„Konstruktionsfehler“ im Frauenvolksbegehren? Sicher nicht!
13. Juni 2017 von adminalternative
Von „Konstruktionsfehlern“ des Frauenvolksbegehrens ist in einem Presse-Leitartikel vom 13. Juni die Rede. Von Forderungen, die zwischen „unrealistisch“ und „weltfremd“ pendeln und deswegen für potentielle UnterstützerInnen „abschreckend“ wirken könnten. Exemplarisch herausgehoben werden dabei z.B. der geforderte Mindestlohn von 1.750 Euro/Monat oder die 30-Stunden-Woche. 1.750 Euro Mindestlohn seien eher „hinderlich als eine Hilfe“, weil es „Befürchtungen“ gebe, dass bei einem derartigen Mindestlohn Jobs verloren gehen würden und die eigenständige Existenzsicherung der Frauen.
Bei der 30-Stunden-Woche wird überhaupt hinterfragt, warum diese ein „feministisches Anliegen“ sein sollte, zusätzlich sei sie nicht mehrheitsfähig und keine politische Partei in Österreich hätte diesen Punkt „ernsthaft“ auf der Agenda. Ein paar Anmerkungen dazu:
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Ad Mindestlohn 1.750 Euro ….
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Mindestlohnforderungen sind nicht aus der Luft gegriffen, auch handelt es sich bei den geforderten 1.750 Euro nicht um eine willkürlich gewählte Zahl sondern um eine objektivierbare Größe. Mindestlöhne sollen Niedriglöhne verhindern, insbesondere die Ausbreitung des Niedriglohnsektors, von dem überproportional viele Frauen betroffen sind.
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- Laut AK Oberösterreich bezogen 2014 23,9 % aller Vollzeit-Beschäftigten Frauen ein Einkommen von unter 1.700 Euro, mehr als die Hälfte – nämlich 53 % aller Vollzeitbeschäftigten unter 1.700 Euro sind weiblich.
- Die Niedriglohnschwelle – also jene Schwelle unter der der Niedriglohnsektor beginnt – liegt dabei definitorisch bei 2/3 oder 66 % eine mittleren Vollzeitbeschäftigungsverhältnisses. Diese Definition der Niedriglohnschwelle wird von der ILO, der OECD und der EU-Kommission verwendet. In Österreich lag das Medianeinkommen (Stundenentgelt) bei Vollzeit im Jahr 2015 laut Einkommensbericht des Rechnungshofs bei exakt 15,30 Euro, um Überstunden bereinigt bei 14,70 Euro (ohne 13./14. Monatsgehalt).
- Die Niedriglohnschwelle liegt damit bei einem Stundenlohn von 9,80 Euro – das entspricht auf ein Monatseinkommen hochgerechnet 1.695 Euro. Für 2017 ergäbe sich – würden die Lohnerhöhungen 2016 und 2017 für den Handel z.B. herangezogen – eine Niedriglohnschwellen von Euro 1.742,80 (Mindeststundenlohn: 10 Euro)!
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Das entspricht damit praktisch den vom Frauenvolksbegehren geforderten 1.750 Euro Mindestlohn! Warum gerade aus Frauenperspektive die Forderung nach einem Mindestlohn an der der Niedriglohnschwelle so wichtig ist, ergibt sich insbesondere aus der Tatsache, dass die Stundenlöhne bei atypisch Beschäftigten – mehrheitlich Frauen, 61 % aller unselbständig Beschäftigten Frauen sind atypisch beschäftigt – teilweise weit unter der Niedriglohnschwelle liegen! So liegt der mittlere Stundenlohn geringfügig Beschäftigter bei 8 Euro, das unterste Einkommensviertel der Teilzeitbeschäftigten verdient nur 8,60 Euro, der befristet Beschäftigten 7 Euro, der Geringfügigen überhaupt nur 4,50 Euro je Stunde. (Quelle: Einkommensbericht des RH, 2016)
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Die Mindestlohnforderung von 1.750 Euro – wie sie übrigens annähernd mit 1.700 Euro auch von allen Gewerkschaften und vom ÖGB erhoben wird – ist also gut begründet, nicht willkürlich gewählt und hat ganz reale Hintergründe. Und würde insbesondere die Einkommenssituation atypisch beschäftigter Frauen deutlich verbessern. Hinsichtlich Beschäftigungswirkungen von Mindestlöhnen sei einmal mehr auf diesen Beitrag von Miriam Rehm und Simon Theurl im A & W-Blog verwiesen.
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Ad 30-Stunden-Woche
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Die 30-Stunden-Woche ist tatsächlich eine langjährige Forderung insbesondere auch feministischer GewerkschafterInnen! Warum eine 30-Stunden-Woche und insbesondere auch ein 6-Stunden-Arbeitstag aus einer Gleichstellungs- bzw. feministischen Perspektive wohl eine ganz zentrale Forderung ist, liegt nicht zuletzt in der Frage der häuslichen und außerhäuslichen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern begründet, insbesondere wenn es um Fragen der Kinderbetreuung geht – eine Tätigkeit die in der Regel täglich anfällt. Abgesehen davon: Arbeitszeitverkürzung ist längst Realität. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit lag bei unselbständig Beschäftigten 2016 bei 35,7 Wochenstunden. Bei Vollzeit allerdings 41,6, bei Teilzeit lediglich 21,2 Wochenstunden (Quelle: Statistik Austria)! Arbeitszeitverkürzung findet also statt, allerdings individuell, nicht als Prozess einer kollektiven Verkürzung und insbesondere ohne Lohnausgleich – auch hier wieder v.a. zu Lasten der Frauen!
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Gerade feministische SozialwissenschafterInnen die sich intensiv mit Fragen der Arbeitszeitverwendung, der Arbeitsteilung und Gleichstellungsfragen in Arbeitswelt und Beruf auseinandersetzen sehen eine Arbeitszeitverkürzung – und hier regelmäßig die 30-Stunden-Woche als neuen, verkürzten Vollzeitstandard als notwendige wenn auch nicht zwingend ausreichende Maßnahme um eine gerechtere Verteilung von Arbeit zwischen den Geschlechtern zu ermöglichen. Dass die Diskussion rund um eine 30-Stunden-Woche längst auch im „Mainstream“ angekommen ist, zeigen nicht zuletzt die oft rezensierten Erfahrungsberichte aus skandinavischen Ländern sowie ExpertInnenmeinungen aus der Arbeitssoziologie die einen derartigen Vollzeitstandard als Zielgröße moderner – gerade auch geschlechtergerechter – Arbeitswelten und -zeiten fordern.
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Auch hier sei auf den A & W Blog und den Beitrag von Claudia Sorger zu geschlechtergerechten Arbeitszeiten verwiesen.
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Die Forderungen des Frauenvolksbegehren als „Konstruktionsfehler“ oder gar wenig hilfreich für die feministische Sache hinzustellen, gehen also ins Leere. Vielmehr handelt es sich bei Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung um unabdingbare Notwendigkeiten um mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Arbeitswelt zu erreichen.