Offener Brief an die Gemeinde Hadersdorf und Landeshauptfrau Mikl-Leitner
24. Mai 2017 von Brigitte Bakic
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Liselotte Golda,
werte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte der Gemeinde Hadersdorf am Kamp!
72 Jahre sind seit der Befreiung Österreichs von der Nazi-Herrschaft vergangen. An vielen Orten im Land erinnern Gedenksteine, Tafeln und Monumente an die Gräuel der Schreckensherrschaft. Die Massenvernichtungen des nazistischen Verbrecherregimes sind u.a. für Opferverbände und Gemeinden Anlass für regelmäßige Gedenkveranstaltungen.
Hadersdorf am Kamp ist leider unter den betroffenen Gemeinden die unrühmliche Ausnahme. Ihre Anwesenheit bei Gedenkveranstaltungen wird meistens vermisst. Der Ort des Gedenkens ist nicht im Sinne des antifaschistischen Grundkonsenses Österreichs gestaltet. Die Tatsache, dass es sich bei den namentlich bekannten Ermordeten um Opfer des Naziregimes handelt, wird verschwiegen. Die von der Gemeinde am Friedhof von Hadersdorf angebrachte Tafel hält lediglich fest, dass im April 1945 „61 aus dem Zuchthaus Stein entlassene Häftlinge“ von einer SS- Einheit ermordet wurden.
Seit Jahren bemüht sich Christine Pazderka, 77 jährige Tochter eines der politischen Gefangenen gemeinsam mit den KZ-Verbänden Wien und Niederösterreich um eine würdige Gedenkstätte für ihren ermordeten Vater und die anderen 60 Ermordeten.
Obwohl es die Aufgabe der Gemeinde wäre, haben wir inzwischen mit Spenden Tafeln der Erinnerung mit den Namen der Ermordeten hergestellt. Trotz wiederholter Bemühungen unsererseits, diese Tafeln zusätzlich im Einvernehmen mit Ihnen und Ihrer Gemeinde an der Friedhofsmauer anzubringen, verweigerten Sie bisher jedes Gesprächsangebot.
Dies widerspricht den Regeln des politischen Anstands, dem gesellschaftlichen Auftrag zur antifaschistischen Gedenkarbeit, sowie dem ausgesprochenen Wunsch von Hinterbliebenen der Opfer des Massakers.
Bei der diesjährigen Gedenkveranstaltung im April 2017 haben wir, wie in den letzten Jahren davor, die von Ihnen angebrachte Tafel „ergänzt“, aus „Gefangene“ wurde „politische Gefangene“, aus „Nie wieder!“ wurde „Nie wieder Faschismus!“. Es handelt sich um eine gewaltfreie Aktion und ist Ausdruck unserer langjährigen Forderung. Aufgrund einer Anzeige laufen jetzt Ermittlungen wegen Sachbeschädigung. Aus Solidarität gibt es bereits Selbstanzeigen.
Der sogenannte „Volkssturm“ verriet im April 1945 eine Gruppe von Widerstandskämpfern, die kurz zuvor aus dem Gefangenenhaus Stein entlassen worden waren und sich zu Fuß auf den Weg nach Wien gemacht hatte, an die SS. 61 politische Häftlinge wurden in Hadersdorf auf das Unmenschlichste misshandelt und brutal ermordet.
Werte Frau Bürgermeisterin, werte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte: ermöglichen Sie allen ein Erinnern und kein Verdrängen. Ermöglichen Sie die neuen Tafeln in Ihrer Gemeinde anzubringen.
Werte Frau Bürgermeisterin: Wir möchten Ihnen noch ein weiteres Gespräch anbieten und hoffen, Sie nehmen dieses Angebot bis Mitte Juni an. Wir werden die Tafeln mit den Namen der politisch Ermordeten anbringen. Aus Respekt vor den Opfern und ihren Hinterbliebenen. Am besten mit Ihnen.
Mit antifaschistischen Grüßen
Gedenkgruppe Hadersdorf am Kamp
KZ-Verband Niederösterreich
KZ-Verband Wien
Kontakt: office@kz-verband-wien.at