Mindestsicherung und Pflichtarbeit – halt wieder mal typisch ÖVP (Teil II)

Verteilungsdebatte a la ÖVP: Unten gegen ganz unten

Das System AMS dient schon – wie das kapitalistische Lohnarbeitssystems überhaupt – über weite Strecken der Disziplinierung. Darüber können auch arbeits- und sozialrechtliche Errungenschaften – zu denen ja eigentlich auch die Arbeitslosenversicherung zählen sollte – welche den Warencharakter von Lohnarbeit begrenzen und einschränken, nicht hinwegtäuschen. Mit jeder Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen, Sanktionierungen u.ä. in den letzten Jahren wurde das AMS noch stärker zu einem Ort der Disziplinierung.

Eine Arbeitslosenanwaltschaft als unabhängige Interessensvertretung von arbeitssuchenden Menschen gibt es nach wie vor nicht. Über Sinn und Unsinn so mancher Kursmaßnahme wurde und wird in den Medien immer wieder breit berichtet. Entsprechend sind auch Begrifflichkeiten wie „Arbeitsunwilligkeit“ bzw. „Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt“, „Arbeitsbereitschaft“ kritisch zu hinterfragen und abzulehnen, gerade auch aus Gewerkschaftssicht. Je stärker die „industrielle Reservearmee“ Erwerbsarbeitslose einem Druck der Arbeitsaufnahme zu so ziemlich allen Bedingungen ausgesetzt ist, umso stärker ist der Druck auf (noch) bestehende Arbeitsverhältnisse – hinsichtlich Einkommen, Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten etc. Noch stärker wird der Druck auf bestehende Arbeitsverhältnisse wenn Arbeitslose zwangsweise in Jobs gedrängt werden, für die bestenfalls noch ein kleines zusätzliches Taschengeld bezahlt wird – wenn überhaupt. Das alles scheint für die ehemalige Gewerkschafterin Marek wohl kein Thema zu sein, für die ÖVP ohnehin nicht, die bereits lieber heute als morgen die kürzlich beschlossene Mindestsicherung hinsichtlich einer Arbeitsverpflichtung nach 6 Monaten Bezug reformiert wissen will.

Verteilungsdebatte a la ÖVP: Unten gegen ganz unten

Ginge es der ÖVP tatsächlich darum, langzeitarbeitslose Menschen „in Beschäftigung“ zu bringen, lägen entsprechende Schritte auf der Hand: nämlich

  • eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung und damit die gerechtere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit vorantreiben,
  • Maßnahmen zur Reduktion von Überstunden setzen,
  • durch einen ordentlichen Mindestlohn in Höhe von Euro 1.500/brutto monatlich Erwerbsarbeit  „attraktivieren“.

Gleichzeitig könnte sie  eine („expertimentelle“) Arbeitsmarktpolitik fördern,

  • die etwa die Weiterführung konkursreifer aber an und für sich überlebensfähiger Betriebe durch die Belegschaften in Selbstverwaltung unterstützt und begleitet,
  • die Umschulungs- und Weiterbildungsangebote auf Basis der Freiwilligkeit und der Selbstbestimmung durch AMS-Mittel unterstützt,
  • die Gründung von genossenschaftlich organisierten Betrieben fördert,
  • Sozial-ökonomische Betriebe ausbaut und ihnen auch ausreichend Zeit für sozialarbeiterische Tätigkeiten einräumt,
  • und die „Aktion 8.000“ wiederbelebt – also AMS-geförderte reguläre Beschäftigungsverhältnisse in den Bereichen Kultur, NGO etc., Initiativen schafft.

Derartige Maßnahmen würden einer Arbeitsmarktpolitik auch einen gewissen „emanzipatorischen“ Charakter verleihen.

Beschäftigungs- und wirtschaftspolitisch könnte die ÖVP auch endlich

  • ein beschäftigungsintensives Konjunkturpaket Bildung und Soziales fordern, also den Ausbau von Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen sowie Bildungsreformen vorantreiben, die ein mehr an Chancengerechtigkeit und Arbeitsplatzchancen bringen,
  • für Klimaschutzinitiativen mehr Geld lockermachen,
  • prekäre atypische Beschäftigungsverhältnisse abschaffen oder eingrenzen,
  • Teilzeitarbeit neu regeln und, und, und.

Das macht die ÖVP natürlich alles nicht. Es interessiert sie auch schlichtweg nicht. Die Interessenslage von ArbeitnehmerInnen hat die ÖVP noch nie besonders interessiert. Es geht der ÖVP schlichtweg darum, eine Verteilungs- und Gerechtigkeitsdebatte dorthin zu bringen, wo sie definitiv nicht hingehört. Ganz nach unten. Langzeitarbeitslose MindestsicherungsbezieherInnen, die also „Geld ohne Arbeit“ beziehen, bieten sich da aus rechter Sicht besonders an. Oder wie Sozialexperte Martin Schenk in einem Standard Interview sagt:

„Eine soziale Gruppe (Langzeitsarbeitslose, Anm.), die keine Interessenmacht hat, hat es immer schwer. Die kann man konsequent beschimpfen, da gibt es niemanden, der dagegenhält. Und dann hängt es von der Konjunktur ab. Wenn die einbricht, kommt immer eine Verteilungsdebatte samt Missbrauchsdiskurs auf. Das ist eine Methode, um die Gerechtigkeitsdebatte ‚ganz unten‘ zu führen. Die mit den geringsten Einkommen dürfen dann einander die Augen auskratzen.“

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