ÖGB fünf Jahre nach der BAWAG-Krise: Abgesagte Reformen und die Vertrauenskrise
21. März 2011 von adminalternative
Das dieswöchige „Profil“ setzt sich fünf Jahre nach der BAWAG-Krise mit dem Ist-Zustand des ÖGB auseinander. Ein durchaus interessanter und lesenswerter Beitrag, der einmal mehr den ÖGB in einer „Krise“ sieht. Knappe Finanzen und daraus resultierende Verteilungskämpfe zwischen Einzelgewerkschaften und ÖGB-Zentrale. Schwache Zentrale hier, starke Einzelgewerkschaften da. Sinkenden Mitgliederzahl und damit einher gehend eine Schwächung der Gewerkschaftsbewegung als Ganzes. Die Atypisierung von Beschäftigungsverhältnissen sowie die Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte verschlafen und die Gewerkschaftsorganisationen nicht entsprechend auf die sich verändernden Arbeits- und Lebensrealitäten der Menschen eingestellt. Und schließlich der Machtverlust der dominierenden FSG in der SPÖ und die Parallel-Sozialpartnerschaft Hundsdorfer – Mitterlehner in der Bundesregierung. All das, so die AutorInnen, zeuge von einer empfindlichen Schwächung der Gewerkschaftsbewegung seit der BAWAG-Krise. Bis heute habe sich der ÖGB nicht erholt. Der Beitrag ist durchaus lesenswert. Greift allerdings dennoch zu kurz.
Plötzlicher Reformeifer …
Wir erinnern uns: als das Ausmaß der BAWAG-Krise in seinem ganzen Umfang bewußt wurde, herrschte in den Gewerkschaften und im ÖGB schlichtweg Panik. Die Existenz der österreichischen Gewerkschaftsbewegung stand auf dem Spiel und so ziemlich alles brach auf, was über Jahrzehnte hinweg zugedeckt war.
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… das Versprechen von mehr Demokratie …
Vieles sollte anders, der ÖGB einer grundlegenden Reform unterzogen werden. Plötzlich wurde auch über Demokratiedefizite im ÖGB gesprochen. Haberzettl, damals Eisenbahner- und FSG-Chef, stellte z.B. die Direktwahl des ÖGB-Präsidenten durch die Mitglieder in den Raum. Eine Mitgliederbefragung zu Reformnotwendigkeiten im ÖGB – rund 60.000 Fragebögen kamen zurück! – kam zu recht eindeutigen Ergebnissen:
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- 89 % forderten mehr direkte Demokratie und Mitbestimmungsmöglichkeiten in den Gewerkschaften
- Transparenz und Kontrolle waren 90 % wichtig
- 88 % forderten die Abschaffung bezahlter Mehrfachfunktionen!
- 80 % wollten die Überparteilichkeit, die parteipolitische Unabhängigkeit stärken und so Interessenskonflikte verhindern
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… angekündigte Trennung Gewerkschafts- und Parteimandat …
Ja, und plötzlich wurde auch der „überparteiliche“ Charakter des ÖGB und der Gewerkschaften betont. Ja, und es wurde auch hinterfragt, wie sich denn gewerkschafts- und parteipolitisches Mandat vertragen würde, ob die ständige Verquickung von Partei und Gewerkschaft nicht mit eine Ursache für die Vertrauenskrise der Gewerkschaften – nicht erst seit dem BAWAG-Skandal – sein könnte. Nicht ganz freiwillig – die SPÖ unter Gusenbauer versuchte alles, um nicht in den BAWAG-Strudel hineingezogen werden – legte sich anno dazu mal die FSG eine Selbstverpflichtung auf, künftig keine Spitzenfunktionäre mehr in den Nationalrat zu entsenden.
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… ein ÖGB Reformkongress
Im Rahmen des 16. ÖGB- Bundeskongresses (22. – 24. Jänner 2007), der ganz im Zeichen eines „ÖGB NEU“, eines ÖGB der Nach-BAWAG-Krisenära stand, wurde auch eine entsprechende ÖGB-Organisationsreform beschlossen, die klar machen sollte, „… dass der ÖGB – auch über den BAWAG-Skandal hinaus – klarmacht, dass er aus den Fehlern gelernt hat und eine echte Erneuerung stattfindet.“ (Antrag 1 des ÖGB-Bundesvorstandes, „Reformumsetzung und Organisationsentwicklung von ÖGB und Gewerkschaften“, Heft „Organisationsreform“ zum 16. ÖGB-Bundeskongress, S 8 )
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In seinem neuen Leitbild verpflichtete sich der ÖGB, „die innerorganisatiorische Demokratie ständig weiter zu entwickeln“. Wir GewerkschafterInnen seien, so heißt es weiter, „… politisch denkende und überparteilich handelnde Menschen“, die „… in Wort und Tat konsequent die Mitgliederinteressen…“ (Leitsätze, ebd. S 20) verfolgen würden. Da das unter dem Diktat des Klubzwangs in Parlamenten nicht so einfach sei, heisst es daher im Antrag zur Organisationsreform unter anderem, dass es der ÖGB für wichtig erachte, „… dass die Funktion des/der ‚Gewerkschaftsvorsitzenden‘ frei von ‚parteipolitischen Zwängen‘ ist …“ und die „’Interessenfunktion‘ höher als die ‚Parteifunktion‘ zu bewerten“ ((Kapitel „Fraktionen und ‚Fraktionslose‘ im ÖGB“, ebd. S 13) sei. Es war einmal …
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… und das rasche Ende der guten Vorsätze
Und heute? Der Reformeifer ist seit dem erfolgreichen BAWAG-Verkauf dahin. Wie eh und je sitzen SpitzengewerkschafterInnen für ÖVP und SPÖ im Nationalrat und beschließen dort als Nationalratsabgeordnete Gesetze und Budgets, gegen die sie als Gewerkschafter Sturm laufen. Von allgemeinen Gewerkschaftswahlen sind wir ebensoweit entfernt, wie von regelmäßigen Urabstimmungen, Mitgliederbefragungen etc. Von der ÖGB-Reform ist ein gemeinsames Haus geblieben. Überparteilichkeit des ÖGB? Mehr Unabhängigkeit von Parteien? Die Gleichsetzung ÖGB=FSG=SPÖ feiert wieder fröhliche Urständ’. GewerkschafterInnen verwechseln ihre Gewerkschaftsfunktion wieder regelmäßig mit ihrer Fraktionsfunktion und handeln nicht immer überfraktionell sondern im Sinne der Mehrheitsfraktion und ihrer RepräsentantInnen in den Betrieben. „Die Reihen dicht“, heißt es wieder, gegen die „da draussen“, die uns Böses wollen, wobei die draussen meist eh drinnen sind, in der Gewerkschaft, aber halt – leider, leider bei der falschen Fraktion.
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Kritik wird nicht etwa durch Gegenkritik – was wir im Sinne des demokratischen Diskurses ja durchaus begrüßen würden – erwidert, sondern durch gewerkschaftsinterne „Strafaktionen“, Kampagnen oder Einschüchterungsversuche durch die Mehrheitsfraktion. Das ist in hohem Maße kleinlich und peinlich. Und vor allem auch kurzsichtig, nimmt die weltanschauliche Bindung der ArbeitnehmerInnen an traditionelle Lager doch ab (so gehören etwa in der GPA-djp 48 % der BetriebsrätInnen keiner Gewerkschaftsfraktion an) und damit auch die Integrationskraft der Sozialdemokratie im ArbeitnehmerInnenlager und muss ein entsprechend hegemonialer Machtanspruch der SPÖ und FSG bzw. der ÖVP und FCG in den Gewerkschaften zunehmend abstossend wirken. Wer „Gewerkschaft“ auf SPÖ verengt, maximal noch ÖVP duldet und alles andere als primär nervensägig und ungewohnt am liebsten weiter haben will, wird bald recht einsam werden und sollte sich nicht über sinkende Mitgliedszahlen beschwerden. Er/Sie ist selber schuld.
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ÖGB: Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise verlängert
Mag der finanzielle Bankrott der Gewerkschaftsbewegung einmal abgewendet sein, die Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise ist definitiv nicht überwunden. So weist der ÖGB im APA/OGM Vertrauensindex ein dickes Minus von -11 Punkten auf. Da tröstet es nur wenig, dass das Vertrauen in die Industriellenvereinigung noch geringer ist. Viele Versprechungen und Ankündigungen aus der ÖGB-Krise und der Reform harren nach wie vor ihrer Umsetzung. Das ÖGB-Mitglied bleibt nach wie vor weitestgehend auf seine zahlende Rolle reduziert. Hier greift der Artikel im „Profil“ jedenfalls zu kurz. Wenn der ÖGB-Vizepräsident Norbert Schnedl von der FCG davon sprich, dass die „Altersstruktur unserer Mitglieder ein Problem“ sei und die große Herausforderung darin bestünden „stärker junge Menschen anzusprechen“, muss ein entsprechend attraktives Angebot geschaffen werden.
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Mehr Demokratie = höhere Identifikation = engagierte Mitglieder
Und gerade besser qualifizierte, gut (aus-)gebildete jüngere Menschen, welche die Gewerkschaftsbewegung so gerne gewinnen möchte, wollen mitbestimmen, mitgestalten und wählen. Hierarchische Strukturen sind vielen Jungen in hohem Maße suspekt bis unsympathisch, Gewerkschaften, die sich wie Vorfeldorganisationen von Parteien verhalten, nicht unbedingt attraktiv. Es ist eine Binsenweisheit: je größer die Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten in einer Organisation sind, desto höher ist die Identifikation mit derselben. Mit einer Demokratisierung alleine lässt sich die Vertrauenskrise wohl auch nicht vollständig überwinden. Sie wäre allerdings ein bedeutender Schritt, wieder Glaubwürdigkeit herzustellen und engagierte Mitglieder zu gewinnen. Und davon lebt letztlich Gewerkschaft.
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PS: Noch eine Anmerkung zum Profil Artikel. Hinsichtlich der Freiheitlichen Arbeitnehmer sitzt nun das Profil allerdings einer ordentlichen Fehleinschätzung auf. Das mag zwar einer FSG-Inszenierung als – vermeintlich – einziger Schutzwall gegen rechts entgegenkommen. Tatsächlich sind die FA allerdings im ÖGB so gut wie nicht präsent und politisch tatsächlich völlig irrelevant, was so auch gut ist. Eine entsprechende mediale Aufwertung aufgrund ein paar freiheitlicher Erfolge bei Betriebsratswahlen entbehrt daher tatsächlich jeder realen, gewerkschaftlichen Grundlage.
Besonders deutlich ist das Versagen des ÖGB in dessen Umgang mit den Lohnarbeitslosen: Versprochen wurde ein Pilotprojekt zum Thema Lohnarbeitslosigkeit, passiert ist nichts.
Nach wie vor werden Mitglieder, die Jahrzehnte lang eingezahlt haben wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, wenn sie Lohnarbeitslos werden und daher nicht mehr den vollen Mitgliedsbeitrag zahlen können. Bei der gpa-djp verstaubt seit über 5 Jahren ein Konzept zu einer Interessensgemeinschaft für Arbeitslose. Schlimmer noch: Die gpa-djp vertritt die TäterInnen in den unter Androhung des Existenzentzuges aufgenötigten AMS-Zwangsmassnahmen deren Arbietsgrundlage es ist, den lohnarbeitslosen ArbeitnehmerInnen die (Menschen)Rechte zu rauben. Gewerkschaftsfunktionäre sitzen in zahlreichen AMS-Gremien und sind durch ihr Schweigen bzw. ihre nicht koordinierte Tätigkeit über die Betroffenen hinweg politisch für die systematischen Rechtsverletzungen und die arbeitnehmrerInnenfeindliche, neoliberale Politik des AMS mitverantwortlich. Schlimmer noch: das größte Kursinstitut beim AMS ist immer noch das bfi das zu je 50% AK und ÖGB gehört. Und auch so manch anderer Anbieter von AMS-Zwangsmaßnahmen ist dem Umfeld der SPÖ zuzurechnen (in Wien die ÖSB mit deren Tochter itworks, aber auch jobtransfer und flexwork).
Schade auch, dass die alternativen Kräfte, AUGE, GLB und diverse kleinere Gruppen noch immer nicht zu einem zeitgemässen zusammen arbeiten gefunden haben und letzten Endes in den alten, überkommenen Strukturen verbleiben.
Schade, meint Martin Mair