Irland: Kaputtsparen als Therapie

von Joachim Becker

Ende November 2011 wurde eine EU-/IWF-Stützungspaket für Irland beschlossen. Noch deutlicher als bei bisherigen Programmen steht hier die Bankenstützung im Vordergrund. Von 85 Mrd. Euro sind 35 Mrd. Euro explizit für die Bankenstützung vorgesehen, während der Rest das Budget stabilisieren soll. Für den Stützungskredit muss Irland erhebliche Zinsen berappen und ein extremes Sparpaket umsetzen. Dieses geht vor der Prämisse aus, dass sich Irland aus der Krise sparen könne. Dies ist eine zweifelhafte Annahme.


Die gegenwärtige Krise Irlands hat ihre Wurzeln im Wachstumsmodell der letzten Jahrzehnte. Dieses beruhte auf hohen Kapitalzuflüssen. Einerseits kam es zu hohen Direktinvestitionen, speziell aus den USA, im industriellen Bereich, andererseits alimentierten die Finanzzuflüsse den Finanzsektor. Tatsächlich trugen die Auslandsinvestitionen zu einer erheblichen Steigerung der Exporte bei. Der Handelsbilanzüberschuss verdoppelte sich zwischen 1998 und 2009. Schneller noch wuchsen allerdings der Gewinntransfer und die Zinszahlungen ins Ausland. Der negative Saldo der Einkommensbilanz, in der diese Posten enthalten sind, verdreifachte sich in diesem Zeitraum auf 27,9 Mrd. Euro. Das entsprach 17,5% des Bruttoinlandsproduktes. Trotz hoher Handelsbilanzüberschüsse war die Leistungsbilanz wegen der hochnegativen Einkommensbilanz in den roten Zahlen.

Europameister im Steuerwettbewerb

Ausländische Konzerne verdienten über viele Jahre prächtig und mussten kaum Steuern zahlen. Der Satz der Körperschaftssteuer macht nur 12,5% aus. Für Irlands Rechtsregierung ist dies eine der herausragenden Errungenschaften Irlands, einem Europameister im Steuerwettbewerb.

Kredit- und Immobilienboom

Das BIP-Wachstum wurde über viele Jahre durch eine rasante Verschuldung und einen Immobilienboom getrieben. Auslandsbanken hatten an dem Finanzboom durch die Bereitstellung von Krediten und die Tätigkeit von Tochtergesellschaften regen Anteil. Sie machten in Irland Geschäfte, die ihnen zu Hause nicht erlaubt waren. So rührt ein erheblicher Teil der Milliardenverluste der deutschen Hypo Real Estate aus ihrem Irland-Engagement her. Als die Finanzblase zusammenbrach, waren Banken und Haushalte in Irland mit einem Schuldenberg konfrontiert. Die irische Regierung verstaatliche Verluste und einen Teil der Banken.

Bankenstützung als Hauptursache für öffentliches Defizit

Die Bankenstützung ist auch die Hauptquelle – mit einem direkten Anteil von Zweidritteln – am für 2010 auf 32% des BIP veranschlagten öffentlichen Defizites. Im Abkommen mit EU und IWF ist vorgesehen, auch den Nationalen Pensionsreservefonds zur Bankenstützung zur Ader zu lassen. Wie die Irish Times vorrechnet, bringen die internationalen Stützungsmaßnahmen das aktuelle Bail Out für die Banken auf 60 Mrd. Euro, was 37,6% des BIP von 2009 entspricht. Die Probleme mit der Staatsschuld haben ihre Wurzeln eindeutig in der Überdehnung des irischen Bankensektors – und dies ist die Hauptsorge der Auslandsbanken sowie der EU-Regierungen.

Das EU-/IWF-Paket geht weder die Ursachen der Krise an, noch lindert es die Symptome. Das Stützungspaket ist nicht mit einer Minderung der exzessiven privaten Verschuldung verbunden. Es bietet allein eine Kreditfinanzierung zu einer Zeit, wo der irische Zugang zu Krediten eingeschränkt und sehr teuer ist.

Prozyklische Budgetpolitik

Die Budgetpolitik ist pro-zyklisch angelegt. Das aktuelle Sparpaket ist auf 15 Mrd. Euro taxiert. Diese addieren sich zu den Sparmaßnahmen in Höhe von 14,6 Mrd. Euro in den Sparpakten der letzten zweieinhalb Jahre. Die Sozialausgaben sollen um weitere 13% gesenkt werden, 24.750 Stellen im öffentlichen Dienst sollen gestrichen werden, die Mehrwert- und Einkommenssteuer steigen. Die extrem niedrige Körperschaftssteuer bleibt hingegen so niedrig, wie sie ist. Belastet werden vor allem die Lohnabhängigen. Die Proteste der Gewerkschaften sind scharf. Sie sehen die Budgetpolitik als eine Radikalisierung des Neoliberalismus – und das zu Recht.

Extreme Sparpolitik

Die extreme Sparpolitik wird Einkommen und Beschäftigung senken. Dies wiederum wird die Rezession – entgegen den offiziellen Verlautbarungen – vertiefen und verlängern. Die Rezession wird die Steuereinnahmen dämpfen. Eine rezessive Ökonomie und möglicherweise fallende Preise würden die Schuldenlast sowohl privater SchuldnerInnen als auch des Staates vertiefen. Die Sparpolitik dürfte also die Schuldenprobleme nicht erleichtern, sondern verschärfen.

Senkung des Mindestlohns

Die Regierung behauptet, dass die Senkung des Mindestlohns um einen Euro auf 7,65 Euro und die allgemein restriktive Lohnpolitik die Exporte stimulieren werden. Die Exportkapazität ist jedoch nicht das Problem Irlands, eher schon der Absatz im Ausland. Beispielsweise wird auch Großbritannien als einer der wichtigsten Exportmärkte der irischen Industrie aufgrund einer extremen Sparpolitik absehbar eine sehr schwache Binnennachfrage aufweisen. Alle EU-Länder wollen über Stimulierung der Exporte und eine Dämpfung der Binnennachfrage wachsen. Eine solche Politik kann nicht für alle Länder erfolgreich sein. Vielmehr wird sie absehbar eine neue Rezessionsspirale in Europa einläuten. Diese Tendenz ist in den südeuropäischen Ländern, die unter Druck der Banken und der EU-Kommission eine ähnliche Politik wie Irland verfolgen, bereits erkennbar. Dieses Szenario ist ein Wiederläufer der Politik der frühen 1930er Jahre, die katastrophal endete.

Irrationale Wirtschaftspolitik?

Diese Art der Wirtschaftspolitik mag irrational erscheinen. Doch hat sie eine Rationalität. Diese besteht in Einkommensumverteilung zu Ungunsten der Lohnabhängigen und dem beschleunigten Abbau des Sozialstaates. Sollte diese Politik nach eigenen Maßstäben – also Radikalisierung des Sozialstaatabbaus und Vertiefung neoliberaler Politikmuster – erfolgreich sein, wird sie gleichzeitig die Spannungen und Widersprüche in der EU sowie die Krisentendenzen vertiefen.

Joachim Becker ist a.o. Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Redakteur des „Kurswechsel“.

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