„Euro-Plus-Pakt“: Neoliberalismus, beinhart

Von einer breiteren Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt – in den Nachrichten dominierte Libyen und Japan – verabschiedete der Europäische Rat am 24./25. März(Schlussfolgerungen) ein umfangreiches Maßnahmenpaket für „ein intelligentes, nachhaltiges, sozial integratives und beschäftigungswirksames“ Wachstum, das die „wirtschaftspolitische Steuerung und die Wettbewerbsfähigkeit des Euro-Währungsgebiets und der Europäischen Union stärken soll.“

„D-Mark-Imperialismus“: der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit

Die vom EU-Rat beschlossene Paket zu einer besseren wirtschaftspolitischen Koordination in der EU (vulgo „EU-Wirtschaftsregierung“) beinhaltet neben den sechs Gesetzgebungsvorschlägen (Legislativpaket) der EU-Kommission (dieses umfasst u.a. die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumsapktes sowie eine neue Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte, und soll bis Juni 2011 nach Verhandlungen mit dem EU-Parlament verabschiedet werden) und dem Europischen Stabilitästsmechanismus (dem alten Euro-Rettungsschrim) auch den „Euro-Plus-Pakt“, ehemals als von Merkel-Sarkozy promotete „Pakt für die Wettbewerbsfähigkeit“ bekannt geworden.

Dieser sollte die Euro-Länder bzw. jene EU-Staaten, die diesem abseits der Eurozone beitreten wollen, zu einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild, zu einer Erhöhung des Pensionsantrittsalters, zu einer Abschaffung der in einigen Mitgliedsländern geltenden Lohnanpassung im Rahmen der Inflation „selbstverpflichten“. „Ein Hauch des D-Mark-Imperalismus“, wie die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (MEMORANDUM) diagnostiziert, ein „Pakt der Unvernunft“, der die Eurozone „deutscher“ machen sollte, wird doch so getan, „als gäbe es ausschließlich für die anderen Mitgliedsländer einen entsprechenden Anpassungsbedarf.“ Dadurch würde „… die Notwendigkeit der Anpassung Deutschlands durch das Zurückfahren der Exportüberschüsse und die Stärkung der Binnenwirtschaft ausgeklammert.“

Vom „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ zum „Euro-Plus-Pakt“

Tatsächlich stieß der Merkel-Sarkozy-Pakt nicht auf die ungeteilte Zustimmung aller Euro-Staaten, womit eine geänderte Fassung unter dem Titel „Euro-Plus-Pakt“ (weil auch Nicht-Euro-Länder an diesem Pakt teilnehmen) verabschiedet wurde. Dieser „selbstverpflichtet“ zwar die beigetretenen Staaten nach wie vor zur Erreichung von Zielen, allerdings nicht mehr zu konkreten, politischen Maßnahmen – diese sollen von den Mitgliedsstaaten selbst gewählt werden können. Auch finden sich in diesem Pakt auch keine Sanktionen, ist dieser doch nicht EU-Recht, sondern Selbstverpflichtung der Pakt-Länder (jede Menge Sanktionen finden sich ohnehin im Legislativpaket der EU-Kommission, wozu sich die Unterzeichnerländer des Euro-Plus-Pakts auch unmissverständlich bekennen. Eine umfassende, fundierte polit-ökonomische Kritik am Legislativpaket findet sich übrigens auf der Homepage des BEIGEWUM).

Radikal neoliberale Ausrichtung

Die radikal neoliberale und entdemokratisierend wirkende Grundausrichtung bleibt allerdings, der Druck auf soziale Standards, auf die nationalen Budgets sowie auf die Lohnpolitik der Mitgliedsländer wird deutlich erhöht. Weil: bleibt auch die Konkretisierung von Maßnahmen zur Erreichung vereinbarter Ziele den Mitgliedsstaaten überlassen, findet eine Maßnahmenformulierung in einem gemeinsamen Prozess statt. Die Umsetzung erfolgt dann innerhalb von 12 Monaten und wird hinsichtlich ihrer Wirkung schließlich einer Bewertung durch Kommission, den EU-Rat und der Euro-Gruppe unterzogen. Und es wird ausdrücklich angeregt „… sich (bei den Maßnahmen, Anm.) an den Leistungsstärksten innerhalb Europas, aber auch unter den strategischen Partnern, messen“. Und nicht zuletzt finden sich im „Euro-Plus-Pakt“ ganz unmißverständliche Empfehlungen hinsichtlich umzusetzender Maßnahmen. Ganz explizit wird auf ein „angeführtes Bündel möglicher“ Maßnahmen – zur Verbesserung der Indikatoren bei Wettbewerbsfähikeit, Beschäftigung, langfristig tragfähigen Finanzen etc. – verwiesen, dem „besondere Beachtung geschenkt“ werden soll. Und: wenig überraschend zielen diese Empfehlungen überwiegend auf die Lohn- und Arbeitsmarkt- sowie Sozialpolitik ab.

Im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit

Der Euro-Plus-Pakt stützt sich auf vier Leitvorgaben:

  1. Auf „Anstrengungen“, die auf eine stärkere „wirtschaftspolitische Koordinierung im Hinblick auf die Wettbewebsfähigkeit und Konvergenz“ gerichtet sind und die der Versärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU dienen (Stabilitäts- und Wachstumspakt, Legislativpaket). Neue Verpflichtungen, Anstrengungen, „die über das hinausgehen, was bereits geleistet wird“, sollen „in nationale Reform- und Stabilitätsprogramme aufgenommen“ werden und hinsichtlich ihrer Erfüllung vor allem von der EU-Kommission übewacht werden, der eine „starke zentrale Rolle“ zukommt.
  2. Die „Anstrengungen“, die nationalen Kraftakte, dienen prioritär der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Konvergenz. Dabei werden auf Ebene der Staats- und Regierungschefs gemeinsame Ziele vereinbart, deren Erreichung von den Mitgliedsstaaten „… mit ihrem eigenen politischen Intrumentarium …“ verfolgt werden.
  3. Die Staats- und Regierungschefs werden „jedes Jahr konkrete nationale Vepflichtungen eingehen …“ und sollen sich dabei, wie bereits erwähnt, an den Leistungsstärksten messen. Die Erfüllung der Verpflichtung und die „Fortschritte“ bei der Verwirklichung der gemeinsamen politischen Ziele“ werden von den Staats- und Regierungschefs gestützt auf einen Bericht der Kommission (wobei derartige Berichte regelmäßig eine klar neoliberale Ausrichtung haben) überwacht. Zusätzlich verpflichten sich die Mitgliedsstaaten , ihre „Partner zu konsultieren, bevor sie wichtige Wirtschaftsreformen verabschieden, die potenzielle Übertragungseffekte haben“.
  4. Und schließlich die vierte Leitvorgabe: das uneingeschränkte Bekenntnis aller Mitgliedsländer zur Vollendung des Binnenmarktes, „… die von entscheidender Bedeutung für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit …“ ist. Danke und Amen.
Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Lohndumping

Wie sich denn ein Land hinsichtlich seiner Wettbewerbsfähigkeit entwickelt, wird auf Grundlage der Lohn- und Produktivitätsentwicklungen bewertet. Dabei wird die Entwicklung der Lohnstückkosten der Länder über einen Zeitraum hinweg beobachtet und verglichen. Besonders „wettbewerbsfähige“ Länder weisen dabei Leistungsbilanzüberschüsse aus, andere Länder entsprechend Leistungsbilanzdefizite. Was ein Land exportiert, muss eine anderes importieren, das ist so weit logisch. Derartige Ungleichgewichte in der Wettbewerbsfähigkeit lassen sich entweder beheben, in dem ein Land Überschüsse abbaut – etwas durch eine expansive Lohnpolitik oder Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich – wodurch andere Länder wettbewerbsfähiger würden und ihr Leistungsbilanzdefizit so abbauen können, was Ungleichgewichte ausgleichen helfen würde. Das wäre ein solidarischer Weg. Oder, in dem Länder mit Leistungsbilanzdefiziten versuchen über Lohnsenkungen konkurrenzfähiger zu werden. Alle sollen Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften! Das geht zwar eigentlich nicht, und dass sollte eigentlich auch jede/r wissen, der/die die vier Grundrechnungsarten beherrscht, mit Logik musste frau/mann allerdings neoliberalen Marktgläubigen noch nie kommen. Egal. Jedenfalls würde das insgesamt zu einem Lohnwettlauf nach unten führen, auf Kosten der ArbeitnehmerInnen, deren Einkommen, Lebensverhältnisse etc. Ein unsolidarischer Weg. Nun, welcher Weg wird im Euro-Plus-Pakt empfohlen? Richtig! Löhne sind auf jeden Fall zu hoch und dämpfen so die Wettbewebsfähigkeit, also runter mit ihnen:

„Starke und anhaltende Steigerungen (der Lohnstückkosten, Anm.) können zu einer Aushöhlung der Wettbewerbsfähigkeit führen, insbesondere wenn sie mit einer Ausweitung des Leistungsbilanzdefizits und rückläufigen Martanteilen bei Exporten einhergehen.“

Entsprechend die Empfehlungen, „ … unter Achtung der nationalen Gepflogenheiten in Bezug auf den sozialen Dialog und die Beziehung der Sozialpartner …“ wie noch Alibimäßig erwähnt wird:

  • So sollen „Lohnbildungsregelungen“ und „erforderlichenfalls“ der Grad der Zentralisierung im Verhandlungsprozess und der Indexierungsverfahren überprüft werden. Im Klartext heisst das: Lohnverhandlungen sollen gegebenenfalls von der „zentralisierten“ Kollektivvertragsebene auf die betriebsliche Ebene verlagert werden, „Indexierungsverfahren“, wie es diese vor allem bei gesetzlichen Mindestlöhnen gibt (also die automatische, jährliche Anpassung um die Inflationsrate), abgeschafft werden.
  • Lohnsteigerungen im öffentlichen Dienst und im öffentlichen Sektor sollen nur soweit stattfinden, als sie den „auf die Wettbewerbsfähigkeit gerichteten Anstrengungen im Privatsektor förderlich sind“, also klar hinter der allgemeinen Lohnentwicklung zurück bleiben.

Förderung von Beschäftigung, rein angebotsorientiert

Wenig neues auch, wenn es um die Förderung von Beschäftigung geht. Hier wird einerseits bei der Förderung von „Flexicurity“ angesetzt – also hire and fire mit nicht näher definierter sozialer Absicherung, die jedenfalls in erster Linie dazu dienen soll, „Arbeit attraktiv“ – sprich Arbeitslosengeld niedrig – zu gestalten, sowie bei einer steuerlichen Entlastung von Arbeit. Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings die Erwähnung, wochnach „… die Erwerbstätigkeit von Zweitverdienern“ steuerlich erleichtert werden soll, was immerhin eine klare Aussage gegen Modelle einer Familienbesteuerung ist.

Sparen, Sparen, Sparen … und wo? Richtig!

Im Euro-Plus-Pakt wird die vollständige Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes – jenes Paktes des selbst der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi als „stupido“, also „dumm“ bezeichnete – gefordert. Größte Aufmerksamkeit wird dabei – wie könnte es anders sein – der langfristigen Finanzierbarkeit der Renten, Gesundheitsfürsorge und Sozialleistungen, da wird die „demographische“ Keule geschwungen, welche die langfristige Finanzierung soziale Leistungen zu gefährden droht, was entsprechend zum Schluss führt, dass der Zugang zu erschweren ist. Dass es bei der Frage der Finanzierung sozialstaatlicher Systeme auch um so nebensächlichkeiten Verteilungs- und Steuergerechtigkeit gehen könnte, bleibt natürlich unerwähnt. Entsprechende Empfehlungen:

  • „Angleichung des Rentensystems an die nationale demografische Situation, beispielsweise durch Angleichung des tatsächlichen Renteneintrittsalterns an die Lebenerwartung oder durch Erhöhung der Erwerbsquote“ – also Pensionsalter rauf
  • Oder durch die Begrenzung vom Möglichkeiten in den vorzeitigen Ruhestand zu treten

Weiter verpflichten sich die Euro-Mitgliedsstaaten mit dem Euro-Plus-Pakt die „im Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltenen Haushaltsvorschriften der EU“ in nationales Verfassungs- oder Rahmenrecht umzusetzen, und entsprechend auszugestalten – etwa über eine „Schuldenbremse“ a la BRD. Jedenfalls mus Haushaltsdisziplin auf nationalstaatlicher und supranationaler Ebene gewährleistet sein. Und das heißt im Umkehrschluss immer sparen und Staatsausgaben bei Bildung, Sozialem u.ä. zu kürzen.

Konklusio

Der Euro-Plus-Pakt stärkt ebenso wie das Legislativpaket ausgerechnet jene EU-Intsitution, die – „… für ihre mangelnde demokratische Legitimierung als auch für den Einfluss von Lobbygruppen am meisten berüchtigt ist: die Europäische Kommission.“ (ATTAC Deutschland). Die dem Neoliberalismus innewohnende und so typische Entdemokratisierung wirtschaftspolitischer Prozesse über eine Verlagerung von Entscheidungen von der demokratisch gewählten kommunalen oder nationalstaatlichen Ebenen hin zu supranationalen Institutionen und technokratischen Eliten ohne jegliche demokratische Legitimation und Verantwortlichkeit gegenüber WählerInnen, findet in der neuen „EU-Wirtschaftsregierung“ , basierend auf Euro-Pakt und Legislativpaket, einen neuen, qualitativen Höhepunkt.

Dabei sind nationale Parlamente in diesen Prozess nicht einmal eingebunden, ja teilweise nicht einmal ausreichend informiert! Dass sich gewählte ParlamentarierInnen eine derartiges bieten lassen spricht nicht unbedingt für ein entsprechendes demokratisches Bewusstsein bzw. Selbstverständnis „unserer“ gewählten VertreterInnen. Es ist anzunehmen, dass sich eine Mehrheit der Abgeordneten – über alle Fraktionsgrenzen hinweg – noch gar nicht der Tragweite der Entscheidungen auf Europäischer Ebene bewusst ist, werden nationale Parlamente hinsichtlich ihrer wirtschafts- und damit gesellschaftspolitischen Entscheidungsmöglichkeiten weitestgehend entmachtet und in diesem Prozess nicht einmal konsultiert! Er findet schlichtweg über ihre Köpfe hinweg statt! Auch das spricht nicht unbedingt für die Qualität der NationalrätInnen.

Ökonomisch gesehen bedeutet der Pakt-für-den-Euro sowie das Legislativpaket die konsequente, noch verschärfte Fortsetzung jener neoliberalen Wirtschaftspolitik, welche zentral mitverantwortlich für die Finanz- und für die daraus resultierende Wirtschaftskrise ist. Sie setzt nicht an den Ursachen der Krise an – nämlich an der über Jahrzehnte hinweg immer größer werdenden Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, vollkommen deregulierte und liberalisierte Finanzmärkte, sukzessiven Rückbau des Sozialsstaates über Privatisierung öffentlicher Leistungen, Steuerwettlauf nach unten und Lohndruck – und versucht diese Krisenursachen zu beheben, sondern befördert diese noch. Auf das Faktum, dass die wachsenden Staatschulden Ursachen haben – nämlich milliardenschwere Bankenrettungs- und Konjunkturpakete – wird gar nicht erst eingegangen. Es werden auch nicht der Bankenbereich, der Finanzsektor oder die Vermögenden zur Schuldenbewältigung herangezogen. Nein, selbstverständlich nicht. Für deren Risken dürfen die europäischen SteuerzahlerInnen natürlich einaml mehr weiter bürgen, im Rahmen des „Euro-Schutzschirms“, dem zweiten Bankenrettungspaket nachdem schon die nationalen Bankenrettungspakete schwer auf der Bevölkerung lasten. Der schwarze Peter für hohe Defizite und öffentliche Schuldenstände wird den öffentlichen Pensions- und Gesundheitssystemen, dem Sozialstaat als ganzes zugeschoben. Die Staatschuldenkrise wird isoliert von der Wirtschaftskrise betrachtet, Staatenbashing ist angesagt, wahre Ursachenanalyse findet selbstverständlich keine statt sie müsste schließlich auch zu einem radikalen Umdenken führen. Lieber radikalisiert man da in der EU den neoliberalen Umbau – in Richtung autoritärer Kapitalismus.

Linktipps:

EU-Beschlüsse: Mythos Nulldefizit revisted … (BEIGEWUM)
Europäische Union: Bleibt beim Wettlauf zum Klubbeschluss zur Europäischen Wirtschaftsregierung noch Platz für die Ausübung demokratischer Souveränität? (BEIGEWUM)
Europäische Wirtschaftsregierung: Eine stille neoliberale Revolution (Beitrag von Schlager/Klatzer im KURSWECHSEL, der Zeitschrift des BEIGEWUM)
Euroland in der Krise: Ein Sieben-Punkte-Programm zur Wirtschafts- und Währungsunion (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, MEMORANDUM-Gruppe)

Kommentar zu „„Euro-Plus-Pakt“: Neoliberalismus, beinhart“

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