Fiskalpakt stoppen: Briefe an den Bundespräsidenten

Grüne und ATTAC haben sich in offenen Briefen an den Bundespräsidenten gewandt. UHBP wird dabei ersucht, eine verfassungsrechtliche Prüfung des Fiskalpakts vorzunehmen und mit der Unterzeichnung abzuwarten.

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Blick nach Deutschland: In der BRD wurde der umstrittene Fiskalpakt mit einer breiten Mehrheit von Regierung und rot-grün (bei 23 SPD, und 9 Grünen Gegenstimmen sowie sechs Enthaltungen, die Linkspartei stimmte geschlossen dagegen) angenommen. Der deutsche Bundespräsident hat ihn allerdings noch nicht unterschrieben. Die Karlsruher Bundesverfassungsrichter haben ihn um einen Aufschub der Unterschrift gebeten, da mehrere Verfassungsklagen – unter anderem von der deutschen Linkspartei – eingebracht wurden.

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Blick nach Österreich: am 4. Juli wurde im österreichischen Parlament ebenfalls über den Fiskalpakt abgestimmt. Mit den Stimmen der Regierungsparteien. Nur eine Abgeordnete aus dem Regierungslager – eine Sozialdemokratin – verweigerte die Zustimmung. Sämtliche andere Abgeordnete der SPÖ – auch jene aus den Gewerkschaften – stimmten jenem Pakt zu, der nach dem deutschen DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach (eine Grüne, die allerdings die Gesamteinschätzung des DGB wiedergibt) „europaweit“ den „Druck auf die Löhne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auf die Arbeitsbedingungen, auf die Tarifautonomie und auf die Sozialsysteme“ erhöhen wird (Einleitung in Arbeitsrechtsreformen in Krisenzeiten, Working Paper des etui). Gegen den Fiskalpakt stimmten aus demokratie-, sozial- und wirtschaftspolitischen Erwägungen auch die österreichischen Grünen – womit sie sich wohltuend von ihren deutschen KollegInnen abheben. Und auch in Österreich bestehen schwerwiegende Bedenken hinsichtlich der Verfassungskompatibilität des Fiskalpakts. Auch in Österreich wird der Bundespräsident aufgefordert, mit der Unterzeichnung zu zuwarten.

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Grüner Brief an Fischer: Nehmen Sie eine verfassungsrechtliche Prüfung vor!

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Die Grünen haben UHBP einen offenen Brief geschrieben. In diesem wird Heinz Fischer aufgefordert, dem Fiskalpakt einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. Es bestünden nämlich erhebliche Zweifel, dass der Fiskalpakt mit der österreichischen Verfassung vereinbar ist. Und da völkerrechtliche Verpflichtungen aus dem Fiskalpakt erst mit Unterzeichnung des Vertrags durch den Bundespräsidenten entstünden, käme der Prüfung „besondere Bedeutung zu“.

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Der von den Grünen zum Verfassungsausschuss am 28. Juni als Experte geladene Univ.-Prof. Griller hatte – laut Parlamentskorrespondenz Nr. 564 vom 28. Juni – u.a. festgehalten:

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„Der Fiskalpakt ist nach Ansicht von Stefan Griller verfassungsändernd und braucht daher im Parlament ein verfassungsmäßiges Ermächtigungsgesetz. Der Salzburger Universitätsprofessor begründete seine Auffassung an Hand von drei Punkten. Der Fiskalpakt sei mit seiner Begrenzung des strukturellen Defizits von 0,5 % weitaus strenger als der bestehende Stabilitäts- und Wachstumspakt („Six-Pack“), welcher aber verfassungsrechtlich abgesichert sei. Mit den Bestimmungen des Fiskalpakts werde nun aber die Budgethoheit des Nationalrats eingeschränkt, hielt Griller fest. Darüber hinaus stieß sich Griller am Art. 7 des Paktes, wonach die österreichische Finanzministerin im ECOFIN verpflichtet ist, mit der Europäischen Kommission zu stimmen, wenn es darum geht festzustellen, ob ein anderer Staat die Vorschriften verletzt hat. Eine derartige Bindung eines Regierungsmitglieds an die Äußerungen der Kommission habe es bisher nicht gegeben, merkte er an. Griller befürchtet auch im Hinblick auf die Salvatorische Klausel im Art. 3 Abs. 2 im Zusammenhang mit Art. 7, dass die MinisterInnen nun eine Normenkontrolle vornehmen müssen, ob die Meinung der Europäischen Kommission europarechtskonform ist. Die Klausel besagt nämlich, dass der Vertrag nur insoweit gilt, insoweit er mit den Verträgen der EU vereinbar ist.“

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Offener Brief von ATTAC und „Unser Europa“ an UHBP: „Fiskalpakt führt in die Verfassungskrise!“

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Einen Tag zuvor hat bereits ATTAC und die Initiative „Unser Europa“ (unterzeichnet u.a. von Alexandra Strickner, ATTAC-Vorsitzende, Emmerich Talos, Univ.-Prof. i. R, Franzobel, Autor,  Markus Koza, UG-Vorsitzender und Klaudia Paiha, AUGE/UG Bundessprecherin) einen offenen Brief an Heinz Fischer verfasst, in dem dieser aufgerufen wird, seien Unterschrift zu verweigern. In diesem heißt es u.a.:

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Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

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Der „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in derWirtschafts- und Währungsunion“ (Fiskalpakt) wird demnächst zur Unterzeichnung auf Ihrem Schreibtisch liegen. Obwohl der politische Druck zur Zeit sehr groß ist, möchten wir Sie bitten, den Vertrag im Sinne des Rechtsstaates Österreich nicht zu unterschreiben. Im Standard vom 22. Juni dieses Jahres werden Sie damit zitiert, dass Sie den Vertrag nur unterzeichnen werden, wenn er „verfassungsmäßig zustande gekommen ist“.

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Die UnterzeichnerInnen zitieren die verfassungsrechtlichen Bedenken gleich mehrerer Verfassungs- und Europarechtler und deren geäußerte Bedenken:

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Es stellt sich nunmehr heraus, dass die führenden Verfassungs- und Europarechtsexperten des Landes, o. Univ. Prof. DDr. Heinz Mayer, Univ. Prof. Dr. Bernd-Christian Funk, Univ. Prof. Dr. Stefan Griller, Assoz. Univ. Prof. Dr. Franz Leidenmühler und andere, jedoch dezidiert der Meinung sind, dass der „Fiskalpakt verfassungsrechtlich korrekt nur mit Zweidrittelmehrheit bzw. einem Verfassungsbegleitgesetz im Nationalrat beschlossen werden kann. Wir gehen davon aus, dass Ihnen die Argumente der Wissenschaftler bekannt sind: Artikel 50, Absatz 1, Ziffer 2 in Verbindung mit Absatz 4 B-VG normiert, dass ein völkerrechtlicher Vertrag, durch den die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bedarf. „Ein Vertrag, der nach Europarecht schmeckt, nach Europarecht riecht – und daher wohl faktisch ein europarechtlicher Vertrag ist. Auch wenn der Fiskalpakt formal so tut, als wäre es reines Völkerrecht. Doch der Fiskalpakt nimmt inhaltlich Bezug auf die Europäische Kommission (bekanntlich ein Organ der EU) und versieht sie mit Aufgaben (Kontrolle). Bei den Durchführungsbestimmungen wird ebenso auf sekundäres EU-Recht verwiesen, und der Pakt soll auch früher oder später in – formales – EU-Recht überführt werden.“ (Prof. Leidenmühler, zitiert in der Wiener Zeitung vom 19. Juni 2012).

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ATTAC und „Unser Österreich“ seien sich zwar bewußt, so weiter, „dass Sie vor einer schwierigen Situation stehen … eine Unterzeichnung und nachfolgende Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Seiten des Verfassungsgerichtshofes unter Aspekten der Rechtssicherheit und Glaubwürdigkeit der österreichischen Politik wohl noch viel problematischer“ wäre. Denn:

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„Unser Verständnis der Materie ist, dass der Vertrag in Österreich zwar nicht angewendet werden darf, wenn der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil das nicht verfassungsmäßig korrekte Zustandekommen feststellt, die völkerrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung und Umsetzung des Vertrages bliebe allerdings bestehen. Diese Situation einer Verfassungskrise in Österreich ist unter allen Umständen zu vermeiden. Wir hoffen, dass Sie die Bedenken der Verfassungsexperten ernst nehmen und den verfassungsmäßig nicht korrekt zustande gekommenen Vertrag nicht unterzeichnen.“

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Bundespräsident Fischer lässt prüfen

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Der Ball liegt somit vorerst einmal beim Bundespräsidenten. Der hat im Rahmen der ORF-Pressestunde am 8. Juli zumindest einmal bekanntgeben, dass er das Fiskalpaktgesetz hinsichtlich seiner Verfassungskonformität ausführlich prüfen wird. Auch wenn er „keinen offensichtlichen Verfassungsbruch“ sehe, möchte er den „Entscheidungsraster“ in dieser Sache „enger machen“.

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Wenn er hingegen eindeutig überzeugt wäre, dass die Verfassungskonformität gegeben sei, es aber „sehr seriöse Pro- und Kontra-Argumente“ gebe, sollte die letzte Entscheidung beim Verfassungsgerichtshof liegen. Und das gehe eben nur, wenn er vorher unterschreibe. Eine Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof sei – im Unterschied zur BRD – erst nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten möglich, er sei dahingehend jedoch noch zu keinem „endgültigen Ergebnis“ gekommen. „Ich bin nicht unter Zeitdruck“, es werde am Ende „eine Entscheidung geben, die hieb- und stichfest ist und mit höchster Sorgfalt gefällt wurde“, schloss Fischer in der Pressestunde und ließ eine Unterzeichnung unter dem Fiskalpakt damit vorerst einmal offen (siehe STANDARD online-Beitrag vom 8. Juli 2012).

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Die Grünen haben jedenfalls im Falle einer Unterzeichnung – basierend auf einem Gutachten des anerkannten Verfassungsrechtlers und Salzburger Universitätsprofessors Stefan Griller – bereits eine Verfassungsklage angekündigt. „Fiskalpakt stoppen“ steht damit noch immer auf der Tagesordnung.

Kommentar zu „Fiskalpakt stoppen: Briefe an den Bundespräsidenten“

  1. Müller Reinhard sagt:

    Unser Verständnis der Materie ist, dass der Vertrag in Österreich zwar nicht angewendet werden darf, wenn der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil das nicht verfassungsmäßig korrekte Zustandekommen feststellt, die völkerrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung und Umsetzung des Vertrages bliebe allerdings bestehen. Diese Situation einer Verfassungskrise in Österreich ist unter allen Umständen zu vermeiden. Wir hoffen, dass Sie die Bedenken der Verfassungsexperten ernst nehmen und den verfassungsmäßig nicht korrekt zustande gekommenen Vertrag nicht unterzeichnen.“

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