Fiskalpakteinigung in Deutschland: Rot-Grün mit dem „Teufel in einem Boot“

„An allem Unfug, der passiert,
sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun,
sondern auch die,
die ihn nicht verhindern.”

Erich Kästner.

Ach, wie stolz geben sie sich nicht, die rot-grüne Koalition in Deutschland. Und wie staatstragend. Einer aus der SPD-Troika – war’s der Steinmeier, war’s der Steinbrück? – hatten ja schon anklingen lassen, dass sie ja nicht „die Linkspartei“ wären, die zu allem nein sagen würde, sondern schon alleine aus Staatsräson natürlich den Fiskalpakt ausverhandeln würde. Man ist ja schließlich deutsch, nicht wahr!

Da wollten die Bündnisgrünen natürlich auch nicht hintanstehen. Im Wettlauf um die Rolle der staatstragendesten Opposition ever ist inzwischen auch grün zu so jedem Unfug bereit. Und sei es die Zustimmung zum Fiskalpakt.

Und so gingen deutsch-rot und deutsch-grün in die Verhandlungen um den Fiskalpakt – mit einem stolzen Forderungspaket im Rucksack: da war einmal die Finanztransaktionssteuer, dann waren da Eurobonds und wenn die schon nicht dann zumindest der „Schuldentilgungsfonds“ und da war – inzwischen zum Mantra der Sozialdemokratie europaweit geworden – die Ergänzung des Fiskalpakts um einen Wachstums- und Beschäftigungspakt (über die Widersprüchlichkeit dieser Forderung siehe Positionspapier des DGB). Merke müsse sich schon ordentlich bewegen, wolle sie die Zustimmung der Opposition.

Nun hat sie die tatsächlich bekommen. Und verglichen mit dem, was da gefordert wurde, sind die Verhandlungsergebnisse bescheiden. Oder wie es Stefan Hebel in der Frankfurter Rundschau vom 21. Juni 2012 schreibt: „Jetzt ist es amtlich: Angela Merkel bekommt ihren Fiskalpakt, sicher. Und die Opposition ihre Finanztransaktionssteuer, vielleicht …“


Die Verhandlungsergebnisse („Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“) und eine erste Einschätzung:

  • Das Bekenntnis zu einer Finanztransaktionssteuer – das es allerdings ohnehin seitens aller deutschen Parteien (Ausnahme FDP) gibt. Nun soll es mit dieser allerdings zumindest ernster werden als bislang. Im entsprechenden gemeinsamen Papier der Bundesregierung und Fraktionen im Bundestag heißt es dazu: „Da die Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten aber nicht erreichbar ist, wird sich die Bundesregierung gemeinsam mit anderen Mitgliedsstaaten auf dem Europäischen Rat am 28./29. Juni 2012 für den Weg der Verstärkten Zusammenarbeit einsetzen.“ (Diese braucht neun Mitgliedsstaaten als aktiv mitmachende, einen Antrag seitens der EU-Kommission sowie einen Beschluss des Rates mit qualifizierter Mehrheit) Sollte es diese verstärkte Zusammenarbeit nicht geben, „… wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, eine Besteuerung in möglichst vielen Mitgliedsstaaten im Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit zu erreichen.“ So erfreulich es einmal ist, dass in Sachen Finanztransaktionssteuer endlich was weitergeht und nun auch die Finanzmärkte an der Finanzierung der Krisenkosten beteiligt werden – das Aufkommen wird unter gegebenen Rahmenbedingungen deutlich geringer ausfallen als erhofft. Ist das Erreichte ein Grund, dem Fiskalpakt zuzustimmen? Nein, meint der DGB etwa: „Wir brauchen Investitionsprogramme und eine wirksame und ertragreiche Finanztransaktionssteuer – aber nicht zusätzlich, sondern anstelle des Fiskalpakts. Der Fiskalpakt muss in seiner jetzigen Form schon aufgrund seines anti-demokratischen Charakters und der Beschränkung der Parlamentsrechte abgelehnt werden.“

  • Im Papier festgehalten sind weiters Investitionen für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung. So sollen „noch nicht abgerufene Mittel aus den Strukturfonds der laufenden Finanzperiode … rasch und gezielt für wachstums- und beschäftigungsfördernde Investitionen zu verwenden.“ Das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank (EIB) soll um 10 Mrd. Euro aufgestockt werden. Projektanleihen auch schon in der Pilotphase auf einen Umfang von 230 Mio. auf 1 Mrd. Euro erweitert werden. Mittel der CEF – der Connecting Europe Facility sollen überwiegend für den Ausbau von Netzinfrastruktur (Energie, Bahn, Breitband) aufgewandt werden. Was ist von diesem Paket zu halten? Wenig. Denn über jedem Passus steht: „Die Bundesregierung wird sich … einsetzen“. Und die Volumina, die für Investitionen frei gemacht werden sollen, sind nicht einmal der sprichwörtliche „Tropfen auf den heißen Stein“. Projektanleihen im Umfang von – nicht einmal sicheren – 1 Mrd. Euro für Investitionen verpuffen und sind wirkungslos. Erhoffte Multiplikatorwirkungen im Umfang von 18 Mrd. Euro Nachfolgeinvestitionen sind vollkommen illussionär! Frisches Geld wird nicht freigemacht, es wird maximal umgeschichtet. So kann kein wirklich wirkungsvoller Wachstums- und Beschäftigungsimpuls gesetzt werden. Von dringend notwendigen Eurobonds , zur günstigeren Refinanzierung von Staatsschulden ist ebenso wenig die Rede wie von einem „Schuldentilgungsfonds“. Die Opposition hat außer Lippenbekenntnissen tatsächlich nichts erreicht. Außerdem kann das Konzept, den Fiskalpakt durch ein Wachstumsprogramm zu ergänzen einfach nicht funktionieren. Der DGB in einer Stellungnahme: „Der herrschende Sparzwang würgt die Konjunktur europaweit ab und verhindert ein ‚Herauswachsen‘ aus den Schulden.“ Peter Bofinger, einer der Wirtschaftsweisen in der BRD habe bereits darauf hingewiesen, „… dass das wirkliche Wachstumsprogramm ein Stopp der prozyklischen Sparpolitik wäre.“ Das ausverhandelte Pakete Wachstum und Beschäftigung ist ein Placebo. Und damit jedenfalls kein Grund für eine Zustimmung.

  • Mit dem Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit verhält es sich bedauerlicherweise nicht wesentlich anders. Auch hier wird die Regierung wieder „drängen“ und „sich dafür einsetzen“ – etwa für ein Recht von Jugendlichen auf Ausbildung und Arbeit. Finanziert werden sollen entsprechende Maßnahmen aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Zusätzliche Mittel für den ESF: keine. Ja, Lohnzuschüsse für Unternehmen die Jugendliche anstellen solle es in dem schwarz-rot-grünen Übereinkommen auch geben. Finanziert aus – richtig – dem ESF. Frisches Kapital: keines. Wofür sich die deutsche Bundesregierung auch „einsetzen“ wird: die finanzielle Aufstockung des Programms „Dein erster EURES-Arbeitsplatz“ (EURES steht dabei für ‚Netzwerk zur europaweiten Arbeitsvermittlung) zur Förderung der Mobilität der ArbeitnehmerInnen. Hierzu soll dieses Programm ab der neuen Förderperiode durch „nationale, ESF-geförderte Projekte“ flankiert werden. Die in diesem Kapitel angeführten Programme – wie etwa des Recht von Jugendlichen auf Ausbildung und Arbeit – und die Jugendarbeitslosigkeit beträgt in manchen europäischen Ländern schon an die bzw. über 50 % – funktionieren nicht ohne zusätzliche Mittel. Die gibt es allerdings nicht. Auf europäischer Ebene wird der ESF nicht aufgestockt, auf nationaler Ebene verunmöglicht der Fiskalpakt mit seinen rigiden Sparvorgaben entsprechende öffentliche Investitionen. Dass Arbeitsplatzsubventionierung zielführend ist, darf bezweifelt werden – über Lohnsubventionierung Arbeitsplätze zu schaffen zu wollen befördert eher ‚Mitnahmeeffekte‘. In Summe auch hier: keine verbindlichen Zusagen, Vorgaben, kein neues Geld. Jedenfalls viel zu wenig, um zu einem Strangulierungsvertrag a la Fiskalpakt JA zu sagen.

  • Überhaupt nichts abseits von Willenserklärungen findet sich im Kapitel Finanzstabilität. Außerdem: man/frau muss schon besonders gutgläubig sein, Konservativen a la CDU/CSU den eisernen Willen, jetzt aber wirklich die Finanzmarktregulierung anzugehen, abzunehmen. Unter der Voraussetzung natürlich, mann/frau nimmt es selbst mit der Finanzregulierung ernst … Zusätzlich bleibt auch inhaltlich vieles offen – ja gibt es etwa zu zentralen Fragen – von der Regulierung bis hin zum Verbot von Finanzmarktprodukten, Umgang mit Ratingagenturen, Maßnahmen gegen Steueroasen, die künftige Rolle der EZB – überhaupt keine Bekenntnisse sich für irgendwas „einzusetzen“. Von Eurobonds – wie oben erwähnt gar nicht zu sprechen.

In Summe kann das ausverhandelte Paket – vor dem Hintergrund behaupteter langwieriger und mühsamer Verhandlungen und harter Bedingungen – eigentlich nur als kolossaler Flop für Rot-Grün bezeichnet werden: Merkel kriegt die Zustimmung fix. Rot-Grün dagegen nur wenig konkretes und dafür viel vage Willensbekundungen.

Vernichtendes Urteil über rot-grün: ideale? Ziele? Welche Ideale? Welche Ziele?

Entsprechend fällt die Bewertung des ausverhandelten Paketes in – rot-grün durchaus nahestehenden bundesdeutschen Medien (siehe unten) – aus. Das Urteil ist tatsächlich vernichtend. Von „Feigheit“ bis „Pakt mit dem Teufel“ ist da die Rede, davon, Bündnisse einzugehen, die den eigenen Zielen und Idealen„eigentlich entgegenstehen“ soweit man überhaupt – bitterer Nachsatz – „Ziel und Ideale dieser Opposition … erkennen kann“. Und so stellt sich die Frage, was die bundesdeutsche rot-grüne Opposition den tatsächlich zur Zustimmung trieb. Die Verhandlungsergebnisse können es ja ob ihrer Dürftigkeit nicht sein. Stehen sie am Ende inhaltlich Merkel doch näher, als sie sich selber zugestehen wollen? Ist es wirklich schon so weit mit zwei Parteien, die sich gerne „links“ geben? Dann sähe es allerdings um die Zukunft des Kontinents noch schlimmer aus als bislang befürchtet. Bedauerlicherweise spricht allerdings spätestens nach diesem Beschluss einiges dafür.

Kommentar zur Fiskalpakteinigung von Malte Kreutzfeldt, Berliner taz vom 21. Juni 2012 übertitelt „Am Kern der Krise vorbei“:

„Nötig ist … neben einer Steigerung der staatlichen Einnahmen ein Mechanismus der gegenseitigen Haftung für europäische Schulden, der die Wucherzinsen für Staatsanleihen beenden und gleiche Bedingungen für alle Staaten herstellen würde. Während Europa sich in dieser Frage weitgehend einig ist, stellt die Bundesregierung sich aus nationalem Eigennutz und Angst vor den Wählern quer.

Und SPD und Grüne verzichten – ebenfalls mit Blick auf die öffentliche Meinung – in diesem Punkt auf den Konflikt. Diese Feigheit ist als solches schon bedauerlich. Dass Rot-Grün nun aber sogar noch vor dem nächsten EU-Gipfel zugestimmt hat und damit den anderen Europäern in den Rücken fällt, ist schlicht unbegreiflich.“

Kommentar von Stefan Hebel, Frankfurter Rundschau vom 21. Juni 2012, übertitelt „Fiskalpakt mit dem Teufel“:


„Jetzt ist es amtlich: Angela Merkel bekommt ihren Fiskalpakt, sicher. Und die Opposition ihre Finanztransaktionssteuer, vielleicht …
Auf Wikipedia steht: „Im übertragenen Sinn wird auch dann von einem Teufelspakt gesprochen, wenn ein Mensch zur Erreichung eines Ziels auf Bündnisse mit Menschen oder Mächten eingeht, die seinem Ziel und seinen Idealen eigentlich entgegenstehen. Besonders in feuilletonistischen Kommentaren zu Politik und Zeitgeschehen ist das Bild beliebt.“

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Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, und deshalb beginnt dieser „feuilletonistische Kommentar“ mit einer Feststellung: SPD und Grüne sind gerade auf ein Bündnis „mit Menschen oder Mächten“ eingegangen, die ihrem Ziel und ihren Idealen „eigentlich entgegenstehen“. Soweit man Ziel und Ideale dieser Opposition überhaupt erkennen kann.

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Ein Ziel von Rot-Grün besteht, immerhin, in der Besteuerung von Finanztransaktionen. Und endlich, an diesem Donnerstagmorgen, haben sie es Schwarz auf Weiß bekommen: Dafür wird die Bundesregierung sich in Europa einsetzen … Angela Merkel, das beinhaltet der jetzt vereinbarte Pakt zwischen Regierung und Opposition, bekommt dafür die Zwei-Drittel-Mehrheit für ihren „Fiskalpakt“. Hinter diesem beschönigenden Begriff versteckt sich nichts anderes als dies: Deutschland kann die anderen Europäer bald nicht mehr nur kraft schierer Übermacht zwingen, so lange zu sparen, bis ihre Volkswirtschaften an Aushungerung zugrunde gehen. Sie hat für diese ideologisch motivierte, falsche Politik dann auch ein ganz offizielles Instrument. Und der Bundestag bleibt weitgehend draußen.

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Beim Teufelspakt, man denke an Faust, gibt es meistens ein böses Erwachen, aber nicht für den Teufel. Für Rot-Grün wird es etwa so aussehen: Angela Merkel wird, ganz teuflische Strategin, auch aus der Börsensteuer noch politisches Kapital schlagen: Seht her, ich bin auch für Gerechtigkeit! Entsprechend wenig wird dieser richtige Teil des Teufelspakts den Roten und Grünen politisch nutzen. Und die Kaputtspar-Politik wird Rot-Grün nach der Zustimmung zum Fiskalpakt mindestens ebenso negativ anhängen wie seiner Erfinderin. Jedenfalls bei den Fiskalpakt-Kritikern.

Immerhin, könnte man sagen: Endlich herrscht in Deutschland Einigkeit über den richtigen Gedanken, bei der Haushalts-Konsolidierung auch die Einnahmen zu erhöhen und sich das Geld bei denen zu holen, die von der Vorherrschaft der Finanzmärkte profitieren. Ja, richtig. Aber die Einigung von diesem Donnerstag zeigt dennoch auch, wie unsere Kanzlerin Europa aufs Spiel setzt: Unter Zwang, mit großer Verspätung und lange nicht so konsequent wie nötig korrigiert sie, nicht zum ersten Mal, ihre fatale Politik des einseitigen Sparens. Zu spät und zu schwach, muss man befürchten, um die Folgen noch nachhaltig zu lindern.

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Und die Opposition, die Linke ausgenommen, sitzt mit ihr im Boot. Teufel, Teufel!“

Der deutsche Bundespräsident hat im Übrigen bislang angekündigt, angesichts verfassungsrechtlicher Bedenken, die Gesetze zu Fiskalpakt und ESM nicht zu unterzeichnen. Die Linkspartei hat eine Verfassungsklage angekündigt.

2 Kommentare

  1. Auch Österreichs Grüne sollen umgefallen sein, nur wegen einer vagen Aussicht auf die Transaktionssteuer. Dafür verkauft man doch nicht die Demokratie?

    Grünbewegte werde sich in den Arsch beissen können angesichts dieser korrumpierten Grünpartei. Europa gute Nacht! Die Arbeitslosenheere werde es Euch danken …

    1. markus sagt:

      liebe aktive arbeitslose!
      die österreichischen grünen werden dem fiskalpakt nicht zustimmen. sie lehnen ihn – im unterschied zu den deutschen kollegInnen – ab. verhandelt wird die zustimmung zum esm – zum europäischen stabilitätsmechanismus – dem dauerhaften euro-rettungsschirm. eine bedingung der zustimmung, die von grüner seite dabei immer wieder geäußert wird, ist dabei die finanztransaktionssteuer. der ESM könnte dermaleinst tatsächlich so etwas wie ein europäischer währungsfonds werden, der z.b. Eurobonds ausgibt. In diesem sinne ist der ESM anders zu bewerten als der Fiskalpakt, auch wenn die kriterien, nachdem rettungsgelder aus dem ESM vergeben werden ausserordentlich restriktiv sind – die aktuell praktizierten auflagen die mit der inanspruchnahme des rettungsschirmes verbunden sind, sind klarerweise inakzeptabel und strikt abzulehnen!!!!

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