Europäische Union: Schnurstracks in den „autoritären Kapitalismus“

Die Jahre 2009 und 2010 standen nicht nur im Zeichen der Krise. Nein, sie standen auch ganz im Zeichen der Solidarität. Meine Göttin, was waren wir nicht solidarisch, ja, was sind wir nicht solidarisch. Nicht nur in Österreich,in ganz Europa.

Solidarisch mit Banken …

Wir schnürten Milliarden Euro schwere Bankenrettungspakete, da wurden Summen frei gemacht, die jede Vorstellungskraft überstiegen. Wir hafteten für jene die uns mit ihrer Unternehmenspolitik die Krise bescherten. Und wir waren dabei ausgesprochen nett: unsere Solidarität reichte so weit, dass wir nicht einmal eine ordentliche Gegenleistung verlangten. Währen arbeitslose Menschen ihre Arbeitsbereitschaft bekunden müssen, weil’s sonst nämlich mit der Solidarität vorbei ist – ja, so sind wir, mein Lieber – müssen Banker und -innen so gut wir gar nix bekunden. Die dürfen weitermachen wie bisher, und die machen aus lauter Dankbarkeit auch weiter wie bisher. Weil wir so solidarisch sind.

Solidarisch mit den VermögensbesitzerInnen …

Solidarisch sind wir nicht nur mit den Bankern, nein, wir sind’s auch mit all jenen die seit Jahren und Jahrzehnten ihr Ererbtes, Erschenktes, Ergaunertes, Er-Steuer-hinterzogenes, Erheiratetes etc. zwecks Vermehrung in Papieren, Investment- und Hedgefonds aller Art angelegt haben, auch hochspekulativen und -riskanten. Weil: gerettete Banken heißt auch gerettete Gstopfte. Die hätt’s sonst ordentlich erwischt, wären wir nicht ganz solidarisch gewesen.

Solidarisch mit Gläubigern ….

Ja und wir haben die alle zusammen – die Vermögenden, die Banken, die Erben – nicht nur einmal gerettet, nein sondern gleich nochmal. Was wir an Rettungsschirmen gespannt haben! Banken verleihen Geld. Auch an Staaten. Vermögende kaufen Wertpapiere. Auch von Staaten. Staatsanleihen etwa. Was aber, wenn ein Staat – teilweise selbstverschuldet, teilweise wegen der Krise, teilweise wegen der makroökonomischen Ungleichgewichte in EUropa – seine Schulden nicht mehr bedienen kann? Zum Beispiel Griechenland. Zum Beispiel Irland. Tja, dann hab’n vor allem die Gläubiger – die Banker, Staatsanleihenbesitzer, die Investoren ob diese nun Einzelpersonen sind, oder Investmentfonds oder Pensionsfonds – ein Problem. Die drohen um Zigmilliarden umzufallen, drohen ihr ganzes Vermögen zu verlieren! Kein Problem, schnüren wir halt einen neuen Schutzschirm zum Bankenrettungspaket dazu. Einen Euro-Schutzschirm. Weil unser aller Solidarität gefragt ist. Für die Banken. Für die Investoren. Für die Vermögenden.

Solidarisch mit dem Plebs … nein, aber wirklich nicht!

Nicht solidarisch sollten wir dagegen mit der Bevölkerung der entsprechenden Länder sein. Nein, die wurden ordentlich geschröpft, da wurde und wird an Sozialleistungen, an öffentlichen Ausgaben für Pensionen, Gehälter der öffentlich Bediensteten, fürs Gesundheitssystem für Arbeitslose zusammengestrichen, was nur geht. In Griechenland. In Irland. Geordnete Insolvenzverfahren für Staaten gibt’s ja keine. Keinerlei Beiträge, um die Schuldensituation der Länder und damit die harten Konsolidierungsmaßnahmen für die Bevölkerung abzufedern kamen übrigens – natürlich möchte frau/mann schon sagen – von den Gläubigern, von Banken, Fonds, Vermögenden. Im Gegenteil: die wurden nicht nur durch den Schutzschirm einmal mehr gerettet, nein, die spekulierten auch noch ganz munter auf die Staatsanleihen und cashten nochmals ab. Ja, ja, dafür, genau dafür sind wir solidarisch.

Und: aus der Krise gelernt? Aber woher!

Die Wirtschaftskrise ist uns recht teuer gekommen. Das wissen wir alle. All die Rettungspakete, die Steuerausfälle, die steigende Arbeitslosigkeit haben doch einiges gekostet. Die Budgetdefizite und die Staatsschulden sind gestiegen. Wie bereits erwähnt: die Staatsschulden und die Defizite haben eine Ursache. Nun könnte frau/mann ja eigentlich erwarten, dass wir alle aus der Krise etwas klüger geworden sind. Eh nicht viel, das wäre zu viel der Erwartung. Z.B. könnte frau/mann nun zum Beispiel versuchen, so manch Ursachen für die Krise – die naheliegenden – Anzupacken. Etwa die ungleiche Verteilung der Vermögen und der Einkommen – weil etwa Gewinnsteuern über Jahrzehnte hindurch runtergeschraubt worden sind, ebenso Spitzensteuersätze und Vermögenssteuern überhaupt verschwindend gering waren. Und all das Geld wurde munter veranlagt, auf der Jagd nach den höchsten Renditen. Und vollkommen liberalisierte und deregulierte globale Finanzmärkte und deren Institutionen erfanden ständig neue Produkte, noch riskanter, noch undurchschaubarer, noch spekulativer, die noch mehr Rendite versprachen. Bis eben alles einmal platzte. So die – zugegebenermaßen in der Kürze ausgesprochen unscharfe Analyse. Für weitreichendere Analysen sei u.a. der BEIGEWUM-Blog (bzw. Kurswechsel, Zeitschrift des BEIGEWUM) empfohlen.

So: wird das nun alles angegangen, also die Krisenursachen? Etwa im Zuge der Krisenbewältigung, das nun die für die Krise aufzukommen haben, welche für das Entstehen derselben verantwortlich zeichnen? Dass jene die Budgets konsolidieren, die gerettet worden sind, und so vor viel mehr bewahrt wurden als den Beiträgen die sie nun endlich zu leisten haben? Ja, wurde am Ende gar Finanzmärkte reguliert, hochriskante Produkte verboten, eine Finanztransaktionssteuer eingeführt? Aber mitnichten!

EU: Die Marktradikalen kehren zurück

Nein, es ist noch viel schlimmer: die Wirtschaftskrise, die Finanzkrise soll – geht es nach den Marktradikalen und Marktreligiösen in der EU-Kommission aus dem Bewußtsein verdrängt werden, sonst kommt ja noch irgendwer auf die Idee, die Marktwirtschaft fundamental in Frage zu stellen. Nein, das neue – alte – Böse wird nun wieder in der Staatsverschuldung, in den Budgetdefiziten gesehen. Finanzkrise? Wirtschaftskrise? Aber wo. Staatsschuldenkrise! Das ist das wahre Problem. Und in alle den Mitgliedsländern, die viel zu wenig unternehmen oder unternommen haben, den Abbau derselben – also der Defizite und der Schulden – auch wirkungsvoll zu betreiben. Nun, dass Irland etwa dermaleinst als Musterland gefeiert wurde – was Defizite, Schulden, wirtschaftliche Entwicklung etc. betraf – und heute mehr unter, als am Boden liegt, zeigt nur einmal mehr, wie trügerisch und wenig aussagekräftig willkürlich, vor allem aber ideologisch ausgewählte bzw. festgelegte ökonomische Kennziffern tatsächlich sind, insbesondere zur Beschreibung einer – wir wir inzwischen wissen vermeintliche – Erfolgsgeschichte.

Nichtsdestotrotz hält die EU-Kommission an ihrer neoliberalen Agenda, die uns schon in die Katastrophe geführt hat, nicht nur unbeirrt und konsequent fort, sondern sie verstärkt diese auch noch. So soll u.a. der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) verschärft werden, ein Überwachungsmechanismus bei volkswirtschaftlichen Ungleichgewichten eingeführt werden:

  • so soll künftig die Budget- und Staatschuldenpolitik der Länder stärker überwacht werden und insbesondere das Schuldenkriterium (Staatsschulden dürfen nicht höher als 60 % des BIP sein) an Bedeutung gewinnen. Über geplante Ausgabenregeln soll eine permanenter Spardruck erzeugt werden und aus Ausgabenhöhe und -struktur (Festlegen einer Formel für zulässiges Staatsausgabenwachstum) besonderes Augenmerk gelegt werden. Werden Empfehlungen bzw. Ermahnungen nicht eingehalten setzt es saftige Strafzahlungen, die de facto automatisch in Kraft treten und nur innerhalb von 10 Tagen (!) von einer qualifizierten Mehrheit des EU-Rats – also aller Mitgliedsländer – abgelehnt werden. Wer die europäische Diskussion seit längerem verfolgt, weiß dabei genau, worauf die Ausgabenregeln wohl hinauslaufen werden: auf ein Rückbau des öffentlichen Pensions- und Gesundheitssystems, auf jene Staatsausgaben, die eine besondere Dynamik ausweisen, aber für den sozialen Zusammenhang und für die Soziale Sicherheit besonders wichtig sind. Da ist offenbar keine Solidarität gefragt …

  • für GewerkschafterInnen ganz besonders heikel ist der Überwachungsmechanismus bei volkswirtschaftlichen Ungleichgewichten. Dieser zielt darauf ab, europäische Länder nach bestimmten ökonomischen Indikatoren zu bewerten und entsprechende Empfehlungen auszusprechen, die bei Nichtbefolgung ähnlich wie bei den Verschärfungen im SWP zu Sanktionen führen. Im Fokus stehen dabei auch Leistungsbilanzungleichgewichte – also die Ungleichgewichte zwischen Export- und Importstaaten. Und da wird’s nun für ArbeitnehmerInnen besonders happig: in Zeiten der gemeinsamen Währung ist Abwertung – um Exporte zu verbilligen und Importe zu verteuern und so die Leistungsbilanz auszugleichen – nicht mehr möglich. Die Staaten haben tatsächlich kaum eine Möglichkeit, diese Ungleichgewichte zu beeinflussen. Außer – ja außer – über Eingriffe in die Lohnpolitik, in die Tarifautonomie um so, über niedrigere Löhne, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Das hat natürlich eine neoliberale Schlagseite. Das Rezept „Löhne runter“ zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit auch schon von Seiten der EU-Kommission im Rahmen des EU-Rettungspakets munter betrieben. Gelebte europäische Solidarität mit den unmittelbar am stärksten Krisenbetroffenen.

Der inzwischen gewarnte ÖGB in einem Brief vom 31. Jänner 2011 an den Bundeskanzler:

„Die Gewerkschaften in Irland und Griechenland berichten, dass Kommissionsbeamte die Rolle des Sozialen Dialogs und der Kollektivvertragsverhandlungen offensichtlich ignorieren und direkt in die Lohnpolitik eingreifen. Neben Kürzungen bei Mindestlöhnen und Pensionen sollen auch die Arbeitsmärkte ‚flexibilisiert‘ werden … Im Falle Irlands geht der zuständige Kommissionsbeamte noch einen Schritt weiter und fordert, dass Löhne wörtlich ‚Marktbedingungen‘ widerspiegeln sollten und die ‚Starrheit‘ von Löhnen zu reduzieren sei. Damit werden konkrete Forderungen nach Einschnitten bei der Allgemeingültigkeit von Kollektivverträgen verbunden.“

Und weiter:

„ Diese Vorgehensweise verletzt klar die Autonomie der Sozialpartner und der Kollektivvertragsverhandlungen, die durch die Charta der Grundrechte ausdrücklich geschützt werden. Sie widerspricht auch allen bisherigen Aussagen der EU-Kommission zur wichtigen Rolle der Sozialpartner, des Sozialen Dialogs und gesicherter Arbeitsbedingungen … Offensichtlich bewahrheiten sich nun die vielfach geäußerten Befürchtungen, dass die ArbeitnehmerInnen in der EU eine Großteil der Krisenfolgen zu tragen haben, währendes nur ein sehr zögerliches Vorgehen bei der Korrektur der Fehlentwicklungen am Finanzmarktsektor und ein verhaltenes Gegensteuern gegen die Verursacher dieser Krise, wie etwa Spekulanten, Hedge Fonds und den Bankensektor gibt.“

Und Bezug nehmend auf die geplanten neuen, wirtschaftspolitischen Vorhaben der EU-Kommission:

„Darüber hinaus warnt der ÖGB davor, dass die derzeit diskutierten Vorschläge für eine europäische Economic Governance weitere Gefahren einer ungerechtfertigten Einmischung in Lohnpolitik und die Autonomie der Sozialpartner bergen. Die aktuellen Vorgänge in Irland könnten somit nur ein Vorgeschmack auf einen generellen Politikansatz sein, der dann auch die Rechte der ArbeitnehmerInnen in anderen Mitgliedsstaaten trifft.“

Autoritärer Kapitalismus und Faschisierung der Gesellschaft

Die EU hat einen ganz speziellen Zugang zu Solidarität. Die Solidarität gilt den ökonomischen Eliten, den Geldeliten. Alle bisherigen und geplanten Maßnahmen zielen darauf ab. Ursachenforschung – gibt es keine. Ursachenbehebung erst recht nicht. Die Krise war ein Betriebsunfall. Nicht mehr. Also: weiter wie bisher. Und schärfer, als je zuvor.

Autoritärer Kapitalismus halt, basierend auf Entdemokratisierung der Wirtschaftspolitik – etwa über noch strenger sanktionierbare Budgetrestriktionen und Ausgabenregeln verbunden mit einem Strafautomatismus – die nationalstaatliche, parlamentarische Mitbestimmung demokratisch gewählter Abgeordneter praktisch vollkommen aushebelt. Und: basierend auf quasi-verordnete Entsolidarisierung – über radikalen Abbau solidarisch finanzierter, sozialstaatlicher Sicherungssysteme bei Pensionen und Gesundheit und über Eingriff in Lohnfindungsprozesse und Lohnpolitik. Dafür jede Menge Solidarität, milliardenschwere Rettungspakete und Schutzschirme für die Geldeliten – koste es, was es wolle. Wir zahlen dafür – durch Demokratie- und Sozialabbau. Nationalistische und rechtsextreme Parteien dürfen sich die Hände reiben. Den Feinden Europas fallen die Stimmen in den Schoss. Der autoritäre Kapitalismus von EUropa befördert EU-feindliche, nationalistische Kräfte in diesem Europa. Der autoritäre Kapitalismus befördert die Faschisierung unserer Gesellschaft.

Neupositionierung der Linken und Gewerkschaften zur EU gefragt

Ein Mehr an europäischer Integration ist unter oben genannten Vorgaben eine gefährliche Drohung, zielt diese Integration doch auf die Zertrümmerung sozialer Errungenschaften und von Sozialstaatlichkeit im Sinne einer vollkommen irren marktradikalen Ideologie ab. Winzige Schritte in Richtung sozialeres und demokratischeres Europa dürfen nicht über die riesige Sprünge in Richtung autoritären, europäischen Kapitalismus hinwegtäuschen. Die politische Linke – hier vor allem SozialdemokratInnen und Grüne – und die Gewerkschaften, denken sie tatsächlich europäisch, werden ihr Verhältnis zu diesem EUropa neu und vor allem deutlich kritischer bis klar ablehnend definieren müssen. Eine wirklich europäische Linke muss versuchen, diesen ökonomischen Integrationsprozess in Richtung autoritärer Kapitalismus zu stoppen, will sie eine weitere Stärkung nationalistischer, antieuropäischer und rechtsextremer Kräfte verhindern.

Diese EU ist definitiv nicht unser Europa. Die EU war schon über die konstituierenden Momente – die berüchtigten vier Freiheiten – nicht das Europa der ArbeitnehmerInnen und sozial Marginalisierten, sondern der ökonomischen Eliten. Wie diese EU ein sozialeres, gerechteres, demokratischeres und ökologischeres werden könnte – dafür liefern linke und alternative ÖkonomInnen, GewerkschafterInnen, PolitikerInnen und Intellektueller seit Jahrzehnten jede Menge Ideen und Vorschläge (z.B. Memorandum-Gruppe). Potentielle AdressatInnen zeigen sich – zumindest bislang – allerdings taub. So bleiben grundlegende Reformansätze ungehört und reine Theorie. Wenn wundert’s da wirklich, dass die Zahl der EU-GegnerInnen und -Frustrierten immer größer wird?

Link: Mehrheitlich beschlossene Resolution der AUGE/UG zur 154. Wiener AK-Vollversammlung sowie zur Bundesarbeitskammer: „Nein zur Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts! Nein zum 6-Punkte Legislativpaket der EU-Kommission!“

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