Hartz IV auf österreichisch: Konkrete Beispiele
23. April 2018 von adminalternative
Was bedeutet Hartz IV auf österreichisch – also die Abschaffung der Notstandshilfe und Umstellung auf die Mindestsicherung ganz konkret für Betroffene? Wir haben in unserem Folder Beispiele angeführt und hier in unserem Blog konkret durchgerechnet.
Frau X
Frau X hat unmittelbar nach Abschluss ihrer Ausbildung einen Job bekommen. Er ist zwar auf zwei Jahre befristet, aber für ihr Alter (25 Jahre) durchaus überdurchschnittlich bezahlt. Nach Ende der Befristung hat sie Anspruch auf 20 Wochen Arbeitslosengeld, da sie noch nicht zumindest 156 Wochen (oder drei Jahre) erwerbstätig war.
In Zukunft wird Frau X nach Ende des Arbeitslosengeldes (also nach 20 Wochen) um Mindestsicherung ansuchen müssen.
Diese erhält sie jedoch nicht, wenn sie etwa ein Sparbuch mit mehr als 4.315 Euro im Monat oder ein Auto oder etwa eine Lebensversicherung hat, die alle zusammen den Wert der genannten 4.315 Euro übersteigen.
Hat sie „nur“ eine Eigentumswohnung, so kann sie zwar Mindestsicherung erhalten, muss aber akzeptieren, dass sich der Sozialhilfeträger (in der Regel das Bundesland) mit jenem Betrag ins Grundbuch eintragen lässt, den Frau X an Mindestsicherung erhalten hat. Ist sie also z.B. 9 Monate arbeitslos, so gehören 7.767,36 Euro vom Gesamtwert der Wohnung dem Sozialhilfeträger.
Familie A
Zur Erläuterung: Familie A besteht aus zwei erwerbstätigen Eltern und zwei Kindern. Vater A wird arbeitslos. Er bezieht zuerst 1.038,50 Euro an Arbeitslosengeld und dann Notstandshilfe. Da er nach dem 1.7.2018 in die Notstandshilfe wechselt, profitiert er von der im Oktober 2017 beschlossenen Abschaffung der Anrechnung des Partnereinkommens auf die Notstandshilfe und erhält 955,42 Euro an Notstandshilfe. Die Familie hat durch den Verlust des Jobs von Herrn A knapp 20% ihres Familieneinkommens verloren.
Wird die Notstandshilfe abgeschafft, so fällt die Familie nach Ende des Arbeitslosengeldes in die Mindestsicherung. So sie kein Auto, keine Eigentumswohnung, keinen Bausparvertrag, keine Lebensversicherung und kein Sparbuch hat, das im Gesamtwert 4.315 Euro übersteigt, könnte sie Mindestsicherung erhalten. Deren Höhe ist davon abhängig, wo Familie A lebt. In Wien hätte sie einen Anspruch von 388,72 pro Monat (zwölf Mal im Jahr). Sie hat knapp 40 Prozent ihres Einkommens verloren. In Kärnten erhielte diese Familie nur 250,64 an Mindestsicherung (und das auch nur zehn Mal im Jahr). In Kärnten würde diese Familie fast 45 Prozent ihres vorherigen Einkommens verlieren.
Allerdings: Es ist sehr wahrscheinlich – wie in unserem Beispiel – dass Familie A ein Auto hat, oder ein Sparbuch mit 4.315 Euro, eine Lebensversicherung, einen Bausparvertrag etc. Das haben Familien üblicherweise. In diesem Fall bekommt Familie A keine Mindestsicherung und verliert durch die Arbeitslosigkeit von Herrn A 52 Prozent ihres vorherigen Familieneinkommens. Wenn dann auch noch ein Kredit – etwa für‘s Eigenheim – zurückgezahlt werden muss, wird es für die Familie finanziell sehr eng.
Herr K
Der 52-jährige Herr K arbeitet als Elektriker in einem Gewerbebetrieb. Sein Bruttomonatseinkommen liegt als Spitzenfacharbeiter bei 2.800 Euro, netto sind das rund 1.908 Euro. Wie viele andere ArbeiterInnen leistet auch er regelmäßig Überstunden. Wie so viele andere ArbeiterInnen in Österreich allerdings unbezahlt: Von 250 Millionen 2017 geleisteten Überstunden in Österreich 2017 wurden 45 Millionen nicht bezahlt. Fast jede Fünfte!
Herr K hat errechnet, dass ihm inklusive Zuschläge rund 6.000 Euro zustehen würden. Fast drei Nettomonatsgehälter! Soll er seine Ansprüche, sein im zustehendes Geld einklagen? Er wäre der erste in der Firma. Bislang hat‘s noch keiner gewagt. Weil alle Angst davor hatten, dann gekündigt zu werden. Und auch Herr K überlegt: mit 52 Jahren ist es schwer, einen neuen Job zu finden. Die Arbeitslosigkeit bei den Über-50jährigen aus 2017 noch einmal gestiegen – um ein Plus von 2,7 Prozent.
Herr K rechnet: Er hat sich über seine lange Berufstätigkeit einiges Ersparen können. Neben einem Sparbuch hat er eine Lebensversicherung laufen. Von seinen Eltern hat er ein kleines Einfamilienhaus geerbt, das er bewohnt. Eine kürzlich verstorbene Tante hat im 11.000 Euro vermacht. Ja und ein Auto haben die Eheleute K natürlich auch. Klagt Herr K nun seine Ansprüche ein, dann gewinnt er zwar die 6.000 Euro ausstehende Überstunden und Überstundenzuschläge. Dann droht ihm aber die Kündigung. Herr A rechnet: wird er arbeitslos, erhält er für maximal 52 Wochen monatlich 1.233,90 Euro (1.275 in Monaten mit 31 Tagen) Arbeitslosengeld. Läuft das Arbeitslosengeld aus dann bliebe im nur noch Mindestsicherung.
Der Fall in die Mindestsicherung alleine stellt im Vergleich zur Notstandshilfe (37,84 Euro pro Tag, d.s. bei Monaten mit 30 Tagen 1.135,20 Euro, bei Monaten mit 31 Tagen 1.173 Euro) schon einen deutlichen Einkommensverlust von über 300 Euro je Monat dar. Zusätzlich bekommt erst Mindestsicherung, wenn er zuvor sein gesamtes Erspartes – inklusive Auto – bis 4.315 Euro aufgebraucht hat. Erhält er dann die Mindestsicherung, kann sich das Sozialamt nach einem halben Jahr ins Grundbuch eintragen.
Und was für Herrn K – relativ nahe am Pensionseintritt – zusätzlich erschwerend dazukommt: die Zeiten des Mindestsicherungsbezugs gelten im Unterschied zur Notstandshilfe nicht als Versicherungszeiten für die Pension. In einem Monat Notstandshilfebezug würde Herr K 3,10 Euro für seine monatliche Pension gutgeschrieben. Zeiten des Mindestsicherungsbezugs werden dagegen nicht auf die Pension angerechnet. Was würde das für Herrn K bedeuten? Jedes Jahr Mindestsicherungsbezug würde Herrn K eine – im Vergleich zur Notstandshilferegelung – um monatlich 37,21 Euro geringere Alterspension bringen! Über das Jahr gerechnet bringt ein Jahr Mindestsicherung Herrn K jährlich um 521 Euro weniger Pension. Gerechnet auf die durchschnittliche Pensionsbezugsdauer eines Mannes (20 Jahre) bedeutet ein Jahr Mindestsicherung einen Gesamtverlust von rund 10.400 Euro an Pension. Mit Dauer des Mindestsicherungsbezugs erhöht sich der Verlust entsprechend. Die Streichung der Notstandshilfe hätte also ganz konkrete Auswirkungen auf die Pensionshöhe und würde so die Gefahr der Altersarmut erhöhen!
Würde Herr K seine Ansprüche einklagen, würde ihm zwar bereits heute die Kündigung drohen. Seine finanziellen Verluste wären allerdings derzeit deutlich geringer, als würde die österreichische Variante von Hartz IV umgesetzt. Würde die Notstandshilfe durch die Mindestsicherung ersetzt, würde Herr K nicht nur sein gesamtes Vermögen einsetzen müssen, er würde in seinem Alter auch noch wertvolle Versicherungszeiten für die Pension verlieren. Unter den Voraussetzung von Hartz IV in der Österreichvariante wäre es noch riskanter ArbeitnehmerInnenrechte einzuklagen, als unter den derzeitigen Umständen. Herr K würde wohl verzichten und um 6.000 Euro umfallen. Den Chef freut‘s.