Gleiten in den 12-Stunden-Arbeitstag?
7. April 2014 von adminalternative
1. April 2014: Die aktuellen Arbeitslosenzahlen liegen vor. Im März 2014 waren 402.323 Menschen arbeitslos. Ein Plus von 9,8 Prozent gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahrs.
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2. April 2014: ÖVP-Wirtschaftsminister Mitterlehner freut sich im Morgenjournal über neu gewonnene Arbeitszeitflexibilität, dass künftig Beschäftigte mit Gleitzeit bis zu 12-Stunden täglich arbeiten dürfen und spricht von einer win-win-Situation für alle und verweist darauf, dass eh nicht länger als maximal 50 Stunden die Woche gearbeitet werden dürfe. Ja, und die Überstundenzuschläge würden auch bleiben
ÖVP-Familienministerin Karmasin will am gleichen Tag familienfreundliche Arbeitszeiten und eine höhere Beteiligung der Männer an unbezahlter Arbeit und Kinderbetreuung. SPÖ-Abgeordneter Spindelberger spricht in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage davon, dass 2013 270 Millionen Überstunden erbracht wurden und 2012 knapp 170.000 Personen 68,4 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet haben. Der ÖGB versucht abzuwiegeln – nach dem es eine Protestwelle auch sozialdemokratischer Organisationen gegeben hat – dass es eh keinen allgemeinen 12-Stunden-Tag geben würde, sich praktisch eh nichts ändern würde und daher jegliche Aufregung unbegründet sei.
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Neuregelungen von Arbeitszeiten im Regierungsprogramm
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Nun, überrascht muss man über das, was da in Sachen Gleitzeit und 12-Stunden-Tag geplant ist, nicht sein. All das steht tatsächlich im Regierungsprogramm, nicht erst seit gestern. Da stehen zum Thema Arbeitszeit auch durchaus ein paar g’scheite, diskussionswürdige Sachen drinnen. Wer ist schon dagegen, dass die 6. Urlaubswoche leichter erreicht werden kann – durch die volle Anrechnung aller Vordienstzeiten? Ebenfalls diskutieren kann man die maximal zulässige Ausweitung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden, wenn etwa Reise- bzw. längere Wegzeiten anfallen – z. B. bei Montagetätigkeiten. Damit man/frau eben auch noch den Heimweg in der Arbeitszeit antreten kann. Diskutabel ist das.
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12-Stunden-Tag bei Gleitzeit IST Arbeitszeitverlängerung!
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Schon deutlich weniger diskussionswürdig, geschweige denn g’scheit ist dagegen die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden. Es ist tatsächlich eine Arbeitszeitverlängerung. Ein Verlängerung der täglichen Arbeitszeit. Da können alle Beschwichtigungen, es würde ja nur „umgeschichtet“ nicht hinwegtäuschen. Und dass hinsichtlich der wöchentliche Arbeitszeit stets die maximal zulässige von 50-Wochenstunden als Referenzrahmen herangezogen wird, spricht wohl auch eine recht deutliche Sprache. Die Normalarbeitszeit liegt ja bekanntlich bei 40 bzw. 38,5 Wochenstunden ….
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Flexibilität wohin man schaut …
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Von konservativer und Wirtschaftsseite wird immer wieder mehr Flexibilität bei Arbeitszeitregelungen eingefordert, um – richtig – wettbewerbsfähig bleiben zu können. Derartige Flexibilitätsforderungen zielen dabei regelmäßig auf eine Verbilligung von Mehrarbeit – sprich Überstunden – bei „Spitzenzeiten“, also etwa guter Auftragslage sowie die bestmögliche Ausnutzung der Produktionskapazitäten ab. Arbeitskraft soll möglichst lange, möglichst oft und möglichst jederzeit eingesetzt werden können – zu einem möglichst günstigen Preis.
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Woher die Industrie bzw. ÖVP die Mär der Inflexibilität der ArbeitnehmerInnen hat, bleibt ein Rätsel. Tatsächlich ist – spätestens seit 2007 rot-schwarz ein großes Flexibilisierungspaket (Erhöhung der täglichen/wöchentlichen Arbeitszeit bis zu 25 Wochen im Jahr auf 12/60 Stunden, Möglichkeit per KV die tägliche Normalarbeitszeit auf bis zu 10 Stunden zu erhöhen, Möglichkeit der Einführung einer 4-Tage-Woche a 10-Stunden-Arbeitstag auf betrieblicher Ebene) beschlossen hat – jede Menge Flexibilität gegeben. Der 12-Stunden-Arbeitstag ist also längst möglich, und auch schon Realität, von mangelnder Flexibilität kann also keine Rede sein. Und nicht erst seit der letzten Novelle: Österreich mit seinen vielfältigen Beschäftigungsformen von Vollzeit über Teilzeit, Geringfügige, freie DienstnehmerInnen, ’neue‘ Selbständige etc. kennt zusätzlich ganze Gruppen, für die gesetzliche bzw. kollektivvertragliche Arbeitszeitregelungen entweder überhaupt keine Geltung haben, oder die sehr flexibel einsetzbar sind und auch „eingesetzt“ werden. Z.B. Teilzeitbeschäftigte, die Auftragsschwankungen einfach über Mehrarbeit abfangen. Flexibilität also, wo frau/man hinschaut. Schon längst viel zu viel Flexibilität auf Kosten der ArbeitnehmerInnen. An weiterer besteht tatsächlich kein Bedarf, das Arbeitszeitgesetz ist bereits jetzt genug durchlöchert.
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… und entsprechende real existierende Arbeitszeiten
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Derartige Regelungen haben natürlich ihre Wirkung auf real existierende Arbeitszeiten. Da ist Österreich bekanntlich – bei Vollzeit – europaweit ziemlich Spitze, wie aus einer Eurostat-Erhebung für 2011 hervorgeht: 41,8 Wochenstunden arbeiteten vollzeitbeschäftigte ArbeitnehmerInnen in Österreich (EU-Schnitt: 40,4 Wochenstunden). Platz zwei hinter Großbritannien. Und das nicht erst seit kurzem. Vollzeitbeschäftigte Frauen kommen übrigens auch durchschnittlich auf 40,8 Wochenstunden. Männerzeiten liegen mit 42,2 Stunden entsprechend noch über den bereits erwähnten 41,8 Wochenstunden.
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Wo es ein „Zuviel“ gibt, muss es auch ein „Zuwenig“ an Arbeit geben. Einerseits Arbeitslosigkeit, andererseits Teilzeit. Und während am einen Ende zig Millionen an Überstunden geschoben werden, boomt am anderen die Teilzeit. 2013 waren 26,5 Prozent aller ArbeitnehmerInnen Teilzeit beschäftigt (Statistik Austria), ca. 959.000 Personen. 2000 lag die Teilzeitquote noch bei 16,4 %. Dabei arbeiteten 45,9 Prozent der weiblichen ArbeitnehmerInnen Teilzeit. 2000 waren es noch 33,2 %. Das Beschäftigungswachstum der letzten Jahre ist auf die Zunahme von Teilzeit zurückzuführen: Stieg die Teilzeitbeschäftigung 2013 um 36 400 Jobs, ging Vollzeit um 45.100 Beschäftigungsverhältnisse zurück. Gingen seit Krisenausbruch 2008 im Vergleich zu 2013 rund 71.000 Vollzeit-Beschäftigungsverhältnisse verloren, nahm Teilzeit um 56.000 Jobs zu. Die Durchschnittliche Teilzeit liegt dabei in Österreich bei 20,7 Wochenstunden. Übrigens: Die Teilzeitquote bei den männlichen Beschäftigten beläuft sich auf gerade einmal 10 % ….
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12-Stunden-Tag bei Gleitzeit: Spaltung am Arbeitsmarkt wird vertieft
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Alleine diese Zahlen belegen schon die tiefe – insbesondere auch geschlechterspezifische – Spaltung am Arbeitsmarkt. Männer arbeiten Vollzeit, für Frauen ist Teilzeitarbeit mindestens so „normal“ wie Vollzeitbeschäftigung. Männer arbeiten Überstunden, jedenfalls deutlich mehr Überstunden als Frauen. Ist Erwerbsarbeit also männlich dominiert, bleibt die Hausarbeit weiblich, wie auch die Zeitverwendungserhebung der Statistik Austria aus dem Jahr 2010 belegt:
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- Berufstätige Männer wenden täglich (Mo – So) 6:53 (Std:Min) für den Beruf, Frauen 5:34 für ihre Berufstätigkeit auf.
- Für Haushaltsführung verwenden erwerbstätige Männer 1:38 Stunden auf, Frauen dagegen durchschnittliche 3:05. Während sich überhaupt nur 72,5 Prozent der erwerbstätigen Männern an Hausarbeit beteiligen, sind es bei den Frauen 92,8 Prozent.
- Für Soziale Kontakte, Kinderbetreuung und Freiwilligenarbeit verwenden Männer 1:55 ihrer Tageszeit, Frauen 2:00.
- Für Freizeitaktivitäten bleibt Männer täglich 3:15 Zeit, Frauen dagegen eine halbe Stunde weniger, nämlich 2:42.
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Eine Ausdehnung bzw. Ausweitung täglicher Arbeitszeiten würde bedeuten, dass die Zahl geleisteter Überstunden noch einmal steigen wird. Von einer Ausweitung des Arbeitstags bei Gleitzeit wären schließlich immerhin zwischen 700.000 (BMASK) bis 900.000 (GPA-djp) Beschäftigte betroffen. Überwiegend „männlicher“ Überstunden was die bestehende, geschlechterspezifische Ungleichverteilung zwischen bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter, täglich anfallender Hausarbeit noch einmal verstärken wird. Wer das Gegenteil behauptet verschließt die Augen vor der Realität.
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Unter diesem Blickwinkel erscheint es umso absurder das am Tag der Verkündung der vermeintlichen Einigung auf einen 12-Stunde-Tag bei Gleitzeit durch den ÖVP-Wirtschaftsminister die ÖVP-Familienministerin familienfreundliche Arbeitszeiten und mehr Männer in der Hausarbeit fordert …
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Ständige Grenzverschiebungen wecken immer neue Begehrlichkeiten
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Wenn seitens der Gewerkschaften darauf verwiesen wird, dass gesetzliche Möglichkeiten noch lange keine Fakten schaffen – weil nach wie vor Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen die bestimmenden Instrumente für eine mögliche Arbeitszeitausweitung sind – dann mag das stimmen. Beruhigend ist das allerdings deswegen noch lange nicht. Abgesehen davon, dass dort, wo es keinen Betriebsrat gibt, auch individuell vertragliche Vereinbarungen zu Gleitzeit und Arbeistzeitblockung (Vier-Tage-Woche zu je 10 Stunden) sind, gilt: Sind einmal gesetzliche Möglichkeiten zu einer Arbeitszeitausdehnung geschaffen, wird der Druck darauf, diese auch entsprechend nutzen zu können, steigen. Und: Hat die Kapitalseite erst einmal die Türe einen Spalt weiter geöffnet, wird sie diese noch weiter aufzustoßen versuchen. Die Begehrlichkeiten werden steigen, nicht abnehmen. Mit der Forderung dass es dringend weitere Flexibilisierungschritte zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit brauche, wird sie dabei offenes Gehör in einer Öffentlichkeit finden, die zu Alarmismus und Panik neigt und sich an realen Fakten weitgehend desinteressiert zeigt, bzw. von selbigen überfordert ist. Eine Gewerkschaft, die sich auf diesen Diskurs einlässt und nicht klar und unmissverständlich „Stopp, keinen Schritt weiter!“ sagt, sondern sich im Abtausch gegen andere Forderungen verhandlungsbereit zeigt, fordert diese Verschiebung von Grenzziehungen geradezu heraus. Gestern war es das Arbeitszeitflexipaket, heute ist es die Gleitzeit … und morgen?
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Was es angesichts krisenbedingter Rekordarbeitslosigkeit, steigender Teilzeitbeschäftigung und der geschlechtsspezifischen Spaltung des Arbeitsmarkts tatsächlich braucht, ist eine umfassende Arbeitszeitverkürzung, die gerechtere Verteilung von Arbeit, Einkommen und Chancen. Zusätzlich braucht es mehr Zeit fürs Leben, Arbeitszeiten, die sich an den persönlichen Bedürfnislagen der Beschäftigten orientieren, Arbeitszeiten, die nicht krank machen. Die Ausweitung der täglichen Arbeitszeiten, die Möglichkeit, noch mehr Überstunden ableisten zu können, ist dabei schlichtweg ein fatales Signal und ein Schritt in die vollkommen falsche Richtung.