EU-Gipfelbeschlüsse/ Schuldenbremse: „… demokratiepolitische Bankrotterklärung.“

 

„Der neue fiskalpolitische Pakt baut zusammen mit der jüngsten Verschärfung der Haushaltsüberwachung die ökonomische Governance in autoritärer Weise um.“

Das ist das  Urteil Bruno Rossmanns , ehemals Budgetsprecher des Grünen Parlamentsklubs, Budgetexperte der Arbeiterkammer Wien hinsichtlich der Gipfel-Ergebnisse des Europäischen Rats vom 8./9. Dezember.

„Fiskalpolitischer Pakt“

Kurz zusammengefasst  die zentralen Inhalte des „fiskalpolitischen Pakts“ vom 8./9. Dezember:

  • Die Euro-Mitgliedsstaaten verpflichten sich zu ausgeglichenen öffentlichen Haushalten, wobei es ausreicht, wenn das jährliche strukturelle Defizit 0,5 % des BIP nicht übersteigt.
  • Diese Regel wird in den Mitgliedsstaaten in die Verfassung – oder einer vergleichbaren Ebene – aufgenommen. Wird die zulässige Verschuldensgrenze überschritten, tritt eine automatischer Korrekturmechanismus in Gang. Überwacht wird die Umsetzung der Regel auf nationaler Ebene (z.B. in Form einer „Schuldenbremse“) vom EU-Gerichtshof.
  • Mitgliedsstaaten, die sich in einem Defizitverfahren befinden, werden einer stärkeren Überwachung ausgesetzt: sie müssen der Europäischen Kommission und dem Rat ein „Wirtschaftspartnerschaftsprogramm“ mit notwendigen Strukturreformen zur Genehmigung vorlegen. Die Umsetzung des Programms wird von Kommission und Rat überwacht.
  • Überschreitet ein Mitgliedsstaat der Euro-Zone die maximal zulässige Maastrichtgrenze von 3 % Defizit, wird automatisch ein Sanktionsverfahren eingeleitet, das vom Rat nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit abgewendet werden kann.
  • Die Euro-Staaten verpflichten sich, „auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik hinzuarbeiten“.
  • Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) – also der dauerhafte „Euro-Rettungsschirm“ soll früher als geplant, nämlich schon im Juli 2012 in Kraft treten.
  • Die Beteiligung des „privaten Sektors“ – z.B. über Schuldennachlässe, „Haircuts“, Umschuldungsverfahren – wird entlang der Grundsätze und Verfahren des IWF gestaltet. Das bedeutet eine deutliche Abschwächung privater Gläubigerbeteiligung – also Schuldennachlässen von Banken oder Versicherungen – im Rahmen von Entschuldungsmaßnahmen von Staaten.

„Autoritärer Umbau“ der ökonomischen Governance

Für Rossmann baut – wie bereits im einleitenden Zitat erwähnt – der neue fiskalische Pakt „zusammen mit der jüngsten Verschärfung der Haushaltsüberwachung (EU-Sixpack, Anm.) die ökonomische Governance in autoritärer Weise um.“ Die Kritikpunkte Rossmanns an den Gipfel-Beschlüssen:

  • Da ist einmal die grundsätzliche Kritik an der Budgetregel („Schuldenbremse“) in der Verfassung, die aus ökonomischer Sicht bedenklich ist, handelt es sich doch um eine „fehlgeleitete Symptomkur, durch die sich nahezu ganz Europa in eine Rezession spart“.
  • Die Verschärfung der budgetären Überwachung greift zusätzlich „tief in die nationale Budgethoheit ein und ist demokratiepolitisch bedenklich.“ Die Budgetpolitik durch den gewählten Souverän werde „durch Eingriffe in nationale Budgetrechte“ weiter verschärft und entdemokratisiert. Geradezu vernichtend fällt die Kritik von Kurt Bayer, vom österreichischen Finanzministerium in die Europäische Entwicklungsbank entsandt, aus. Nicht zuletzt aufgrund des Beschlusses, die neue Budgetregel durch den EU-Gerichtshof überwachen zu lassen:

    „Letztlich die EU Budgetpolitik dem Europäischen Gerichtshof als letzter Instanz zu überantworten, ist eine Absurdität und eine demokratiepolitische Bankrotterklärung. Das Recht kann immer nur den erwünschten Rahmen für die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bilden, aber sie nicht im einzelnen direkt formulieren und umsetzen. Das wird immer einer Aufgabe der Parlamente und der Exekutive (Regierung) sein müssen, da es immer um Optionen und Alternativen geht, die allmächtigen Finanzmärkte mögen das wünschen oder nicht.“

  • Rossmann verstärkt diesen Kritikpunkt in seiner Bewertung, indem er bezugnehmend auf ein Standardkommentar Alfred Noll  dahingehend zitiert, „… dass die Schuldenbremse ein Angriff auf die Volkssouveränität darstellt, weil sie das als verbindlich vorgibt, was sich erst als Ergebnis politischer Auseinandersetzungen festlegen ließe.“
  • Rossmann wirft überhaupt die Frage auf, ob weite Teile des Übereinkommens nicht überhaupt „verfassungsrechtlich bedenklich“ seien, etwa das automatische Einsetzen eines Sanktionsverfahrens bei Überschreitung der 3 % Defizit-Grenze, „… weil dazu Vertragsänderungen notwendig wären.“ Rossmann:

    „Rechtlich deshalb, weil das Überschreiten der 3 % – Defizit-Grenze automatisch ein Sanktionsverfahren auslöst, das nur mit qualifizierter Mehrheit abgewendet werden kann. Namhafte Juristen haben bereits die Reverse-majority-rule im Sixpack kritisiert, weil sie der Ansicht waren, dass das einer Vertragsänderung bedürfe. Erst recht eine Vertragsänderung stellt daher der völlige Automatismus dar.“

Verfassungsmehrheit für Schuldenbremse? „Entspricht nicht den Vorstellungen der Grünen …“

Auf der Suche nach einer parlamentarischen Verfassungsmehrheit zum Beschluss einer entsprechenden „Budgetregel“ – vulgo „Schuldenbremse“ – wie von den mehrheitlich konservativen EU-Regierungschefs vorgesehen, klopft die Regierung bei der Opposition an. Auch bei den Grünen. Und die zeigen sich – wie zumindest kolportiert wird – inzwischen durchaus gesprächsbereit und sprechen von einer „vernünftigen Diskussion“. Rossmann ist allerdings ziemlich eindeutig:

„… Das (der fiskalpolitische Pakt und seine Implikationen, Anm.) entspricht nicht den Vorstellungen der Grünen, die für einen demokratischen Aufbruch zu einer ökologisch verantwortlichen Wirtschafts-, Währungs-, Fiskal- und Sozialunion stehen.“

Und weiter:

„Weiters sind beim EU-Rat zentrale Entscheidungen für den Erhalt des Euroraums (Eurobonds) ebenso ausgeblieben, und die im ESM Vertrag geplanten Regelungen zur Privatsektorbeteiligung wurden abgeschwächt.“

Was notwendig wäre, um die Krise innerhalb der EU nachhaltig – und solidarisch – zu bewältigen führt Rossmann anderweitig aus:

  • „den Märkten“ müsse signalisiert werden, dass die EZB bereit ist, die Rolle des „lender of last resort“ zu übernehmen, Staatsanleihen also notfalls unbegrenzt aufzukaufen
  • ein europäischer Währungsfonds könnte gemeinsame europäische Anleihen („Euro-Bonds“) ausgeben und so spekulative Attacken der Finanzmärkte auf die Staaten der Eurozone beenden
  • gleichzeitig muss die Regulierung der Finanzmärkte und die Sanierung der Banken oberste Priorität erhalten, mit dem Ziel, das Primat der Politik über die Finanzmärkte zurück zu erobern
  • Und: es muss die Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen reduziert werden, wobei eine Finanztransaktionssteuer und die „Abschöpfung von Liquidität“ über die Besteuerung von Vermögen (nebst bei die wirkungsvollste Methode den „Privatsektor“ an der Krisenbewältigung zu beteiligen) dabei zentrale Instrumente wären
  • Schließlich müssen „makroökonomische“ Ungleichgewichte der Leistungsbilanzen auf europäischer Ebene dahingehend abgebaut werden, dass Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten „symmetrisch“ auch auf Länder angewandt werden, welche exzessive Leistungsbilanzüberschüsse produzieren um „Leistungsbilanzdefizitländern“ den Weg aus der Schuldenfalle überhaupt erst „sozial verträglich“ zu ermöglichen.

Glücklicherweise gibt es – im Gegensatz zu Peter Pilz – Kräfte bei den Grünen, die noch nicht der europäischen Besoffenheit anheim gefallen sind, und die noch in der Lage sind. nüchtern zu analysieren und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Albert Steinhauser, Justizsprecher der Grünen ist einer von ihnen, wenn er in seinem BLOG festhält:

„Aus meiner Sicht hat der Gipfel bestehende Fehlentwicklungen verschärft. Beim Europäischen Rettungsschirm (ESM) soll es keine verpflichtende Gläubigerbeteiligung (Banken) geben. Eine notwendige demokratische Kontrolle ist ebenfalls nicht vorgesehen.
Mit der verpflichtenden Schuldenbremse werden ideologisch motivierte Überlegungen verrechtlicht statt die Krise bewältigt. Hauptproblem der Eurozone sind wirtschaftliche Ungleichheiten. Starke Staaten der Eurozone, wie Deutschland saugen mit ihrem gigantischen Handelsbilanzüberschuss schwächere Staaten (Südeuropa) wirtschaftspolitisch aus. Das verstärkt in diesen Ländern die Flucht in die Staatsschulden, was wiederum die Zinsen unter aktiver Beteiligung der SpekulantInnen in die Höhe treibt. Die logische Konsequenz, einen Ausgleich über einheitliche europäische Schuldscheine (Eurobonds) und damit gleiche Zinsen für alle wurde am Gipfel aber verweigert. Schließlich wollen Merkel und Sarkozy nicht europäische Probleme lösen, sondern ihre Vorteile verteidigen …
… Aber auch demokratiepolitisch wird jetzt wirtschaftspolitisch mit einer Art “Ausnahmerecht” regiert. Der Sondervertrag außerhalb des EU-Rechts ist nicht an das europäische Parlament angekoppelt. Die nationalen Parlamente sollen das vollziehen, was die Regierungen in Brüssel ausverhandelt haben.
Wer proeuropäisch denkt, muss jetzt um ein demokratisches Europa kämpfen. Wer proeuropäisch denkt, muss Fehlentwicklungen benennen.“

Klar sprechen sich auch die Wiener Grünen in einem Landeskonferenzbeschluss gegen die verfassungsmäßige Verankerung einer Schuldenbremse aus. Damit wäre eigentlich eine politisch nachvollziehbare und glaubwürdige grüne Linie vorgegeben … gerade in Sachen Schuldenbremse.

Scheitert der „fiskalpolitische Pakt“ an Frankreich?

Inzwischen ist es ohnehin schon wieder fraglich, ober der fiskalpolitische Pakt hält. „Die Märkte“ haben sich angesichts des drohenden „Sparwahns“ nämlich keineswegs beruhigt. Im Gegenteil: „die Märkte“ fürchten – vollkommen berechtigt – eine massiven Konjunktureinbruch und vermissen wachstumsfördernde und vertrauensbildenden Maßnahmen – wie eben eine aktivere Rolle der EZB.

Nicht zuletzt aufgrund des deutschen „Spardiktats“ für die gesamte Eurozone hat der sozialistische französische Präsidentschaftskandidat Hollande, der gute Chancen hat, den konservativen Sarkozy im Amt zu beerben, eine Neuverhandlung der Gipfel-Beschlüsse angekündigt, wie die FAZ berichtet:

„Hollande sagte, er fühle sich durch die Vertragsverhandlungen der Euro-Staaten nicht gebunden. Sollte er die Präsidentschaftswahlen (im Mai 2012, Anm.) gewinnen, werde Frankreich den Vertrag nicht ratifizieren. ‚Wenn ich zum Präsidenten der Republik gewählt werde, verhandle ich die Vereinbarung neu‘, kündigte Hollande im Radiosender RTL an … „Ich werde dafür sorgen, dass wir die Vereinbarung um das Fehlende ergänzen, nämlich die Intervention der EZB, Eurobonds und einen Rettungsfond.“ … Hollande weigerte sich, die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse, der sogenannten goldenen Regel, anzuerkennen. Er wolle sich im Falle seiner Wahl „vor den Franzosen und vor unseren europäischen Partnern“ zu Haushaltsdisziplin verpflichten. „Wir können so viele goldene Regeln in so vielen Länder wie wir wollen beschließen, wenn wir kein Wachstum schaffen, werden unsere Ziele nicht eingehalten,“ sagte Hollande.“

Die Welt konkretisiert die Verweigerung der französischen SozialistInnen, eine Verfassungmehrheit für eine Schuldenbremse zu bringen:

Im Hinblick auf die in Brüssel beschlossene Schuldenbremse drückte sich Hollande um eine eindeutige Aussage. Deutlich wurde nur, dass er sich dem Plan Nicolas Sarkozys, eine solche „règle d’or“ noch vor der Wahl im Mai zu beschließen, weiterhin entgegenstellt. Eine derartige Verfassungsänderung müssten in Frankreich beide Kammern mit einer Dreifünftelmehrheit beschließen. Gegen die Sozialisten ist der Beschluss daher nicht möglich – und diese werden Sarkozy nicht kurz vor der Wahl zu einem prestigeträchtigen Abstimmungserfolg verhelfen … Er bewege sich nicht „in der Logik“ der Schuldenbremse, sagte Hollande. Man könne alle möglichen Schuldenbremsen in allen Ländern beschließen, „wenn es kein Wachstum gibt, wird kein einziges Ziel erreicht“.

Überzeugten EuropäerInnen, denen an einer solidarischen Überwindung der Krise nach sozialen und demokratischen Kriterien etwas liegt, sei jedenfalls Hollandes Weg, Rossmanns Analysen und Steinhausers Schlussfolgerungen nahegelegt. Der deutsche Weg der „Schuldenbremsen“ droht die Krise zu verschärfen. Es liegt nicht zuletzt an der Grünen Opposition im Parlament, die Weichen für „Wege aus der Krise“ – in Österreich wie in Europa – richtig zu stellen.

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