Neoliberale Antidemokratie

In den nächsten Jahren steht viel auf dem Spiel. Nichts Geringeres als die Errungenschaften der ArbeitnehmerInnen, nichts geringeres als die Demokratie selbst. Neoliberalismus und antidemokratische Tendenzen in einer Gesellschaft hängen eng zusammen. Wer aber diesen antidemokratischen Weg gehen will, der muss mit heftigen Widerstand der ArbeitnehmerInnen rechnen.

Neoliberaler Antidemokrat

Diese antidemokratischen Tendenzen des Neoliberalismus lassen sich besonders gut (wieder einmal) an Christian Ortner, Kolumnist bei der Presse und der Wiener Zeitung, ehemals Wirtschaftsredakteur im profil, zeigen. In seiner Kolumne für die Wiener Zeitung vom 27. August 2017 schreibt Ortner in „Ihr Kinderlein kommet – lieber nicht!“ über die aktuelle Fluchtbewegung und die vermeintlichen Hintergründe. „Abermillionen junge afrikanische Männer“ drängen nach Europa und schuld daran sei die Geburtenrate. Als Gegenmaßnahme fordert Ortner eine Ein-Kind-Politik wie in China. Da die aber in der Bevölkerung verhasst sei, lässt sie „sich gerade in Afrika praktisch nur mit den Mitteln einer Diktatur umsetzen“. Europa solle Afrikas Regierungen „sanftem Druck dazu bewegen, Geburtenkontrollen durchzusetzen.“ Das nennt Ortner auch ganz offen „Neokolonialismus“.

Abgesehen davon, dass die Ein-Kind-Politik in China grandios gescheitert ist und mittlerweile aufgegeben wurde (Überalterung der Gesellschaft, Ungleichgewicht zwischen den Geburtenzahlen von Jungen und Mädchen, bis hin zu Tötungen von Mädchen, usw.), liegt die Ursache vor allem in der Wirtschaftspolitik auch der EU. Konzerne und Staaten kaufen für die Treibstoff- und Nahrungsproduktion am Weltmarkt im großen Stil Ackerflächen in Afrika auf. Nach Schätzungen wurden weltweit bereits 200.000 km^2 landwirtschaftliche Nutzfläche durch so genanntes „Land Grabbing“ aufgekauft und ist nun so genanntes „exterritoriales Ackerland“. Über 30 % des global verfügbaren Ackerlandes wird von Staaten und Konzernen Verhandlungen geführt. In manchen einzelnen afrikanischen Staaten haben Konzerne Millionen an Hektar Ackerland eingekauft. (siehe u.a. Das Milliardengeschäft mit Ackerland, land-grabbing.de)

Die „Kevins“ und „Jessicas“ und die Demokratie

2015 forderte Ortner, dass Griechenland in eine „Sonderverwaltungszone“ transformiert wird, in der die Demokratie suspendiert ist. Diese Strafmaßnahme forderte er, aufgrund des jahrelangen „Überkonsums“ der „Wiege der Demokratie“.

In seinem Buch „Prolokratie: Demokratisch in die Pleite“ fordert Ortner nach einem Rundumschlag gegen die „Kevins“ und „Jessicas“, die arbeitslos sind oder an der Supermarktkassa arbeiten und dann noch BMW (sic!) fahren, das Zensuswahlrecht bzw. Klassenwahlrecht wieder einzuführen. Also ein ungleiches Wahlrecht, in dem nur wählen darf, wer über gewisse Finanzmitteln verfügt bzw. in dem die Stimmen der Vermögenden mehr Gewichtung erfahren. „Nettozahler“ sollen nach Ortners Plänen eine Zweitstimme bekommen. Damit wandelt er auf den Spuren des neoliberalen Vordenker Friedrich August Hayek, der nicht nur den faschistischen Diktator Pinochet unterstützte, der 30.000 Menschen allein im ersten Jahr seiner Diktatur ermorden ließ. Hayek forderte auch eine Einschränkung des allgemeinen Wahlrechts für BeamtInnen und BezieherInnen von öffentlicher Unterstützung.

In seinem Nachfolgewerk „Hört auf zu heulen“, sinniert er übers Max Webers Werk „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ – also die These, dass die Entstehung des betriebswirtschaftlichen Kapitalismus erst durch den religiös-fundamentalistischen, „innerweltlich-asketischen Berufsethos“ möglich geworden ist. „Zu den Zeiten Max Webers arbeiteten die Menschen in Europa noch intensiver, härter und länger als in den meisten anderen Regionen der Welt. Das mag für den Einzelnen überschaubar erbaulich gewesen sein, trug aber ganz wesentlich zur industriellen Potenz Europas bei.“ Arbeitszeiten von 16 Stunden, keinen Urlaub, keine soziale Absicherung, all das ist Ortner egal, Hauptsache die wirtschaftliche „Potenz“ passt. „Soziale Gerechtigkeit“, so Ortner, sei ein „Schmäh“. „Eine wesentliche Ursache für diesen törichten Kurs“ ist die fatale Neigung der Politik „jedes tatsächliche oder auch nur vermeintliche Leid mit dem Geld anderer Leute zu lindern“. Das Geld anderer Leute? Wer produziert Waren und Dienstleistungen? Es sind die ArbeitnehmerInnen.

Ortners Vorbild Friedrich August Hayek argumentierte, dass wenn der Staat die Wirtschaft kontrolliere und die Macht der Mehrheit unbeschränkt ist, die Demokratie „doktrinär“ und „dogmatisch“ werde. Demokratie verkommt bei Hayek zu einem Instrument für die Verwirklichung individueller Freiheiten (vor allem „Privateigentum“). Die Freiheit des Individuums könne nur durch eingeschränkte Demokratie erreicht werden und dies sei gegebenenfalls auch diktatorisch herzustellen. Unbegrenzte Demokratie führe dagegen nach Hayek in den Totalitarismus: „Die Menschen in Umstände zu versetzen, wo jeder gleiche Chancen hat, ist extremer Totalitarismus.“ Hayeks Unterstützung für das faschistische Regime Pinochets („I prefer a liberal dictator to democratic government lacking liberalism.“) war damit keine Irrung, sie war Ausdruck für seine autoritären staatsphilosophischen Theorien.

Die Freiheit, die die Autorität meint

Christoph Butterwegge beschreibt in seinen Thesen, dass seit der welthistorischen Zäsur 1989/1990 zwei Strömungen des Nationalismus erstarkt sind. Der „alte“ völkisch-tradionalistische „Abwehrnationalismus“. Und ein neuer „Standortnationalismus“, der eine Aufwertung des „eigenen“ Wirtschaftsstandortes sucht und eine Überlegenheit gegenüber anderen Volkswirtschaften behauptet. Zu diesem Zwecke fordert er eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit durch „Modernisierung“ ein. Es ist die Legitimationsbasis des Neoliberalismus. Was als „Modernisierung“ bezeichnet wird, ist die Rücknahme demokratischer und sozialer Reformen. Es geht um die Ökonomisierung aller Gesellschaftsbereiche und deren „Restrukturierung nach dem privatkapitalistischen Marktmodell […]. Maßnahmen der Privatisierung öffentlicher Unternehmen, sozialer Dienstleistungen und allgemeiner Lebensrisiken, zur Deregulierung gesetzlicher Schutzbestimmungen sowie zur Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse und -zeiten sind Schritte auf dem Weg in eine Gesellschaft, die Konkurrenz und Kommerz prägen.“

Gesamtgesellschaftliche Willensbildung wird durch betriebswirtschaftliche Effizienzkriterien und kapitalistische Konkurrenzmechanismen ersetzt. Gesellschaftliche Entscheidungen werden immer weniger gemeinschaftlich getroffen, deren Elemente werden privatisiert und durch Entscheidungen auf Konzernebene ersetzt.

Die bürgerliche Demokratie

Schon der frühe Wiener Arbeitsrechtsjurist Isidor Ingwer, geboren 1866 in Tarnopol, Galizien und am 22.7.1942 in das KZ Theresienstadt deportiert und dort ermordet, kritisierte 1867 gemeinsam mit Isidor Rosner in ihrem Werk „Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“ die sozialen Widersprüchlichkeiten der bürgerlichen Grundrechtsideologie, deren „Poesie“ an der gesellschaftlichen „Alltagsprosa“ scheitert:

„Ja, sogar unser allgemeines bürgerliches Gesetzbuch ist schon von den Ideen der französischen Revolution infiziert.“ Und „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte …‘ Würde man aber den Menschen alle ihnen angebornen, schon durch die Vernunft einleuchtenden Rechte lassen, dann wäre die heutige Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung – gewesen. Daran sieht man, welchen höchst problematischen Wert die bloße Verkündigung der diversen Menschenrechte hat.“

Anders als die „Dienstmietslehre“ im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch strebte Ingwer ein auf der Marx’schen Mehrwerttheorie beruhenden Arbeitsrecht vor. Über den „freien Lohnarbeiter“ schrieb er:

„Diese sonderbare Freiheit zwingt nun den Besitzer der Arbeitskraft, den Arbeitsvertrag abzuschließen, der dem Unternehmer passt. Der Unternehmer kann warten, er verhungert nicht, wenn der Arbeiter den ihm gestellten Antrag nicht annimmt, denn es sind – abgesehen von vereinzelten und vorübergehenden Ausnahmen – Tausende von Arbeitern bereit unter denselben oder noch ungünstigeren Bedingungen ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Marx hat also vollkommen recht, wenn er angesichts dieser Tatsache schreibt: ‚Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andre scheu, widerstrebsam wie jemand, der seine eigene Haut zu Markt getragen und nun nichts anderes zu erwarten hat als die – Gerberei.‘“

Mit dieser Erkenntnis schuf er seine Arbeit von 1895 „Vom sogenannten Arbeitsvertrag“, in dem er ausführte, dass hinter dem juristisch „freien Arbeitsvertrag“ das kapitalistische Lohndiktat stecke:

„Ja, der Arbeiter „kann auch ‚Nein‘ sagen, wenn er will; aber er stirbt Hungers, wenn er ‚Nein‘ sagt. O, der Arbeiter ist frei, frei wie der Sklave, der unter den Peitschenhieben seines Peinigers wimmerte, frei wie der Leibeigene, der in stummer Demut die Hand küsste, die ihn schlug!“ Und es daher unter kapitalistischen Bedingungen keinen echten „freien“ Arbeitsvertrag geben kann. Dabei sei der oberster Grundsatz der bourgeoisen Auslegung: „Im Zweifel gegen den Arbeiter!“ (vgl. DRdA infas, Heft 362)

Marx umschrieb die Situation der ArbeiterInnen nach der siegreichen bürgerlichen Revolution treffend als „doppeltfreier Lohnarbeiter“. Zwar hätten die ArbeiterInnen die Bürgerrechte gewonnen, müssten aber nun ihre Arbeitskraft auf den Markt anbieten und ihren Lohn nach Marktkonditionen aushandeln. Doppeltfrei – frei von feudalistischen Fesseln und befreit von Produktionsmitteln – müssten sie sich nun in die Lohnsklaverei begeben.

Soziale Demokratie

Wer dieser Brutalität der Neoliberalen etwas entgegensetzen will, der muss über die Grenzen der „libertären Demokratie“ hinwegdenken, deren Demokratieanspruch auf den politischen Bereich begrenzt ist und die alten, geradezu feudalanmutenden Machtverhältnisse in der Wirtschaft beibehält.

Soziale Demokratie sichert nicht nur „formelle“ bürgerliche Rechte und Freiheiten, sondern garantiert soziale Gerechtigkeit und die Teilhabe aller Menschen an allen öffentlichen Angelegenheiten. Wesentliches Element bei der sozialen Demokratie ist die demokratische Mitbestimmung in allen betrieblichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die, die Waren und Dienstleistungen produzieren, sollen auch über die Produktionsverhältnisse bestimmen dürfen. Einen Weg zur sozialen Demokratie und damit zur Vollendung der Demokratisierung der Gesellschaft, zeigt uns die Rätedemokratie auf. Auch in Österreich (vor allem Wien) gab es von 1918 bis 1924 eine starke Rätebewegung

Die Rätebewegung kennzeichnete eine neue Art der Willensbildung: „imperatives Mandat, permanente Rechenschaftspflicht der Gewählten gegenüber den WählerInnen, jederzeitige Abberufbarkeit der Gewählten durch die WählerInnen, Einheit von Beschlussfassung und Durchführung. Diese Prinzipien […] unterschieden sich grundlegend vom parlamentarisch-demokratischen Repräsentativsystem. Die Arbeiter- und Soldatenräte empfanden sich als dessen Gegenpol und als potentieller Ablöser des „bürgerlichen Staats“. Die an seine Stelle tretende Alternative, die „Räterepublik“, sollte auf der Basis einer sozialisierten Wirtschaft die rätedemokratischen Prinzipien verwirklichen.“ (Stadt Wien, Geschichte Wiki)

Aber auch jetzt schon gibt es Institutionen der sozialen Demokratie: Arbeiterkammer, Gewerkschaften, Betriebsräte, selbstverwaltete Sozialversicherungen,…, sie sichern die Mitbestimmung der Menschen in betrieblichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Wer diese Errungenschaften zerstören will, zerstört demokratische Einflussnahme der ArbeitnehmerInnen, zerstört die Demokratie.

Ein weiterer Aspekt ist die Teilnahme aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. Über 800.000 Nicht-Österreichische-StaatsbürgerInnen haben laut Statistik Austria das 16. Lebensjahr vollendet und ihren Hauptwohnsitz in Österreich. Diese Menschen sind in Österreich nicht wahlberechtigt. Sie sind von der libertären Demokratie ausgeschlossen. Die Institutionen der sozialen Demokratie, Arbeiterkammer, Gewerkschaften, Betriebsräte garantiert diesen Menschen zumindest die Teilnahme an der sozialen Demokratie.

Sozialismus oder Barbarei

Im Vergleich zu vielen anderen Ländern dieser Welt, konnte Österreich dank der Sozialpartnerschaft gute Arbeitsverhältnisse und einen hohen Wohlstand erreichen. Dieser „Arbeitsfrieden“ zwischen Arbeit und Kapital garantierte über Jahrzehnte eine beständige Verteilung des erwirtschaften Reichtums. Seit den 90er Jahren zeichnete sich eine Entwicklung zu Ungunsten der ArbeitnehmerInnen ab. Die Produktivität galoppiert den Löhnen davon und in den letzten Jahren werden die Stimmen immer lauter, die Sozialpartnerschaft und gleich auch die soziale Demokratie abzuschaffen.

Wer diesen Weg gehen will, der sei gewarnt. Mit der beständigen Verteilung des erwirtschaften Reichtums hängt auch der Arbeitsfriede, der soziale Friede zusammen. Die Gewerkschaften werden nicht tatenlos zusehen, wie die Errungenschaften der ArbeitnehmerInnen und wie die soziale Demokratie zerstört werden.

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