Im Gartenzwerge-Modus

Zwerg_rotAm 24. Juni 2014 reichten die Unabhängigen GewerkschafterInnen die BürgerInneninitiative für eine Arbeitszeitverkürzung im Parlament ein. In dieser wird u.a. eine Verkürzung der täglichen Normalarbeitszeit auf 7-Stunden sowie eine deutliche Verteuerung von Überstunden gefordert. Vollkommen unüblich zum üblichen Prozedere wurde die Petition im Rekordtempo beamtshandelt und entsorgt. Das sozialdemokratisch geführte Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat zu der BürgerInneninitiative Stellung bezogen – sie zeigt, wo die Sozialdemokratie im Moment steht.  Ein Kommentar von Stefan Steindl

Die Arbeit als Last …
Auf Parteitagen und zu Festtagen stimmt die SPÖ gerne das “Lied der Arbeit” an. Es ist die Hymne der österreichischen Sozialdemokratie. Darin wird die Arbeit als “hohe Braut” betitelt, die dem Menschen angetraut sei. Abgesehen von den gar seltsamen Beziehungsvorstellungen der Sozialdemokratie, wusste selbst die Sozialdemokratie in vergangenen Zeit es noch besser. In der vorletzten Strophe im “Bundeslied für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein”, also der Hymne für die erste – damals schon eher als konformistisch geltende – deutsche ArbeiterInnenpartei, heißt es:

Deiner Dränger Schaar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke lehnst den Pflug,
Wenn du rufst: Es ist genug!

Aber mehr als ein Jahrhundert sind vergangen und die Sozialdemokratie hat sich mit der Arbeit nicht nur angefreundet, sondern sogar vermählt. Die Losung, dass die Arbeit edel sei oder sogar adelt, wurde mit dem Siegeszug des Kapitalismus und der Industrialisierung der Arbeit fest in den Köpfen einzementiert. Davor war Arbeit etwas zu verfluchendes. Die Vorstellung, dass Arbeit adeln wüde und die Arbeit ein hohes Gut sei, mag daran liegen, dass Arbeit heute in hohem Maße identitätsstiftend ist. “Arbeit” zu haben lässt einen jedenfalls besser dastehen,  als keine Arbeit zu haben, arbeitslos zu sein. Wer noch dazu eine “gute” Arbeit hat, hat überhaupt das große Los gezogen. In After-work-Parties oder ganz locker im Beisl läßt es sich dann gut und gerne über das eigene Glück – und der anderen Unglück – in der Arbeit philosophieren. Und selbst jene, die über keine mit hohem Sozialstatus behaftete Arbeit verfügen, haben immer noch die Arbeitslosen, die auf ein noch niedrigeren Podest stehen. Arbeit hat deswegen eine so große Bedeutung, weil der Verlust der Arbeit sozialen Abstieg bedeutet. Man würde zum Ausgestoßenen. Zum Ausgestoßenen derjenigen, mit denen man noch kurz zuvor auf After-work-Parties feierte oder mit denen man auf “Arbeitslose” und andere “Sozialschmarotzer” schimpfte.
Es war ein Kardinalfehler schon der allerersten Gewerkschaftsinitiativen mit den Unternehmern ein Bündnis für die Arbeit einzugehen. Durch die moralische, fast schon religöse Überbewertung der Arbeit durch die Gewerkschaften, wurden die ArbeiterInnen abhängig von ihr. Es ist ein leichtes geworden, ArbeiterInnen an der Maschine zu halten, wenn soziale Ausgrenzung durch Arbeitslosigkeit droht.
“Arbeit adelt – jede Arbeit, und wenn es “Häuslputzen” ist, ist eine edle Arbeit!” verkündete die ehemalige Bundesministerin für soziale Sicherheit, Elisabeth Sickl (FPÖ), im österreichischen Parlament, in Anspielung auf die von ihr geleisteten Renovierungsarbeiten in ihrem Schloss. Aber alle die keine Schlösser besitzen, wissen es besser: Arbeit kann oft schrecklich nerven, Arbeit ermüdet, Arbeit schwächt, Arbeit mach krank, ja Arbeit kann töten, Arbeit zerstört, Arbeit demütigt. Und: Arbeit hat in der Vergangenheit auch vernichtet. Arbeit ist nichts erstrebenswertes schon gar nichts zu überhöhendes.  Arbeit ist schlichtweg eine Notwendigkeit in der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt und sollte entsprechend auf ein absolutes Mindestmaß gekürzt werden. Auf ein Mindestmaß gekürzt, um ausreichend Zeit für das Erstrebenswerte zu ermöglichen, für Kunst, Kultur, Forschung, FreundInnen, Kinder, Hobbys, fürs Faulenzen, für das Leben an sich.
… und ihre Partei
Heute würde die Sozialdemokratie den Pflug aus dem Lied  wohl nicht mehr ins Eck stellen, sondern eher noch einen zweiten Pflug kaufen, um die Menschheit mit noch mehr Arbeit zu beglücken. Weil: warum sonst findet das sozialdemokratisch geführte Arbeits- und Sozialministerium in seiner Stellungsnahme jede Menge Gründe, warum Arbeitszeitverkürzung zwar irgendwann sehr schön wäre, aber das im Moment gerade wirklich –  leider – total unpassend wäre und einfach überhaupt nicht geht? Mitten in der Krise, wo die radikalste Form von “Arbeitszeitverkürzung” verbunden mit ökonomischen und sozialen Elend – nämlich Arbeitslosigkeit – immer mehr Menschen trifft?
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Die Stellungsnahme beginnt mit dem Eingeständnis einer Niederlage, dass nämlich “ein voller Lohnausgleich (bei Senkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden, Anm.) wäre jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht durchsetzbar”. 40 Jahre nach der Einführung der 40-Wochenstunden-Arbeitszeit, Jahrzehnte in denen eine beispiellose Arbeitsverdichtung stattgefunden hat, in denen die neoliberale Ideologie wütete und wo die Arbeitsrechte immer mehr ausgehöhlt wurden – und Bundesminister Hundstorfer, immerhin nicht nur Minister für Arbeit und Soziales, sondern auch ehemaliger Präsident des ÖGB, gesteht die Niederlage der Sozialdemokratie und deren Ziele lapidar in einer Stellungsnahme zu einer BürgerInneninitiative ein.
Dem noch nicht genug, agiert hier das Sozialministerium scheinbar völlig eingeschüchtert vor der Wirtschaft bzw. dem Koalitionspartner, der selbsternannten Wirtschaftspartei ÖVP. Arbeitszeitregelung auf kollektivvertraglicher Ebene habe den Vorteil, so das Ministerium, “dass sie besonderen Bedürfnisse und Gegebenheiten der einzelnen Branchen berücksichtigen können”. Aber was meint das Sozialministerium, wenn es schreibt, dass durch einen KV die besonderen Bedürfnisse und Gegebenheiten der einzelnen Branchen berücksichtigt werden können? Der Handels-KV erlaubt etwa Arbeitszeiten weit über 40-Stunden bei entsprechenden Durchrechnungszeiträumen. Wenn also über einen gewissen Zeitraum im Durchschnitt die wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden nicht übersteigt, ist eine kurzfristige Ausweitung der wöchentlichen Arbeitszeit über 40 Stunden erlaubt. Werden hier die besonderen Bedürfnisse und Gegebenheiten der ArbeitnehmerInnen berücksichtigt oder doch nur überwiegend jene der Unternehmen? Wessen Bedürfnisse stehen wo in der Klassen-Bedürfnispyramide?
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Ebenso erteilt das Sozialministerium “progressiv steigende Beitragszuschläge” für Überstunden eine Absage. Ziel einer solchen Maßnahme wäre es, Überstunden teuer zu machen. Jetzt schon ist Österreich Spitzenreiter in Sachen Arbeitszeit in der EU, nur noch im thatcherisierten Großbritannien wird länger gearbeitet. Auch diese Begründung kann wohl nur als Kniefall vor der ÖVP und deren Wirtschaftsbund interpretiert werden. Eine derartige Änderung würde “eine Erhöhung der Lohnnebenkosten bedeuten”, so das Sozialministerium, “während im […] Kapitel ‚Wachstum und Beschäftigung in Österreich‘ […] eine ‚Senkung der Lohnnebenkosten‘ angestrebt wird.” Totalniederlage.
Es geht auch anders
Während in Österreich die neoliberalen bzw. marktradikalen Parteien ÖVP, Neos, Team Stronach offen Arbeitszeitverlängerung fordern und die SPÖ im Gartenzwerge-Modus verweilt, zeigen andere Länder, dass es auch anders geht: nämlich in Richtung Arbeitszeitverkürzung.
In Schweden und Norwegen setzen viele Firmen, darunter Autohändler und Molkerein, gerade den 6-Stunden-Arbeitstag um. Nicht nur die Zufriedenheit der ArbeitnehmerInnen erhöhte sich, es gibt weniger Krankenstände und auch die Produktivität der Unternehmen stieg (siehe Beiträge im SPIEGEL und der Süddeutschen Zeitung).  Und das Modell der 30-Stunden-Arbeitswoche findet nun Einzug auf kommunaler Ebene in Schwedens zweitgrößter Stadt Göteborg. „Wir wollen, dass Göteborg dem Rest Schwedens einen Fingerzeig darauf gibt, dass man den Arbeitstag auf sechs Stunden verkürzen kann“, sagt der Göteborger Kommunalpolitiker Mats Pilhem.
“Decent work (Gute Arbeit)” im “guten Leben”
Nicht Arbeit ist die Erfüllung des Lebens, nein, das genaue Gegenteil. Es ist das Faulenzen, der Müßiggang – das “gute Leben”. Das, was heute vielfach als “unproduktiv“ gilt. Die Zeit, die Dinge zu tun, die man gerne tun möchte. Möglichst viel Freizeit zu haben – darin muss das eigentliche Ziel liegen. Arbeit kann ein Teil der Erfüllung seines Lebens sein, aber nicht Arbeit, wie sie vielfach heute verstanden wird. Arbeit dient heute ausschließlich der Mehrwertproduktion, also dem Profit der Arbeitgeber. Arbeit ist völlig entkoppelt von dem, was sie eigentlich schafft. Eine Unternehmen betreibt eine Bäckerei nicht um Semmeln zu produzieren, sondern weil es mit der Bäckerei Gewinn machen will. Semmeln sind somit nur das Mittel, um den Mehrwert zu erzeugen. Es geht nicht um das Produkt ansich, sondern es geht um den Mehrwert. Am geschaffenen Mehrwert hängt der Lohn der ArbeiterInnen, die Produktionskosten, der Profit der Bäckerei-BesitzerInnen und auch das Produkt selbst – ohne Mehrwert, der durch die ArbeiterInnen erwirtschaftet wird, gibts keine Semmeln. In unserer Gesellschaft ist alles abhängig vom erzielten Mehrwert, das Bedürfnis der Menschen warum überhaupt eine Bäckerei existiert, also der Wunsch nach Semmeln, ist in der heutigen Welt nur zweitrangig.
Arbeitzeitverkürzung ist nur ein  Weg diese Markt- und Kapitallogik aufzubrechen, Zeit für uns zurückzuerobern, und Zeit, in der der Arbeitgeber über unsere Arbeitskraft verfügen kann zu reduzieren. Der andere Weg ist die Demokratisierung der Wirtschaft, konkret: Die Demokratisierung der Betriebe selbst. Betriebe sind vielfach nach wie vor Zonen autoritärer Herrschaft, mit EigentümerInnen, ManagerInnen und GeschäftsführerInnen, die sich vielfach als Miniaturausgaben feudaler Herrscher gebären, mit entsprechendem Alleinherrscheranspruch über ihren Bereich – das Unternehmen, den Betrieb, die Dienststelle. Wir verbringen einen großen Teil unseres Lebens in einer autoritär organisierten Arbeits- und Wirtschaftswelt, behaupten allerdings dennoch, in einer “Demokratie” zu leben. Nun, es ist bestenfalls eine “halbe” Demokratie. Ziel muss es sein, den ArbeiterInnen deutlich mehr Mitentscheidungsrechte zu geben. Es sind die AreitnehmerInnen, die Waren und Dienstleistungen  produzieren. Sie haben ein Recht darauf demokratische mitzubestimmen wie produziert werden soll und was mit dem erzielten Mehrwert passieren soll.
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Stefan Steindl ist Betriebsrat im Grünen Parlamentsklub und AUGE/UG-Vertreter im Bundesausschuss des Wirtschaftsbereichs 16 in der GPA-djp

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