgen sowie die Verteilung der Krisenlasten vor allem auf ökonomische Fragestellungen. Mit der aktuellen Studie („Arbeitsrechtsreformen in Krisenzeiten – eine Bestandsaufnahmen in Europa, DGB/etui, April 2012) der wissenschaftlichen ETUI-MitarbeiterInnen – Stefan Clauwaert und Isabelle Schömann – liegt nun erstmals auch eine Bestandsaufnahme über die Auswirkungen der Krise auf Arbeitsrechte, Arbeitsbeziehungen und damit die institutionelle Verankerung von Gewerkschaftsrechten in Europa vor.
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Das Ergebnis in aller Kürze: ArbeitnehmerInnenrechte werden massiv rückgebaut, einer weiteren Prekarisierung und Atypisierung von Beschäftigungsverhältnissen Vorschub geleistet. Quer durch Europa wird versucht, über eine Dezentralisierung von Verhandlungsprozessen bzw. eine Verbetrieblichung von Arbeitsbeziehungen gewerkschaftliche Mitbestimmungsrechte und Kernkompetenzen entscheidend zu beschneiden. Demokratische Grundsätze werden bei Arbeitsrechtsreformen vielfach umgangen, „Rettungsmaßnahmen“ zum Abbau sozialer Rechte genutzt. Die Krise wird gerne als Vorwand für „Reformen“ vorgeschoben, die tatsächlich in keinerlei Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise stehen und unter anderen ökonomischen Voraussetzungen nicht durchsetzbar gewesen wären.
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Die AutorInnen analysieren die Entwicklungen des Arbeitsrechts nach fünf Bereichen. Nach
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- Änderungen in der Gestaltung von Arbeitszeit
- Änderungen im Arbeitsvertragsrechts bzw. bei Beschäftigungsformen („Atypisierung“)
- Reformen im Kündigungs- und Entlassungsrecht
- Änderungen im institutionellen Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital, also Reformen von Tarifverhandlungssystemen und Arbeitsbeziehungen
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Zuguterletzt betrachten die WissenschafterInnen einen Trend, der aus „demokratischer Sicht … sogar noch besorgniserregender“ ist, als die oben genannten:
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- Dass nämlich in „manchen Ländern … Reformen mit Hilfe von Notfallverfahren durchgeführt (wurden/werden), ohne die demokratischen und partizipativen (legislativen) Verfahren einzuhalten, unter Umgehung der Parlamente und Sozialpartner.“
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Änderungen der Arbeitszeit(en)
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In mehreren Ländern wurden die Arbeitszeiten erheblich ausgeweitet. Diese Ausweitung erfolgt in der Regel über die Erhöhung von maximal zulässigen Überstundenleistungen. In Ungarn wurde etwa die Jahreshöchstgrenze für Überstunden von 200 auf 250 Stunden erhöht und kann – über Tarifverträge – sogar bis zu 300 Stunden betragen. Zusätzlich wurde in Ungarn die betriebliche gegenüber der Branchenebene gestärkt, die Tarifverhandlungsebene also „dezentralisiert“. Waren in Litauen vor der Krise Überstunden – mit Ausnahme bestimmter, taxativ im Arbeitsrecht bzw. in Tarifverträgen angeführter Fälle – überhaupt verboten, sind nun auf gesetzlicher Ebene bis zu 120 Überstunden, auf tarifvertraglicher Ebene bis zu 180 Stunden zulässig. Mit einer Ausweitung der Arbeitszeiten geht meist auch eine Kürzung – der Überstundenzuschläge einher. In Portugal – das unter dem „Euro-Schutzschirm“ steht – ging mit der „Rettung“ eine Kürzung der Überstundenzuschläge um 50 % einher! Erhielten ArbeitnehmerInnen ursprünglich für die erste Überstunde einen Zuschlag von 50 %, für zusätzliche Überstunden 75 % und an Sonn- und Feiertagen Zuschläge von 100 %, wurden diese nun auf 25 %, 37,5 % und 50 % reduziert. Geplant ist auch die Abschaffung des „Freizeitausgleichs“, der zur Zeit 25 % der geleisteten Überstunden entspricht. Abweichungen nach oben oder unten sind in Tarifverträgen noch möglich. Die AutorInnen:
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„Es ist hinreichend bekannt, dass langes Arbeiten und viele Überstunden verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer haben. Wenn man solch weitreichende Flexibilisierung der Arbeitszeit zulässt, könnte es in Zukunft schwieriger werden, die Uhr zurück zu drehen und diesen Maßnahmen, die häufig als vorübergehend geplant waren, ein Ende zu bereiten.“ Verschärfend käme dazu, dass noch flexiblerer Regelungen zwar in Tarifverträgen vereinbart werden müssten, was einen gewissen „Schutz“ darstelle, „doch aufgrund des in vielen Ländern fortwährenden Trends zur Dezentralisierung der Kollektivverhandlungen auf die Betriebsebene“, sich dieser als „unzureichend erweisen und leicht auszuhebeln“ erweisen könnte. „ArbeitnehmerInnenvertreter könnten vor die Entscheidung gestellt werden, längere Arbeitszeiten als Alternative zu (Massen-)Entlassungen akzeptieren zu müssen.“
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Fortschreitende Atypisierung und Prekarisierung – alles Rechtens?
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Weiterer eindeutig feststellbarer „Trend“: die fortschreitende Atypisierung und Prekarisierung der Arbeit. So werden etwa typischerweise Regelungen für die Befristung von Arbeitsverhältnissen gelockert. In Tschechien können etwa künftig Befristungen von zwei auf drei Jahre ausgedehnt und zwei mal verlängert werden – was ein zeitlich „befristetes“ Arbeitsverhältnis von bis zu neun Jahren ermöglicht! Ähnlich Griechenland und Portugal, wo die Befristungsdauer von zwei auf drei Jahre erhöht wurde. In Spanien gab es bislang überhaupt keine Regelungen für befristete Arbeitsverhältnisse – nun allerdings doch, ebenfalls mit einer Befristungsdauer von drei Jahren, welche über Tarifverträge noch einmal um ein Jahr zusätzlich verlängert werden kann. In den Niederlanden wurden spezielle Befristungsregelungen für Unter-27-Jährige noch einmal ausgeweitet: befristete Arbeitsverhältnisse für diese Jugendlichen werden erst nach der fünften – statt bislang ohnehin schon großzügigen vierten – Befristung in ein unbefristetes Verhältnis umgewandelt.
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Deutlich flexibilisiert wurde in einigen Krisenstaaten auch das Teilzeitarbeitsverhältnis. Waren etwa in Spanien bislang „Standard“-Überstunden für Teilzeitbeschäftigte verboten wurde die geltende Überstundenregelung für „Normal“-Arbeitskräfte nun auch auf Teilzeitbeschäftigte ausgeweitet.
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Ebenfalls beobachtbar: neue Formen von Arbeitsverträgen für bestimmte ArbeitnehmerInnengruppen – in unserem Fall besonders für Jugendliche. Diese neuen Beschäftigungsformen zeichnen sich – wie die meisten „atypischen“ Arbeitsverträge – durch schlechte arbeits- und soziale Absicherung, in diesem Falle allerdings für eine besonders schutzbedürftige Gruppe – nämlich Jugendliche – aus. In Griechenland wurde etwa ein neuer „Jugendvertrag“ eingeführt, der für Jugendliche unter 25 Jahren Niedriglöhne (20 % weniger als der frühere Lohn bei Erstanstellung), eine zweijährige Probezeit, kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Ablauf des Vertrags bedeutet, den Arbeitgebern dagegen die Befreiung von Sozialabgaben bringt.
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Abgesehen davon, dass die fortschreitende Atypisierung eine weitere Segregation auf den Arbeitsmärkten bringt, bestehen „Zweifel daran, dass diese Regeln und Verträge alle mit den europäischen Richtlinien, insbesondere den Richtlinien zur befristeten Beschäftigung und zur Teilzeitarbeit, vereinbar sind,“ so Clauwaert und Schömann. Es darf also angenommen werden, dass diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen oftmals gar nicht rechtens sind. Doch dazu später mehr.
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Aufweichung des Kündigungsschutzes
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In Estland, Tschechien, Portugal, Spanien, der Slowakei, Großbritannien, Rumänien und Griechenland können Unternehmen inzwischen leichter betriebsbedingt kündigen. So wurden etwa Kündigungsbedingungen gelockert, bestehende Schranken abgebaut, für (Massen-)Entlassungen notwendige wirtschaftliche Gründe neu definiert. Kündigungsfristen wurden in vielen Ländern um bis zu 30 Tage verkürzt – etwa in Spanien, Portugal, Großbritannien. In Spanien wurde die Verpflichtung BelegschaftsvertreterInnen im Falle von Kündigungen zu unterrichten bzw. anzuhören gelockert, in Großbritannien und Rumänien die Verpflichtung Sozialpläne aufzustellen merklich abgemildert. Da Kündigungen immer wieder auch finanzielle „Belastungen“ für Unternehmen darstellen wurden diese – wie nicht anders zu erwarten – in etlichen EU-Staaten ebenfalls deutlich reduziert. In Tschechien wurden Abfindungszahlungen verringert, in Spanien und Portugal Anspruchsberechtigungen und Anwartschaftszeiten so geändert, dass die Entlassung von ArbeitnehmerInnen – den Unternehmen – finanziell deutlich leichter gemacht wird. Arbeitsrechtlich wurde auf der Iberischen Halbinsel die Wiedereinstellung unrecht entlassener ArbeitnehmerInnen durch deutlich billigere Entschädigungszahlungen ersetzt. In Großbritannien muss – wohl um entlassenden Betrieben lästige und langwierige Prozesse zu ersparen und den Zugang zu Gericht zu erschweren – in Zukunft bei Anrufung des Arbeits- und Sozialgerichts eine Gebühr entrichtet werden. In Portugal wurde aus öffentlichen Mitteln (!) ein Fonds finanziert, der Unternehmen bei Entlassungen und Kündigungen zur Finanzierung von Abfindungen unter die Arme greifen soll („Arbeitgeberentlastungsfonds“).
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Angriff auf Gewerkschaftsrechte und Tarifverhandlungssysteme
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Hier ist einmal zuallererst eine Politik der „Dezentralisierung der Tarifverhandlungen“ zu nennen – also die Verlagerung von der nationalen bzw. branchenspezifischen auf die betriebliche Ebene. Italien, Spanien, Portugal und einmal mehr Griechenland sind etwa Beispiele für EU-Länder, wo diese Verlagerung stattgefunden hat bzw. geplant ist. In Rumänien wurden die jährlichen nationalen Kollektivverträge zugunsten von Branchen-KV abgeschafft. In Finnland hat interessanterweise eine umgekehrte Entwicklung eingesetzt – die Dezentralisierung der Verhandlungen hat sich als ineffizient herausgestellt, hier soll wieder die nationalstaatliche Ebene gestärkt werden.
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Neben einer Schwächung der Verhandlungsmacht von Gewerkschaften mit der Dezentralisierung der Verhandlungsebenen stellt sich vor allem noch ein weiteres Problem als gravierend dar: der „Stufenbau“ der Rechtsordnung verbietet eigentlich eine „Verschlechterung“ in der jeweils unteren Ebene, also etwa in der betrieblichen Ebene gegenüber dem KV oder der gesetzlichen Regelung. Tatsächlich werden derartige Schutzbestimmungen allerdings tatsächlich – etwa in den Bereichen Arbeitszeit und Löhnen – unterlaufen. Beispiele dafür finden sich in Frankreich, Griechenland, Italien und der Slowakei.
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Eine weitere alarmierende Entwicklung: Reformen die auf eine institutionelle Schwächung der Gewerkschaften abzielen. So werden etwa frühere „Vorrechte“ der Gewerkschaften (z.B. Verhandlungs- und Abschlussmonopol) auf andere Arbeitnehmervertretungsorgane (z.B. Betriebsräte) ausgedehnt, wo es viel schwerer ist Macht und Solidarität zu organisieren. Geschehen etwa in Griechenland, Portugal und de Slowakei. Eine institutionelle, repräsentative Schwächung ihrer Rolle (etwa im Rahmen des sozialen Dialogs, der Repräsentanz vor Gericht, im Rahmen von kollektiven Arbeitskonflikten) erfolgte insbesondere in Ungarn, aber auch in der Slowakei, in Bulgarien, Griechenland, Großbritannien, Portugal, Spanien selbst in Italien und den Niederlanden, einem traditionell eher „sozialpartnerschaftlich“ orientierten Staat. Die AutorInnen abschließend:
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„Diese Reformen des Arbeitsrechts schwächen definitiv die gewerkschaftliche Interessensvertretung und Aktion auf allen Verhandlungsebenen. Sie greifen die Gewerkschaften in ihrer Struktur und ihren institutionellen Möglichkeiten an, die Arbeitnehmer zu schützen und zu vertreten. Die Dezentralisierung der Kollektivverhandlungen auf die unterste Ebene schwächt den bisher von den Gewerkschaften auf nationaler und lokaler Ebene erreichten sozialen Besitzstand und wird sich auch auf die Kollektivverhandlungen auf Branchenebene auswirken. Sie wird den Standard der bisher anerkannten und gesetzlich oder tarifvertraglich verankerten Rechte senken und die grundlegenden Arbeitsbedingungen im Hinblick auf Arbeitszeiten, Löhne, Arbeitsorganisation, Arbeitsumfeld und soziale Sicherheit beeinflussen. Sie wird auch Auswirkungen auf Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz haben.“
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Autoritärer Kapitalismus im Zeichen der Euro-“Rettung“
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Bedrohlich auch die Art und Weise wie zunehmend „Reformen“ zustande kommen. In einigen Fällen greifen Regierungen und/oder Gesetzgeber auf „Notverordnungen“ und „Notfallverfahren“ zur Aushebelung sozialpartnerschaftlich vereinbarter Maßnahmen zur Krisenbewältigung (Estland, Ungarn, Slowakei) bzw. zur Umgehung der Parlamente (Griechenland, Italien) zurück. Eine besonders unrühmliche Rolle bei der Ausschaltung demokratischer Verfahrensregeln spielt dabei die „Troika“ bestehend aus VertreterInnen der EU-Kommission, des IWF und der EZB.
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So mussten etwa Griechenland und Portugal, das „Memorandum of Understanding“ umsetzten, um unter den Euro-“Rettungsschirm“ zu kommen. Allerdings: ohne Anhörung der nationalen Parlament bzw. des europäischen Parlaments. Clauwaert/Schömann:
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„Zusammen mit der Schwächung der Rolle der Sozialpartner bei der Ausarbeitung des sozialen Rechts – insbesondere durch die Dezentralisierung der Kollektivverhandlungen und die neuen Repräsentativitätskriterien für die Gewerkschaften – stellt dies eine Änderung der Rechtsetzungsverfahren im sozialen Bereich auf Kosten der Demokratie dar.“
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Darüber hinaus, so die beiden WissenschafterInnen, hätten „… die Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise und die Arbeitsrechtsreformen zum Teil direkte und indirekte Auswirkungen auf die grundlegenden Sozialrechte.“ So ist etwa im Memorandum mit Griechenland vom 2. Mai 2010 im Abschnitt über spezifische wirtschaftspolitische Bedingungen u.a. zu finden, dass Kündigungsvorschriften geändert werden und die Probezeit auf ein Jahr verlängert wird; das Gesamtniveau an Abfindungen bei Kündigungen verringert und „harmonisiert“ wird; die Mindestanforderungen für die Aktivierung der Regeln bei Massenentlassungen insbesondere für große Unternehmen angehoben und der Einsatz von befristeten Arbeitsverträgen und Teilzeitbeschäftigten erleichtert wird. Prekarisierung per Dekret.
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Ähnlich bei Portugal: hier finden sich im Memorandum neben den obligaten Reformen des Kündigungsschutzes auch eine Kapitel ‚organisierte Dezentralisierung‘, also die Verlagerung von Verhandlungen – insbesondere auch in Arbeitszeitfragen, Versetzung etc. auf die betriebliche Ebene.
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Rechtmäßigkeit der Reformen überhaupt gegeben?
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Grundsätzlich stellt sich angesichts des autoritären Charakters zahlreicher Arbeitsrechtsreformen – Umgehung der Parlamente, der Sozialpartner, regieren per Notverordnungen – grundsätzlich die Frage, ob diese nicht überhaupt den „Grundsätzen des Arbeitsrechts“ widersprechen würden, „nicht zuletzt dem Grundsatz der Autonomie und der Freiheit der Gewerkschaften (Spanien, Griechenland), und sogar dem Recht auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung (Großbritannien).“ Und weiter:
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„Ein solches Vorgehen stellt die Legitimität der nationalen Reformen in Frage, da die Rechtmäßigkeit der Verfahren (d.h., die Einhaltung demokratischer Verfahren) außer Acht gelassen wurde und/oder weil sie Grundrechte und Grundfreiheiten auf europäischer Ebene verletzen.“ Tatsächlich haben Gewerkschaften in Spanien und Griechenland bereits Beschwerde bei der IAO (ILO), der Internationalen Arbeitsorganisation und dem Europarat eingebracht. Die Frage der „Rechtmäßigkeit“ wird umso dringlicher, werden doch erste zeitlich begrenzte Maßnahmen zur Krisenbekämpfung dahingehend überprüft, in dauerhaftes Recht übernommen zu werden (Griechenland, Spanien, Deutschland): „In manchen Fällen werden die positiven Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise in Frage gestellt. In anderen Fällen wurden Arbeitsrechtsreformen ohne direkten und indirekten Bezug zur Finanz- und Wirtschaftskrise umgesetzt, im Zuge einer allgemeinen Deregulierung.“
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Schlussfolgerungen
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„Die Reformen auf nationaler Ebene neigen zu weiterer Deregulierung der bereits flexibilisierten arbeitsrechtlichen Bestimmungen und stellen somit in den meisten Fällen einen Rückschritt im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmer dar. Ein wiederkehrendes Merkmal dieser Arbeitsrechtsreformen und Flexibilisierung ist die explosionsartige Zunahme der Ungleichheit und Unsicherheit in fast allen betroffenen Ländern,“ schlussfolgern die StudienautorInnen. Gemeinsam mit dem Abbau sozialstaatlicher Sicherungssysteme würde das „europäische Konzept der ‚hochwertigen Arbeitsplätze‘ und das internationale Konzept der ‚menschenwürdigen Arbeit‘ hinterfragt, denn die nationalen Arbeitsrechtsreformen werden ihnen nicht mehr gerecht.“
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Zusätzlich zeige die Studie, dass die Art und Weise, wie Reformen durchgezogen würden, „… in den meisten Fällen die demokratischen Traditionen der Mitgliedsstaaten nicht respektieren und dadurch die Legitimation der Reformen kompromittieren,“ weswegen auch Beschwerden bzw. Verfahren der spanischen und griechischen Gewerkschaften bei der IAO anhängig seien, weil gegen „den Grundsatz der Gewerkschaftsfreiheit und/oder der freien Kollektivverhandlungen“ verstoßen würde. Scharf die Kritik an den europäischen Institutionen:
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„Interessanterweise hat die Europäische Kommission noch nicht auf Maßnahmen reagiert, die diese in den Verträgen und der Grundrechtscharta garantierten Grundrechte verletzen. Besorgniserregender ist die Tatsache, dass die EU als Vertragspartei der mit Griechenland, Irland und Portugal unterzeichneten Memorandum of Understanding und als Partei in zusätzlichen Finanzprogrammen zur Unterstützung der EU-Mitgliedsstaaten (Lettland, Rumänien) so viel Druck auf die Mitgliedsstaaten zur Reform ihres Arbeitsrechts und der sozialen Sicherung ausübt …“.
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Eindeutig seien die Belege für einen „Rückbau“ des Arbeitsrechts unter dem Vorwand der Wirtschaftskrise, wobei die Annahmen, „dass Arbeitsrechtsreformen in Europa als Ausweg aus der Krise notwendig sind, in Frage gestellt werden (kann), da nur schwer zu unterscheiden ist, ob diese Reformen eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise sind oder eine reine Begleiterscheinung, ohne Gewissheit über einen kausalen Zusammenhang.“ Statt „mehr Beschäftigung“ entstünden derzeit jedenfalls nur „mehr prekäre Verhältnisse“.
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Mit der vorliegenden Studie ist einmal ein erster „Lückenschluss“ in der Krisen- und Krisenfolgeanalyse getan. Ein wichtiger – zeugt er doch, wie sehr die Krise genutzt wird, um ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften in ihrer rechtlichen Position zu schwächen. Die ArbeitnehmerInnen sollen – geht es nach dem Willen der politischen und ökonomischen Eliten in Europa – nicht nur finanziell sondern auch rechtlich für eine Krise zahlen, für die sie nichts können.
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Links:
Kurzfassung der ETUI-Studie: Böckler Impuls Ausgabe 9/2012: Arbeitnehmerschutz: Abbau im Windschatten der Krise
Lanfassung: „Arbeitsrechtsreformen in Krisenzeiten – eine Bestandsaufnahmen in Europa, DGB/etui, April 2012Stefan Clauwaert und Isabelle Schömann