EU-Wettbewerbspakt: „Troika“ für alle?

Das Logo von "Europa geht anders" - einer Iniative gegen den drohenden Pakt für Wettbewerbsfähigkeit.

Was machen fundamentalistische Markttaliban um vom dramatischen Scheitern ihrer Politik abzulenken? Richtig, sie verschärfen die Gangart noch einmal und erhöhen die Dosis falscher Medizin. Nur droht eine Runde „Troika für alle“.
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Die Krisenpolitik in Europa ist dramatisch gescheitert. Mit 12 % hat die Arbeitslosenrate in der EU einen neuen, traurigen Rekordwert erreicht. In Griechenland und Spanien liegt die Arbeitslosenrate bereits bei rund 27 %, über 55 % der Jugendlichen sind in diesen Staaten ohne Arbeit und damit ohne Einkommen. Trotz – oder besser gesagt wegen – rigoroser Sparauflagen steigen Schuldenstände wie Defizite in beiden Ländern weiter an. Die Wirtschaft befindet sich seit Jahren im Sinkflug und schrumpft, und schrumpft und schrumpft … Der Schuldenstand der Eurozone – also der  17 Euro-Staaten insgesamt –  hat sich mit 90 % 2012 seit 2010, als EU-weit die ersten Sparpakete zu „Konsolidierungszwecken“ geschnürt wurden, noch einmal um rund 5 %-Punkte erhöht.  Die Wachstumsprognosen bleiben „bescheiden“. Die sozialen Spannungen und Konflikte nehmen dramatisch zu.

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Die extreme, faschistische Rechte gewinnt in Krisenländern immer mehr an Boden, der Hass und die Frustration über die katastrophale soziale Lage entlädt sich einmal mehr gegenüber MigrantInnen, sozial benachteiligte Gruppen –  und wieder einmal gegen Minderheiten wie die Roma. Und auch der Antisemitismus nimmt in einzelnen Staaten wieder bedrohliche Ausmaße an.

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Angesichts derartiger Resultate wäre eigentlich eine radikale Kurskorrektur angesagt. Davon ist  Europa allerdings nach wie vor weit entfernt. Selbst wenn es inzwischen sogar dem EU-Kommissionspräsidenten Barroso so langsam zu dämmern scheint, dass diese strikte Austeritätspolitik doch nicht ganz das Wahre sein dürfte, hat das noch keine unmittelbaren Folgen. Ganz im Gegenteil: vielmehr wollen Kommission und konservativen RegierungschefInnen a la Merkel jene Rezepturen, die schon Griechenland und Portugal an den Abgrund geführt haben künftig auch allen anderen EU-Staaten verordnen. Das alles, unter dem Titel der  „Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit“ Europas.
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Troika für alle?

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Wo  auch immer die Troika – bestehend aus EU-Kommission, EZB und IWF – hinkommt, macht sie nicht nur „Vorschläge“, besser Auflagen zur Sanierung des Staatshaushaltes, die meist auf radikale Ausgabekürzungen, Sozialstaatskürzungen und Erhöhung von Massensteuern abzielen, sonder auch solche zur Hebung der „Wettbewerbsfähigkeit“. Wann sonst bietett sich so eine günstige Gelegenheit, sich in einem „Aufwasch“ nicht nur des Sozialstaats, sondern auch anderer, Neoliberalen widerstrebende Regelungen und Institutionen – etwa Mindestlöhne oder Gewerkschaften – zu entledigen? Denn: was da als „Strukturreformen“ vorgeschlagen wird, zielt in der Regel auf eine Senkung der Mindestlöhne,die  Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und der Arbeitszeiten, den Abbau sozial- und arbeitsrechtlicher Schutzbedingungen (etwa bei Kündigungen), sozialer Sicherungssysteme und auf eine Schwächung der Gewerkschaften und kollektiver Lohnverhandlungssysteme ab. Was ihn „guten Zeiten“ am Widerstand der Gewerkschaften und Parlamente gescheitert wäre, wird nun in Krisenzeiten autoritär durchgepeitscht.
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Durch diese Maßnahmen  „innerer Abwertung“ sollen die Wirtschaft der Krisenstaaten „konkurrenzfähiger“ – sprich die Arbeitskräfte billiger und noch besser ausbeutbar –  und  so  Leistungsbilanzdefizite abgebaut, die Attraktivität für ausländische Investoren erhöht und so schließlich mittel- bis langfristig eine ausgeglichene Leistungsbilanz bzw. Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaftet werden. So weit, so schlecht. Die Ergebnisse sind bekannt – Verelendung breiter Schichten, systematische Verarmung, massive Konjunktureinbrüche mangels Binnennachfrage, explodierende Arbeitslosigkeit … für die Masse der Bevölkerung ein wahres Desaster.
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Das hindert die neoliberal orientierten, konservativen Eliten allerdings keineswegs daran, ähnlich gelagerte, vorzugsweise ideologisch motivierte „Strukturreformen“ – wie sie im Rahmen des europäischen Semesters ausgesprochen werden – verpflichtend nun auch für alle EU-Länder einzufordern, auch für jene Länder, die bislang nicht unter dem Troika-Diktat stehen.
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Das Problem dabei: Ist zwar die Budget- und Fiskalpolitik über den Stabilitäts- und Wachstumspakt weitgehend und vertraglich „vergemeinschaftlicht“, inklusive Kontroll- und Sanktionsmechanismen,  ist es die Lohn-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eben – noch – nicht. Die fällt in die Kompetenz der Nationalstaaten. Es kann gerade nicht vorgeschrieben werden, wie und wo Lohnverhandlungen stattzufinden haben, also etwa von der Branchen-  auf die Betriebsebene verlagert werden müssen. Es kann die EU-Kommission auch nicht Nationalstaaten verpflichten, die Gewerkschaften ihres einzigartigen Rechts, Kollektivverträge arbeitnehmerInnenseitig auszuverhandeln, zu berauben. Es kann die EU-Kommission nicht die Anhebung des Pensionsantrittsalters verpflichtend einfordern, nicht den Abbau des Kündigungsschutzes usw. weil das – in den EU-Verträgen abgesichert –  eben Sache der Nationalstaaten, nicht der Union ist. Das ist Neoliberalen natürlich ein Dorn im Auge. Wenn „mittelbarer“ Druck auf Löhne, auf soziale Rechte und Leistungen – etwa über die Austeritätspolitik – nicht reicht, wie denselben „unmittelbar“ erzeugen? Was also tun, um nach „Austerity for ever“ nun auch immerwährenden Druck auf Löhne und soziale Rechte sicher zu stellen?
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Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion  (WWU) …

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Es steht das „bewährte“ Modell „Fiskalpakt“ im Raum – also ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, der zur Einhaltung bestimmter Regeln verpflichtet. Ein Vertrag, nicht eingebettet in EU-Recht, sondern abgeschlossen zwischen Staaten und der EU-Kommission. Eben ein „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“, wie Merkel beim World Economic Forum im Februar 2013 schon anmerkte. „Ich stelle mir das so vor,“ meinte sie, „… dass wir analog zum Fiskalpakt einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit beschließen, in dem die Nationalstaaten Abkommen und Verträge mit der EU-Kommission schließen, in denen sie sich jeweils verpflichten, Elemente der Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die in diesen Ländern noch nicht dem notwendigen Stand der Wettbewerbsfähigkeit entsprechen.“ Im Zentrum Merkelscher „Verbesserungsnotwendigkeiten“: Lohnstückkosten und Lohnzusatzkosten. Sprich: Löhne und Sozialabgaben.
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Was dieser „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ ganz konkret bedeuten könnte, steht bereits in einer Mitteilung der EU-Kommission vom 28. November 2012 („Ein Konzept für eine vertiefte und echte WWU“): Zwischen Kommission und den Mitgliedsstaaten sollen Verträge geschlossen werden (auch wenn die Kommission – noch – eine Änderung europäischen Rechts gegenüber völkerrechtlichen Verträgen bevorzugt), die zu einer Umsetzung von Strukturmaßnahmen verpflichten. Die „Peitsche“: wer sich nicht an den Vertrag hält, wird verwarnt und kann auch sanktioniert werden. Das „Zuckerbrot“:  bei einer „zügigen Verabschiedung und Umsetzung von Reformen“ und zur „Überwindung politischer und ökonomischer Hindernisse“ soll es finanzielle Unterstützungen geben. Die entsprechende Finanzierung soll über einen Sonderfonds abgewickelt werden. Wir erinnern uns: im Rahmen von „Rettungsmaßnahmen“ gab’s von der Troika auch nur Geld gegen Umsetzung der Auflagen bzw. von Strukturreformen.  Eben: Troika für alle. Wie ähnlich sich nicht „Zuckerbrot“ und „Peitsche“ in manchen Fällen sind …
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… wird bedrohlich konkret

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Am 20. März schließlich legte EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn in einer Mitteilung  zwei „konkrete“ Vorschläge zur Vertiefung der WWU vor – einen zu einer „ex ante“ – also „Vorab“- Koordinierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Einen zur „vetraglich verpflichtenden“ Umsetzung seitens der EU-Kommission vorgeschlagener Strukturreformen. Was will die EU-Kommission?
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  • Vorschlag 1: Wichtige nationalstaatliche, wirtschaftspolitische Reformen – darunter auch Regierungsprogramme („… when new policy measures are being prepared after a new government takes office.“) – sollen vor Beschluss durch die nationalen Parlamente  auf europäischer Ebene vorgelegt und mit der EU-Kommission beraten werden. Diese ex-ante Koordinierung soll überprüfen, ob Reformvorhaben mögliche negative Auswirkungen über die nationalstaatliche Ebene hinaus haben könnten. So soll sichergestellt werden,  „… that Member States internalise the EU-level dimension of key reforms in their national decision-making process.“ Ergebnisse aus diesen Diskussionen sollen Eingang in die länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des europäischen Semesters finden.
  • Vorschlag 2, wie bereits gehabt: Mitgliedsstaaten verpflichten sich vertraglich dazu eine begrenzten Anzahl an Strukturreformen umzusetzen. Für jene Staaten, die sich zu entsprechenden Reformen „verpflichten“, wird finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt. Mit anderen Worten: nur jene Länder, welche sich zur Durchführung mehrheitlich neoliberaler Strukturreformen verpflichten, können mit finanzieller Unterstützung rechnen.

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Damit wäre der „Lückenschluss“ neoliberaler, autoritärkapitalistischer Reformagenda weitgehend vollzogen – indem Bereiche, die bislang ausschließlich unter nationalstaatliche Kompetenz fallen, nun „vergemeinschaftet“ werden. Eine weitere Stärkung demokratisch nicht entsprechend legitimierter europäischer Ebenen – Kommission, Bürokratie und Rat – gegenüber den nationalen Parlamenten. Unabhängig davon, in welcher gesamtwirtschaftlichen Situation sich der Gesamtstaat befindet, unabhängig von Schuldenstand, des Defizit, und ökonomischer Lage … es geht darum das neoliberale Modell durchzusetzen. Ein Frontalangriff nicht auf die Demokratie. Ein Frontalangriff damit insbesondere auch auf die Gewerkschaften, ihre Rechte, ihre Errungenschaften und ihren Einfluss.
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Proteste der Gewerkschaften

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Kein Wunder daher, dass diese Pläne bei den Gewerkschaften auf Widerstand stoßen.  Das ÖGB-Büro in Brüssel hält in seiner Kurzinfo vom 20. März 2013 entsprechend fest:

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„Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass es der EU-Kommission hier in erster Linie um ‚Reformen‘ bei den Sozialversicherungssystemen geht, wie zum Beispiel um die Heraufsetzung des gesetzlichen Pensionsalters oder einen Automatismus von demografischer Entwicklung und gesetzlichem Antrittsalter. Andere Forderungen der Kommission betreffen mehr Flexibilisierung der Arbeitsmärkte (Abbau Kündigungsschutz) oder Eingriffe in Lohnfindungsmechanismen (z.B. Abschaffung der Indexierung in einigen EU-Ländern), es geht also auch um Kollektivvertragssysteme.“

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Der EGB spricht davon, dass die Vorhaben des EU-Kommissars Rehn  lediglich darauf abzielen würden,  „seine neoliberalen Kommissionsdienststellen gegenüber den Mitgliedsstaaten, gegenüber den nationalen Parlamenten und den Sozialpartnern“ zu stärken. Und weiter: „Die … Pläne von Kommissions-Vizepräsident Rehn gehen … in die völlig falsche Richtung, bedrohen demokratische Entscheidungsprozess in den Mitgliedsstaaten, einschließlich Mitbestimmungsrechten.“
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Initiativen der AUGE/UG in den Arbeiterkammern

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Die AUGE/UG brachte zu den Arbeiterkammer-Vollversammlungen bereits Anträge ein, in dem sich die Arbeiterkammern klar gegen den Wettbewerbspakt aussprechen und die Bundesregierung auffordern „gegen die Vorschläge zur Vertiefung der WWU aufzutreten“. Ein im November eingebrachter Antrag fand bereits die Mehrheit und damit eine klare Positionierung der AK, ein im Mai eingebrachter unter Berücksichtigung der konkreten Vorschläge bekräftigte diese Position noch einmal.

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Zivilgesellschaft und Politik gegen den EU-Wettbewerbspakt

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Und auch zivilgesellschaftlich und parteipolitisch tut sich was: AktivistInnen aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und aus Gewerkschaften aber auch PolitikerInnen der Grünen und der SPÖ haben den Aufruf „Europa geht anders!“ gestartet.“Demokratie und soziale Sicherheit in Europa“ werden hierin gefordert statt „weiterer Sozialabbau durch ‚Wettbewerbspakt’“ (Aufruf und Möglichkeit zu unterstützen unter  www.europa-geht-anders.eu). Bis zum EU-Gipfel im Juni soll gegen den Wettbewerbspakt  mobilisiert und so der Druck auf die Regierenden erhöht werden – um den Wettbewerbspakt doch noch zu Fall zu bringen. Denn, wie es im Aufruf abschließend heißt: „Eine Vertiefung der Europäischen Union muss eine Stärkung der Demokratie und das Wohlergehen aller Menschen in Europa zur Voraussetzung haben.“ Diesem Ansinnen stünde eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion tatsächlich diametral entgegen …

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Links:

Initiative „Europa geht anders“, Aufruf gegen den EU-Wettbewerbspakt, Unbedingt Unterschreiben!!!

AUGE/UG Antrag zur 160. Vollversammlung der AK: Nein zu den Kommissionsvorschlägen zur Vertiefung der WWU!

Arbeit und Wirtschaftsblog der AK und des ÖGB: Europa geht anders – am Anfang war ein Nein, Artikel von Lukas Oberndorfer, AK Wien

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